Tragödien und Komödien des Aberglaubens. Schloßgespenster

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Autor: Rudolf Kleinpaul
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Titel: Tragödien und Komödien des Aberglaubens. Schloßgespenster
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 488, 490–491
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Aberglauben in Form von Weißen Frauen, Hausgeistern, Kobolden u. Ä.
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Tragödien und Komödien des Aberglaubens.

Schloßgespenster.
Von Rudolf Kleinpaul.

Ich kenne ein Schloß in Schottland, in der Grafschaft Dumfries, mitten in einem See. Es heißt Closeburn und gehört der Familie Kirkpatrick; eine Brücke führt vom Schlosse nach dem Ufer, wo die Patrickkapelle steht, nach der die Familie benannt ist. Der Heilige selbst hat sie gestiftet. Jeden Sommer stellte sich auf dem See ein Schwanenpaar ein – die zwei schönen Vögel waren gleichsam Schutzgeister der Familie Kirkpatrick, sie brachten das Glück mit sich. Bis einmal ein junger Kirkpatrick, der in Edinburg auf der Schule und eben in den Ferien war, das traute Verhältnis löste. Er hatte so viel von dem Gesange des sterbenden Schwans gehört und wollte einmal wissen, was dran wäre. Er nahm also eine Armbrust, legte auf das Männchen an und erschoß es mit einem Bolzen. Der Schwan sang nicht, nur ein paar klagende Töne gab er von sich; das Weibchen flog laut schreiend davon. Jetzt machte sich der vorwitzige Knabe ein Gewissen; er vergrub den toten Schwan am Ufer und sagte kein Sterbenswörtchen von dem Vorfall.

Seitdem wich das Glück von der Familie Kirkpatrick. Kein Schwan ließ sich mehr sehen; endlich nach drei Jahren flog auf einmal wieder einer zu, aber außerordentlich scheu und mit einer blutenden Wunde auf der Brust. Zugleich starb unerwartet der Besitzer von Closeburn. Zwei Jahre darauf erschien derselbe Schwan abermals, wiederum erfolgte ein Todesfall in der Familie. Von nun an war der wunde Schwan der Todesbote für die Bewohner von Closeburn. Seine letzte Wiederkunft geschah im 17. Jahrhundert: da erblickte ihn Roger Kirkpatrick, als er am See spazieren ging, am Vorabend der Hochzeit seines Vaters, der zum zweitenmal heiratete, des Baronet Sir Thomas Kirkpatrick. Der junge Mann verfiel in Schwermut und starb in der folgenden Nacht.

Giebt es wohl ein altes Schloß, um das die Sage nicht ähnliche Erzählungen von schützenden und warnenden Geistern gesponnen hätte? Wer die Geschichte der menschlichen Weltanschauung kennt, dem erscheint die Kunde von den Schloßgeistern und Schloßgespenstern durchaus natürlich. Es gab ja eine Zeit, wo die Welt sich anders im Kopfe unserer Vorfahren spiegelte. Scharen von Geistern oder Dämonen lebten und webten in der Natur; sie brachten Wind und Regen, sie wohnten in Baum und Quelle und griffen in die Schicksale der Menschen ein, Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod waren ihr Werk. Einst herrschte auch allgemein der Glaube, daß jedes Haus seinen Geist oder Kobold habe, der die Sippe, die es bewohnte, beschützte und vor nahendem Unglück warnte oder der auch zu ihrem Verfolger wurde, wenn sie schwere Schuld und Missethat auf sich geladen. Die Geschichte der Hausgeister, die ärmliche Hütten einfacher Leute in ihrem Bann hielten, ist verschollen geblieben, die Kunde von den mächtigeren Schutzgeistern der Fürsten des Volkes hat sich aber von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt; sie hat sich noch lebendig erhalten, als die Aufklärung mit den Dämonen aufräumte, und so sind auch berühmte Burgen und Schlösser zu Stätten geworden, in welchen der Glaube an Hausgeister fortwuchern konnte. An ihrer Gestalt hat die Phantasie des Volkes vieles umgemodelt und sie den veränderten Anschauungen anzupassen gesucht; oft ist es aber nicht schwierig, zu erkennen, daß berühmte und berüchtigte Schloßgespenster ihre Entstehung dem alten Glauben an Schutzgeister des Hauses verdanken.

