Steine und Erden (1914)

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Autor: Victor Steger
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Titel: Steine und Erden
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aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band, Sechstes Buch, S. 165–182
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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Steine und Erden
Von Geh. Regierungsrat Dr. Victor Steger, Berlin


Die lachenden Fluren unseres deutschen Vaterlandes bergen unter der Decke grüner Wälder und blumiger Auen nicht nur die kostbaren Schätze der Erze und Kohlen, aus denen uns der Hüttenmann wertvolle Metalle verschmelzt, und die wichtigen Salze, namentlich das Kochsalz und die Kalisalze, sondern auch bescheidenere Rohstoffe, die gleichwohl für die deutsche Industrie von dem höchsten Werte sind, nämlich die Steine und Erden. Die stolzen deutschen Dome, die Paläste und Burgen legen rühmendes Zeugnis ab von der Mannigfaltigkeit der auf deutschem Boden angewachsenen Gesteine, der Granite, Tuffe, Basalte, Porphyre, Sand- und Kalksteine. Insbesondere das mittlere und das südliche Deutschland liefern hervorragendes Material für Steinbauten.

Erratische Blöcke.

Die norddeutsche Tiefebene ist mit der mächtigen Decke alter Moränen aus der Diluvialzeit bedeckt. Auch sie birgt zahlreiche Gesteinsblöcke, die erratischen Blöcke, die einst Skandinavien gespendet hat, als Gletscher von dort bis zu den Gebirgen Mitteldeutschlands herandrangen. Diese Blöcke waren und sind ein begehrtes Bau- und Pflastermaterial. Auch Künstler schufen aus ihnen zarte Gebilde und schöne Bauteile. Der Unterbau der neuen Kirche am Hochmeisterplatz in Wilmersdorf ist bis zu der Höhe von mehreren Metern aus bunten Werkstücken gebildet, und erst darüber erhebt sich der Backsteinbau. Diese Werkstücke, eine Freude für den Mineralogen, stellen eine wahre Sammlung nordischer erratischer Blöcke dar.

Wo aber dieses erratische Material nicht ausreicht, sorgen Schienen- und Wasserstraßen für einen billigen Transport des Gesteinsmaterials vom deutschen Süden und Westen nach dem Norden.

Marmor.

Auch Marmor findet sich an mehreren Punkten Deutschlands. Ferner hat man in Deutsch-Südwestafrika große Lager guten Marmors festgestellt. Einer neuen schönen Verwendung ist der Marmor zugeführt worden. Marmorplatten lassen sich auf eben geschliffenen Glas- oder Eisenplatten durch Harze festkitten und dann so dünnschleifen, daß ihre Stärke nur den Bruchteil eines Millimeters beträgt. Solche Platten werden für Kirchenfenster, für Fenster in Treppenhäusern und als Scheiben für Schränke benutzt. Die Aderung scheint in herrlicher Weise durch. Die Wirkung wird noch gehoben, wenn man die dünnen Platten vorher in Säurebäder legt und anätzt. Alsdann treten die Adern noch besser hervor. Für den Gebrauch schützt man die Platten [614] gegen alle Gefahren dadurch, daß man sie zwischen zwei Glasplatten legt oder sie auf einer Glasplatte mittels Kanadabalsams festkittet.

Da die Natur den Marmor nicht durchgängig so geschaffen hat, wie ihn der Abnehmer gern haben möchte, hilft der Fabrikant nach und verbessert die Natur. In dem Gesteine lassen sich nämlich tiefgehende, mehrfarbige Aderungen dadurch hervorrufen, daß man es erst in eine ammoniakalische Metallsalzlösung und darauf in eine wässerige Alkalisalzlösung einführt. Die Anwendung von Vakuum und Druck befördert den Prozeß, denn sie legt die feinsten Ritze im Marmor für den Eintritt der Flüssigkeiten frei. Da das Durchdringungsvermögen der beiden Arten von Lösungen ein verschiedenes ist, bilden sich nur an einzelnen Stellen Umsetzungen zwischen beiden. An den anderen Stellen bleibt die Metallsalzlösung unbeeinflußt. Nach dem Entweichen des Ammoniaks fallen aus ihnen färbende Oxyde aus. So entsteht eine vielfarbige Marmorierung und Aderung. Neben zwei Hauptfarben treten verschiedene Mischfarben und Mitteltöne auf. Oxalsäure und schwefelsaure Salze sind bei dem Verfahren natürlich auszuschließen, weil sie den Marmor angreifen und schädliche Niederschläge erzeugen.

Sandstein, Kalkstein, Schiefer.

Das zahlreiche Vorkommen guter Sandsteine in Deutschland ist bekannt.

Die entwickelte chemische Industrie Deutschlands, die größte der Welt, verarbeitet in ihren Werken ungeheure Mengen Kalksteins, der in zahlreichen Brüchen aufgeschlossen ist. Von dem großen Kalksteinvorrat zehrt auch die Kalk- und Zementindustrie.

Schieferbrüche liefern Dach- und Schreibtafelschiefer ersten Ranges. Auch zu weiteren Bauzwecken, z. B. zur Bekleidung von Wänden werden Schieferplatten erheblicher Ausdehnung durch Zersägen, Schleifen und Polieren gewonnen.

Diamanten.

Bei dem, was die Natur bietet, darf nicht vergessen werden, daß die neuere Zeit uns einen sehr edlen Stein geschenkt hat, den Diamanten Deutsch-Südwestafrikas. Wer meint, daß die Welt auch ohne Diamanten auskommen kann, befindet sich in grobem Irrtum. Der Schmuck kann freilich entbehrt werden. Aber in der Technik spielt der Diamant eine hervorragende Rolle. Zum Zerschneiden und Zersägen harter Gesteine braucht man stählerne Sägeblätter, die mit Diamanten besetzt sind. Der Bergmann stößt oder dreht vielmehr Bohrlöcher in die Erde mit Hilfe von Rohren, die unten eine Bohrkrone von Diamanten tragen. Das tiefste Bohrloch der Erde – 2240 Meter tief – bei Rybnick in Oberschlesien ist so mit Hilfe von Diamanten erst vor wenigen Jahren erbohrt worden. Es ist ein Meisterstück der Technik und gereicht dem Unternehmer, dem Preußischen Bergfiskus, zur höchsten Ehre. Die beim Bohren gewonnenen Bohrkerne haben den Beweis erbracht, daß dort in Oberschlesien über 60 abbauwürdige Kohlenflöze in einer Gesamtmächtigkeit von 118 Metern und zwar noch bei 2000 Meter Tiefe lagern, fürwahr eine freudige Botschaft für Oberschlesiens Zukunft. Ferner werden die spinnfadenfeinen Drähte der Wolframglühlampen, aber auch andere Drähte mit Hilfe durchlochter Diamanten gezogen. Ein gleich gutes Ersatzmaterial ist kaum vorhanden. Der Diamant ist also ein wertvoller Arbeitsgehilfe des Menschen, und wir [615] müssen uns freuen, daß unsere Kolonie ihn uns geschenkt hat. Bereits sind tüchtige Männer daran, das bisherige umständliche und nicht zuverlässige Diamantenausleseverfahren durch die Arbeit von Aufbereitungsmaschinen zu ersetzen. Dann werden selbst die feinsten Diamantteilchen nicht mehr verloren gehen.

Künstliche Rubine.

Es sei hier auch erwähnt, daß aus Rohstoffen, die deutsches Land liefert, andere Edelsteine, mit denen die Natur uns wenig bedacht hat, künstlich durch Schmelzprozesse erzeugt werden. Weit über Deutschlands Grenzen hinaus sind die künstlichen Rubine und Saphire bekannt, welche die Bitterfelder Fabrik der Deutschen Edelsteingesellschaft liefert. In Farbe, Glanz und Größe gleichen sie den echten Steinen. Ein Unterschied besteht nur im Preise. Die Natur fabriziert billiger, aber das Sucherlohn ist so hoch, daß es die Bitterfelder Gestehungskosten um ein Vielfaches übersteigt. Auch diese gleißenden Rubine und Saphire sind nicht allein des Schmuckes wegen da. Die Uhrmacherkunst bedient sich ihrer in Millionen von Karat zur Herstellung von Zapfenlagern.

Kalksandstein.

