Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Der Kindertanz

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Merwigsburg Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Das stille Kind
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[311]
429.
Der Kindertanz.

Von Erfurter Sagen ließe sich allein ein Buch füllen, es giebt deren sehr viele, sehr schöne, wie sehr schaurige. Des Thüringerlandes uralte Hauptstadt ward früh von der Poesie geküßt und bekränzt.

Schon im Jahre 1212 war eine wunderbare Phantasie unter die Kinder in Thüringen und Sachsen gekommen. Ein Knabe wandelte durch Städte und Dörfer und sang ein Kreuzlied, dessen Inhalt war, Christus wolle ihnen sein heiliges Kreuz, das noch in Türkenhänden sei, zu eigen geben. Da faßte alle Knaben, die ihn singen hörten, eine Bethörung das Kreuz zu erobern, und traten in großen Haufen die Reise gen Jerusalem an, und weder gute noch böse Worte, weder Bitten noch Banden, weder Sanftmuth noch Schläge hielten sie zurück. Die Mehrzahl dieser armen jungen Kreuzfahrer kam schon in den Schweizer und Tiroler Alpen vor Frost und Hunger um, und die so glücklich waren, Schiffe zu erreichen, verdarben durch Sturm und Wellen.

Im Jahre 1237 am 15. Juni ereignete sich eine gar wunderbare Begebenheit. Ueber 1000 Erfurter Kinder vereinigten sich zu einem großen Reigen, zogen durch das Löber Thor dem Steiger zu und die Höhe auf dem alten Weg hinan, über Waltersleben und Eischleben, Ichtershausen und Rudisleben, immer tanzend und singend, und [312] kamen gegen den Abend sehr müde nach Arnstadt, wo sie von den Bürgern, die gar nicht wußten, was dieser Kinderzug bedeuten solle, aufgenommen wurden. In Erfurt aber entstand Schrecken und Jammer, denn in zahllosen Häusern wurden die Kinder vermißt, und niemand wußte, wo sie blieben, und wohin sie gekommen, bis Botschaft von Arnstadt kam, daß die Kinder dort seien. Da wurden am andern Morgen, viele Wagen angespannt, und wurden die Kinder wieder geholt, und den Arnstädter Bürgern wurde viel Dank gesagt, auch eine Spende in den Dom gestiftet. Niemand aber wußte zu sagen, was die Kinder verleitet, so weit fort zu ziehen ohne Urlaub und Wegkunde. Auch blieben viele dieser Kinder hernach bleich und krank, und zitternd, und waren stets müde und hin fällig. Ihr Tanz war eine Volkskrankheit, eben so wie jener plötzliche Eifer der Knaben, die Heimath in Schaaren zu verlassen, und das heilige Kreuz aus des Türken Hand zu reisten und wie die Geisselfahrten.