Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Osterburg und Nadelöhr
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Osterburg und Nadelöhr.
Unterhalb Themar, in der Nähe des Dorfes Henfstedt, erhebt sich auf steilem Kalkberge die Trümmer einer alten, kastellartig mit vier Mauerthürmen und einer hochragenden Warte erbauten Burg, die Osterburg genannt, und beherrscht einen eigenthümlichen Thalkessel, durch den sich ein 50 bis 60 Fuß hoher Felsendamm wie eine Nadel zieht, den am südlichen Ende die Werra durchbrochen hat, und durch den auch, durch eine enge Felsenpforte, gleichsam das Oehr der Nadel, ein Fußweg führt. Vor Zeiten soll dieser ganze Kessel ein See gewesen sein. Wäre im biblischen Gleichniß vom Kameel und Nadelöhr unter ersterem nicht etwas anderes verstanden, so könnte jenes Kameel, das sich oberhalb Themar sehen ließ, und dem Kameelbrunnen [57] den Namen gab, gar wol durch dieses Nadelöhr gegangen sein. Auch der Wald um die Osterburg heißt der Hain, im dortigen Volksmunde „Hän“. Unter die Trümmer der Osterburg verlegt die Sage große gewaltige Kellergewölbe voll Riesenfässer, alle gefüllt mit edlem Wein, aber um den Wein hat sich der Weinstein so dicht krystallisirt, daß er ein natürliches Faß bildet, und um den Weinstein ist das Holz der Fässer und Reifen versteinert. Wenn das kein Steinwein ist, so giebt es keinen mehr. Auf der festen Burg saß einst ein Burgmann, Dietz Kieseling geheißen, als ein Graf von Henneberg sie berannte. Auf einmal prasselte ein dichter Hagel auf die Angreifenden herab, der manche Beule schlug, und erstere vermeinten, der Kieseling droben schickte ihnen ganze Sturzbäche von Kieselingen auf die Platten, aber droben gab es leider bereits keine Steine mehr, und was so hart und schwer niederschlug, das waren steinharte Brode und nicht minder harte Kuhkäse, und damit wurden die Angreifenden zurückgeschlagen. Da nun die Burg Eigenthum eines Bischofs war, so erhielt sowohl der Besitzer und Eigenthümer, als auch die Burg selbst, den Spottnamen: „Käs und Brod“ – ganz nach der Hennebergischen zum Spott geneigten Landesart.