Skizzen aus dem Land- und Jägerleben/Eine Otterhetze

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Autor: Ludwig Beckmann
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Titel: Eine Otterhetze
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 188–190
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Skizzen aus dem Land- und Jägerleben.

Wort und Bild Ludwig Beckmann.
3. Eine Otterhetze.

Auf dem holperigen Knüppeldamme, der sich zwischen den letzten armseligen Hütten eines Haidedorfs hervorwindet und quer über das nahe Torfmoor führt, schritten am Abend eines heißen Julitages vier Jäger dahin, gefolgt von ihren Hunden. Es handelte sich um einen Anstand auf junge Wildenten, welche unter Anführung ihrer Mütter ihre ersten Flugexercitien allabendlich über der weiten Moorfläche ausführten. Bei der Ueberbrückung eine breiten Wassergrabens verließen wir den Damm, zwei meiner Gefährten wählten hier ihren Stand hinter den alten Kopfweiden, während der localkundige Revierjäger mich ersuchte, ihn zu einem tiefer im Bruche gelegenen Teiche zu begleiten.

Hart am Rande eines schmalen Abzugsgrabens, in welchem rothes, eisenhaltiges Wasser stagnirte und in allen Regenbogenfarben schillerte, führte uns ein unscheinbarer Pfad halb zwischen sumpfigen Lachen und dürren Graskaupen, bald neben bodenlosen Torflöchern und über tückischen Moorgrund von gleißend grüner Farbe sicher dahin, bis wir endlich vor einer riesigen Schilfrohrwand am Ufer des Teiches anlangten. Mein Führer rieth mir, hier meinen Stand einzunehmen, und trabte dann eiligst weiter zum anderen Ende des Teiches, denn die Sonne ging bereits zur Rüste. – Nachdem ein rascher Ueberblick mich belehrt, daß mein Platz eben nicht comfortabel, indeß auf der ganzen Fronte von gleicher Beschaffenheit sein würde, brach ich zunächst eine Schießlücke in das dichte Geröhricht und zündete eine Cigarre an. Das Gewehr schußfertig im Arm, wartete ich nun in aller Ruhe der Enten, die da kommen sollten.

Wenn man längere Zeit hindurch sich ausschließlich in sehr cultivirten Districten ausgehalten, wo jeder Fußbreit Landes sorgfältig bearbeitet und ausgenutzt wird, so macht so ein urwüchsiger Torfbruch immer einen eigenthümlichen melancholischen Eindruck. Namentlich an dem heutigen gewitterschwülen Abende, wo ein tiefes Schwarzblau fast den ganzen Himmel überzog, nur am westlichen Horizont von einer glühend rothen Schicht durchbrochen. Tiefe Stille lagerte über der weiten graugrünen Moorfläche, auf welcher nur einzelne dunklere Punkte - die Erlenbüsche an den Gräben – und größere dunkle Streifen – das Schilf der Teiche und Torflöcher – hier und da neben blinkenden kleinen Wasserflächen zerstreut waren. Kein lebendes Wesen war zu erblicken, nur ein hungeriger Sperber strich in niedrigem Fluge rasch zwischen den Ginsterbüschen am Hügel dahin. Es war wohl der letzte Tagesgast, denn das Roth im Westen ist allmählich verglommen und in trübes Grau übergegangen, ein weißer horizontaler Nebelstreif zeigt sich bereits unten auf dem Moore und rückt mit jeder Secunde näher. Jetzt sind schon die Ausläufe der niederen Hügelkette rechts im Nebel verhüllt und bald erscheint das ganze Moor nur noch wie ein weiter dampfender See, so daß meine leidenschaftlichen Betrachtungen ausschließlich auf die allernächste Umgebung beschränkt werden.

Letztere ist allerdings nicht sehr erquicklich, und es gehört wirklich schon etwas Jagdpassion dazu, an einem solchen Platze im Monat Juli oder August nach Sonnenuntergang auch nur eine Viertelstunde lang auszuharren! Ringsum von hohem, schneidigem Schilf und klebrigen Erlenblättern umgeben, abwechselnd mit dem einen Fuße im Wasser, mit dem andern auf einer winzigen Graskaupe stehend, versucht man vergebens, durch anhaltendes Kopfschütteln, Cigarrendampf etc. sich der Myriaden von Mücken zu erwehren, welche mit der zunehmenden Dunkelheit in immer dichteren Schwärmen dem feuchten Grunde entsteigen und immer unverschämter und rücksichtsloser Gesicht und Hände des unglücklichen Entenjägers belagern und zerstechen. Der arme Hund zu unseren Füßen ist bereits völlig nervös geworden, und um ihn nur einigermaßen zu beruhigen, bleibt nichts übrig, als ihn mit dem leinenen Regenkittel zu überdecken, so daß nur Nase und Augen hervorstehen, denn er will doch wissen, was um ihn her vorgeht.

