Strumpfwaarenfabrik von Friedrich Ehregott Woller
[133] Verfolgen wir die durch gewerbfleißige Dörfer, wie Neukirch u.s.w., von Chemnitz nach Schneeberg führende Chaussee, so gelangen wir nach vier Stunden nach Stollberg, einer ehemaligen Bergstadt, welche von dem Schlosse Hoheneck – der uralten Stollburg, später churfürstliches Jagdschloß – überragt, malerisch in sanftem, von dem Gablenzbach durchflossenen Thale liegt. Von Zwickau ist es sechs Stunden, von Hohenstein, seinem nächsten Bahnhofe für Personenverkehr zwei und eine halbe Stunde und von dem Bahnhof Lugau der chemnitz-würschnitzer Kohlenbahn drei Viertelstunden entfernt. Außerdem hat es noch Straßenverbindungen mit Annaberg, Schwarzenberg und Glauchau.
Stollberg war ehemals Bergstadt, doch der nie sehr bedeutende Bergbau auf Silber- und Eisenerze ist längst eingegangen und auch der späterhin zur Behauptung der Bergfreiheit betriebene Bau der Zeche zur grünen Tanne bei Mitteldorf auf Grünerde, aus welcher man das Berggrün gewann, ist aufgegeben. Dagegen ist auf dem Gebiet der benachbarten Dörfer, wie Würschnitz, Lugau, Oelsnitz u.s.w. ein unerschöpflich scheinender Reichthum von Steinkohlen aufgeschlossen.
Ehemals wurde in Stollberg die Tuchmacherei schwunghaft betrieben und im Bezug auf die Güte der Waare stand es den Erzeugnissen keiner anderen Stadt nach, allein der dreißigjährige Krieg, wo unter Andern auch der fluchbeladene Barbar Holka hier hauste, vernichtete den Wohlstand, und als sich das Gewerbe nach langem Ringen mühsam wieder etwas erholt, kam der siebenjährige Krieg und gab ihm den Todesstoß. – Späterhin waren die hier gewebten baumwollenen Bettdecken, hauptsächlich für die einst weltberühmte Meinert’sche Fabrikhandlung in Oelsnitz gefertigt, wohl renommirt, jetzt aber ist es vor Allem die Strumpfwirkerei, welche der Stadt Leben und Erwerb giebt, und wir finden hier das größte Etablissement Sachsens in dieser Branche, welches sich auch den bedeutendsten Etablissements des Auslandes würdig an die Seite stellt.
Es ist dieses die
gegenwärtig in Besitz des Herrn Johann Christian Friedrich Ehregott Woller.
Dieses Etablissement liegt in Mitten der Stadt Stollberg, am Fuß des Berges, auf welchem das Schloß Hoheneck mit dem gleichnamigen Dorfe steht.
An diesem in sanfter Richtung aufsteigenden Berge hinan, zieht sich auch der zum Etablissement gehörige, erst vor zwei Jahren neuangelegte Garten mit Parkanlagen und einem neuen, massiven und geschmackvoll erbauten Gartenhause.
[134] Der durch das Thal und die Stadt fließende Gablenzbach durchschneidet das Etablissement und trennt es in den westlichen und östlichen Theil.
Der westliche Theil umfaßt die älteren und bis zum Jahre 1856 allein zum Geschäftsbetrieb benutzten Gebäude, als:
- a) das Hauptgebäude, welches die Wohnung des Besitzers und zugleich das Comtoir, das Einkaufslokal, mehrere Lagerräume für fertige Waare, sowie auch Packlokale enthält;
- b) das anstoßende Seitengebäude, worin umfangreiche Lagerräume für fertige Waaren, Arbeitssäle und die Gasbereitungsanstalt sich befinden;
- c) das Mittelgebäude mit großen Sälen, worin vor Erbauung der großen Fabrik Strumpfmaschinen aufgestellt waren, die jetzt aber als Lagerräume für rohe Waaren benutzt werden, während
- d) das Hintergebäude für Kutscherwohnungen, Stallungen, Wagenremisen und andere wirthschaftliche Zwecke dient.
Der östliche Theil wurde erst im Jahre 1855 angelegt, mit jedem Jahre erweitert und besteht zur Zeit aus folgenden Gebäuden:
- a) das Hauptfabrikgebäude von 72 Ellen Länge und 24 Ellen Tiefe, Parterre und drei Stockwerken, mit angebautem Kessel- und Maschinenhause, nebst Schmiedewerkstatt und Badelokal. Letzteres nur zum Privatgebrauch zu Dampf-, Douche-, Warm- und Kaltwasserbäder comfortable eingerichtet.
