Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Der ausgerissene Grenzstein

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Mönchstein und Kroatengraben Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Die Zwerge
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[97]
226.
Der ausgerissene Grenzstein.

Bei der Schäferei des Rittergutes Tausa bei Weida trieb vormals ein Geist sich um mit gar wunderlichem Wesen. Er trug einen großen Stein auf den Schultern, schaute und deutete immer hin und her und rief dazu mit kläglicher Stimme: „Wo soll ich ihn hin thun? wo soll ich ihn hin thun?“ Einem Schäfer, dem er besonders oft erschien, wenn ersterer vom Schafstalle Abends zurückkehrte, wurde der unheimliche Frager so zur Last, daß er zu seinem Seelsorger nach Schöndorf lief, dem seine Noth klagte, und um Rath und Beistand bat. Der Pfarrer [98] gab guten, geistlichen Rath, wie der Schäfer sich verhalten solle, und segnete ihn ein. Als er Abends die Schafe eingetrieben hatte und aus dem Schafstalle heraus trat, da war auch der geisterhafte Steinträger da mit dem Angst rufe: „Wo soll ich ihn hin thun? wo soll ich ihn hin thun?“ Da sprach der Schäfer, wie ihm gelehrt worden war: „Thu’ ihn hin, wo du ihn hergenommen hast!“ Alsbald warf der Geist den schweren Stein von der Schulter, daß er tief in die Erde schlug. „Nun habe ich ihn gerade 100 Jahre durch getragen,“ sprach er, und verschwand.

Seitdem ist er nicht wieder gesehen worden. Der Stein ragt aber noch heutiges Tages aus dem Erdboden heraus, nicht weit von der gutsherrlichen Schäferei von Tausa.