Wo nicht feste Bausteine anstehen, sondern Mineraltrümmer, bedarf es der Konglomerierung, damit sie feste Körper ergeben. Des Deutschen Reiches Streusandbüchse, die Mark Brandenburg, ist das Mutterland einer wertvollen Erfindung, nämlich des Kalksandsteins. Des Erfinders Dr. Michaelis sei hier ehrend gedacht. Ein Gemenge von Sand mit wenig Kalk wird zu Steinen gepreßt und dann in Härtekesseln der Einwirkung hochgespannter Wasserdämpfe ausgesetzt. Dadurch findet in der Steinmasse eine Umsetzung statt: ein Teil der im Sand reichlich vorhandenen Kieselsäure geht in den löslichen Zustand über, und dieser Teil vereinigt sich mit dem beigemischten Kalk zu einer unlöslichen festen Verbindung, die dort, wo sie sich bildet, die umliegenden Sandkörner fest verkittet. Der Kalkzusatz zum Sand beträgt etwa 10 Prozent. Durch die Einwirkung des Wasserdampfes treten nur etwa 2 bis 3 Prozent in die Verbindung des kieselsauren Kalkes ein, die schon genügen, harte Steine zu ergeben. Der Rest des Kalkes bleibt zunächst als abgelöschter Kalk im Stein bestehen. Er zieht mit der Zeit Kohlensäure ein und macht den Stein dadurch immer fester, abweichend von den Ziegelsteinen, die ihre einmal im Feuer erhaltene Festigkeit nicht mehr zu vermehren vermögen. Die Befürchtungen, die man anfangs gegen die Verwendung von Kalksandsteinen hegte, sind also grundlos gewesen. Freilich hat erst die Not für die Einführung des Kalksandsteins in das Baugewerbe gesorgt. Als ein im Frühjahr 1903 plötzlich eingetretener Frost ungeheure Mengen im Freien liegender roher Ziegelsteine zum Zerfrieren brachte, die rege Bautätigkeit aber Material brauchte, war der Bann gebrochen. Der Kalksandstein wurde eingeführt und hat sich seitdem dauernd behauptet. Interessant ist, daß der Sand, der heute noch im Sandhügel von Niederlehme bei Königswusterhausen ansteht und zur Fabrik gefahren wird, schon am nächsten Morgen im Hafen von Berlin abgeladen und auf den Bau gefahren wird. Der schnelle Gang der Fabrikation schafft den Zieglern, die ihre Waren mühsam trocknen und brennen müssen, einen gefährlichen Wettbewerb.

So ist der vielgeschmähte Sand der Mark zu Ehren gekommen, und der Lehm hat [616] nichts mehr vor ihm voraus. Auch die Natur vermag Sandkörner zusammenzukitten, wie uns das die Geologie z. B. bei der Entstehung der Sandsteine lehrt. Die vom Wasser zerkleinerten und zerriebenen Bruchstücke älterer Formationen haben früher ebenso lose zusammengelegen wie heute unser Sand. Dann hat dieselbe Mutter Natur, welche die Gesteinsmassen zerstört hatte, die einzelnen Körnchen durch kalkige, kieselige oder eisenschüssige Zemente, die aus Mineralien durch Wasser gelöst in die Sandmassen eindrangen, wieder aneinander gekittet und so Sandsteinbänke von vielen hundert Metern Mächtigkeit geschaffen. Aber dazu waren ungeheure Zeiträume notwendig, mit denen Dr. Michaelis natürlich nicht rechnen konnte, aber auch nicht brauchte. Wer bisher auf der Straße achtlos und vielleicht geringschätzig an den mit Kalksandsteinen beladenen Wagen vorbeigegangen ist, möge sich erinnern, welche große Tat hier vollbracht wurde.

Asbest-Zement.

Von großer Bedeutung ist auch das Verfahren geworden, Asbest-Zementkunststeinmassen auf der Papier- oder Pappenmaschine zu verarbeiten. Das Gemenge von Asbest und Zement wird zunächst im Holländer mit großen Mengen Wasser durchgearbeitet und dann auf eine gewöhnliche Papier- oder Pappenmaschine geleitet. Die Befürchtung, daß das hydraulische Bindemittel durch die Menge Wassers seine Bindefähigkeit verlieren würde, hat sich nicht bestätigt. Die gewonnenen pappeartigen Platten werden einem hohen Druck in hydraulischen Pressen und der Lagerung unterworfen, damit sie erhärten. Sie sind nicht viel stärker als gewöhnliche Tafeln aus Papiermasse. Wegen ihres gefälligen Ansehens erfreuen sie sich großer Beliebtheit als Dachdeckmaterial sowie als Wandbekleidungsmaterial für Baracken, wobei sie gegen Kälte und Hitze guten Schutz gewähren. Der Bau leichter Häuser in den Kolonien ist durch den Gebrauch dieser Platten sehr gefördert worden.

Nach derselben Methode umhüllt man eiserne oder hölzerne Säulen und Träger mit einer feuersichern Asbest-Zementschicht. Die von der Pappenmaschine kommende Stoffbahn wird auf die Säule oder den Träger mehrfach aufgewickelt, bis die Schicht dick genug ist. Die Bekleidung ist sehr fest, nicht spröde, von geringer Wärmeleitungsfähigkeit, wasserundurchlässig, unverbrennbar und dabei von leichtem Gewicht. Ist die Säule, welche umhüllt werden soll, länger als die Stoffbahn, dann bringt man sie mit einem geeigneten Getriebe in Verbindung, das sie während des Aufwickelns quer zur Bewegungsrichtung der Stoffbahn langsam verschiebt. Die Stoffbahn wird dann schraubenförmig aufgewickelt. Es ist klar, daß man auf diese Weise Körper von beliebiger Länge verkleiden kann. Die Kernkörper gehen während der Bekleidung hin und her, damit sich die Stoffbahn kreuz und quer auflegt, was ihre Haltbarkeit vermehrt. So lassen sich Kernkörper bewickeln, die einen kreisförmigen oder polygonalen Querschnitt haben. Sind Säulen aus T-Eisen zu umhüllen, dann bringt man die Stoffbahn zunächst auf einen Kernkörper von kreisförmigem Querschnitt und entsprechendem Durchmesser, entfernt den Kern vor der völligen Erhärtung der aufgewickelten Schicht und setzt das T-Eisen ein, worauf man den Umhüllungskörper unter Druck aufpreßt.

Künstlicher Marmor.

Andere künstliche Steinmassen spielen bei der Nachahmung künstlichen Marmors eine wichtige Rolle. Die Fabrikation [617] des künstlichen Marmors hat in Deutschland einen großen Aufschwung genommen. Solcher Marmor läßt sich ebensogut zur Bekleidung von Wänden und Decken und zum Bau von Säulen und Kapitälen verwenden wie der natürliche. Er hat vor ihm den Vorzug voraus, daß er durch Formen leicht in beliebige Gestalt gebracht und beliebig gefärbt und geadert werden kann, während der natürliche Marmor schwieriger bearbeitbar ist und in der Farbe so hingenommen werden muß, wie ihn die Mutter Erde liefert, wobei man Gefahr läuft, daß sich gerade an der Schauseite, die man ja erst herausarbeiten muß, eine ungünstige Farbenzusammenstellung findet. Die Grundmasse der künstlichen Marmorarten sind Mineraltrümmer, Farben und ein mineralisches Bindemittel. Schon die Alten verstanden aus Gips und Farben herrlichen Kunstmarmor herzustellen. Diese Kunst ist in Deutschland durch Italiener eingeführt worden, und jetzt stehen die Schüler ihren Meistern in der Ausübung der Kunst mindestens gleichwertig zur Seite. Die Kunstmarmorkörper fallen härter und schöner aus, wenn man sie aus sogenanntem Marmorzement, d. i. aus Alaungips (alaunisiertem Gips) erzeugt. Eine andere, sehr feste, harte und schöne weiße Masse erhält man durch Vereinigung von Magnesia und Chlormagnesium. Bei Frankenstein in Schlesien findet sich in reichen Mengen ein weißes Mineral, der Magnesit, die Verbindung von Kohlensäure und Magnesia. Beim Brennen gibt der Magnesit die Kohlensäure ab und wird zu Magnesia, die nun fein gepulvert mit Chlormagnesium, einem Salz, das bei der Staßfurter Kalisalzbereitung massenhaft abfällt, zusammengerührt wird. Das Gemenge führt den Namen Magnesiazement oder nach seinem Entdecker Sorelzement. Es besitzt eine hohe Bindekraft und vermag daher andere Mineraltrümmer und Farbzusätze aufzunehmen und miteinander zu verkitten.