Ein Paar Nachtschwalben, welche in lautlosem Fluge vorübergaukeln und dann im Nebel verschwinden, entziehen uns für einige Augenblicke diesen trüben Betrachtungen. Dann läßt sich hoch über unserem Kopfe ein sonores, feierliches Brummen in der Luft vernehmen – es ist der große Hirschkäfer, der „fliegende Hirsch“ der Franzosen, welcher vom fernen Eichenwalde her quer über das Moor streicht. Sonst ist Alles todtenstill und außer dem monotonen „Singen“ der Mücken hört man nur hin und wieder das Plumpsen der Frösche in den Wassergräben, denn ihre Quak-Saison ist ja glücklicherweise bereits vorüber.

Fi–titititititi! erschallt endlich der helle, pfeifende Flügelschlag der Enten in der Ferne. Näher kommen sie in reißendem Zuge, dort gegen den hellen Streif am Abendhimmel sind die Langhälse bereits deutlich sichtbar, die Alte voraus – hinterdrein die Jungen, des Fluges noch ungewohnt, denn ab und zu kommt eins aus der Balance, schlägt einen Purzelbaum in der Luft und arbeitet nun aus Leibeskräften, um wieder in Reihe und Glied zu kommen. Vorläufig bleiben sie außer Schußweite, allein sie werden wiederkehren oder ein anderer Schütze wird bei einer Seitenschwenkung der Kette glücklicher sein. –

Volle fünf Minuten haben wir – der Enten wegen – mit verhaltenem Athem, unbeweglich wie eine Salzsäule, in gespanntester Erwartung dagestanden und die Mücken haben diese Gelegenheit redlich benutzt! Die rechte Hand, welche den Gewehrschaft umspannt hält, leidet am meisten, sie ist buchstäblich von einer dicken grauen Schicht Mücken bedeckt. Unwillkürlich fahren wir rasch mit den Fingern der Linken darüber, welche auf dem rechten Handrücken sofort vier breite, nasse Streifen zurücklassen, die wir bei näherer Betrachtung wohl für unser eigenes rothes Blut ansprechen müssen, welches uns inzwischen von einer Unzahl dieser kleinen Vampyre abgezapft wurde!

In diesem Augenblicke stupste mein Hund – welcher unter seinem Jagdkittel hervor aufmerksamer als ich den Wasserspiegel betrachtet hatte – plötzlich seine breite Nase leise, leise gegen mein Bein, um mir anzudeuten, daß etwas in Sicht sei. Ich entdeckte indeß nichts, als weiter unten im Uferschatten links einen schmalen bewegten Wasserstreifen, wie ihn wohl eine schwimmende Wasserratte zu verursachen pflegt.

Brahk! brahk! – brahk! erschallte weiter rechts plötzlich der heisere Angstschrei eines alten Erpels, der sich mit lautem Geplätscher am jenseitigen Ufer erhob. – Ich wagte einen Schnappschuß durch Schilf und Nebel dahin – er glückte, und kopfüber schlug der unglückliche Erpel mit schwerem Falle aufs jenseitige Ufer nieder.

„Couche! Pascha! – keine Ueberstürzung, zum Apportiren ist nachher Zeit; dort drüben streichen bereits wieder Enten.“ – Der Hund legte sich gehorsam nieder, während ich in aller Eile den abgeschossenen Lauf lud und mir nebenbei den Kopf zerbrach, wie der Erpel so unbemerkt auf den Teich gekommen sein möge und was ihn wohl so erschreckt und zum Aufstehen gebracht haben könne. – Da knallte der Revierjäger am anderen Ende des Teiches zwei Mal kurz hintereinander, was immer ein faules Zeichen ist. Dann hörte ich, wie er seinen Hund hetzte und wie dieser ein jämmerliches Klagegeheul ausstieß, welches allmählich in ein erbittertes Verbellen überging.

„Schicken Sie Ihren Hund doch ’mal herunter, Herr X.,“ rief der Jäger mir zu, „ich habe einen Otter hier im Graben!“ Nun war das allerdings eine gelinde Zumuthung, allein mein Pascha war ein zäher, rauflustiger Camerad, der in derartigen Aventuren bereits einige Praxis hatte, und so ließ ich ihn denn mit „Waidmanns Heil“ von dannen fahren.

„Avance! Pascha! faß ihn!“

Das ließ sich Pascha nicht zwei Mal sagen – mit einem Satze war er von seinem Lager und aus dem Schilfe heraus – mit dem zweiten Satze aber – mitten im Teich, um seine heißersehnte Ente zu apportiren! Dabei schleifte er meinen Jagdkittel noch mindestens fünf Schritte weit auf dem Rücken mit sich in’s Wasser.

Wohl hätte ich mir nun an den Fingern abzählen können, daß es so kommen werde, allein wer kann auch an Alles denken?

Als Pascha seine Ente und ich meinen Kittel herausgefischt hatte, beeilten wir uns, dem Revierjäger zu Hülfe zu kommen. Der Otter hatte sich inzwischen auf ein für Menschen fast unzugängliches Sumpfterrain unter einen Weidenbusch geflüchtet und ließ sich dort von dem Hunde verbellen.

[189]

Die Jagd auf den Otter.

[190] Jetzt kamen auch unsere beiden Gefährten vom Weidengraben herauf, und da die zunehmende Dunkelheit die Anwendung des Schießgewehrs bereits mißlich machte, so ward beschlossen, sämmtliche Hunde zugleich an den Otter zu hetzen, um der Sache rasch ein Ende zu machen.

