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Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Der eherne Wolfram

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Das Sibyllenthürmchen Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Doctor Faust in Erfurt
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[314]
432.
Der eherne Wolfram.

Zu Erfurt im hohen Chore des Domes steht ein eherner Candelaber sehr alten Gusses, in Form einer Mannsgestalt, doch nur von Knabengröße. In jeder Hand hält diese Figur einen Leuchter mit einer Kirchenkerze, und manche halten dafür, dieß Erzbildniß stamme noch aus Heidenzeiten und habe mit dem Püstrich und dem Krodo-Altar gleiches Alter. Dem scheint jedoch nicht also zu sein, vielmehr geht über den metallenen Kerzenträger diese [315] Sage: Ein junger Patricier, des Namens Wolfram, beging ein großes Verbrechen, das gegen die Kirchenzucht verstieß, und sogar nach Rom berichtet werden mußte, damit der Papst selbst das Urtheil des Sündigen spreche. Dieses Urtheil lautete dahin, Wolfram solle ein ganzes Jahr lang täglich in jeder Hand einen Leuchter mit brennender Kerze haltend dem Hochaltar gegenüber treten, so lange die Messe daure. Zwar unterzog sich der Patricier dieser harten Buße, aber die Schmach einer täglichen Kirchenstrafe und die Last der Leuchter drückten ihn zu Boden; er wurde so schwach, daß er sich nicht mehr aufrecht halten konnte. Und so wurden die Fürbitten nicht gespart, ihn von der Buße zu entlasten, welches auch geschah, doch mußte er das metallene Bild anfertigen lassen, und hat dann seine Tage in einem strengen Büßerorden als Mönch beschlossen.