Giebt es nicht auch in Deutschland ein herrliches Schloß mitten in einem See, nur zugänglich durch eine Brücke? – Das ist das Schweriner Schloß, und es hat ebenfalls wie das von Closeburn seinen warnenden Geist, das sogenannte Petermännchen. Seine Statue steht im Schloßhof, in einer Nische rechts vom Hauptportale; Verehrerinnen setzen ihm wohl sogar ein Tellerchen rote Grütze vor. Denn Petermänken ist zwar ein Geist, aber ein Hausgeist, ein Kobold, der an den Schicksalen des großherzoglichen Hauses innigen Anteil nimmt; seine Farbe ist rot, wenn ein Freudenfest, schwarz, wenn ein Trauerfall in der Familie bevorsteht. Dann blickt Petermännlein traurig und zieht sein Hödeken, das spitze Hütchen, sein Hauptkennzeichen, tief über den Kopf, während es sich sonst vor Lustigkeit gar nicht zu lassen weiß, bei Mondschein über den Hof springt und im Winter Schlitten fährt. Unschwer erkennt man in dem Schweriner Schloßgeist einen Verwandten des Roten Männchens der Tuilerien in Paris, das von Béranger besungen und noch zu Zeiten Karls X., zum letztenmal 1871 beim Aufstand der Kommune „gesehen“ worden ist. Rot ist überhaupt die Leibfarbe aller Kobolde, weil sie eigentlich Herdgeister sind und auf dem Herde das Feuer brennt; daher sie auch für gewöhnlich am Kamine oder hinterm Ofen hocken und einen kleinen Schornstein als Kopfbedeckung haben. Die rote Farbe ist dem Petit Homme Rouge der Tuilerien, obgleich er hier immer Unglück ankündigte, geblieben, wie denn auch die Teufel, in welche sich bisweilen die Kobolde unter dem Einflusse des Aberglaubens [490] verwandelt haben, z. B. die Popanze, die an den Küsten der Bretagne umgehen, durchweg für Rote Männer gelten.

Ursprünglich hatte jedes Haus seinen Kobold; und zwar gehörte der Kobold zunächst nicht der Familie, sondern dem Hause als solchem an. Die Hausgeister sind nämlich die alten Hausbesitzer und die Gründer des Herdes, die unter demselben ruhen. Man muß sich vorstellen, daß in grauer Vorzeit, als es noch keine Kirchen und Kirchhöfe gab, der verstorbene Hausvater im Hause gelassen und an dem Sitze seiner Herrschaft, der Feuerstätte, begraben wurde; daher schreibt sich die Heiligkeit des Herdes. Die eigentlichen Hausgeister, und zwar von den römischen Laren und Penaten an, sind alles Alterchen, alles Seelen von guten alten Leuten, die sich von ihren vier Pfählen nicht trennen, sondern nach wie vor ihren Platz am Feuer haben wollen, sich auch nach wie vor im Hause nützlich machen. Sie spalten Holz und legen an, klopfen an Thüren und Fenster, sehen überall zum Rechten und erhalten das Haus in gutem Stande. Wenn die Mauer einen Riß bekommt, so zeigt der Kobold es den Bewohnern an; wenn sie einzustürzen droht, erscheint er. Die Matrosen haben etwas Aehnliches an ihrem Klabautermann. In Häusern, welche recht alt sind, wohnt nicht das Väterchen, sondern das Mütterchen, die gebückte Urahne des Geschlechts; galt doch in der Urzeit die Frau als Oberhaupt der Familie.

