Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Bergentrückungen in den Kiphäuser

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Der Hofhalt im Kiphäuser Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Das alte Brautpaar
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Bergentrückungen in den Kiphäuser.

Zu dem sich selbst in den Schooß des Kiphäusers verwünscht habenden Kaiser Friedrich wurden nicht selten Bewohner der Oberwelt zeitweilig, länger oder kürzer, entrückt. Die Sagen davon sind nächst den mythischen die ältesten der Kiphäusersagen. Ein junger Schäfer hüthete auf der Höhe der Burgtrümmer seine Heerde, gedachte des alten Kaisers mit Wehmuth, und spielte ihm auf seiner Schalmeie ein höfisches Liedlein auf. Da hob sich aus Gebüsch und Felsklippen ein greises Haupt mit Ehrfurcht [254] einflößenden Zügen und fragte: Sprich Knabe, wem hast Du mit Deinem Schalmeienstücklein zu Ehren hofiret? – Das Hab’ ich Kaiser Friedrichen zu Ehren gethan! antwortete der Schäferknabe. So folge mir, auf daß Dein Lohn dafür Dir werde von dem Herrn sprach die Greisengestalt, und nicht ohne Zagen folgte ihr der Hirte nach. Der Weg führte bald viele Stufen tief hinab, endlich sprang drunten dröhnend eine metallene Thür auf, und der Knabe trat in eine Halle voll reicher Schätze an Gold, edlen Steinen und Waffen, und eine Schaar Wappner stand da in voller Rüstung, die neigten sich vor dem Greise, und nun nahm der Knabe mit Schauer war, daß der Rothbart selbst sein Führer gewesen. Der aber sprach zu den Rittern: Dieser Knabe hat Uns geehret. – Und dann zeigte der Kaiser dem Hirten allen Glanz und alle Pracht der Halle, und allen Reichthum, und fragte ihn: Welchen Lohn begehrst Du? – Keinen! antwortete der Knabe. Da brach der alte Kaiser von einem goldenen Handfaß einen Fuß ab, und sprach zum Knaben: Nimm das und gehe, und sage droben, daß uns der Herr erlösen wird aus diesem Banne wann die Zeit sich erfüllet, und dann soll das deutsche Reich frei werden und das heilige Grab erlöst aus des Türken Hand. – Der Knabe kam aus dem Berge und wußte nicht wie.

Ein anderes Mal hatte ein anderer Hirte seine Schaafheerde weit herauf an den alten Kaiser Friedrichsthurm getrieben, und pfiff sich auch ein fröhliches Stücklein auf seiner Schallmeie, daß es weithin schallte; da stand plötzlich ein Zwergmännlein vor ihm und fragte ihn, ob er wol Lust trage, ihm zu folgen in die unterirdische Burg, und dem verzauberten Kaiser auch solch ein hübsches Stücklein [255] vorzublasen? Dazu war der Schäfer gar willig und folgte dem Zwerge durch das Mauergeklüft, kam auch mit ihm in eine weite Halle, und sah den alten Barbarossa am runden Steintisch schlummernd und mit den Augen zwinkernd sitzen, und hörte denselben fragen: Fliegen die Raben noch um den Berg? Und da der Schäfer diese Frage bejahte, so seufzte der Kaiser tief und schwer, und gab die schon erwähnte Antwort. Hierauf wurde der Schäfer durch den Zwerg wieder zur Oberfläche geführt, nachdem er sein Liedlein gespielt, ohne etwas dafür zu erhalten. Wie er aber nach seiner kleinen Heerde sah, so erstaunte er, denn es waren hundert Stück über die Zahl, die nun alle sein Eigenthum waren und ihn reich machten.

Hier, bei diesen beiden in den Berg Entrückten währte die Zeit der Entrückung nur eine kurze Frist, bei andern erstreckte sie sich weiter. Ein Ziegenhirte aus Sittendorf trieb auch gern seine Heerde ganz hoch hinauf in die Thurmnähe, und nahm wahr, daß eine seiner Ziegen sich stets von der Heerde verlor und zuletzt nachkam, wenn er schon hinweg war und heimwärts trieb. Da beobachtete der Hirte die Ziege und fand, daß sie durch eine Mauerspalte verschwand, und als er dieß sah, zwängte er sich ebenfalls hindurch und hinab. Drunten stand die Ziege in einem Gewölbe und fraß begierig Haferkörner, die von der Wölbung der Decke herab rieselten, auch hörte der Hirte über sich Stampfen und Wiehern von Pferden, und merkte wol, daß er unter einem Pferdestalle stehe, verwunderte sich aber bloß, woher hier die Pferde und der frische Hafer kommen sollten? Gleich darauf erschien ein Knappe, der winkte dem Hirten, ihm zu folgen und führte ihn über einen ummauerten Hof. An diesem Orte erblickte der [256] Ziegenhirte 12 Ritter beim Kegelspiele, wie jener auf dem großen Hermannsberge im Thüringerwalde, und der Knappe bedeutete ihn, den Spielenden die Kegel aufzusetzen, was auch der Hirte, Peter Klaus war sein Name, that, und sich aus einer Kanne voll Weines stärkte, die nicht leer wurde, er mochte trinken, so viel er wollte. Und als das Spiel vorüber war, hatte der Peter Klaus sich so mächtiglich gestärkt, daß er eingeschlafen war. Endlich wachte Peter Klaus auf, und fand sich außerhalb auf der Trümmerstätte liegen, da war das Gras höher denn sonst, und kleine Sträuchlein waren Bäume geworden. Peter Klaus pfiff seinem Hunde, aber es kam kein Hund. Er sprang auf vom Boden und sah nach seiner Heerde, aber es war keine Heerde da. Nun stieg er hinab nach Sittendorf, wo ihm bald Leute begegneten, die er aber nicht kannte, und sie schienen ihn auch nicht zu kennen, dem er sah nichts weniger als jung und anständig aus, und hatte einen Bart wie der ewige Jude. Er kam sich vor wie verhert, und ging auf das Hirtenhaus zu, dort saß ein Hirtenknabe vor der Thüre, der ihn nicht kannte, und ein alter, magerer, knurrender Hund. Leute umdrängten ihn, er fragte nach alten Bekannten, – die waren längst gestorben oder weggezogen. Endlich erblickte er ein junges Weib mit ein paar Kindern und da stellte sich heraus, daß das seine Tochter war und ihre Kinder seine Enkel, und daß er, der Peter Klaus vor zwanzig Jahren zum letztenmale die Heerde auf den Kiphäuser getrieben habe und seitdem nicht wieder gekommen sei.