- Das Parterre des Hauptfabrikgebäudes enthält außer Lagerräumen auch eine Maschinenbauwerkstatt nebst Zubehör, welche alle Arten Strumpf-, Ränder-, Spul-, Zwirn-, und Nähmaschinen liefert.
- b) das Nebengebäude mit angebauter Hausmannswohnung, ist mit dem Hauptgebäude durch Uebergänge verbunden und enthält im Parterre die Appretur mit zwei hydraulischen Pressen und zwanzig Preßwagen. Die dazu gehörige Formerei wird nicht im geschlossenen Etablissement, sondern in fünf verschiedenen Privatlokalen der Stadt betrieben, in welchen auch gleichzeitig nicht unbedeutende Waarenlager unterhalten werden. – In der ersten und zweiten Etage befinden sich englische und französische Strumpfmaschinen;
- c) die Garnniederlage von 54 Ellen Länge und 18 Ellen Tiefe, und
- d) die Werkstätte für Kistenreparatur.
In dem Etablissement werden baumwollene Strumpf- und Wirkewaaren der verschiedensten Sorten, als: Strümpfe, Hosen, Jacken, Hemden, Mützen u.s.w. mit Maschinen gefertigt; jedoch beschränkt sich dasselbe nicht blos auf den Betrieb selbsterzeugter Waaren, sondern es macht auch bedeutenden Umsatz mit aufgekauften Handstuhlwaaren und Handschuhen.
Unter den Erzeugnissen der Fabrik sind die auf Maschinen englischen Systems gefertigten und zum Theil mit elastischen Rändern ohne Naht versehenen Waaren wegen ihrer besonderen Schönheit und Billigkeit die gangbarsten.
Die Maschinen zur Erzeugung der obenerwähnten elastischen Ränder sind dem Geschäftsinhaber patentirt, in dessen Maschinenbauwerkstatt gebaut und besitzen eine vorzügliche Leistungsfähigkeit sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht.
Der Verkauf en gros aller dieser Artikel erfolgt hauptsächlich nach Nord-Amerika, ferner nach Süd-Amerika, Ost- und Westindien, Australien, Asien und Afrika, er erstreckt sich folglich über alle Erdtheile. Nur der kleinste Theil der Artikel wird im Inlande selbst verkauft. Außer den Leipziger [135] Messen wurden auch vom Jahre 1826 bis 1834 die zu Naumburg und Offenbach, und von 1830 bis 1860 noch die zu Frankfurt an der Oder mit Waarenlagern besucht.
Agenturen und Commissionäre in allen größeren Handelsplätzen des In- und Auslandes vermitteln den Vertrieb der Waaren nach allen Weltgegenden.
Das Haus beschickte mit seinen Waaren nur die Industrie-Ausstellung von New-York, wo es auch für ein gutgewähltes Sortiment Strümpfe die zweite Prämie und eine gleiche auf Handschuhe erhielt.
In den Fabrikgebäuden sind in Thätigkeit:
- sechszig Stück große französische Rundmaschinen,
- zweihundert Stück Strumpf-, Ränder- und Tricotmaschinen mit der nöthigen Anzahl Spul- und Zwirnmaschinen,
- fünf und zwanzig Nähmaschinen,
- zwei hydraulische Pressen à 50,000 Pfund und
- zwanzig Preßwagen.
Sämmtliche Maschinen, mit Ausnahme der französischen Rundmaschinen, werden, wie auch die Hilfsmaschinen der Maschinenbauwerkstatt durch
- zwei Dampfmaschinen zu 25 und 12 Pferdekraft betrieben.
Hierbei ist zu bemerken, daß außer den schon erwähnten fünf und zwanzig Nähmaschinen noch einhundert und fünfzehn Stück dem Geschäft gehören und für dasselbe arbeiten, von denen fünf und dreißig Stück in Privatlokalen zu Stollberg und achtzig Stück in einem dafür hergestellten Gebäude in Geyer, letztere durch Wasserkraft betrieben werden.
