Ueber den Kreislauf des Stoffes durch die drei Reiche der Natur

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Autor: Johann Nepomuk Czermak
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Titel: Ueber den Kreislauf des Stoffes durch die drei Reiche der Natur
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, 22, S. 338–340, 354–356
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[338]
Ueber den Kreislauf des Stoffes durch die drei Reiche der Natur.


Vortrag, gehalten den 19. März l. J. im Amphitheater seines physiologischen Privat-Laboratoriums zu Leipzig


von Prof. Joh. N. Czermak.


Verehrte Anwesende!

Daß die exacte Naturwissenschaft alle die täuschenden Illusionen, mit denen sich die Menschheit seit Jahrtausenden trägt, zerstört, kann und soll nicht in Abrede gestellt werden; wenn man ihr aber den Vorwurf macht, daß sie aller Poesie baar sei, daß sie jedweder Bethätigung der Einbildungskraft feindlich gegenüberstehe, so ist dies einfach ein Vorurtheil, welches gehegt und als Abschreckungsmittel aufrecht erhalten wird nur im Interesse jener eigenthümlichen Geistesrichtung, die in dem freien und unbeschränkten Gebrauch der gesunden menschlichen Verstandeskräfte – allerdings mit vollem Rechte – die größte Gefahr sieht für die Fortdauer ihrer Alleinherrschaft über die Gemüther.

Mein heutiger Vortrag soll nun dieses Vorurtheil bekämpfen und erschüttern helfen, denn ich beabsichtige Ihnen einen tieferen Einblick in die thatsächlich weltbewegenden Vorgänge des Stoffkreislaufs in der Natur zu eröffnen – einen Einblick, der zwar nur eine nüchterne Wahrheit erkennen läßt, eine Wahrheit aber, die an überwältigender Großartigkeit, ja an phantastischem Reiz jeden Vergleich mit den am höchsten und heiligsten gehaltenen Producten der mythenbildenden Einbildungskraft auszuhalten im Stande ist.

Der Weg nach dem Standpunkt, von dem aus der Einblick in jene Wahrheit gestattet ist, führt freilich durch etwas trockenes, steiniges Land – aber lassen Sie sich die etwaigen Beschwerlichkeiten unserer Wanderung nicht verdrießen; „es führt kein anderer Weg – nach Küßnacht!“

Die pflanzlichen und thierischen Organismen – die menschlichen natürlich mit eingerechnet –, welche man als die lebenden Wesen den leblosen Gebilden und Massen gegenüberstellt, sind aus Substanzen aufgebaut, die sich sowohl hinsichtlich ihres Aussehens, als hinsichtlich ihrer feineren Structur und ihrer Eigenschaften sehr auffallend von jenen Substanzen unterscheiden, welche der übrigen unorganischen Welt, dem Mineralreich, angehören. Vergleichen Sie ein Stück Fleisch oder Brod, ein Blumenblatt, ein Weizenkorn mit einem Stein, einem Krystall oder einer Marmorstatue – und Sie werden zwischen diesen materiellen Körpern der auffallenden Unterschiede mehr, als der Uebereinstimmungen finden!

Diesen auffallenden Unterschieden entsprechend, ergab sich denn auch schon längst bei der chemischen Zerlegung der Thier- und Pflanzenkörper, daß sie zwar der Hauptmasse nach aus bekannten unorganischen Stoffen, – nämlich überwiegend aus Wasser und gewissen Mengen von Mineralsalzen – bestehen, daß sie aber stets auch noch einen Antheil ganz eigenthümlicher, sonst nirgendwo in der Natur vorkommender, sogenannter organischer Stoffe enthalten; und es gewann den Anschein, als ob diese letzteren Stoffe, ohne welche das Leben thatsächlich niemals zur Erscheinung kommt, in ihrer innersten elementaren Natur und Wesenheit von den Stoffelementen der unorganischen Welt völlig verschieden wären.

