Sonderlinge und Käuze (Die Gartenlaube 1889)

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Autor: Adolf und Karl Müller
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Titel: Originalgestalten der heimischen Vogelwelt. 3. Sonderlinge und Käuze. a. Sonderlinge. Unsere Rohrdommeln
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 556–557
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[1]

Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
3. Sonderlinge und Käuze.
a. Sonderlinge. Unsere Rohrdommeln.

Wenn zwei auch dasselbe thun, ist’s doch noch nicht dasselbe“ – sagt das Sprichwort, was, auf unseren Fall angewendet, heißt: „Wenn zwei dasselbe hören, so ist es nicht dasselbe, oder es klingt anders.“ Dies Sprichwort sollte sich bewahrheiten, als wir an einem Frühlingsabend im hohen Vogelsberge Hessens an dem einsamen großen Rothemarkteiche auf dem Entenstriche mitten im dichten Röhrichte, mit Wasserstiefeln versehen, anstanden. Erschreckt auffahrend, vernahmen wir urplötzlich ganz in der Nähe ein ungewöhnlich dumpf und stark schallendes Tönen, so merkwürdig und außerordentlich, daß es sich unvergänglich unserem Gedächtnisse eingeprägt hat. Die große Rohrdommel, wissenschaftlich Ardea sive Botaurus stellaris benannt, balzte unweit von uns und ließ ihr mächtiges Liebeslied erschallen. Man verglich dies merkwürdige Getön schon von Albertus Magnus’ und Geßners Zeiten her mit dem Brüllen eines Ochsen und gab dem Vogel deshalb in früheren Zeiten die Namen „Moorrind“, „Meerrind“, „Mooskuh“. „Der erste Anfang des Balzens,“ – um unsere eigene Schilderung zu gebrauchen – „hat wohl etwas Aehnlichkeit mit dem Ansatz von Bullengebrüll; allein wenn die ganze Strophe erschallt, glaubt man ein Stück vom ‚wilden Heer‘ zu vernehmen. Es ist nicht zu beschreiben, dieses infernalische Getön. Naumann und später Wodzicki haben es versucht, dasselbe in Worten wiederzugeben. Die ersten abgebrochenen Silben, womit es anhebt, sind mit dem Naumannschen Zeichen ‚Ue-ü‘ zu geben. Wenn wir sie aber mit dem Rufe eines Säugethieres vergleichen sollen, so wäre es mit den ersten Ansätzen des Schreies eines starken Edelhirsches, namentlich ähnelt der Silbenfall und die Modulation dem Schreien dieses Hirsches. Das dann im vollen Balzen angesetzte, mit ‚prumb‘ oder ‚prump‘ von Naumann und andern wiedergegebene Getön läßt sich durch Klangsilben nicht versinnlichen. Es sind Laute, als kämen sie aus einem tiefen Ziehbrunnen mit begleitendem Wassergeräusche, dem sich’s manchmal wie Seufzen beimischt. Kurz, man muß die sonderbaren, schauerlichen Töne in der Nähe des Vogels selbst vernommen haben, um sich nur einigermaßen einen Begriff von den unvergleichlichen Naturlauten bilden zu können.“

Der Vogel, der uns wahrscheinlich gewahr worden war, flog auf, und wir beklagen es noch heute, ihn, den wir das erstemal in unserem Leben in seinem Liebesrausch gehört hatten, bei seinem „Aufstehen“, d. h. seinem Erheben im Fluge, in unbesonnenem Jagdeifer erlegt zu haben, wodurch wir uns um die weitere Gelegenheit brachten, das sonderbare Thier in seinem seltsamen Gebahren eingehender zu beobachten. Lebendig gegenwärtig ist uns indessen immer noch, wie es in eigenthümlich eulenartig schwankendem Fluge aufstand und wie uns das freilich nur kurz andauernde Weiterfliegen auffiel. Dieses gemahnte uns lebhaft an das Flattern eines riesigen Schmetterlings oder auch der jungen unbeholfenen Fledermäuse während ihrer ersten Ausflüge.

