Unter der Leitung seines trefflichen Vaters, des berühmten
Reisenden Karsten Niebuhr, wurde Niebuhr
in Meldorf in Ditmarschen um so sorgfältiger erzogen,
je früher sein außerordentliches Fassungsvermögen und
sein erstaunenswerthes Gedächtniß schon im Knaben
hervortraten. Früh gereift, bezog er, kaum erwachsen,
die Universität Kiel und theilte seine Studien zwischen
der Erforschung des Alterthums und den praktischen
Staatswissenschaften. Nach Vollendung seiner Studien
begab er sich nach Kopenhagen, widmete sich dort den
Finanzen und wurde Director der Bank. Das praktische
Leben aber schwächte seinen Eifer für die Wissenschaft
nicht, mit großer Freudigkeit trieb er nicht nur
die classische Philologie, sondern auch orientalische und
neuere Sprachen, als die Grundlage zu umfassenden
historischen Studien. Verschiedene Geldnegociationen
hatten Veranlassung gegeben, daß man in Preußen
aufmerksam auf ihn geworden war und ihn für den Staatsdienst
zu gewinnen wußte. Obgleich er im Jahre 1806,
zu einer Zeit da Preußens Existenz als selbständiger
Staat aufs Aeußerste gefährdet war, ins Finanzministerium
eintrat, wurde er doch in seiner Anhänglichkeit
für diesen Staat nicht wankend, sondern kettete sein
eigenes Schicksal um so fester an das des Staates.
Er gehörte zu den trefflichen Männern, die in jener
Zeit der Erniedrigung mit klarem Geist und kräftiger
Gesinnung Preußen durch eine liberale verständige Reorganisation
von innen heraus eine neue erhöhte Lebenskraft
zu verleihen, und durch die planmäßige Ausbildung
aller geistigen und materiellen Kräfte es stark und
muthig zu machen wußten, um den ungleichen Kampf
zu bestehen. Unerschrocken und freimüthig erhob er
seine Stimme für Preußens Wohl, als es galt gegen
den Unterdrücker Deutschlands aufzurufen, als beim
Wiener Congreß fremder Einfluß Preußens Größe
und Machtstellung, die es schwer erkämpft hatte, zu
beeinträchtigen strebte, als in Preußen selbst feige Denunciation
einer kurzsichtigen Reaction die Mittel zu
bieten sich beeilte, der Entwickelung eines freien Staatslebens
hemmend entgegenzutreten. Je mehr diese Richtung
maßgebend wurde, je weniger konnte Niebuhr der
Regierung in seiner Weise förderlich sein; der Gesandtschaftsposten
Ludwig Bechstein: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen. Georg Wigand's Verlag, Leipzig 1854, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zweihundert_deutsche_M%C3%A4nner_in_Bildnissen_und_Lebensbeschreibungen.pdf/279&oldid=- (Version vom 15.9.2022)