Wer kennt nicht die Sage von der schönen Melusine, die in der französischen Stadt Lusignan auf den Zinnen des Schlosses erschien, wenn den Grafen ein Unglück drohte? Sie ist die Stammmutter dieser Herren, die in Zeiten der Kreuzzüge Könige von Jerusalem und Cypern waren. Sie soll eine Fee gewesen sein und den Grafen Raimund geheiratet haben. Als sie ihren Gemahl verlassen mußte, prophezeite sie: „Wenn man mich einst in der Luft über Lusinia schweben sieht, dann sollt ihr wissen, daß das Schloß im selbigen Jahre einen andern Herrn bekommen wird; ich werde aber den Freitag zuvor erscheinen.“ Und so geschah es. Das großartige Schloß, eins der altertümlichsten von Frankreich, wurde während der Hugenottenkriege belagert und zerstört und damit auch der Thätigkeit des Gespenstes ein Ende gemacht. In deutschen und österreichischen Schlössern werden die Ahnfrauen, die ihr Geschlecht abfordern, heute noch „gesehen“; man nennt sie hier gewöhnlich, weil sie aus dem Grabe kommen und das Totenhemd anhaben, im Gegensatze zu den Roten Männchen: die Weißen Frauen.

Weiß ist die Farbe der Geister und Gespenster, die die Volksphantasie aus dem Jenseits wiederkommen läßt. Wenn die Kinder Gespenster spielen, so wickeln sie sich in ein Bettlaken. Der Türmer sieht in der Geisterstunde hinunter auf den Kirchhof:

„Da regt sich ein Grab und ein anderes dann:
Sie kommen hervor, ein Weib da, ein Mann:
In weißen und schleppenden Hemden.“

Natürlich trägt die Weiße Frau als eine Figur des Mittelalters auch das Kostüm der altdeutschen Hausfrauen, das heißt außer dem weißen Kleide ein weißes Tuch um Kinn und Wangen, einen weißen Schleier und an der Seite einen Schlüsselbund. Man will wissen, daß sie vor dem Tode eines Prinzen gestiefelt und gespornt, vor dem Tode einer Prinzessin in schwarzen Handschuhen komme. Der Stiefel ist wohl der gefeite Schuh des Märchens, den jeder Kobold besitzt.

In Böhmen, in der Nähe des Marktes Borotin, ist der Schauplatz von Grillparzers „Ahnfrau“; in der Bezirkshauptmannschaft Kaplitz, auf einem hohen Felsen an der Moldau liegt das alte Schloß Rosenberg. Hier saß ein mächtiges Geschlecht, das in die Geschichte des Landes tief eingegriffen hat, das Geschlecht der Herren von Rosenberg. Den Namen Rosenberg führen heutzutage noch die Fürsten Orsini, die in Kärnten ansässig sind, neben dem ihrigen; die alten Grafen aber nannten sich Herren von Neuhaus und Rosenberg, nach dem uralten Schlosse Neuhaus, das gegenwärtig den Grafen von Czernin gehört; es liegt an der Bahn Wessely-Iglau und wird von den Czechen Heinrichsburg genannt. Dieses Schloß ist noch älter als Rosenberg, es stammt aus den ersten drei Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts und gilt für eine Schöpfung der Gräfin Bertha von Rosenberg, die hier dieselbe Rolle spielt wie die schöne Melusine in Lusignan. Noch heute, wo das Geschlecht der Rosenbergs längst erloschen ist, segnen die Armen der Stadt Neuhaus das Andenken dieser goldnen Baba (Großmutter). Zum Bau des Schlosses hatte es neunundzwanzig Jahre bedurft; als es fertig war, gab die Gräfin den Arbeitern einen Richtschmaus. Sie setzte ihnen Karpfen mit polnischer Sauce vor. Dieses Traktament erhielt sich jahrhundertelang in der Form, daß alle Ostern am Gründonnerstag vierundzwanzig alte Leute mit Karpfen bewirtet wurden. Das geschah regelmäßig bis zum Dreißigjährigen Kriege; in einem dieser stürmischen Jahre lagen die Schweden im Schlosse, und die Speisung fiel aus. Aber der Geist der alten Gräfin ließ sich das nicht gefallen: er schreckte und ängstigte die Besatzung, bis endlich auf den Rat des Kastellans wieder Karpfen gekocht und polnische Sauce dazu bereitet wurde.

