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Skizzen aus dem Land- und Jägerleben/Auf Wildkatzen

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Textdaten
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Autor: Ludwig Beckmann
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Titel: Auf Wildkatzen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 564-566
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Skizzen aus dem Land- und Jägerleben.

Wort und Bild von Ludwig Beckmann.
4. Auf Wildkatzen

Vor einigen Jahren hielt ich mich während einer Studienreise mehrere Monate in dem kleinen reizend gelegenen Landstädtchen H. auf und machte hier gelegentlich die Bekanntschaft eines wackeren Grünrocks, in dessen benachbartem Bergrevier ich manche frohe Stunde verlebte. Der alte Revierförster huldigte allerdings mehr dem Sylvan, als der Diana, allein unter seinem Dienstpersonal befand sich ein äußerst tüchtiger Jäger und Rauchwerksfänger in der Person eines alten Waldschützen, welchem denn auch die Leitung sämmtlicher Jagdangelegenheiten vollständig überlassen blieb. Letzterer übersandte mir nun eines Tages nachstehendes wundersames Schriftstück:

„Geehrter Herr,

In Aller Eile setze ich mich hin, weil die Polenfrau sogleich hier vorkommen wirt und der Herr Revierferster es mir aufgetragen hat, indem er zur Okziohn (Holzauction) muß. Nehmlich die große Delle (Schlucht) am Kahlen berge soll heute Abend sechs Uhr mit Schizzen umstellet werten, indem sich Widder eine Wilde kazze dorten gezeicht hat und unser Vorgesetzter in der Sichern Erwartunge ist, daß Ew. Wohlgeb. auch darbei sein werten.

     Im Auftrage dessen                Curt Halsgebinde, Waldschütz.“

Trotz der drückenden Hitze machte ich mich gleich nach Tisch auf den Weg. Die Junisonne sandte ihre glühenden Strahlen unerbittlich herunter auf die staubige, blendend weiße Chaussee, kein Lüftchen regte sich, kein lebendes Wesen war in den weiten Kornfeldern zu erblicken, nur ein paar Krähen hockten unbeweglich mit halbgeöffnetem Schnabel im hohen Wiesengrase. Auch im Kiefernwald weiter unten, auf dessen glattem, tangelbedecktem Boden der unbarmherzige Zahn der Schafe bereits die letzte Spur jedes grünen Hälmchens vertilgt hatte, war die Gluth entsetzlich. Doch endlich ist auch diese Feuerprobe unserer Jagdpassion glücklich überstanden; schon blinkt hier und da zwischen den grauen Stämmen frisches Grün hervor, und aufgehängte Strohbündel – die sogenannten „Hegewische“ – bezeichnen die Grenze der Schaftrift. Vor uns eine üppige Buchenschonung, in deren kühlem Schatten die Turteltauben gurren; drüben zeigt sich bereits das gastliche Försterhaus mit seinen Hirschgeweihen und grellgrünen Fensterläden. Eine ungeheure Rauchwolke wirbelt soeben aus dem Schornsteine in die blaue Sommerluft empor und verkündet, daß die Frau „Revierförsterin“ mit gewohnter Energie die Vorbereitungen zum Kaffee begonnen hat.

Bald sitzen wir am sauber gedeckten Gartentisch unter schattigen Obstbäumen, über uns Schwalbengezwitscher und ringsum das tausendstimmige Gesumme des Bienenschwarmes. In einem Nachbarhäuschen jenseits des Zaunes erhebt sich ein lauter Wortwechsel, der alte Curt Halsgebinde zankt sich mit seinem Sohne Heinrich. Der Revierförster steht endlich auf, um Frieden zu stiften, und wir erfahren nun beiläufig von der gesprächigen Hausfrau, daß besagter Heinrich etwas dämlicher Natur sei und durch angebornes Ungeschick jede Jagd verderbe, bei welcher er irgendwie betheiligt wird. Ihr Mann habe nun leider die fixe Idee, aus dem Jungen trotz alledem noch einmal einen tüchtigen Waldpfleger zu erziehen; sonst hätte der Curt ihn schon längst aus dem Hause geschickt.

