Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Vom Singerberge
← Das Scherflein der Wittwe und das Mönchsbild | Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band von Ludwig Bechstein |
Ilmenau → |
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext. |
Vom Singerberge.
Ueber Stadtilm, gegen Ilmenau zu, erhebt sich aus dem friedlichen Ilmthale, zwischen diesem und dem Dorfe Singen, der hochragende, oben mit einer weitgebreiteten grünen Matte ohne Waldung bedeckte Singerberg. Ob das Dorf ihm den Namen gab, oder er dem Dorfe, isi unerörtert, aber der Berg ist, wie er vereinzelt, eine Vorwarte des Waldes gleichsam gegen die Thüringer Platte weit sichtbar vortritt, ein Hauptpfeiler der heimischen Sage, und es wiederhallen an und in ihm im bunten Gemische die Hörseelenberg-, Hermannsberg-, Kiphäuser- und andere Sagen, die sich um bedeutende Hochgipfel des Landes [287] schaaren, und mit buntfarbigen Strahlen deren Scheitel schmücken.
Von Gesange und Getöne im Bergesschoose soll der Berg den Namen tragen; bald soll dieser Gesang herrühren von den Rittern die in den Kellern des Berges zechen, und soll dann nicht eben lieblich lauten; bald von einer in den Berg verwünschten und verzauberten Prinzessin, die auf Erlösung hofft, bald auch von einer Feine, die an lockendem Liebreiz der Frau Venus gleich. Der ganze Zauberapparat der Volkssage ist am Singerberge zu finden, wandelnde Feinen, Wunderblumen, Schlüssel zu Schätzen, in steinernen Fässern eingeschlossener Wein, ein langbärtiger Greis am Steintische, Fragen nach dem Fluge der Vögel, Entrückung in den Bergesschoos, der voll Schätze ist, Zaubergaben, die erst unscheinbar erscheinen, dann in Gold sich verwandeln und vieles andere mehr, und dabei auch wieder manches eigenthümliche, selbstständlich ausgebildete, anderorts nicht oder doch nur sehr vereinzelt begegnende, so unter andern, daß die Schweine eines auf dem Berge buchenden Hirten eine Getraidekammer des Schlosses aufgewühlt, und sich in einem Tage vom gefundenen Vorrathe schneckenfett gefressen, daß der Berg nicht Wasser, sondern Wein in seinem Schooße verborgen halte, und damit dereinst die ganze Gegend in einer Fluth überschwemmen werde, auch daß Dr. Luther das Schloß verflucht habe.