Seite:Wilhelm Löhes Leben Band 2.pdf/27

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 „Deinen Brief erhielt ich gerade nach meiner Rückkehr von Wernsbach, wohin ich mit Helene zu dem kranken G. gefahren war. Der G. denkt sicher an keine désirs rücksichtlich der Ewigkeit. Er weiß gewiß, daß er stirbt, denn seine Speiseröhre ist so enge, daß er nichts mehr genießen kann. Er redet mit vollkommener Ruhe von seinem Tode, wie er gewiß vom Tode seines Hundes nicht geredet haben würde; es ist ihm ein unbegreiflich geringes Ereignis, daß er sterben soll; er glaubt eine Ewigkeit, wo er’s besser haben werde als hier, und Ruhe im Tode gibt ihm hauptsächlich der Wahn, daß es nach seinem Tode der ganzen Umgegend nach ihm sehnsüchtig werden werde. Sein Gesicht ist ganz Maul, wie Dir nebiges Conterfei zeigen kann, denn er hat sein ganzes Leben von seinem Maule gezehrt und es deswegen groß gezogen – er war ein Händler und mußte die ganze Gegend beschwatzen. – Ach, liebe Mutter, wenn der nur in der ewigen Seligkeit wäre, wie gerne wollten wir ihm von désirs schweigen. Aber darum sorgt er nicht; er hat sein Sorgen nicht auf Gott, er hat es weggeworfen, falle es hin, wohin es sei. Bei solchen Kranken erfährt man recht die Schranken der Wirksamkeit! O, wie klein ist ein Seelsorger, wie gar nicht nach den Hoffnungen der Welt. Wie wenig kann er – und doch, wie köstlich ist sein Amt!

 „Du hast, geliebte Mutter, einen Sonntag in Frankfurt gehabt, und warum solltest Du nicht mehr haben können? Fändest Du auch die Form der Predigten nicht nach dem Geschmack und dem ungehobelten Wesen Deines Schwiegersohnes, was läge dran? O nimm und trink – trink aus dem Krystall und lasse Dich’s nicht verdrießen, daß er keine Neuendettelsauer Scherbe ist. Gott gebe Deiner Seele Weisheit, Speise aus den Gartenblumen zu holen, und wenn Du wieder aufs Land gehst, so gebe er Dir Weisheit, Speise von meinen Wiesenblumen zu holen!

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 2). C. Bertelsmann, Gütersloh 1880, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_2.pdf/27&oldid=- (Version vom 1.8.2018)