In diesem umfangreichen Geschäft stehen dem Herrn Chef zunächst dessen Sohn,
- Herr Bruno Woller
und der Schwiegersohn,
- Herr F. Oelsner
zur Seite, und es hat dasselbe außerdem noch drei und dreißig festangestellte Beamte thätig, von denen
- Herr P. Wunderlich als Vertreter des Waarenfaches, beziehentlich Ein- und Verkaufs,
- Herr H. Tränkner als Director des Maschinenwesens und
- Herr C. Brunner als erster Buchhalter
die Hauptposten bekleiden, während noch
- 14 für Comtoir und Lager und
- 16 als Aufseher
thätig sind.
Die Zahl der Arbeiter ist circa 1100, von denen 500 in der Fabrik fortwährend und circa 200 in der Appretur und den Formereien und die Uebrigen durch die in Privatlokalen zu Zwönitz, Geyer, Lößnitz und Stollberg befindlichen Strumpf- und Nähmaschinen beschäftigt werden.
Die Zahl Derjenigen jedoch, welche für das Geschäft Handnäherei liefern und auf Handstrumpfstühlen arbeiten, ist eine viel größere.
Gegründet wurde das Geschäft durch den jetzigen Inhaber, Herrn Friedrich Ehregott Woller, als er, obwohl damals erst sechszehn Jahre alt, im Jahre 1824 genöthigt war, das sehr kleine Handelsgeschäft seines in demselben Jahre verstorbenen Schwagers David Windisch in Meinersdorf mit gelingen Mitteln zu übernehmen und nach Stollberg zu verlegen. In seine Hände gelangt, gewann das Geschäft bis zu seiner Verheirathung 1831 schon sehr an Bedeutung.
Da nun aber auch dessen Gattin sich mit aller Lust und Liebe dem Geschäfte widmete und durch [136] unermüdliche Thätigkeit in demselben es bald dahin brachte, es in Abwesenheit ihres Gemahls selbstständig zu leiten, was sie theilweise heute noch thut, so stieg dasselbe so schnell, daß es schon 1836 circa 1800 Handwebestühle beschäftigte und deshalb mit zu den größeren Handelshäusern gerechnet werden konnte. – Von dem Jahre 1837 an wurden die Waaren weniger mehr von den Strumpfwirkern direct, sondern aus zweiter Hand von Factoren oder Vorkäufern gekauft.
Die rasch zunehmende Erweiterung des Geschäfts veranlaßte im Jahre 1841 die Anschaffung einer großen hydraulischen Presse mit vielen Preßwagen, sowie zur Erleuchtung der schon sehr zahlreichen Geschäftsräume die Einrichtung einer eigenen Gasbereitungsanstalt.
Zehn Jahre später, also im Jahre 1851, erhielt die Strumpffabrikation einen gewaltigen Impuls durch die in dieser Zeit in England und Frankreich erfundenen Strumpfmaschinen. Sofort erkannte der Geschäftsinhaber die Wichtigkeit dieser Erfindungen und die Notwendigkeit, die fernere Fabrikation mit solchen Maschinen zu betreiben, reiste deshalb schleunigst nach England und Frankreich und kaufte und bestellte dort dergleichen Maschinen in großer Anzahl, und war somit der Erste, der in so großartigem Maßstabe die Strumpffabrikation mit Maschinen einrichtete und betrieb. Die vorhandenen und eigens dazu eingerichteten Räumlichkeiten waren zur Aufstellung aller Maschinen sehr bald nicht mehr hinreichend, weshalb nun auch das Fabrikgebäude des Schwiegersohnes des Geschäftsinhabers, Herrn Alexander Austel in Zwönitz dazu noch eingerichtet wurde.
Für den immer mehr sich steigernden Bedarf an Maschinenwaare zeigten sich indeß alle diese Einrichtungen doch bald als unzureichend und es reifte somit der Plan zur Einrichtung einer neuen größeren Fabrik in der unmittelbaren Nähe des älteren Geschäftshauses, und so entstand neben der bis heute fast mit gleicher Anzahl fortbestehenden Fabrik in Zwönitz der im Vorstehenden benannte „östliche Theil des Etablissements.“
Die Erzeugnisse dieser für massenhafte Fabrikation errichtete, im Jahre 1856 in Gang gesetzte und mit den besten Einrichtungen und den vorzüglichsten, größtentheils selbstgebauten Maschinen ausgerüsteten Fabrik ermöglichen es nun auch, der englischen Concurrenz auf den überseeischen Märkten mit Erfolg die Spitze bieten zu können.