Der Abbildung auf S. 557 liegt eine Schilderung des Grafen Wodzicki zu Grunde. Nach ihm beharrt die weibliche Rohrdommel bei dem Brüllkonzert des Männchens mit gesträubten Kopffedern und halb geschlossenen Augen in hockender Stellung, liebeselig verzückt. Der eben genannte Forscher, welcher nach langen vergeblichen Bemühungen endlich nahe zu einem Liebespaar von Rohrdommeln herangeschlichen war, beschreibt folgendermaßen seine Beobachtungen: „Der Künstler“ (die männliche Rohrdommel) „stand auf beiden Füßen, den Leib wagrecht gehalten, den Schnabel im Wasser, und das Brummen ging los; das Wasser spritzte immer fort. Nach einigen Noten hörte ich das Naumannsche ‚Ue‘, und das Männchen erhob den Kopf, schleuderte ihn zurück, steckte den Schnabel sodann schnell ins Wasser, und da erschallte das Brummen, so daß ich erschrak. Dies machte mir klar, daß diejenigen Töne, welche nur im Anfang so laut tönen, hervorgebracht werden, wenn der Vogel das Wasser tief in den Hals genommen hat und mit viel größerer Kraft herausschleudert als sonst. Die Musik ging weiter, das Thier schlug aber den Kopf nicht mehr zurück, und ich hörte auch die lauten Noten nicht mehr. Es scheint also, daß dieser Laut die höchste Steigerung des Balzens ist, und daß er, sobald die Leidenschaft befriedigt ist, nicht mehr wiederholt wird.“

Wir aber hörten aus dem nur einmal vernommenen Gesang heraus, daß er aus mehreren Notengängen besteht und auch in verschiedenen Tonarten und Tiefen klingt. Der Balzgang übersetzt sich ungefähr mit „Uü-ü-prumb, üprumb, ü prumb, ü prumb-buh“, welch letzte Silbe dumpf und nicht laut erschallt, da sie nach Wodzickis Beobachtung durch das Ausstoßen des in den Kiefernscheiden befindlichen Wassers beim Herausziehen des Schnabels aus dem Gewässer hervorgebracht wird. Die brüllenden Rufe sind aber in ihrer ungewöhnlichen Stärke auf weite Strecken, bisweilen in stiller Nacht wohl auf eine Stunde Entfernung hörbar.

Gewiß ein Sonderling, ein seltener und eigenartiger, eine Vogelgestalt mit einem Wesen, wie es im ganzen Reiche der sumpfigen Einöden, ja in der gesammten heimischen Vogelwelt nicht mystischer, absonderlicher vorkommt. Das Brüllen der Rohrdommel bildet ein Seitenstück zu dem wilden Getön des Uhus, das wir demnächst kennzeichnen werden. Es sind Laute, einzig und merkwürdig in ihrer Art, da sie sämmtlich nicht unmittelbar aus des Thieres Stimmorganen hervorgehen, sondern mit Hilfe des Sumpfwassers, worin der Vogel haust, entstehen.

In einsamen versumpften Rieden, auf Teichen, weitgedehnten Brüchen und Seen, überall da, wo der Rohrwuchs nicht fehlt, ist dies seltsame Wesen in unserem Vaterlande zu finden, doch mehr in seinem nordöstlichen, als in seinem westlichen Theil. Aber wenigen nur wird es vergönnt sein, den versteckten Gesellen zu entdecken. Seine derben, für einen „Stelz“- oder „Watvogel“ nach der neueren Systemsprache verhältnißmäßig kurzen Füße, woran die mittlere Zehe als besonderes Sippenkennzeichen merklich über die gestreckten äußeren hinausragt, verleihen ihm die Fähigkeit [557] geschickt im Röhricht herumzuklettern, ein Vermögen, das den Jungen schon frühe innewohnt. Der Körper ist der absonderlichsten Stellungen fähig. Gewöhnlich hockt die Rohrdommel da, den Hals tief zur Brust eingezogen und den Kopf mit dem spitzen, reiherartigen Schnabel zum Rücken gedreht, eine bucklige, kuriose Figur mit losem Gefieder darstellend. Nicht selten, besonders bei nahender Gefahr und nachhaltiger Verfolgung, wird ihre Haltung noch ausfallender. Sie drückt sich auf die Fußwurzeln nieder und streckt Leib und Hals mit aufgerichtetem Kopfe und Schnabel fast senkrecht in einer Linie in die Höhe, so daß sie mehr einem Pfahle, einem Stummel Holz gleicht als einem lebenden Wesen. Ganz ihrer schleichenden, bedächtigen Natur gemäß ist auch ihr Gang. In merklichen Pausen setzt sie einen Fuß vor den andern, eine schleppende, halb träge, halb vorsichtige Fortbewegung ist ihr eigentümlich. Naht ihr unverhofft ein Mensch oder ein Hund, vor dem sie „zu halten“ pflegt d. h. den sie nahe herankommen läßt, so bläht sie ihr eulenartig lockeres Gefieder mit auffallender Hals- und Kopfkrause auf und stellt sich kampfbereit zur Wehr. Hinterlistig fährt sie dem ihr nahekommenden Hunde mit blitzartig hervorschnellendem Schnabel nach den Augen und kann gefährliche Wunden mit ihrer harten, spitzen Stoßwaffe beibringen. Auch gegen den Menschen wehrt sich das unheimliche Geschöpf, wie überhaupt gegen jedes feindliche Wesen, wuchtig um sich fahrend bis zum letzten Athemzuge. Unser Hund empfing bei dem Erlegen der oben erwähnten Rohrdommel noch einige empfindliche Schnabelhiebe von dem verendenden Vogel.

