Tölz und sein „goldener Ritter“
Tölz und sein „goldener Ritter“.
Wo der Isarstrom, mit weißgrünen Wellen durch ein breites Kiesbett schäumend, aus seiner Alpenheimath in die bayerische Hochebene heraustritt, liegt reizend und sonnig der Marktflecken Tölz. Wenn auch der kundige Blick des Geologen hier noch deutliche Spuren entdeckt, daß einst meilenbreite Eisfelder sich über diese prächtige Landschaft hingewälzt: jetzt zeigt sie nur noch üppige Matten, Hügel mit dunklen Forsten und fern gegen Süden zu ein heiteres Thal, das nur in seinem Hintergrunde von gigantischen Felsbergen vermauert ist.
Es ist eine gesegnete Landschaft hier, vom Volksmunde und von den Geschichtsschreibern als „Isarwinkel" bezeichnet. Auf den grasreichen Triften und zwischen den hochstämmigen Wäldern erwuchs seit undenklichen Zeiten ein kraftvolles, löwenmuthiges Völkchen, recht eigentlich der Kern des oberbayerischen Stammes. In den Tagen der Karolinger, als die Bayernherzoge mit ihren Heeren siegreich nach Kärnten und Krain vordrangen, als die slawischen Länder des Ostens bis zum Karst und den Karpathen germanisirt wurden: damals wurden kriegsgefangene Tolenzer, einem südslawischen Volksstamme angehörig, hier angesiedelt. Von ihnen erhielt Tolenz, später Tölz, seinen Namen. Er ist das Einzige, was von slawischem Wesen hier erhalten blieb, das Häuflein der Kriegsgefangenen selbst wurde vom bayerischen ansässigen Volke aufgesogen. Die Leute aus dem Isarwinkel aber mit ihrem Hauptorte Tölz blieben seit der Karolingerzeit der Kern des wehrhaften bayerischen Volkes. ihren ritterlichsten Vertreter fanden sie in dem treuen Helden, dessen Standbild jetzt die Hauptstraße zu Tölz beherrscht: in dem Feldhauptmann Kaspar von Winzer.
Der Ritter von Winzer war einem alten bayerischen Adelsgeschlecht entstammt; seine Ahnen saßen wie er als Pfleger auf der herzoglichen Burg zu Tölz, wo Ritter Kaspar im Jahre 1465 geboren ward. Als Kind einer wohlhabenden Familie erhielt er eine vortreffliche Erziehung, so daß er späterhin ein ordentliches Latein mit ins Kriegslager bringen konnte. Seine ersten Sporen verdiente er sich, als er im Jahre 1490 im Gefolge der Bayernherzoge Georg und Christoph dem ritterlichen Fürsten Max I., dem späteren Kaiser, gegen die Ungarn zu Hilfe zog. Damals ward das Fußvolk und der Proviant von Tölz auf Flößen thalab transportirt, in die Donau und nach Ungarn hinab. Siegreich drangen die Bayern bis nach Ofen vor, dem Habsburger seine Erblande zu retten.
Acht Jahre später finden wir den Ritter von Winzer auf einer Pilgerfahrt nach Jerusalem im Gefolge des Herzogs Heinrich von Sachsen. Zu Jerusalem erhält der Tölzer Junker den Ritterschlag mit dem Schwerte Gottfried’s von Bouillon. Sein nächster Feldzug führte ihn, im Dienste seines Herzogs, als Vertheidiger in die Veste Braunau am Inn. Das war aber nur ein Vorspiel für die grimmige Schlacht auf dem Hasenreuter Felde gegen böhmische Heerhaufen. Hier führte Kaspar von Winzer die Landsknechte, welche den Kaiser Max und den verwundeten Herzog Erich von Braunschweig aus den Händen der Böhmen retteten und die böhmische Wagenburg erstürmten. Zum Dank dafür ward dem tapfern Tölzer von des Kaisers eigener Hand noch auf dem Schlachtfelde die höchste ritterliche Ehre zu Theil: mit einigen andern Edlen ward er zum „goldenen Ritter“ geschlagen. Jörg von Frundsberg war damals sein Kampfgenoß. Der Kaiser verlieh ihm überdies die Burggrafschaft zu Dürrenstein, glänzender noch war der Dank, den er ihm dadurch erwies, daß er auf einem Turnier zu Wien im Jahre 1516 selber mit Winzer in die Schranken ritt. Beider Lanzen zersplitterten zu Spähnen, ohne daß einer der Kämpfer bügellos ward.
Einem kurzen Feldzug gegen Herzog Ulrich von Württemberg, wobei Winzer als kaiserlicher Oberst eine Schar von Landsknechten führte, folgten einige Jahre des Friedens für den ritterlichen Tölzer, dann zog er mit Georg von Frundsberg nach Italien zur Entsetzung von Pavia. Hier ward am 24. Februar 1525 die denkwürdige Landsknechtschlacht geschlagen, wo die Blüthe der französischen Ritterschaft kämpfte und fiel oder mit König Franz gefangen ward. Die Ehre jenes Tages hat die Geschichte dem tapferen Frundsberg zugeschrieben; unter seinen Feldhauptleuten aber war Winzer der ersten einer, wie Frundsberg selbst in seinem Schlachtbericht an den Kaiser bestätigt.
