Seite:Wilhelm Löhes Leben Band 2.pdf/61

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

des schönen Grundgedankens willen hier das ganze Gedicht mitgetheilt:

O Gottessohn, voll ewiger Gewalt,
O Menschensohn in göttlicher Gestalt,
Der Gottes Macht und Ehren überkommen.
Du hochgelobter HErr und Christ,
Der Du der Deinigen Verlangen bist:
Zu Dir, zu Dir, zu Dir begehr’ auch ich,
Nur wo Du bist, da find ich’s wonniglich.

Das Feld ist golden, blumenreich die Au,
Die Berge hehr und frei, der Himmel blau.
Wohl wird’s dem Menschenkind auf Erden:
Auch mir ist Alles angenehm,
Doch gnügts mir nicht, ich will Jerusalem.
Da, wo Du thronst, da treibt mein Segel hin,
Heimat wird’s nur, wenn ich daheime bin.

Dort flammt der Engel Heer in Deinem Licht,
Und meine Väter schaun Dein Angesicht;
Die gottverlobte Menschheit sonder Gleichen
Ist aufgedeckt vor ihrem Blick;
Von ihr wallt her ein unermeßlich Glück
Den Seelen zu – es rauscht ihr Freudenton
Wie Meeresbrausen zu des Lammes Thron.

Was hält mich auf? Laßt mich von dannen gehn
Zu meinem Volk, den Menschensohn zu sehn.
Den Blick nicht nur, die Seele will ich tauchen
In Seiner Schöne Majestät.
Schon jetzo Freud’ und Zittern mich durchweht.
Laßt mich hinweg! O HErr, hinauf zu Dir,
Zu Deinem Anschaun schreit mein Geist in mir.

Ich soll noch nicht? Nicht öffnet sich das Thor?
Du weisest mich zu meiner Brüder Chor?
Mit ihnen soll ich noch im Glauben wallen?
Es wird mir schwer und ach, so bang,
Daß ich muß gehn das Thränenthal entlang.
Ach, wäre doch mein Thränenquell versiegt.
Mein Seel und Geist in Deinem Licht vergnügt! – –

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 2). C. Bertelsmann, Gütersloh 1880, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_2.pdf/61&oldid=- (Version vom 1.8.2018)