Die Rohrdommel. Zeichnung von F. Specht.

Gleichsam die verkleinerte, aber im Farbenton des Gefieders und in der Gestaltung sehr verschönerte und verfeinerte Ausgabe der großen Rohrdommel ist die kleine oder Zwergrohrdommel oder der Quartanreiher, Ardetta minuta. Diese niedliche, den eigentlichen Reihern etwas näherstehende Rohrdommel ist nicht größer als ein Turteltäubchen. Die dunklen Partien des Oberkörpers zeigen einen metallisch grünen Schimmer, die Flügelmitte und der Unterkörper sind rostgelb, letzterer ist seitlich schwarzgefleckt, die Regenbogenhaut der Augen und die Zügel erscheinen lebhaft gelb. Trotz dieses bunten Kleides weiß sich der ebenso behende wie schlaue Vogel den Blicken zu entziehen. Immer noch ist uns der Anblick zweier solcher Zwerge gegenwärtig, auf welche wir gelegentlich der Bekassinenjagd im Riedgras sumpfiger Wiesen bei Michelstadt an der Mümling im hessischen Odenwalde stießen. Unbeweglich wie spitzige Holzpflöckchen, mit aufgerichteten Hälsen und Köpfen starrten sie ins Blaue, so daß wir unwillkürlich einige Augenblicke stutzten, ehe wir die absonderlichen Thierchen mit raschem Doppelschusse erlegten.

Dank ihrem geschmeidigen Körper durchklettert, durchkriecht und durchschleicht die Zwergrohrdommel das Röhricht noch viel gewandter und heimlicher als ihre große Base. Im dämmerigen Verstecke der Rohrhalme oder der Binsen treibt sie ihr behendes, anmuthiges Wesen. Sie schreitet viel rascher als ihre große Verwandte dahin, beugt den Hals etwas vor, watet hochaufgeschürzt mit wippendem Schwänzchen im seichten Wasser oder klettert, meist mehrere Rohrstengel und Binsen mit einem Zehengriffe umfassend, mit staunenswerther Geschicklichkeit umher. Ihren Standort hält sie für gewöhnlich treu ein; findet sie sich aber von dem Röhricht, wie es wohl vorkommt, durch irgend ein Hinderniß abgeschnitten, so nimmt sie das Strauchwerk oder die Bäume des Ufers zur Zuflucht. Ganz sonderbar sind ihre Stellungen und Verdrehungen, wenn sich der suchende Hühnerhund ihr nähert. Ihr Leib scheint ein Theil des Erlenstumpfes oder des Weidenastes geworden zu sein, auf dem sie Schutz gesucht hat, so dicht weiß sie sich anzuschmiegen, und in solcher Stellung läßt sie den Verfolger nahe herankommen, heftet aber beständig den durchdringenden, heimtückischen Blick auf den Feind, um demselben mit dem Bajonettschnabel unversehens wuchtige Stöße zu versetzen. Bei der Brut offenbaren die Alten eine große Liebe. Die lange in dem flachmuldigen, plumpen Binsenneste verweilenden Jungen erhalten die Fisch-, Lurchen- und Kerfennahrung vorgewürgt. Nähert man sich dem Nistorte, so umkreist die Mutter sehr besorgt den Störenfried, in der Angst um ihre Jungen alle sonstige Scheu und Vorsicht ablegend, bläht das Hals- und Kopfgefieder und ruft „Gäth, gäth!“ Der Vater umschwärmt in weiteren Bogen den Feind und antwortet der Gattin mit denselben Angstrufen. Uebrigens verstehen die rostbraunen Nestlinge, mit frühentwickelter Kletterkunst der Gefahr sich zu entziehen, und so kommt es häufig vor, daß man schließlich nur das leere Nest findet.