Die sinkende Sonne mahnt zum Aufbruch; am Gartenthore harren bereits die beiden Forstgehülfen nebst dem alten Curt, sein Sohn trägt statt des Gewehrs ein mächtiges Tellereisen, in welchem die Wildkatze sich über Nacht fangen soll, falls der Anstand erfolglos bleiben sollte. Nach halbstündigem Steigen und Klettern befinden wir uns auf dem Gipfel des Kahlenberges. Heinrich erhält die gemessene Weisung, sich hier am Rande der Dickung so lange ruhig zu verhalten, bis er durch einen Jagdpfiff benachrichtigt werde, wohin er das Tellereisen zu tragen habe. Wir steigen bergab über eine völlig kahle, mit losem Steingeröll übersäete Fläche, ein wahres Steinmeer, aus welchem nur hier und da ein alter Eichenstumpf seine weißgebleichten Aeste gespenstisch zum Himmel emporstreckt. Am Rande der sogenannten „Delle“ – einer engen Schlucht mit steil abfallenden Klippenwänden – stellen die Schützen sich in gemessener Entfernung auf und harren nun lautlos auf das Erscheinen der Wildkatze. Die Wildkatze, früher wohl in allen Wäldern Deutschlands heimisch, kommt jetzt bekanntlich nur noch in den unzugänglicheren Theilen unserer Gebirgswaldungen vor und ist, wo sie sich zeigt, eine höchst gefährliche Feindin des Wildstandes. Deshalb stellt ihr der Jäger in jeder Jahreszeit eifrigst nach, sucht ihrer indeß seltener durch Schußwaffen, vielmehr

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Wildkatzen-Familie.

[566] meist in Fangeisen habhaft zu werden. Außerordentlich gewandt im Klettern und Springen, stürzt sie sich von den höchsten Bäumen auf ihre Beute – Eichhörnchen, Wildgeflügel, Hasen, ja selbst ältere Rehe – herab, schlägt ihre Fänge dem erkorenen Opfer in’s Genick und zerbeißt ihm mit scharfem Zahne das Rückgrat. – Die Sonne ist bereits hinter dem Hügelkamm verschwunden, nur die höchsten Tannenwipfel des Kahlenberges erglühen noch im röthlichen Licht, da sehe ich drüben, jenseits der Delle, ein kleines rauchhaariges Geschöpf langsam, wie kreuzlahm, zwischen den Steinen herumkriechen, um im nächsten Augenblicke wieder zu verschwinden. Unten im Thal läßt sich das anhaltende, verrätherische Geschrei eines Hehers vernehmen, er muß ein Raubthier – wahrscheinlich die alte Wildkatze – bemerkt haben. Dann ist wieder Alles still. Vergebens spähe ich lange die ganze Fläche auf und ab, endlich zeigt sich weiter oben, außer Flintenschußweite, ein beweglicher, dunkler Klumpen. Mit Hülfe meines Fernglases erkenne ich deutlich die alte Wildkatze, welche sich mit zwei bis drei jungen Kätzchen spielend herumbalgt und ihnen den zugetragenen Raub – ein junges Eichhörnchen – scherzend vorenthält.

Wäre ich allein gewesen, so würde ich sofort versucht haben, die alte Katze durch Nachahmung des Mäusepfeifens heran zu locken. Allein der alte Curt war ein Meister im „Reizen“, und da er die Katzen von seinem Stande jedenfalls bemerkt haben mußte, so wollte ich ihm nicht vorgreifen und hoffte von Secunde zu Secunde seine berühmte „Hasenquäke“ oder das unvergleichliche „Vogelgeschwirr“ erschallen zu hören. Aber Curt rührte sich nicht, und feierliche Stille herrschte nach wie vor in der Steinwüste.

Horch! – was war das? – singt dort oben Jemand? – Ja, wahrhaftig! jetzt schallt es in leisen langgezogenen Tönen, allmählich zum Forte übergehend, von dem Kahlenberge herunter:

„Fordre Niemand mein Schicksal zu hören!“ etc.