Schon zu Ende des 16. Jahrhunderts gedenken gleichzeitige Schriftsteller der Weißen Frau von Neuhaus; die gelehrtesten Männer sprechen von ihrer Erscheinung als von einer allgemein bekannten Thatsache. Sie bewährte sich als echter Hausgeist, indem sie für den Bestand des Gebäudes selber sorgte und sich zum Beispiel einmal am hellen Mittag warnend auf einem Turme desselben zeigte, als eine Treppe morsch geworden war; sie vergaß aber auch ihre Leute, die Hausbewohner nicht. Als Joachim von Rosenberg, einer ihrer spätesten Enkel, im Sterben lag, holte sie ihm einen Geistlichen, damit er beichten könne. Und als sie ihr Geschlecht überlebt hatte und die rote Rose auf dem silbernen Berge entblättert war, wandte sie sich einem anverwandten Geschlecht zu.

Seit dem Jahre 1561 begann die Frau von Neuhaus das Berliner Schloß als das ihrige zu betrachten und nicht nur die Hohenzollern, sondern auch alle mit ihnen verschwägerten Familien, namentlich die Nebenlinien Ansbach und Bayreuth, unter ihren Schutz zu nehmen. Die Beziehungen der Rosenbergs zu der Mark Brandenburg sind alt: Markgraf Otto III., der Fromme, der im Jahre 1230 am Ufer des Frischen Haffs, zwischen Balga und Königsberg, eine neue Brandenburg erbaute, war der Schwager einer Frau von Rosenberg und der Vormund ihres Sohnes. Im Jahre 1285 erfolgte eine weitere Annäherung der beiden Häuser, indem eine Hohenzollern, die Prinzessin Sophie, Tochter des Kurfürsten Joachim II., einen Herrn Wilhelm von Rosenberg heiratete. Seitdem begann die Uebersiedelung und Verpflanzung der Bertha von Rosenberg in die Kurfürstenburg und die kurfürstlichen Anlagen längs der Spree. Sie war hier zunächst ebenso geschäftig und hilfreich wie in ihrem alten Heim. Sie wusch ihre weiße Wäsche am Schloßbrunnen und hing sie im Mondschein auf oder bleichte sie am Ufer; sie wiegte die geliebten Kinder, wenn ihre Ammen schliefen, und sprang gefällig ein, wo es an etwas fehlte. Sie war ein rechtes Faktotum. Die Kurfürstin Luise Henriette sitzt vor dem Spiegel und fragt so vor sich hin, was es an der Zeit sei. Ihre Kammerfrau ist zufällig nicht anwesend, aber statt ihrer guckt die Weiße Frau hinter dem Spiegel hervor und antwortet: Zehn Uhr, Euer Liebden! – Die Gräfin von Montfort-Bregenz macht bei einer preußischen Prinzessin einen Krankenbesuch; als sie weggeht, ist niemand da, ihr zu leuchten. Aber die Weiße Frau kommt mit einer brennenden Wachskerze und begleitet die Gräfin hinunter. Ihr eigentliches Amt ist es jedoch, in den Schlössern der Hohenzollern zu erscheinen, wenn etwas Wichtiges bevorsteht, namentlich Todesfälle anzuzeigen, die im preußischen Königshaus eintreten.

Als der erste König von Preußen, schon lange kränklich, eines Abends allein in seinem Zimmer saß, überraschte ihn seine Gemahlin Sophie Luise in weißem Nachtgewande, an den Armen blutend. Sie war die Tochter des Herzogs Friedrich von Mecklenburg und etwas überspannt; sie litt an religiösem Wahnsinn und quälte ihren Gemahl mit ihren Bekehrungsversuchen. Für gewöhnlich wurde sie überwacht, war aber an diesem Abend ihrem Gewahrsam entkommen und hatte sich beim Aufstoßen der Glasthüre verletzt. Der König erschrak heftig; er glaubte, die Weiße Frau zu sehen. Wirklich erkrankte er schwer und starb acht Tage darauf (25. Februar 1713), während ihn seine Frau um zweiundzwanzig Jahre überlebte.

