Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Der Wunderbaum in Vargula

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Die drei Rebhühner Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Von der Sachsenburg
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396.
Der Wunderbaum in Vargula.

Gar viel des Wunderbaren sahen der Unstrut Wellen und Ufer, wie unscheinbar auch an vielen Stellen dieser Fluß erscheint, dessen Quellen auf dem Eichsfelde ohnweit Dingelstätt entspringen, der Mühlhausen und Langensalza leise vorbeischleicht, und nachdem er erst südwärts, dann ostwärts geflossen, sich wieder nordwärts lenkt, in steten mannichfaltigen Krümmungen bald durch Ebenen, bald durch hügelige Gelände rinnt, manchen geschichtlich denkwürdigen Ort in seinen Fluthenspiegel aufnimmt, und endlich nahe bei Naumburg in die Saale fällt.

Zu diesen geschichtlich denkwürdigen Punkten an der Unstrut gehört auch Groß-Vargula, früher urkundlich Vargalaha, Varila, später Vargila, um welches förmlich, wie ein Nimbus, ein kleiner Sagenkreis sich zog. Ein heidnisches Fanum sei allda gewesen, bevor Bonifacius dort eine der ersten Kirchen Thüringens weihte. In Varila sei Karl der Große empfangen worden, weil er in einer Schenkungsurkunde die Landschaft „teram conceptionis nostrae“ ausdrücklich genannt. Daher habe der große Kaiser dort eine Kapelle erbaut, und durch den heiligen Bonifacius weihen lassen. Als nun Bonisacius in die Kirche schritt, standen viele der Heiden außerhalb derselben und staunten das Neue an, ohne Neigung zu zeigen, auch mit hinein zu gehen und sich der Christuslehre zuzuwenden. Da stieß der Heidenbekehrer den Stab, den er in den Händen trug, in den Boden, und ging in den neuen Tempel, weihete ihn und las Messe in ihm, und als die Weihe vollendet war, und Bonifacius und die übrigen Priester und die Christen aus der Kirche traten, siehe da [266] war der vorher dürre Stab grünend und blühend geworden, und trieb fortwährend junge Sprossen. Und darauf sprach der Mann Gottes zu den Heiden: Sehet an diesem Zeichen, das der Christen Gott gethan, die Wahrheit seiner Lehre! Und darauf haben sich der Heiden noch gar viele bekehrt, und die Taufe willig angenommen.

Ist auch die oft begegnende Sage von dem grünenden Stabwunder eben nur Sage, so ist ihr Begegnen just hier doch nicht ohne Wichtigkeit, denn wie ihr Baum, so hat sie doch örtlich unaustilgbare Wurzeln geschlagen, Lange soll der Baum in Groß-Vargula gestanden haben, ein Wunderbaum ohne Frucht, und von fremdländischem Ansehen, und es sollen Schößlinge von ihm noch weit länger in den Hecken des Pfarrgartens nahe der Bonifacius-Kirche zu finden gewesen sein.

Vargula war auch Sitz und Stammhaus der wackeren Schenken von Vargila, die belehnt waren mit dem Schenkenamte der Thüringer Landgrafen, und von denen viele ihren Herren ruhmreich und ehrenvoll dienten.