Die ganze Katzengesellschaft war natürlich im Handumdrehen verschwunden; noch einmal tauchte die Alte für einen Moment zwischen dem Geröll lauschend hervor – da krachte des Revierförsters Büchsflinte, allein die Kugel schlug klatschend auf einen Stein. Verdrießlich brummend warf er das Gewehr über die Schulter und ging heimwärts. Ich folgte, um nicht Zeuge der Scene zu sein, welche sich alsbald zwischen dem alten Curt und seinem Sohne – denn dieser war der unglückliche Sänger – entspinnen mußte.

Ich übernachtete im Forsthause, mein Vorschlag jedoch, am nächsten Morgen den Anstand an einem andern Punkte des Kahlenberges zu wiederholen, fand keinen Anklang. Der Revierförster meinte, es sei ein halsbrechendes Unternehmen, den Berg im Dunkeln vor Sonnenaufgang hinunter zu klettern. So wanderte ich denn nach dem Frühstück, da ich eben nichts Besseres zu thun wußte, mit Curt hinaus, um nach dem Eisen zu sehen, welches er gestern Abend noch auf den Hauptpaß eines alten Fuchsbaues gelegt hatte. Er war fest überzeugt, daß die Katzen sich dorthin geflüchtet hatten und daß wenigstens eine von ihnen sich gefangen haben würde.

Der erwähnte Bau war an einem steil abfüllenden Hange belegen; Curt kletterte zuerst hinunter und verkündete bald mit triumphierender Stimme, daß das Eisen tief in die Hauptröhre hineingezogen sei und hier so fest wie eingemauert sitze. – Der unvermeidliche Heinrich eilte nun schleunigst hinzu und stellte sich nach Anweisung des alten Curt schlagfertig mit gehobenem Knittel auf, um die Wildkatze beim ersten Erscheinen sofort unschädlich zu machen.

Der Alte zog aus Leibeskräften, endlich konnte er die Schlagfeder des Eisens ergreifen – noch ein Ruck – da fuhr neben dem Eisen die zornige Katze hervor – nieder sauste Heinrich’s Knittel und quetschte – die beiden Fäuste des alten Curt! Das Eisen loslassend, schlug dieser mit einem unterdrückten Schmerzensschrei hintenüber und kollerte, Eisen und Katze hinterdrein, den abschüssigen Hang hinunter. Alle Drei verschwanden unten im dichten Erlengebüsche. Als ich, mühsam von Stamm zu Stamm kletternd und rutschend, endlich unten angelangt war, fand ich zunächst das leere Tellereisen! Es war zwischen zwei Erlenstämmchen hängen geblieben, und die Wildkatze hatte sich aus der Klemme gerissen, ehe Curt sich wieder aufraffen konnte. Vergebens suchte ich das nächste Terrain ab – die Katze war verschwunden. Als ich zurückkehrte, saß der alte Curt noch immer am Graben und kühlte seine zerschundenen Hände im Wasser. Neben ihm lag der Jagdranzen, aus welchem er in regelmäßigen Pausen eine Branntweinflasche hervor langte und nebenbei seinen „Heinrich“ verfluchte. Dieser hatte es für’s Gerathenste gehalten, mit dem Alten heut’ gar nicht in nähere Berührung zu kommen, und war still nach Hause gewandert.

Die Katzen mußten diese unfreundliche Behandlung ebenfalls übel aufgenommen haben, sie wurden nicht wieder am Kahlenberge gesehen und waren jedenfalls über die Grenze in ein benachbartes Revier gewechselt. In späterer Zeit meldete mir indeß der Revierförster beiläufig, daß im Laufe des folgenden Winters nach und nach vier Katzen im Revier geschossen und gefangen seien, darunter ein kolossales weibliches Exemplar mit Spuren einer früheren Verletzung am linken Hinterlauf. Curt habe dieselbe sofort als „die Seinige“ angesprochen.