Wenn die mit Farben versetzten Kunstmarmormassen aufgetragen sind, gelingt es, sie in einfachster Weise dadurch zu masern und zu adern, daß man mit Kämmen oder lockeren Pinseln durch sie durchfährt und dort, wo es nötig erscheint, neue, vielleicht anders gefärbte Masse nachträgt. Soll die Aderung recht zart werden, dann reißt man angefeuchtete und gut durchgeknetete Masse in Stücken, taucht sie in gefärbte Masse und preßt die Stücke zu einem großen Klumpen aufeinander. Wird der Klumpen zu Platten zerschnitten, dann zeigen die Schnittflächen die feinste Aderung.

Alle Kunstmarmormassen erlangen durch Polieren Spiegelglanz. Mit Kunstmarmor sind nicht nur zahlreiche Häuser und Paläste Berlins im Inneren geschmückt, sondern auch z. B. das Kaiser-Friedrich-Museum. Sie alle zeigen, wie weit diese schöne Kunst in Deutschland gediehen ist.

Edelputz.

Die Bereitung von Mörteln für Bauzwecke ist alt. Aber in den letzten Jahren hat man in der Architektur unter dem Namen Edelputz Mörtelgemische für den Ausputz der Fassaden vornehmer Häuser eingeführt, die sich nach Farbe und Korn vorteilhaft von den alten Putzmaterialien unterscheiden. Zunächst war es notwendig, aus diesen Mörteln den Zement völlig auszuscheiden, weil er nach dem Annetzen zu mißfarbigen Ausblühungen neigt. Es durfte nur reiner, völlig abgelöschter Kalk gebraucht werden. Auf die sicherste Weise ist solcher Kalk dadurch zu gewinnen, daß man ihn in [618] Gruben unter reicher Wasserzufuhr völlig ablöscht und zum Nachlöschen eine Zeitlang stehen läßt. Denn trocken gelöschter Kalk behält leicht ungelöschte, späterhin sehr störend wirkende Partikelchen. Als magernder Füllstoff werden dem Mörtel körnige Mineraltrümmer zugesetzt, auch Glimmer, damit die hier und da blinkenden Glimmerblättchen dem Auge ein erfreuliches Bild geben. Alsdann wird noch Farbe zugeschlagen. Die Farben dürfen nur mineralischer Natur sein und durch Ätzkalk nicht in störendem Maße angegriffen werden. Im Handel erscheinen die Mörtel fertig gemischt als sogenannte Trockenmörtel, die ohne weiteres verwendbar sind, wenn man sie mit Wasser anrührt. Der Kalk in dem Trockenmörtel ist aus eingesumpftem Kalk dadurch gewonnen, daß man diesen nach längerem Lagern durch Wärmezufuhr getrocknet und feingemahlen hat.

Man kann sagen, daß der Gebrauch dieser Mörtel die Rückkehr zu einfachen, edlen, schönen Formen der Architektur ermöglicht hat. Dadurch, daß man den an und für sich schon körnigen Putz scharriert oder stockt oder irgendwie bearbeitet, schafft man angenehme Linien, an denen das Auge lieber haftet als an glatten Flächen. Die Stuckverzierungen an der Fassade können jetzt fortfallen. Die Fassade wird einfach gehalten. Nur einzelne schöne Erker und Balkone springen hervor. Wird dazu noch das Dach etwas gegliedert, dann erhält man wunderbare, mächtig wirkende Architekturbilder. Wer die neue Baukunst in Deutschlands Hauptstadt bewundern will, hat reichlich Gelegenheit. Sie sticht vorteilhaft ab von den mit Stuck beladenen alten Fassaden, die unter dem gebräuchlichen faden Ölanstrich unnatürlich wirken, und bei denen noch der weit größere Fehler besteht, daß sie verwirren, weil der Stil der Zieraten von Stockwerk zu Stockwerk unvermittelt variiert.

Das Ziel, große Flächen nicht durch Handarbeit, sondern unter Heranziehung billigerer Maschinenkraft mit Mörtel zu bewerfen, ist dadurch verwirklicht worden, daß man die Preßluft in den Dienst der Putzarbeit stellte. Eine solche Maschinenanlage wird fahrbar eingerichtet. Sie besteht aus einer Mörtelmischmaschine, die den Mörtel herrichtet, einer Mörtelpumpe, der Preßluftanlage und dem Betriebsmotor. Die Pumpe fördert den Mörtel in einen Schlauch, an dessen Ende eine Düse sitzt. Ein Arbeiter führt die Düse. Er schreitet langsam vorwärts und läßt den Mörtelstrahl gegen die Wand spritzen. Die dem Schlauch zugeleitete Preßluft bläst den Mörtelbrei mit einem Druck von 1,5 Atmosphären heraus und führt ihn als Schlammregen an die Wand. Der angespritzte Bewurf wird von den Putzern in Arbeit genommen. Die Pumpe fördert stündlich 2–3 cbm Mörtel. Eine Düse liefert in derselben Zeit durchschnittlich 100 qm Wandputz. Also auch hier wird eine ins Großzügige reichende Arbeit geleistet.

Erhaltung wertvoller Denkmäler.

In dieses Gebiet fallen auch die Arbeiten zur Erhaltung wertvoller Steindenkmäler in Deutschland. Die vier schönen Schillingschen Sandsteinfiguren (Morgen, Mittag, Abend, Nacht) der Brühlschen Terrasse zu Dresden sind jetzt von der Terrasse entfernt und durch Bronzeabgüsse ersetzt. Die Originalwerke sind an die Stadt Chemnitz abgegeben, und diese hat es übernommen, die Figuren, welche trotz der im Jahre 1881 aufgebrachten Vergoldung weitere Spuren des Verfalls zeigten, von dem Goldüberzuge [619] zu befreien und auf anderem Wege zu schützen. Man hat nämlich die Oberfläche der Figuren mit Fluorverbindungen, sogenannten Keßlerschen Fluaten behandelt und dadurch einen steinartigen Überzug flußspatähnlicher Verbindungen geschaffen, welcher die natürliche Härte und die Widerstandsfähigkeit der Steinkörper erhöhte und zugleich ihren Farbenton ausglich und hob.

So schwierig auch diese Wiederherstellungsarbeiten waren, erscheint doch die Erhaltung dieser herrlichen Originale nicht um zu hohen Preis erkauft. Der Erfolg reizt zu weiterer Anwendung des wichtigen Verfahrens an. Welcher Preis ist zu kostbar, um das bekannteste Werk gotischer Baukunst, den Kölner Dom, vor dem Zerfall zu bewahren? Ein großer Teil des Domes ist aus dem Trachyt des Siebengebirges erbaut. Schon das frisch gebrochene Gestein zeigt, obwohl es an und für sich als harter, fester Körper gelten kann, die üble Eigenschaft, daß in ihm verhältnismäßig große Sanidinkristalle ausgesondert sind, die sich leicht aus der Einhüllungsmasse des Gesteins ablösen und unter Hinterlassung sehr glatter Flächen an den Stellen, an denen sie saßen, ausspringen. Liegen in Gesteinsstücken zufällig mehrere solche Kristalle in unmittelbarer Nähe zusammen, sind sie voneinander nur durch dünne Schichten der dichten Gesteinsgrundmasse getrennt, dann haben die angreifenden Atmosphärilien ein um so leichteres Spiel. Zu spät hat man den Fehler des Gesteins erkannt und verwendet jetzt den Trachyt bei Wiederherstellungsarbeiten nicht wieder. Dem rastlosen Eifer der Baufachleute wird es gelingen, die alten Bauteile des Domes durch Mittel, die ihnen der Chemiker liefert, gegen weiteren Zerfall zu schützen. Über eine Reihe solcher Mittel verfügt die Mörtelindustrie schon heute.

Zementindustrie.