Der Revierjäger behauptete, der Otter könne in Folge seiner beiden Schüsse schwerlich noch Widerstand leisten, vielleicht sei er bereits verendet. Diese Ansicht erwies sich indeß bald als ein großer Irrthum; der Otter hatte einen günstigen Moment benutzt, um sich unbemerkt davonzuschleichen, und ließ des Revierjägers Hündin vor dem leeren Busche verbellen, so lange sie wollte. Die Hunde umschwärmten, die Nase am Boden, in immer größeren Kreisen den Platz, und im Handumdrehen waren alle vier in der Richtung nach dem Damme zu im Nebel verschwunden.

Jenseits des Knüppeldammes, lag ein zweiter größerer Teich, und wenn es dem Otter gelang, diesen zu erreichen, so war er gerettet und der Revierjäger um einen schönen Balg betrogen. Wir eilten daher dem Damme zu und waren kaum dort angelangt, als weiter oben ein Hund laut wurde und unter abwechselndem Verbellen und Nachsetzen in dem seichten Schilfgraben, am Fuße des Dammes, uns näher und näher rückte. Wahrscheinlich hatte der Otter die steile Böschung des Dammes nicht rasch genug erklimmen können und suchte nun, vom Hunde gedrängt, einen günstigeren Uebergang zu dem nahen Teiche.

Jetzt tauchte ein zweiter Hund aus der Dämmerung hervor; es war Pascha, der stolze weiß und schwarz, gefleckte Setter, welcher mit seinem fliegenden Fahnenschweif wie ein leuchtendes Meteor durch das Nebelmeer daherstrich. Dicht hinter ihm folgten die beiden letzten Hunde und im Nu. hatten sie den Flüchtling erreicht und gefangen. Ein wahrer Höllenlärm erhob sich; der wirre Knäuel wälzte sich in toller Hast zu unseren Füßen in dem Graben dahin, daß die Rohrstengel links und rechts knackten und knatterten wie Kleingewehrfeuer. Endlich trat Stillstand ein. Pascha hatte sich quer über die heulende Juno geworfen und hielt den geschmeidigen bissigen Feind am Halse. Der Revierjäger benutzte diesen günstigen Moment, und ein wohlgezielter Stockhieb über die Nase des Otters beschleunigte dessen Ende.

Als wir mit unserem Fange endlich den Heimweg antraten, schätzten wir uns glücklich, den sichern Boden des alten Knüppeldammes unter den Füßen zu haben, denn es war inzwischen so finster geworden, daß man nicht zwei Schritte weit sehen konnte. In der Dorfschenke rasteten wir und untersuchten zunächst unsere Hunde, welche gegen Erwarten trotz allem Hinken und Kopfschütteln nur ganz unbedeutende Verletzungen zeigten. Der Otter war ein feistes männliches Exemplar von ungewöhnlicher Stärke und – den völlig abgenutzten Fang- und Schneidezähnen nach zu urtheilen – von hohem Alter. Diesem Umstande hatten wir es wohl vorzugsweise zu danken, daß unsere Hunde bei der Rauferei so gnädig davon gekommen, denn der Otter beißt bekanntlich am schärfsten unter allem einheimischen Raubzeuge und bleibt für den Hund immer ein furchtbarer Gegner. Eine Otterhetze ist daher überhaupt nicht Sache des Vorstehhundes; allein „Noth bricht Eisen“, wie das Sprüchwort sagt. Wir sind eben im Raffinement unseres Jagdvergnügens noch nicht so weit gediehen wie die Engländer, welche für jede Wildart und Jagdmethode eine besondere Hunderace gezüchtet haben.

In Anbetracht der erwähnten schlechten Beschaffenheit des Gebisses unsers Otters war uns dessen außerordentliche Corpulenz einigermaßen auffallend, in späterer Zeit habe ich jedoch bei längerem Aufenthalt in österreichischen Gegenden dieses anscheinende Mißverhältniß öfter wahrgenommen und glaube, daß dem Otter der Fischfang im Allgemeinen nicht so sauer wird, wie man wohl im Hinblick auf die blitzähnliche Beweglichkeit der Fische in ihrem Elemente vorauszusetzen geneigt ist. Der Fisch ist in Folge der Stellung seiner Augen und seiner ganzen Bauart unfähig, gerade unter sich zu sehen. Es ist sicher anzunehmen, daß der Otter diese Schwäche seines flüchtigen Raubes instinctiv kennt oder im Lauf der Praxis kennen lernt und, wo es irgend thunlich, zu seinem Vortheil benutzt; denn er ist ein intelligentes Raubthier, welches, wie der Fuchs, seine Fangmethode nach den gegebenen Verhältnissen mannigfach abändert.

Wir hoffen später einmal Gelegenheit zu haben, in diesen Blättern auf die Lebensweise des interessanten Geschöpfes, welches im Habitus und Naturell gewissermaßen einen Uebergang vom Marder zum Seehund bildet, ausführlicher zurückzukommen.