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An Frau Pf. K. in P.

 „Verehrte Frau Gevatter!

 „Sie haben nun zum sechsten Male das Grab und Bild meiner seligen Freundin Helene mit Blumen geziert, und ich will Ihnen einmal wenigstens in meinem eigenen Namen Dank für Ihr treues Andenken sagen. Ich habe es bisher unterlassen, weil ich dachte, Sie thäten bei der Liebe, welche Sie zu der Seligen haben, eigentlich Ihrem eigenen Herzen Genüge, gleichwie ich dem meinigen, wenn ich alljährlich den Abschiedstag meines zeitlichen Glückes feiere. Ich dachte, länger als Ihr eigenes Herz Sie nach Blumen greifen hieße, würden Sie es auch nicht thun. Der Ansicht bin ich noch, und ich wäre ein zugleich stolzer und ungezogener Mensch, wenn ich Ihr Thun nur fernehin in eine Verbindung mit meiner armseligen Persönlichkeit setzen wollte. Indes ist es doch auch mir lieblich und angenehm zu sehen, daß die Seele, welche ich am meisten liebe, auch anderen noch unvergessen im Herzen lebt, und für diese meine Freude sage ich Ihnen hiemit den herzlichsten Dank.

 „Helenens seltene Ursprünglichkeit des Benehmens, ihr Wesen ohne Falsch, ihre Einfalt, ihre herzliche Zufriedenheit mit dem, was ihr geschah, ihre thränenreiche Unzufriedenheit mit ihrem wenigstens vermeinten Zurückbleiben, ihre Sehnsucht hinauf, ihr heißes Sehnen und Flehen und so manches Andere, was ich an ihr erlebt, ist mir Alles zu Idealen verklärt. Was Helenen fehlte, wußte sie und ich; aber was sie hatte, hat ihr mein Herz gewonnen, und je mehr es mir ein Thema der Betrachtung ist und wird, desto mehr sehe ich, daß sie mir zur Erkenntnis vieler wesentlicher Wahrheiten gegeben ward, daß ich mich ohne sie nicht kennen gelernt hätte. Ich denke Millionen Male an sie, bete, daß ihr Alles, was sie mir gewesen und ist, vergolten werde nach dem Reichtum göttlicher Barmherzigkeit, und was

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 2). C. Bertelsmann, Gütersloh 1880, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_2.pdf/66&oldid=- (Version vom 1.8.2018)