In der Zementindustrie ist als wichtigster Fortschritt der letzten Jahre die Einführung des Drehofens zum Brennen von Zement zu verzeichnen. Ein Drehofen ist ein langes, mit feuerfestem Futter ausgekleidetes, etwas geneigt liegendes und ständig gedrehtes Rohr, das in der Regel durch eine Kohlenstaubfeuerung beheizt ist. Die Rohzementmischung wird in das Rohr eingeführt und in ihm so stark erhitzt, daß sie dicht zusammensintert. Das den Drehofen verlassende Gut ist fertiger Zement, der nur noch der feinen Mahlung bedarf. Der erste deutsche und europäische Drehofen ist von C. von Forell in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu Lollar bei Gießen erbaut worden. Jetzt ist der Ofen in Deutschland schon sehr verbreitet, und mehrere bewährte deutsche Ofenbauanstalten beschäftigen sich mit der Errichtung solcher Anlagen. Das verdient aber auch der Drehofen. Denn während die üblichen Schacht- und Ringöfen, was den Ofeneinsatz betrifft, eine erhebliche Brenndauer haben und verlangen, daß das in sie eingesetzte Gut vorher erst in Ziegelform gebracht wird, damit die Ofenglut es zu durchdringen vermag, was zusammen einen Zeitaufwand von etwa 8–14 Tagen ausmacht, wird dem Drehofen das Gut ungeziegelt übergeben und verläßt ihn fertig gebrannt schon nach 1–2 Stunden. Es ist dann auch nicht notwendig, große Lagerplätze für das Stapeln von Rohziegeln zu unterhalten. Der Drehofen leistet seine Arbeit unabhängig von Wind und Wetter und unabhängig von der Geschicklichkeit und Zuverlässigkeit einer großen Zahl von Händen. Denn die Natur seines Betriebes bringt [620] es mit sich, daß die Arbeiterzahl gewaltig verringert werden kann. Es werden also nützliche Kräfte für andere Arbeiten im Lande frei. Den modernen Drehöfen gibt man einen Durchmesser von 2 bis über 3 m und eine Länge bis zu 70 m und mehr.

Von dem verdienten Zementforscher Dr. Michaelis ist gefunden worden, daß Zemente, in denen die Tonerde im wesentlichen durch Eisenoxyd vertreten ist, den Einwirkungen des Meerwassers bei weitem besser widersteht als gewöhnlicher Portlandzement. Für unsere Hafenbauten und Küstenbefestigungen ist diese Entdeckung von ungeheurer Tragweite. Bei der Fabrikation im großen mischt man fein gemahlenen Kalkstein, namentlich kieselsäurereichen Kalkmergel innig mit fein gemahlenen Eisenerzen, wie Braun- und Roteisenstein, Raseneisenerz oder Spateisenstein und brennt das Gemenge.

Die deutsche Zementindustrie hat einen ungeheuren Aufschwung genommen. Das Portlandzementwerk Heidelberg ist das größte der Welt. Die Verbilligung der Zementpreise hat den Zementfabriken nicht zum Schaden gereicht. Sie haben verstanden, den Verlust am Preise durch Verbesserung der Fabrikation wettzumachen und sich auf den Massenbetrieb einzurichten. Denn der Verbrauch an Zement ist ungeheuer gestiegen. Zement aus deutscher Erde schützt unsere Küsten und die Insel Helgoland vor dem Nagen der Meeresfluten. Den eben erst geschaffenen mächtigen Talsperren, die unzähligen Verbrauchern im deutschen Vaterlande Kraft und Licht spenden und das Land vor Überflutungen schützen, verleiht er Halt und Stärke. In Monierbauten treten Eisengerüste, die als Einlagen dienen, und Zementmörtel, der sie umhüllt, zu nützlicher Gemeinschaft zusammen. Naturgesteine werden ersetzt durch Körper aus Zementmörtel. Durch Zumischung von Marmorkörnern oder Kieseln zu Zement hat man es in der Hand, mehr marmor- oder sandsteinartige Massen zu erhalten. Da die Massen bildsam sind, kann man ihnen in Formen leicht Gestalt verleihen. So stellt man Säulen, Kapitäle und Figuren für den Schmuck von Bauten her. Damit diese Gebilde das Aussehen von Naturgesteinen gewinnen, bearbeitet man sie nachträglich an der Oberfläche mit den Werkzeugen des Bildhauers. In den großen Brauereien werden jetzt die Gär- und Kühlgefäße aus Zement mit Eiseneinlagen hergestellt. Die Eiseneinlagen dienen zugleich zum Befestigen von Rohrschlangen, die in den Wänden der Gefäße liegen und dazu bestimmt sind, Kühlflüssigkeiten aufzunehmen. Die Rohrschlangen erhöhen die Widerstandsfähigkeit der Gefäße gegen die Beanspruchungen durch Druck und Zug.

Von großem wirtschaftlichen Wert ist die Einführung fein gemahlener Hochofenschlacke als Zuschlag zum Portlandzement geworden. Die Hochöfen liefern dem Gewichte nach im Durchschnitt ungefähr dasselbe Quantum Schlacke wie Roheisen. Da sich nun die spezifischen Gewichte beider wie 3 zu 1 verhalten, ergibt sich, daß das Volumen der Schlacke ungefähr das Dreifache des Volumens des Eisens beträgt. Aus diesen Angaben läßt sich schließen, welche bedeutenden Mengen Schlacke die sehr entwickelte Hochofenindustrie Deutschlands täglich darstellt. Von diesem Nebenprodukt wanderte früher der größte Teil auf die Halde und blieb ungenutzt. Jetzt wird ein Teil der fallenden Schlacke als Bergeversatz in den ausgeraubten Strecken von Kohlengruben gebraucht. Die beim Abbau der Kohlengruben entstehenden Hohlräume müssen nämlich wieder ausgefüllt werden, wenn man erreichen will, daß sich die Erdoberfläche nicht senkt. Dazu [621] nimmt man Schlackensand, der durch Einleiten von Schlacke in Wasser entsteht. Das Versatzmaterial wird mit Hilfe eines kräftigen Wasserstromes durch Rohrleitungen in die zu versetzenden Strecken geleitet. Ein anderer Teil Schlacken wird mit Kalkmilch zusammen auf Steine verarbeitet. Endlich schlägt man auch Schlacke in einer dem Zement gleichfeinen Mahlung in der Menge von etwa 30 Prozent gewöhnlichem Zement zu. Solche Zemente spielen im Handel als sogenannte Eisenportlandzemente eine große Rolle. Das Eisen im Namen soll nur darauf hindeuten, daß der Portlandzement mit Schlacken von Eisenhochofenprozeß versetzt ist. In der Mischung gilt der Portlandzement als der Haupterhärtungsfaktor, der durch die zugemahlene oder zugemischte Schlacke wirksam unterstützt wird. Die Schlacke spielt also in dem Gemenge nicht etwa die Rolle eines inerten Zuschlags. Allerdings leistet nicht jede Schlacke diesen Dienst, sondern nur diejenige, die nach dem Austreten aus dem Hochofen rasch gekühlt wird, also glasig bleibt, weil sonst ihre hydraulischen Eigenschaften nicht zur Entwickelung gelangen. Auch darf der Kalkgehalt der Schlacke nicht zu niedrig sein. Auf diesem Gebiete sind namentlich deutsche Forscher und Industrielle hervorragend tätig gewesen.

Asphaltstraßen.

Dem gehobenen Wohlstande des Deutschen Reiches entsprechend sind die Straßen vieler Städte mit Asphaltbelägen ausgestattet worden. Das Rohmaterial der Stampfasphaltstraßen muß zum größten Teile aus dem Auslande, namentlich aus Italien bezogen werden. Das Asphaltgestein ist zumeist nicht reich genug an Bitumen. Es muß durch Zusatz reinen Asphalts fetter gemacht werden. Eine große Zahl von Fabriken beschäftigt sich mit dem Bau der Asphaltstraßen. Das Asphaltpflaster ist keineswegs billig. Es mag sich mit dem Unterbau auf etwa 12–13 Mark für den Quadratmeter stellen. Aber wer bedenkt, wie leicht selbst die schwersten Lastwagen über es hinwegrollen, wieviel Millionen von Pferdekräften dadurch gespart, und wie die Zugtiere geschont werden, wird keinesfalls eine Änderung herbeiwünschen.

Für den Gebrauch mahlt man die natürlichen Asphaltgesteine zu Pulver, bringt dieses auf den erforderlichen Bitumengehalt, erhitzt es und schlägt es mit Stampfern zu der Asphaltdecke der Straße zusammen.