Man hat die Erscheinung der Weißen Frau noch in einer andern Weise zu erklären versucht. Die Abergläubischen halten vielfach alle Gespenster, die da umgehen, für die Seelen Schuldbeladener, die verdammt sind, so lange zu wandern, bis die Verbrechen ihrer Zeitlichkeit getilgt sind. Das Abrufen ist nach dieser Anschauung nicht etwa ein Vergnügen, es hat etwas Qualvolles: rastlos muß die Weiße Frau heraufkommen, bis das von ihr abstammende Haus ausgestorben ist. Aus diesem Grunde hat man sich frühe unter den Ahnfrauen des Hauses nach einer geeigneten Sünderin umgesehen, ihr das Ruferamt übertragen, sie für die [491] eigentliche Stammmutter untergeschoben. Eine solche schuldbeladene, außerhalb der Familie stehende Gestalt hat man nun für das Haus Hohenzollern in der Person der Gräfin Agnes von Orlamünde gefunden, die eigentlich die Weiße Frau der Plassenburg war und wie Bertha von Rosenberg erst später nach Berlin verpflanzt wurde.

Diese sagenhafte Frau, die dem 14. Jahrhundert angehört, ist Agnes, eine geborene Herzogin von Meran, die den Grafen Otto von Orlamünde heiratete, dem sie zwei Kinder gebar; das herzogliche Haus Meran ist eigentlich das Haus der Grafen von Andechs, die an der Etsch und am Inn begütert waren, aber auch halb Franken besaßen. Hier gehörte ihnen die Herrschaft Plassenburg mit der Stadt Kulmbach, desgleichen die Markgrafschaft Ansbach und Bayreuth. Auf die Plassenburg zog die verwitwete Gräfin, als sie mit ihren Kindern Orlamünde verließ. Dort soll sie nun in intime Beziehungen zu einem Hohenzollern, dem schönen Albrecht, Burggrafen von Nürnberg, getreten sein. Der Burggraf hatte einmal zu ihr geäußert, aus einer Ehe könnte nichts werden, vier Augen stünden ihrer Verheiratung entgegen. Vier Augen sind zwei Menschen: er meinte damit seine alten Eltern, Friedrich IV. und seine Gemahlin, die ihre Einwilligung nicht gaben. Die Gräfin Agnes aber verstand es von ihren beiden Kindern und räumte sie aus dem Wege. Sie bohrte ihnen eine goldene Nadel in den Hinterkopf. Hierauf von Albrecht verlassen, pilgerte sie nach Rom, that Buße und stiftete das Kloster Himmelskron unweit Berneck; in der Klosterkirche, wo man ihren Leichenstein zeigt, wurde sie um das Jahr 1361 beigesetzt, der Burggraf Albrecht an ihrer Seite. So lautet die freilich vielfach unhistorische Tradition.

Die Feste Plassenburg war der Mittelpunkt der fränkischen Besitzungen des Hauses Meran gewesen; hier erschien also die Gräfin Agnes zunächst, wie Bertha von Rosenberg zunächst in Neuhaus erschienen war, weiter dann auch in den Schlössern zu Ansbach und Bayreuth. Daselbst hingen auch Porträts von ihr, die leider verbrannt sind; einen Holzschnitt vom Ende des vorigen Jahrhunderts, die Weiße Frau darstellend, die einen Lilienstengel trägt, findet man in dem „Buch der Hohenzollern“ von Max Ring. In Bayreuth hat sie der Markgraf Erdmann Philipp, bevor er 1678 im Schloßhofe vom Pferde stürzte, in einer Mainacht des Jahres 1812 Napoleon, schon vor ihm der General d’Espagne „gesehen“. Demnächst und gleichsam aus alter Liebe zeigte sie sich auch in den übrigen Schlössern der Hohenzollern, sowie solchen, deren Herren den Hohenzollern verwandt sind: in der Schwanenburg zu Kleve, in Sagan, im Schlosse zu Darmstadt und in Altenburg.

