Der liebenswürdigste, volksthümlichste und neben Mozart
der zartfühlendste aller deutschen Tondichter, der aus
dem engen und beschränkten Lebenskreise eines Dorfhandwerkers
und aus einer Ueberzahl von Kindern
einer und derselben Familie heraustrat, um eine Bahn
voll Ruhm zu wandeln und auf dieser die Höhe auch
der irdischen Unsterblichkeit zu erreichen.
Haydn wurde in Rohrau an der Leitha, unfern der ungarischen Grenze geboren, zeigte früh musikalische Anlage und wurde von einem Verwandten, welcher Schulmeister im Städtchen Haimburg war, neben dem gewöhnlichen Unterricht der Knabenschule auch in der Musik unterwiesen. Dort fand ihn bei einem Besuche der Hofkapellmeister Reutter aus Wien, welcher Knaben für das Singechor der Stephanskirche suchte; er entdeckte Anlage zum singen in dem achtjährigen Joseph Haydn und nahm ihn mit sich nach Wien. Hier brachte guter musikalischer Unterricht den jungen Sänger bald weiter, Gesang und Instrumente wurden fortgeübt, Komposition auch schon, doch ohne Glück versucht, bis mit dem 16. Jahre Haydn's Stimme brach und er aus dem Singechor entlassen werden mußte. Die rauhe Schule des Lebens that sich ihm jetzt auf; kümmerlich mußte der Arme sein Leben eine Zeitlang fristen, in untergeordneten Orchestern untergeordnete Stellung einnehmen, bei Ständchen mitwirken oder mit andern armen Straßenmusikanten von Haus zu Haus ziehen. In Joseph Haydn aber lebte eine Künstlerstele, heiteres Gemüth, natürlicher Frohsinn und treuer Eifer — dieß förderte ihn und brachte ihn weiter; theoretisches Studium Mattheson's und Fuxens, praktisches der gediegenen Werke eines Emanuel Bach u. A. hielten ihn fest auf der betretenen Bahn, die anfangs nicht ohne Dornen war.
Haydn wohnte in dieser Erstlingperiode bei einem Theaterfriseur, Namens Kellner, dessen beiden Töchtern er Klavierunterricht erthellte; die jüngere dieser Schwestern liebte er zärtlich, aber Härte der Aeltern oder ein Gelübde nöthigten dieses Mädchen den Schleier zu nehmen, was für Haydn die Quelle einer schweren Prüfung wurde, denn später heirathete er die ungeliebte ältere Schwester — aus Dankbarkeit, wie man sagt,
Ludwig Bechstein: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen. Georg Wigand's Verlag, Leipzig 1854, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zweihundert_deutsche_M%C3%A4nner_in_Bildnissen_und_Lebensbeschreibungen.pdf/167&oldid=- (Version vom 14.9.2022)