Wegen des hohen Preises des Asphalts hat man die pechartigen Rückstände, die bei der Destillation des Steinkohlenteers abfallen, schon längst als Ersatzmittel für Asphalt oder als Zusatz zu Asphaltmassen benutzt. Man mischt die Rückstände mit oder ohne Asphaltzuschlag mit Sand, Kies, zerkleinertem Kalkstein oder anderem pulverförmigen Material in erhitztem Zustande und gießt die Masse in Formen, wenn man Stücke von bestimmter Gestaltung erzeugen will, oder man stampft sie zu Straßenbelägen, Fußböden, Wandbelägen oder ähnlichem. Unsere Makadamstraßen zeigen, daß sich solche Beläge wohl bewähren. Das Gemisch des Gesteinsmaterials mit dem Bitumen wird um so dünnflüssiger und plastischer, je mehr von den Teerölen in den Rückständen noch enthalten ist. Beim Aufkochen des Breis ist es von Wichtigkeit, daß sich das Bitumen durch die ganze Masse der Füllstoffe gleichmäßig verteilt, daß also jedes Körnchen mit einer feinen Haut von Bitumen überzogen wird. Erst dadurch läßt sich erreichen, daß die einzelnen Körnchen völlig aneinandergekittet werden.

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Tonwarenindustrie.

Deutschlands Tonwarenindustrie macht einen erheblichen Teil der gesamten Industrie Deutschlands aus. Wertvolle Rohmaterialien werden im Lande gefunden. Seitdem sie gründlich untersucht sind, ist ihre vielseitige Verwendung in die Wege geleitet. Um die Schaffung einer wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Basis der Tonverarbeitung haben sich zwei deutsche Forscher Seger und Bischof große Verdienste erworben. Ihr Ruhm reicht weit über Deutschlands Grenzen hinaus. Während die Arbeiten Bischofs mehr den feuerfesten Tonen galten und namentlich für die Hüttenindustrie von großem Wert wurden, waren Segers Studien insbesondere dem Porzellan gewidmet. Als Vorsteher der Versuchsanstalt bei der Königlichen Porzellanmanufaktur zu Berlin hat Seger die Errungenschaften dieser Anstalt bedeutend vermehrt.

Berliner Porzellan.

Die Erzeugnisse der Berliner Porzellanmanufaktur stehen auf einer so hohen Stufe technischer und künstlerischer Entwicklung, daß zu ihrem Ruhme nichts mehr gesungen zu werden braucht. Das Berliner Porzellan gehört zu der Gruppe der sogenannten Hartporzellane. Aus der Untersuchung japanischer Porzellane kam Seger auf den Gedanken, auch dieses weiche Porzellan nachzubilden, und zwar dadurch, daß er in den Scherben Ton einführte. Die Masse wurde dadurch bildsamer als die nur mit Kaolin angemachten Massen. Dieses Segerporzellan läßt sich reichhaltig verzieren. Namentlich verträgt es die Aufbringung farbiger Glasuren von hoher Schönheit. Besonders berühmt geworden sind rote und geflammte Kupferoxydulglasuren, bekannt unter dem Namen Chinesisches Rot. Denn als Vorbild haben chinesische Rotglasuren gedient, die von Seger eifrig geprüft worden waren. Das eigentliche Kirschrot der Glasur variiert bis zum Dunkelrot und spielt oft ins Blaue, Grüne und Violette über, so schön, daß die chinesischen Glasuren, die als Muster gedient haben, weit übertroffen werden.

Einen weiteren Fortschritt, der Seger zu verdanken ist, stellt die Ausbildung der Malerei zwischen zwei Glasurschichten dar. Das im Porzellanofen glasierte Geschirr wird nach der Bemalung mit passenden Farben mit einer zweiten Glasur von niedrigerem Schmelzpunkt überzogen und in der Muffel fertiggebrannt. Man hat es also mit einer Art Unterglasurmalerei zu tun. Ein Unterschied gegenüber der eigentlichen Unterglasurmalerei besteht allerdings darin, daß bei dieser die Malerei auf den Scherben aufgebracht, und dieser mit der eigentlichen Porzellanglasur überzogen wird. Freilich ist bei der letzteren Art die Farbenpalette nicht sehr groß, dagegen bei der Zwischenglasurmalerei reich und schön. Besonders wirkungsvoll fallen Unterglasur- und Zwischenglasurarbeiten aus, wenn die bildlichen Darstellungen, die nachher mit Farben besprüht werden, durch Kratzarbeit in dem versprühten Scherben hergestellt sind. Der artistische Direktor der Königlichen Porzellanmanufaktur Professor Schmuz-Baudiß hat diesen Kunstzweig mit Erfolg gepflegt.

Von großer Vollkommenheit sind auch die Gefäße mit Kristallglasuren der Königlichen Porzellanmanufaktur. Die spiegelglatten Glasuren enthalten Kristalle, die metallischen [623] Glanz besitzen und das Aussehen von Eisblumen zeigen. Man erhält sie, wenn man Glasurmasse mit Titansäure, titansauren Salzen oder Zinksilikat versetzt. Im Brande lösen sich diese Stoffe in der flüssigen Glasur und scheiden sich beim Erkalten aus der übersättigten Lösung als Kristalle aus, genau so, wie sich Kristalle aus übersättigten Lösungen von Alaun im Wasser bilden.

Meißner Porzellan.

In edlem Wetteifer zu der Preußischen steht die Königlich Sächsische Porzellanmanufaktur zu Meißen, deren Fabrikate ebenso vornehm und berühmt sind. Auch die Privatporzellanindustrie Deutschlands erfreut sich eines hohen Ansehens. Neben den vielseitigen Geschirren für den Gebrauch in Haus und Industrie stellt die Fabrikation von Isolatoren einen hohen Anteil der Produktion dar. Die vielseitige Schaffung von Überlandzentralen hat den Markt der Isolatoren ganz bedeutend gehoben.

Mit großem Stolze darf die Porzellanindustrie auf ihre Leistungen zurückblicken. Der Porzellanteller, der vor Jahren wie ein Luxusartikel nur auf den Tafeln der besser Situierten prangte, ziert jetzt auch den Tisch des einfachen Mannes. Deutscher Tatkraft ist es gelungen, den Fabrikbetrieb so auszugestalten, daß der Preis der Erzeugnisse sich in bescheidenen Grenzen hält. Dabei ernährt diese Industrie Tausende von Menschen.

Neben dem Porzellan ist die Fabrikation des ihm verwandten Steinguts in steigender Entwicklung begriffen. Es ist interessant, daß im Westen Deutschlands eine Anzahl mächtiger Steingutfabriken sitzen, die die Hauptmasse ihrer Rohstoffe aus der Ferne, zum Teil aus dem Auslande beziehen. Die Gestehungskosten werden dadurch beeinflußt. Aber die Berechtigung dieser Industrie an jenen Orten ist wohl begründet. Denn dort wohnt ein Stamm tüchtiger Fabrikanten und Arbeiter, welche durch ihren Fleiß die Unkosten des Transports wieder wettmachen.

Steingut.

Der wachsende Wohlstand deutscher Lande gibt einem anderen Zweige der Keramik, der Steinzeugindustrie, reiche Beschäftigung. Denn dieser Zweig schafft vorzügliche Röhren für die Kanalisation der Städte, die deswegen den Vorzug vor anderen Röhren verdienen, weil sie von den in ihnen fortgeleiteten Stoffen nicht angegriffen werden. Solche Röhren müssen durchaus dicht sein. Deswegen erhalten sie eine Glasur, und zwar auf sehr interessante Weise. Wenn der Brennofen gegen Ende des Brandes seine höchste Temperatur erreicht hat, wirft man in das Feuer eine bestimmte Menge gewöhnlichen Kochsalzes und schließt rasch den Schornstein und alle Luftlöcher. Das Kochsalz zersetzt sich unter Mitwirkung des in den Verbrennungsprodukten der Kohle vorhandenen Wasserdampfes in Natron und Salzsäure, die beide alsbald den Ofenraum erfüllen. Das Natron verbindet sich mit den Bestandteilen des Scherbens zu einer Glasur auf der Oberfläche der Steinzeugrohre, und die Salzsäure entweicht später ins Freie.

Die Dichtheit und Widerstandsfähigkeit des Steinzeugs gegen chemische Angriffe haben ihm neue weitgehende Anwendung in der chemischen Großindustrie verschafft. In mehreren sehr bekannten Fabriken werden bewährte Geräte für die Darstellung [624] von Säuren und von Chlor, ferner große Wannen für elektrolytische und photographische Zwecke hergestellt.