Es sei noch ferner erwähnt, daß es auch Schlösser giebt, in welchen die Ahnfrauen nicht in weißer, sondern in tiefschwarzer Tracht sich den Menschen zeigen. In München soll so eine Schwarze Frau vor dem Tode jedes Wittelsbachers erscheinen: die Kurfürstin Marianne, die Gemahlin Maximilians III. Josephs, eine sächsische Prinzessin, die gegen Ende des vorigen Jahrhunderts lebte. Man erinnert sich in München noch sehr gut, daß im Winter 1863 unter der Regierung des Königs Max ein Hofball in dem von Max III. und Marianne erbauten Residenztheater stattfand, bei dem alle Tänzer im Kostüme jener Zeit und die Mitglieder der alten Familien in den von ihren Ahnen bekleideten Hofchargen erscheinen mußten. Königin Marie stellte Marianne vor und trug ihre Juwelen, Prinz Luitpold gab den Kurfürsten. Man sah’s im abergläubischen Volk nicht gern, und als im selben Winter Prinzeß Luitpold und bald darauf auch König Max plötzlich starb, meinte man, es sei ein Frevel gewesen, die Schwarze Frau absichtlich zu beschwören, und die Strafe nicht ausgeblieben. Warum die Kurfürstin Marianne umgeht, darüber läßt sich Bestimmteres nicht ermitteln.

Aus den tragischen Figuren, die wie die Gräfin von Orlamünde mit einer Schuld auf dem Gewissen aus dem Leben gegangen sind, rekrutieren sich noch andere Schloßgespenster: Geister, die, ohne Todesboten zu sein, nur überhaupt spuken, in der Stille der Mitternacht entsetzlich rumoren und poltern, weshalb sie auch geradezu Poltergeister heißen. Sie fehlen fast in keinem alten verfallenen Schlosse. Wer hätte denn noch niemals von einer „Rummelsburg“ gehört, in der es irregeht und nach der Versicherung der ganzen Nachbarschaft nicht recht geheuer ist? – Bald ist es ein Gefangener, der mit seinen Ketten rasselt, bald ein langer hagerer Mann in einem langen Talar von weißem geblümten Atlas, der alle Thüren und alle Kasten aufschließt, bald ein ehrwürdiger Greis, der dem Angstschweiß schwitzenden Fremdling die Bettdecke wegzieht, den Bart abnimmt und eine Glatze schert. Die Deutung dieser Poltergeister ist zunächst nicht schwierig. Das Poltern läßt sich bald auf den Wind, der durch die Luken pfeift, zurückführen, bald auf Katzen und Marder, die sich beißen! Oder es ist eine Maus, die über die Tasten huscht! Wirklich ist so ein Fall, daß eine Maus unter dem Deckel eines alten abgesetzten, seit Jahren nicht geöffneten Klaviers ihre Wohnung aufgeschlagen hatte und männiglich erschreckte, weil ab und zu bald eine Saite, bald die ganze Klaviatur angeschlagen wurde, erst vor ein paar Jahren in Tilsit vorgekommen, und ebenso gab unlängst ein Elsässer die Anekdote zum besten, wie sich in einem alten Schlettstädter Stiftshause die Sage von einem geisterhaften Archivar gebildet hatte, der die Nacht hindurch in einem Eckzimmer unermüdlich schreibe und kritzele. Das Rätsel löste sich, indem später in einem abgetragenen Kamine unzählige Skelette von Dohlen und Eulen gefunden wurden, die sich hier zu Tode geflattert hatten, weil sie sich in dem Schornsteine wie in einer Falle gefangen hatten. Und diese armen Gefangenen bringen uns zu guter Letzt noch eine Gattung von Schloßgespenstern in Erinnerung: die Frauen und die Kinder, die absichtlich in Schlössern eingemauert worden sind, die unglücklichen Wesen, die nach dem Sinne einer grausamen Vorzeit zu Hausgeistern werden sollten und das finstere Haus so grauenvoll belebten wie hier die elendiglich hereingefallenen Vögel.

