Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Der Spinnerinnen Trug
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Der Spinnerinnen Trug.
Es geht im Voigtlande die allgemeine Sage, daß die Perchtha – die man einestheils als friedlichgütiges Wesen zu betrachten gewohnt ist, der aber auch die vielleicht jüngere Ueberlieferung viel grausig-dämonisches aufbürdete – die Spinnerinnen scharf im Auge behalte, wie in Thüringen Frau Hulda oder Holle, die fleißigen lohne, die faulen strafe. So saß einst in Oppurg eine Spinnstube voll zwölf fröhlicher Mägde. Darunter war eine, die wußte insonderheit viel zu erzählen von der gespenstigen Spinnefrau, der weisen Perchtha, und hob besonders das dämonische und lächerliche hervor. Es war aber just Perchthenzeit, und mochte wohl von dieser auch zunächst in dem Kreise der Spinnerinnen die Rede auf Perchtha gekommen sein, und da zog die Perchtha gerade am Hause vorüber, und hörte die Schwanke und die zum Theil erlogenen Erzählungen von ihr. Darob erzürnte sie sich heftig, und stieß plötzlich das Fenster auf, warf zwölf leere Spindeln in die Stube, und rief drohend: Binnen einer Stunde spinnt eurer jede eine Spindel voll, ist’s nicht vollbracht, so harret meiner Strafe! – Groß war das Entsetzen der Mägde, Flucht war nicht zu rathen, Vollbringung der Aufgabe in so kurzer Frist unmöglich, die Strafe gewiß, denn die Dämonen kennen kein verzeihen. Wehklagend und rathlos saßen die Mädchen da, alle Fröhlichkeit hatte nun ein Ende, und die Zeit verrann, ohne daß eine Hand sich regte. Vorwürfe bestürmten die vorlaute Erzählerin. Da sprang diese auf, lief auf den Boden, holte einen Haufen Werg, umwickelte die Spuhlen der Berchtha, gebot [163] den Andern Hülfe zu leisten, und dann spannen Alle nach Jener Beispiel das Werg zu, so daß es aussah, als sei jede Spuhle dickvoll gesponnen. Nach Verlauf einer Stunde kam die Spinnefrau wieder, schaute grimmig durchs Fenster, empfing die vollen Spuhlen, wunderte sich und verschwand schweigend.