Im deutschen Kannenbäckerlande im Westerwald blüht seit Jahren die Geschirrfabrikation aus Steinzeug. Ihr ist jetzt durch Künstler, namentlich durch den bekannten Professor Riemerschmied eine neue Richtung gegeben. Die Formgebung und die äußere Ausstattung sind erheblich verbessert worden. Von der teuren Beheizung der Brennöfen mit Holz fängt man an abzugehen. Ein kühner Griff hat gezeigt, daß man auch mit Steinkohlen feuern kann. Die Befürchtungen, daß Aschenteilchen sich auf der Oberfläche der Krüge und Kannen niederschlagen könnten, haben sich allerdings bewahrheitet, aber nicht zum Schaden der Waren. Denn die kleinen braunen Flecken, die sich hier und dort ansetzen und von der Glasur aufgenommen werden, verleihen entgegen den gehegten Befürchtungen den Körpern einen gewissen Reiz. Der Übergang zur Steinkohlenfeuerung ist geeignet, viele kleine Existenzen zu erhalten. Denn die Kannenbäckerei im Westerwald wird noch viel in der Hausindustrie betrieben.

Kadiner Majolika.

Der Anregung des königlichen Besitzers von Kadinen ist die Errichtung der dortigen Majolikawerkstätte zu verdanken. Auf dem Gebiete der Kunst hat der Osten Deutschlands einmal eine Rolle gespielt. Die alten Danziger Möbel, die gewaltigen Schränke und Tische und die alte Danziger Architektur sind noch heute berühmt. Den Sinn für die Kunst neu zu beleben, sollte Aufgabe der Kadiner Werkstatt sein. Insbesondere sollten die Erzeugnisse Vorbilder sein für die Töpfer Tolkemits, der nächsten Stadt am Frischen Haff, die schon seit Jahrhunderten Töpferwaren herstellen. Die Kadiner Tonwaren haben einen schönen roten Ton. Sie werden teils ohne Glasur und Bemalung, teils glasiert und farbenreich bemalt in den Handel gebracht. Nach Entwürfen tüchtiger Künstler, wie Carl Begas, Manzel, von Üchtritz, Götz, Splieth u. a. sind herrliche Gefäße und Reliefs geschaffen worden.

Terra-Sigillata-Waren.

Dem Geheimniß der Terra-Sigillata-Waren der Alten ist man näher gekommen. Zwar müssen die Versuche, Tonwaren durch den Zusatz chemischer Stoffe zum Begußton den eigentümlichen matten Glanz zu verleihen, der die Sigillatawaren auszeichnet, als gescheitert angesehen werden. Indessen gelang es den Kunsttöpfern Fischer (Vater und Sohn) in Sulzbach in der Oberpfalz, schöne Nachahmungen durch Benutzung des Polierverfahrens an der rohen Ware zu erzielen. Wenn man einen rohen, noch feuchten Tonscherben durch Überstreichen mit Lappen oder Watte poliert, so erlangt er einen gewissen Glanz, den er auch nach dem Brennen behält. Die beiden Fischer haben den Scherben nicht selbst poliert, sondern ihn zuvor mit einem roten Überzug von Begußton (Engobe) versehen und dann poliert. Sie stellten also den Formling auf der Töpferscheibe her, begossen den Formkörper mit der Engobe und polierten die Oberfläche zunächst mit einer weichen Bürste, dann mit Watte. Die gebrannten Waren zeigen einen schönen matten Glanz. Im Altertumsmuseum von Regensburg sind alte, in der Umgebung von Regensburg gefundene, echte Sigillaten und neben ihnen die Fischerschen [625] Erzeugnisse ausgestellt. Die Ähnlichkeit ist frappierend. Kenner finden allerdings Unterschiede heraus. Aber das kann nicht das Bestreben der keramischen Industrie sein, daß sie jetzt die antiken Sigillaten, die Urnen, Teller und Vasen sklavisch nachahmt. Für Gefäße dieser Art besitzen wir ein viel schöneres und geeigneteres Material in dem Porzellan und Steingut, die beide den Alten noch nicht zu Gebote standen. Dagegen haben sich andere Zweige der Fischerschen Arbeitsweise bemächtigt, nämlich die Platten- und Dachziegelfabrikation. Es ist wohl nicht bestritten, daß die glasierten Dachziegel unangenehm ins Auge fallen, ja blenden, wenn die Sonne auf sie fällt, und den Beschauer zwingen, seine Blicke, und sei es von einer noch so schönen Architektur, abzuwenden. Andrerseits verlangt der poröse Scherben der Dachziegel aus anderen Gründen Abdichtung durch einen Überzug. Dafür ist nun ein Überzug nach Art der Fischerschen Sigillatawaren außerordentlich geeignet. Denn der matte Sigillataglanz gibt ein erfreuliches mildes Bild. Auf die Farbe Rot sind diese Überzüge nicht beschränkt. Auch Grün, Blau, Braun können gewählt werden, die alle geläufige Farben der keramischen Palette sind. Die Dachziegel und Platten werden ebenso wie die anderen Waren engobiert und dann noch roh mit Lappen oder Watte poliert.

Segerkegel.

Von hoher Wichtigkeit für die keramische Industrie sind die sogenannten Segerkegel geworden, Pyroskope, nach denen man die Brenntemperatur im Ofen beobachtet. Sie führen ihren Namen von ihrem eigentlichen Autor, dem schon rühmend erwähnten Vorsteher der Versuchsanstalt bei der Königlichen Porzellanmanufaktur zu Berlin Professor Seger. Diese Kegel oder richtiger abgestumpften, dreiseitigen Pyramiden sind aus wechselnden Mengen Feldspat, kohlensaurem Kalk, Quarz und Kaolin hergestellt, und die Mischungsverhältnisse so gewählt, daß die niederschmelzenden Kegel selbst feine Temperaturunterschiede anzeigen. Man hatte sich früher zum gleichen Ziele niederschmelzender Metalle oder Legierungen bedient. Auch sie zeigen gewisse Grenzen an. Im keramischen Betriebe kommt es aber darauf an, auch die Zeit zu bestimmen, während welcher die Hitze anhält, und da hier durch das Anhalten einer niedrigeren Temperatur dasselbe erreicht wird, was eine kurz andauernde höhere Temperatur vermag, so lag das Bedürfnis vor, das Verhalten keramischer Waren im Brennofen an dem Verhalten keramischer Meßkörper zu studieren.

Die Segerkegel stellen eine feste Skala dar, nach denen man den Brand bestimmt. Weil sie dem Brenner genau anzeigen, wann er das Feuer zu dämpfen hat, schützen sie ihn vor zweierlei Fehlern: der Erzeugung von Schwachbrand und dem Überbrennen und Verschlacken der Waren.

Die Segerkegel sind weltberühmt geworden. Sie haben sich nicht nur in der Keramik, sondern auch in anderen Zweigen der Technik, wo hohe Temperaturen zu bestimmen sind, schnell eingeführt.

Hier ist anerkennend der Stätte zu gedenken, von welcher die Segerkegel ihren Ausgang genommen haben, der Versuchsstation bei der Königlichen Porzellanmanufaktur zu Berlin. Außer durch die bahnbrechenden Arbeiten, die sie auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Keramik geleistet hat, ist die Anstalt bekannt geworden [626] durch die Hilfe, die sie den Inhabern deutscher keramischer Werke leistet, wenn diese auf Schwierigkeiten bei der Fabrikation stoßen. Die kleineren und mittleren Fabrikanten haben gar nicht die Erfahrungen und Mittel, um auftretende Fehler zu prüfen und zu beseitigen. Die Versuchsanstalt steht ihnen mit Rat und Tat bei. Sie bietet ihnen auch Unterweisung in einer vortrefflichen Lehrsammlung. Hier können die gebräuchlichen Rohstoffe, ferner keramische Körper ohne Fehler und solche mit den verschiedenartigsten Fehlern studiert werden. Endlich werden in der Versuchsanstalt junge Keramiker fachwissenschaftlich und praktisch herangebildet.

Radioaktive Stoffe.