[494] Es war eine der größten geschichtlichen Thaten, in welche der Tölzer Ritter hier mit eingegriffen hatte. Vom Schlachtfelde zu Pavia heimgekehrt, durfte er sich nicht lange Rast gönnen; schon im folgenden Jahre finden wir ihn als Anführer eines auserlesenen Heeres, das der bayerische Herzog Wilhelm dem Könige der Ungarn, Ludwig, wider Sultan Soliman zu Hilfe sandte. Doch war die Tapferkeit der Bayern nicht im Stande, den König zu retten, der in der Schlacht von Mohacs Thron und Leben verlor.
Dem braven Tölzer ward wenig Dank für seine treuen Dienste. Lieber wär’s ihm gewesen, in offener Feldschlacht wider den Erbfeind der Christenheit zu streiten; statt dessen ward er fortan ein verlorener Posten der bayerischen Diplomatie. Fünfmal ward er in den folgenden Jahren seines Lebens als Gesandter nach Ungarn geschickt; aber zwischen seinem Herzoge und dessen Kanzler einerseits und den Intrigen fremder Diplomaten stehend, ward der treuherzige Kriegsheld des diplomatischen Lügenspiels bald herzlich müde. Vergeblich, denn immer und immer wieder muß er nach Ungarn, an den Hof und unter die Gesandten, während er doch weit lieber an der Seite seiner alten Waffengefährten, des Frundsberg oder Götz von Berlichingens, gestritten hätte.
Da wird dem Siebenundsiebzigjährigen noch ein unvermutheter Rittertod. Auf seiner Burg zu Brannenburg, das er als Lehen besaß, feiert der greise Held einen Besuch, den ihm ein Enkel des großen Frundsberg abstattet, durch ein Turnier. Im fröhlichen Waffenspiel will es ein unglücklicher Zufall, daß der Speer des jüngeren Frundsberg eine schlecht schließende Stelle der Rüstung Winzer’s trifft – und tödlich in die Schlagader des Halses getroffen, sinkt der edle Ritter vom Roß. In der Liebfrauenkirche zu Tölz hat er die ewige Ruhe gefunden.
So war der Lebenslauf des ritterlichen Kaspar von Winzer. Kaiser Max, Frundsberg, Götz von Berlichingen, Franz von Sickingen waren seine Kampfgenossen, das letzte Aufflackern des Ritterthumes bezeichnet seine Zeit. Jahrhunderte vergingen, bis man in seiner Heimath des Helden wieder gedachte. Als es aber galt, den im letzten großen Kriege gefallenen Tölzern ein Denkmal zu errichten, da wies ein geschichtskundiger Mann auf den Ritter von Winzer hin. (Vergl. „Leben und Thaten des Feldhauptmanns Caspar von Winzer“, Tölz 1887.) Und man sah ein, daß dieser treue vaterländische Held eine zum mindesten eben so geeignete Zierde für ein Kriegerdenkmal sei, wie irgend eine allegorische Viktoria. So ging man rüstig ans Werk, und nachdem die Kosten in hochherziger Weise aufgebracht worden, wurde das Denkmal modellirt und in der Münchener Erzgießerei gegossen.
Eine höchst eigenartige und glänzende Feierlichkeit war’s, als am 26. Juni 1887 dieses Denkmal enthüllt ward. Ein prachtvoller Frühlingstag
lag über dem Isarthal und über dem freundlichen Tölz. Zu Fuß und zu Wagen, mit langen Bahnzügen und sogar auf dem Floße, den
schäumenden Bergstrom herab, waren die Gäste zu Tausenden gekommen. Von allen Häusern wehten die Banner; von allen Seiten zogen Schützen-
und Kriegervereine mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen herbei, zum Theile in der althergebrachten oberländischen Tracht. Als der
Prinzregent selbst mit seinem glänzenden Gefolge eintraf, durch die donnernden Hochrufe des versammelten Volkes begrüßt, folgte der eigentliche
Festakt. Er begann mit einer Feldmesse; hierauf zog ein ganz in Eisen gekleideter Ritter als Feldhauptmann Winzer einem Fähnlein Landsknechte
voraus und bildete eine Ehrenwache um das Denkmal und um die Festtribüne. Während der nun folgenden Festrede ward unter Kanonendonner
und Glockengeläute das Denkmal enthüllt. Mitten in der sanft zur Isar abfallenden Hauptstraße von Tölz leuchtet jetzt das schimmernde Standbild
des wackeren Helden, die Hand am Speer, die scharfen Augen ins Isarthal hinabgerichtet, als gält’ es, einen herannahenden Feind zu erspähen.
Auf dem Granitsockel des Standbildes aber prangen auch die Namen der braven Söhne von Tölz, die im Jahre 1870 bis 1871 im Kampfe den Heldentod fanden. M. H.