Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Hennebergische Neckelust
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Hennebergische Neckelust.
Wie nicht selten in kleinen Städten Deutschlands ist auch in Themar ein gutes Theil ächter Volkshumor und Neckelust, insonderheit gegen Nachbarstädte, vorhanden. Davon einige Pröbchen, die zwar keine Sagen sind, aber doch werth, aufbewahrt zu werden, und vielleicht als Bausteine zu einer großen deutschen Schildbürger-Walhalla mitzudienen, und da wir diese schwerlich selbst aufbauen werden, so soll doch andern dazu Geneigten der Stoff nicht vorenthalten bleiben.
Die Schleusinger nennen die Themarer Linsenfresser und Themar das Linsenländle, weil hier viele Linsen gebaut werden, und es alle Sonnabend von Haus zu Haus Linsensuppe giebt.
Dagegen nennen die Themarer ihre lieben Nachbarn, die Schleusinger, Speckschwarten, und geben ihnen Schuld, sie bestrichen den Mund mit Speck und sähen dann zum Fenster heraus, daß die Leute wegen des glänzenden Mundes denken sollten, sie hätten so fett gespeist.
Die Römhilder werden von ihren Themarer Nachbarn Aalfänger genannt, und zwar deshalb: Eines Morgens war einmal ein großer Aufstand unter den Leuten zu Römhild, und es hieß, im Brunnen sei ein großmächtiger Aal; da haben denn die guten Römhilder Fischgarn und alles Fischfangwerkzeug herbei geholt und haben den großen Aal gefangen, und wie sie ihm heraus brachten war’s – ein Faßreif.
Die Suhler nennen die Themarer Seestädter wegen der Dielen- und Holzflöße auf der Werra. Und die Suhler [55] werden dagegen von jenen die Jaufertle genannt, weil es nur in Suhl so kleine possirliche Backwerke giebt, welche diesen Namen führen.
In Spitznamengebung sind die Themarer sehr stark, und in ihrer Ausdrucksweise äußerst spott- und neckelustig. „Schlaf süß, so hast du morgen was zu lecken! – Schlaf rund, daß du nicht eckig wirst!“ sind scherzhafte Gutenachtgrüße. Große Augen sind mißliebig, da heißt es gleich: „der oder die kann nicht sehen, muß sich mit glotzen behelfen. Hä glotzt, wie a Laabfrosch, sie glotzt wie der Koppehügel, wie ä Kreuzspinn’. Der Glotzkopf glotzt durch neun Paar lederne Hosen, der Siebenglotzer etc.“ Eine Dame, welche ein wenig schielte, hieß „Schiekelepom,“ eine Frau, die ihren Mann häufig prügelte: „Ratelepompoff.“ Ein Geck mit zierlich beweglichem Gang wird „Schwanzer“ genannt, von einem stets hochmüthig einherstelzenden Brüderpaare hieß der eine „Bästerz,“ und der andere „Sterzbä“ – Beinsterz (Bachstelze) und Sterzbein. Ein Kaufmann, der die Seele mit in seine Waaren wog, und der Schaale immer mit dem Daumen zum niedersinken verhalf, wurde bald im ganzen Städtchen „der Daumenwieger“ genannt. Auch sind nicht selten die Spitznamen erblich. Einst fand man ein neugeborenes weibliches Kind auf dem Acker in ein Krauthaupt gebettet, und zog den armen Findling auf, der alsbald den Namen „Krauthätle“ durchs Leben zu tragen bekam. Es wurde eine Gänsehirtin aus dem Mädchen, welche, ohne sich zu vermählen, auch der Mutterfreuden theilhaftig ward. Das Kind hieß wieder „Krauthätle,“ wurde auch wieder Gänsehirtin, und brachte als solche „Krauthätle III.“ zur Welt. Krauthätle II. sprang vor mehreren Jahren aus Armuth und Lebensüberdruß [56] in die Werra, und wurde bei Henfstedt Tod herausgezogen, Krauthätle III. wird wol noch leben, wenn es nicht gestorben ist.
Ihren alten Hexenthurm, in dem vor Zeiten gar viele arme Hexen gefangen saßen und gefoltert wurden (die Folterwerkzeuge sind noch vorhanden und befinden sich im Antiquarium des Hennebergischen alterthumsforschenden Vereins zu Meiningen), nennen die zu Themar spottweise, wegen seines Schieferdaches „die blaue Kappe,“ und sagen, wenn ein Bürger in den Thurm zu Arrest gebracht wird – zufolge dermaliger Bestimmung des alten Hexenthurmes: „Unser N. N. hat die blaue Kappe aufgesetzt.“