Eine merkwürdige, nicht uninteressante Verwendung haben keramische Körper erfahren, die mit radioaktiven Stoffen versetzt sind. Werden solche Stoffe mit Ton eingebunden, geformt und gebrannt, dann gewinnen sie Halt und Festigkeit. Von dem Radium geht bei diesem Prozesse nichts verloren. Bringt man die fertig gebrannten Körper aber in Wasser, dann teilt sich die Emanation dem Wasser mit. Dagegen ist die gebrannte Tonmasse im Wasser vollständig unlöslich. Durch solche Körper, die in Stäbchen-, Pastillen- oder Röhrchenform gebracht sind, lassen sich Bade- und Trinkwasser radiumheilkräftig machen, was für die Bekämpfung gewisser Krankheiten, namentlich der Gicht und des Rheumatismus, großen Wert besitzt. Von besonderer Bedeutung ist dieser Gegenstand für die Wiederauffrischung von Brunnen, die von den Badeverwaltungen versandt werden. Die beim Transport verloren gegangene eigene Emanation kann den Brunnen durch die eingebrachten Körper leicht wieder verliehen werden. Neuerdings werden auch Becher und Flaschen zur Aufnahme solcher Getränke aus radioaktiver Masse erzeugt, ferner Blumentöpfe, da man die Beobachtung gemacht hat, daß die Emanation auf Pflanzen, namentlich auf Topfpflanzen, lebensteigernd wirkt. An der Außenseite erhalten diese Gefäße nach Bedarf eine schöne Glasur.

Glasindustrie.

In der Glasindustrie sind erhebliche Umwälzungen zu verzeichnen, hervorgerufen durch die Maschinenarbeiten beim Glasblasen. Mit den Arbeitern in den Metallhütten teilen die Glashüttenarbeiter das Übel, daß sich ihre Arbeit unter sanitär sehr ungünstigen Verhältnissen vollzieht. Ihr Stand direkt vor dem Glasofen bewirkt, daß sie abwechselnd von einer Seite intensiver Hitze, von der anderen stark abkühlender Zugluft ausgesetzt sind. Der Einfluß der Hitze des Ofens ist so groß, daß sich die Gesichtshaut der Glasbläser stark rötet und wie verbrannt aussieht, so daß man ihnen schon auf der Straße ihren Stand ansieht. Zum Aufblasen der Glaskörper ist ein erheblicher Preßdruck erforderlich. Um ihn hervorzubringen, müssen die Arbeiter ihre Lungen stark ausdehnen. In demselben Verhältnis wächst ihre Benachteiligung durch das Einatmen der heißen, trockenen, staubigen Luft. Man wird den Glasbläsern daher von Herzen eine Erleichterung in ihrem Berufe gönnen. Diese Erleichterung haben die Glasblasemaschinen gebracht. In ihnen werden die Glaskörper durch ein maschinell betriebenes Gebläse aufgebläht.

Glasblasemaschinen.

Die Zahl der Glasblasemaschinen ist ziemlich groß. Es können daher hier nur einige Typen berücksichtigt werden. [627] Aber auch sie schon werden dartun, auf wie interessante Weise diese wichtige Frage gelöst worden ist. Von einem deutschen Erfinder Sievert aus Dresden, der eigentlich Kaufmann war und trotzdem auf dem Gebiete des Glashüttenwesens Hervorragendes geleistet hat, stammt die folgende Arbeitsweise zur Erzeugung von Fensterglas. Auf einer ebenen, kreisförmigen Platte wird flüssige Glasmasse tafelförmig ausgebreitet, dann von einem ringsumgelegten runden Rahmen festgehalten und dadurch etwas aufgeblasen, daß man durch eine oder mehrere Öffnungen in der Platte von unten Preßluft zuführt. Das Glas wölbt sich auf. Es wird, indem man gleich beim Beginn scharf anbläst, im Scheitel etwas dünner gehalten als unten. Nun dreht man Platte und Rahmen um 180 Grad nach unten, so daß der Glaskörper nach unten hängt und setzt das Blasen fort, wobei durch passende Anwärmvorrichtungen die Glasmasse weich gehalten wird. Dadurch verteilt sich die Glasmasse in den Wandungen gleichmäßig, und es entsteht ein langer Zylinder ganz wie bei der gewöhnlichen Fabrikation von Fensterglas, der später aufgesprengt, geebnet und gekühlt wird.

Es ist ganz klar, daß man nach demselben Verfahren auch anders geformte Glaskörper erhalten kann, z. B. Bechergläser und zwar in Massenfabrikation. Bläst man nämlich die Glasmasse in eine Form hinein, welche viele Formhöhlungen nach der Gestalt der Bechergläser enthält, dann bildet sich gleich eine große Anzahl von Bechergläsern, die vorläufig noch alle unten miteinander zusammenhängen. Setzt man die gekühlten Massenkörper auf eine Schleifmaschine, dann schleift diese gleichzeitig alle Verbindungsstellen fort, und man erhält zuletzt die gesamten Bechergläser voneinander getrennt und an ihrem oberen Rande abgeschliffen.

Andere Glasblasemaschinen beruhen auf dem Prinzip, die Glasmasse in eine Vorform zu bringen, sie in ihr durch Pressen oder Blasen oder durch Pressen und Blasen vorzuformen und dann in eine Fertigform überzuführen, in der der Glaskörper seine endgültige Gestalt erhält. Das flüssige Glas wird aus dem Ofen in die Form gesaugt. Die Maschinen arbeiten also völlig selbständig und geben den fertigen Gegenstand ab, der durch maschinelle Transportvorrichtungen in den Kühlofen befördert wird. Mit den Glasblasemaschinen lassen sich aber vorläufig nur die einfacheren Arten von Hohlkörpern darstellen. Denn das Glas ist eine subtile Masse, die sorgfältig behandelt sein will. Wer einmal einen Glasmacher beobachtet hat, wie er sorgsam das aufgeblasene Glaskölbchen (Külbel) überwacht, es dreht und wieder anwärmt, der wird ohne weiteres die Schwierigkeiten begreifen, die das maschinelle Glasblasen zu überwinden hat. Das zu verarbeitende Glas muß einen gewissen Grad von Flüssigkeit besitzen, keinen zu geringen, damit es noch bildsam ist, keinen zu hohen, damit es nach dem Verlassen der Maschine genügend abgekühlt und starr ist, um seine Form zu behalten. Da das maschinelle Glasblasen schneller beendet ist als das Blasen mit Handbetrieb, bedarf es ein weniger heißes Glas als letzteres. Die Abkühlung des Glases während der Arbeit ist wesentlich abhängig von der Temperatur der Formen. Letztere ist daher sorgsam zu beobachten. Man wird die Formen vor Beginn des Betriebes anwärmen und während des Betriebes kräftig kühlen. Denn das Anwärmen oder Kühlen der unfertigen Werkstücke, für welche der Handbetrieb so einfache Mittel [628] zur Verfügung hat, sind hier ausgeschlossen. Bei den Glasblasemaschinen werden daher meist eine größere Anzahl Formen angeordnet, die nacheinander in Gebrauch kommen und nach Fertigstellung des Glaskörpers Zeit haben, sich an der Luft abzukühlen. Zuweilen ist auch eine besondere Wasserkühlung vorgesehen.

Maschine und Glasbläser.

Wegen dieser Schwierigkeiten verfolgen andere Verfahren das Ziel, der Maschine nur einen Teil der Arbeit zuzuweisen und den anderen Teil dem Glasbläser vorzubehalten. Bei einer solchen Maschine wird das in eine Vorform maschinell geblasene Külbel in einer gehöhlten Platte (Motze) unter Aufsicht des Arbeiters so lange gedreht und gewälzt, bis es die erforderliche Größe und Rundung erhalten hat, und dann in einer Fertigform unter erneuter Zufuhr von Preßluft fertiggemacht. Bei dieser Arbeitsweise gelingt es, der Glasmasse so viel Hitze zu belassen, als zur letzten Formgebung erforderlich ist, und sie bis zu einem gewissen Grade abzukühlen, damit der aufgeblasene Glaskörper nicht beim Wechseln von Form zu Form zusammenknickt.

Endlich geht eine weitere Methode dahin, der Glasmasse ihre erste Form in einer Maschine zu erteilen, während ein Glasbläser die Fertigstellung übernimmt. Eine Glasmacherpfeife wird an die Vorform einer Maschine angesetzt, die Vorform mit Glas gefüllt, und dieses zu einem Külbel aufgeblasen. Damit ist der erste und für den Arbeiter anstrengendste Teil der Arbeit durch die Maschine geleistet. Der Arbeiter entfernt jetzt die Pfeife mit dem anhängenden Külbel aus der Maschine und stellt in bekannter Weise durch Schwenken, Motzen und, falls erforderlich, durch Wiederanwärmen des Hohlkörpers den fertigen Gegenstand her. Natürlich macht man die Vorform nicht wesentlich kleiner als die Fertigform, damit die Hauptarbeit der Maschine zufällt, und Kraft und Lunge des Arbeiters geschont werden. Diese Einrichtung gestattet, den Glaskörpern eine reichere Gestaltung zu geben als die Maschinenarbeit allein. Denn dazu stehen dem Glasbläser seine bekannten Mittel zur Verfügung.

