Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Storchengericht
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Storchengericht.
Zu Creuzburg an der Werra kamen an einem Herbsttage, kurz vor der Zeit als die Störche wegziehen, große Züge von Störchen an, umflogen die Stadt, und ließen sich theils auf Gebäuden, theils auf nahen Wiesen nieder, und begannen heftig mit einander zu kämpfen. Dann schienen sie einen Waffenstillstand geschlossen zu haben und es flogen gleichsam nur Boten ab und zu, entweder aus der Stadt zu den Wiesen, oder von drausen herein. Endlich erhoben sich alle gemeinsam und sammelten sich drausen auf dem Soden (die Wiesen nahe dem Salzamt Wilhelms-Glücksbrunn), und ließen sich mit großem Geräusche nieder. Hierauf ordneten sie sich in zwei Reihen, und es erschien ein einzelner Storch, der in die Mitte trat, als wenn er eine schönklappernde Rede halten wollte. Aber alsbald fielen die ganzen Schwärme über diesen einzelnen her, stachen und hackten mit ihren spitzen Schnäbeln auf ihn los, und ließen [109] nicht eher ab von ihm, bis er tod am Boden lag. Hierauf hob sich die befiederte Storchenvolksversammlung von dannen, und alle Theilnehmer zogen davon bis auf ein einziges Paar das blieb noch, und als der spätere Herbst es weggetrieben hatte, kam es wieder, und kein Jahr verging, daß nicht ein Storchenpaar in Kreuzburg genistet hätte, bis zum Jahre 1837, da sind die Störche zum erstenmale ausgeblieben, und wurde solches gar nicht gern gesehen. Es müssen gleichwol solcher Storchenversammlungen, Kämpfe und Gerichte zu verschiedenen Zeiten mehrere Statt gefunden haben, denn die alten Chroniken weichen in Angabe der Jahreszahl, wenn dieß Gericht sich zugetragen habe, merklich von einander ab. Eine giebt 1355 an; sie meldet ganz einfach: Anno 1355. Kamen unzehliche viele Störcke zu Creuzburg auf einer Wiesen zusammen, zerrissen ihrer Drei, und flogen davon. – Eine andere Quelle nennt das Jahr 1445, eine dritte 1523. Man sah darin ein Vorzeichen nahen Krieges, und dieser blieb auch niemals aus.