Es giebt noch ein drittes Fürstenhaus, das wie die Familien Andechs und Rosenberg einerseits Beziehungen zu den Hohenzollern, anderseits eine Weiße Frau hat. Das ist das alte in Oesterreich begüterte Geschlecht Collalto, das in der Trevisanischen Mark bereits im 10. Jahrhundert auftaucht. Sein Ahnherr ist der Ueberlieferung nach ein Hohenzoller. Als Graf Reimbalt XIII. am 8. April 1630 sein Testament aufsetzte und die Güter in Mähren zu einem Fideikommiß vereinigte, traf er auch Bestimmungen für den gänzlichen Abgang der Familie Collalto. Dann sollten seine Güter an die ihm anverwandte fürstlich Hohenzollernsche Familie fallen. Aber die Weiße Frau des Stammschlosses, das an der Grenze der Mark Treviso und der Gemeinde Ceneda steht, ist keine Ahnfrau, sondern ein Kammerfräulein, das einst hier eingemauert und lebendig in die meterdicken Mauern des Hauses eingeschlossen wurde, und das kam so:

Die Gräfin Juliana läßt sich von ihrer Zofe das Haar machen. Sie sitzt vor dem Spiegel und bemerkt, wie das hübsche Mädchen hinter ihrem Rücken mit dem Grafen liebäugelt. Wütend verurteilt die Gräfin das unglückliche Geschöpf zur Einmauerung, einer Strafe, die im alten Rom eidbrüchige Vestalinnen, im Mittelalter so viele gefallene Nonnen, z. B. Konstanze von Beverley in St. Cuthbert auf Holy-Island, traf. Vade in pace! (Geh’ in Frieden!) Mit diesem Gruße und mit ein wenig Brot und Wasser verließ man die lebendig Begrabene. Es klang wie Hohn. Das Opfer fand keinen Frieden. Es ward ein Schloßgespenst.

Das war in anderen Fällen die beabsichtigte Folge. Die Einmauerung ist nicht bloß eine Strafe gewesen wie das Pfählen, sondern eine Sitte, eine Methode, Hausgeister und Kobolde künstlich zu schaffen und zu züchten, wo noch keine da waren. Bei Neubauten unter den Grundmauern Menschen, zumal unschuldige Kinder, lebendig einzuschließen, um damit einen Schutzgeist für das Gebäude zu gewinnen, war einst auch unter den Völkern Europas ein vielverbreiteter Brauch. In Afrika und Hinterindien kann man es heute noch erleben, daß ein Mensch festlich bewirtet, auf seine künftigen Pflichten hingewiesen und dann umgebracht wird, um sein Blut unter den Mörtel zu mischen und für ein neues Thor einen unsichtbaren Wächter zu bestellen. In Europa vergrub man den Menschen lebendig unter dem Baugrunde oder mauerte ihn ein. Es waren gewöhnlich Burgen und Festungen, auch Klöster, denen man auf diese Weise einen Warner, einen treuen Eckart sichern wollte; aber auch Brücken, Dämme und andere Bauanlagen, die nicht recht feststanden und bei denen es darauf ankam, daß jemand aufpaßte. Der Brauch ist nicht bloß durch zahllose Sagen und Lieder, sondern auch durch die Gerippe, die man beim Abbruch alter Häuser im Fundamente findet, thatsächlich bezeugt. Es ist klar, daß Erinnerungen an das traurige Schicksal der Eingemauerten und die grauenhaften Funde von Gerippen die Phantasie des Volkes tief erregten und zum Fortleben des Glaubens an Hauskobolde und – Schloßgespenster nicht wenig beitrugen.