Da der maschinelle Betrieb gestattet, das Glas dem Ofen mittels mechanischer Vorrichtungen zu entnehmen und der Maschine zuzuführen, sowie die fertigen Glaskörper in dem Kühlofen durch mechanische Transporteinrichtungen zu befördern, ist man in der Lage, die Glasblasemaschine vom heißen Ofen so weit abzurücken, daß Belästigungen durch Licht, Hitze und Zug fortfallen oder geringer werden. Man muß also sagen, daß die Einführung mechanischer Glasblasevorrichtungen von wesentlichem Einflusse auf die sanitären Verhältnisse in den Glashütten ist. Außerdem liegt auf der Hand, daß der maschinelle Betrieb die Selbstkosten erheblich herabsetzt. Diese neuen Errungenschaften auf dem Gebiet der Glasindustrie haben daher nicht einseitig dem vermehrten Erwerbe gedient, sondern auch der Verbesserung der Verhältnisse der Glasbläser.

Schmelzhäfen.

Für den Glashüttenmann sind die Schmelzgefäße, die Häfen, in denen das Glassatz für die Verarbeitung geschmolzen wird, der Gegenstand peinlichster Fürsorge. Denn Schäden an den Häfen führen nicht nur den Verlust des Inhalts, sondern auch Verheerungen des Ofens herbei. Die bisher übliche Art, die Häfen aus auserwählten feuerfesten Materialien zu formen und zu schlagen, ist [629] abgelöst worden durch ein Gießverfahren, das, heute in der ganzen Welt verbreitet, einen Deutschen, den Dr. Weber in Schwepnitz, zum Begründer hat. Es beruht auf der Erfahrung, daß formgerecht angefeuchtete Schamottemassen, wie sie zur Darstellung der Glashäfen gebraucht werden, durch geringe Zusätze von Alkalien, welche die Feuerfestigkeit der Hafenmasse kaum beeinträchtigen, in flüssige Massen übergeführt werden. Diese flüssigen Massen gießt man in Formen aus Gips, in denen sie bald erstarren, ohne daß sich Ton- und Schamotteteilchen entmischen. Der Gips saugt die Flüssigkeit so weit auf, daß den Formen der fertiggestaltete Glashafen entnommen werden kann. Die gegossenen Schmelzgefäße übertreffen an Dichte und Haltbarkeit des Scherbens auch die besten durch Handarbeit hergestellten Häfen.

Glasmosaik.

Von deutschen Männern ist Ende der achtziger Jahre eine bedeutende deutsche Glasmosaikindustrie begründet worden, und zwar auf breiter wissenschaftlicher und technischer Basis. Auf Grund eines von dem rühmlichst bekannten Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes erlassenen Preisausschreibens hatte Professor Schwarz im Jahre 1885 mit peinlichem Fleiße die Zusammenstellung venezianischer Mosaikgläser festgestellt. Seine Arbeit gilt noch heute als ausgezeichnetes Lehrmittel für die Herstellung von Mosaikgläsern. In künstlerischer Beziehung schuf namentlich Professor Schaper neue Vorbilder für diese Industrie. Den technischen Teil brachte die Firma Puhl & Wagner zu Neu-Kölln mit großem Erfolg zur Geltung. Ihre Arbeiten für die Ausschmückung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und des Doms zu Berlin, der Elisabeth-Kemenate auf der Wartburg, der Dome zu Aachen und Bremen, der Michaelskirche zu Hamburg, anderer Kirchen, Rathäuser, Grabmonumente, öffentlicher und Privatbauten zeugen von der großen Bedeutung dieser deutschen Kunst. Die Palette umfaßt jetzt 12 000 verschiedene Farbtöne. Die Erfolge sind um so höher anzuschlagen, als die Begründer des Unternehmens nicht eigentliche Fachleute, sondern der eine Maschineningenieur und der andere Kaufmann ist, und alles, was die beiden erreicht haben, ihrer staunenswerten Energie zu verdanken ist, die selbst nicht versiegte, als sich besonders im Anfange erhebliche Schwierigekeiten entgegenstellten.

Quarzschmelzen.

Dem Glase verwandt, aber kein eigentliches Glas sind Quarzschmelzen, die man heute zu verarbeiten versteht, weil es nicht schwer fällt, die zum Flüssigmachen erforderliche hohe Temperatur von etwa 1700 Grad C mit Hilfe des Knallgasgebläses oder elektrischer Erhitzung zu erzeugen. Das geschmolzene Quarz läßt sich mittels der Glasmacherpfeife zu chemischen Geräten verblasen, die neue wertvolle Hilfsmittel für das Laboratorium und die Industrie sind. Denn sie sind unangreifbar durch Wasser und Säuren. Ihre hohe Feuerfestigkeit ermöglicht, sie bis über den Schmelzpunkt des Gußeisens hinaus zu erhitzen, ohne daß sie erweichen und ihre Form verlieren. Wegen ihres klaren, durchsichtigen Ansehens haben die Quarzschmelzen den Namen Quarzglas erhalten. Da ihr Ausdehnungskoeffizient sehr gering ist, tritt bei plötzlichem Erhitzen oder Abkühlen nur [630] eine geringe Spannung in der Masse ein. Man kann daher Quarzglaskörper plötzlich in eine Knallgasflamme bringen, ohne daß sie springen. Ferner brauchen die Körper nach der Fertigstellung nicht gekühlt zu werden. Auf eine weißglühende Quarzröhre kann man ohne Schaden Wasser tropfen lassen oder sie in kaltes Wasser oder sogar in flüssige Luft, deren Temperatur fast 190 Grad unter Null beträgt, tauchen. Anstatt des Quarzes, der bekanntlich im wesentlichen aus Kieselsäure besteht, werden auch andere an Kieselsäure reiche Stoffe von großer Reinheit auf Quarzglas verarbeitet, insbesondere Sande. Man kennt solche Sande von Nievelstein in der Rheinprovinz, von Lemgo und von Hohenbocka, deren Kieselsäuregehalt 99,7 Prozent beträgt, so daß sie für die Technik als genug rein gelten können.

Eine wichtige Anwendung hat das Quarzglas in den Schwefelsäurefabriken gefunden. Das gewöhnliche Verfahren der Schwefelsäuregewinnung in Bleikammern liefert eine verdünnte Säure, die für viele technische Werke zu schwach ist und deshalb durch Eindampfen weiter konzentriert werden muß. Bisher konnte man die letzte Konzentration nur in teuren Platinapparaten vornehmen. Ein einziger derartiger Apparat stellt schon an sich ein Kapital dar. Außerdem wird selbst das Platin abgenützt. Aus dem neuerfundenen Quarzglas lassen sich für einen billigen Preis ebenso gute Konzentrationsapparate schaffen. Auch für die Darstellung von Salpetersäure wählt man jetzt Apparate aus Quarzglas. Die Woulfschen Maschen und Rohrschlangen, welche die bei der Gewinnung überdestillierende Salpetersäure aufnehmen und verdichten, wurden gewöhnlich aus Steinzeug hergestellt. Wegen der sorgsamen Bearbeitung und der schwierigen Formate stehen diese Geräte im Preise hoch. Da das Steinzeug Temperaturschwankungen schlecht verträgt und leicht Schaden nimmt, ist das allerdings teurere, aber gegen Temperaturschwankungen unempfindliche Quarzglas ein vorzüglicher Ersatz der alten Geräte.

Um die Entwickelung der Quarzglasindustrie hat sich die Firma Heräus in Hanau die größten Verdienste erworben. Durch die neue Errungenschaft konnten große Mengen des seltenen und kostbaren Platins anderen nützlichen Zwecken zugeführt werden.

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So sehen wir, daß die deutsche Industrie der Steine und Erden von erheblicher Bedeutung ist. Sie wird gemeiniglich nicht sehr beachtet. Ihre Arbeit vollzieht sich nicht unter den herrlichen Flammenerscheinungen des Hüttenwesens oder mit der gewaltigen Kraftentfaltung der Riesenhammerwerke und Werften. Aber die Straßen, die Paläste, die Dome reden eine, wenn auch stille, so doch eindringliche Sprache. Das, was hier geleistet ist, stellt die Frucht einer gesegneten Friedensarbeit dar, auf welche deutsche Fabrikanten und Arbeiter stolz sein dürfen.