Es ist darum als ein epochemachender Fortschritt für die Wissenschaft vom Leben zu bezeichnen, daß es den Chemikern endlich gelungen ist, eine Methode zu finden, vermittelst welcher auch diese eigentlich sogenannten organischen Stoffe in ihre einfachen [339] chemischen Elemente zerlegt werden konnten. Unter einem einfachen chemischen Element versteht man bekanntlich einen Stoff, der sich auf keine Weise in andere differente Stoffe zerlegen läßt, aus deren Verbindung oder Vereinigung er besteht und hervorgeht. Das Wasser zum Beispiel, so lange für einen einfachen Stoff, für ein chemisches Element gehalten, läßt sich in Sauerstoff (O) und in Wasserstoff (H) zerlegen – zwei gasförmige Körper, welche verschiedene Eigenschaften zeigen; letzteres ist der leichteste aller Körper und verbrennt mit schwachleuchtender Flamme, ersterer ist viel schwerer als der Wasserstoff, ist gar nicht verbrennlich, unterhält aber die Verbrennung. Weder Wasserstoff noch Sauerstoff lassen sich weiter zerlegen, dagegen kann man aus zwei Theilen Wasserstoff und einem Theil Sauerstoff Wasser (H2O) zusammensetzen und erzeugen. Wasser ist daher ein zusammengesetzter Körper, Wasserstoff und Sauerstoff sind einfache chemische Elementarstoffe oder Grundstoffe.

Ebenso ist die Kohlensäure, welche Sie Alle im moussirenden Biere und Champagner kennen und lieben, ein zusammengesetzter Stoff, der durch die Vereinigung der einfachen chemischen Elemente Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O) entsteht, indem ein Theil des ersteren mit zwei Theilen des letzteren ein chemisches Ganzes bildet. Die Kohlensäure hat also die Formel (CO2).

Endlich will ich noch ein Beispiel anführen, das Ammoniak. Es ist jenes widerliche Gas, welches sich an gewissen unentbehrlichen Orten anhäuft und durch seine stechende Schärfe der Nase und den Augen so beschwerlich fällt. Es ist zusammengesetzt aus zwei differenten chemischen Elementen, dem schon erwähnten Wasserstoff (H) und dem sogenannten Stickstoff oder Azot (N) und hat die chemische Formel NH3, d. h. ein Theil Stickstoff verbindet sich mit drei Theilen Wasserstoff zu einem Theil Ammoniak.

Jene neuere Methode der chemischen Zerlegung, von deren Erfindung, wie gesagt, ein epochemachender Fortschritt für die Wissenschaft vom Leben datirt, nennt man die chemische Elementar-Analyse der organischen Verbindungen. Ihre Begründung und Ausbildung ist eines der unsterblichen Verdienste unseres Justus v. Liebig. Sie hat das wunderbar einfache und überraschende Resultat ergeben, daß alle diese verschiedenen, eigentlich sogenannten organischen Verbindungen aus einer äußerst geringen Anzahl ganz derselben einfachen chemischen Grundstoffe bestehen, welche sich auch in der anorganischen Welt finden; und zwar sind es hauptsächlich nur vier von den zweiundsechszig wohlcharakterisirten Elementarstoffen, welche die heutige Chemie als die Urbestandtheile unseres Planeten und seiner Atmosphäre kennt, um die es sich handelt, nämlich Kohlenstoff (C), Wasserstoff (H), Sauerstoff (O) und Stickstoff (N).

Merkwürdig, aber wahr – es sind immer nur diese vier Elemente, welche, in verschiedener Anzahl und in den mannigfaltigsten Verhältnissen gruppirt und verbunden, zur Herstellung der unendlichen Fülle der verschiedenen eigentlich sogenannten organisch-chemischen Verbindungen dienen, die, wie wir sehen werden, mit einigem unorganischen Stoffmaterial verbunden oder auch nur gemischt die sämmtlichen pflanzlichen, thierischen und menschlichen Organismen zusammensetzen. Die organischen Verbindungen bestehen entweder nur aus zwei Grundstoffen oder es verbinden sich drei, vier oder noch mehr einfache chemische Elemente zu einheitlichen Ganzen.

Alle organischen Verbindungen enthalten Kohlenstoff (C), dieser fehlt also in keinem Gebilde der organischen Welt. Unter den weitaus zahlreichsten, aus mehr als zwei Grundstoffen bestehenden organischen Verbindungen giebt es wieder eine große Gruppe solcher, welche nur aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff bestehen, und eine zweite, die außer Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff immer auch noch Stickstoff enthalten. Die ersteren nennt man stickstofflose, die letzteren stickstoffhaltige organische Verbindungen. Von den stickstofflosen Verbindungen muß ich jene hervorheben, welche man deshalb als Kohlehydrate bezeichnet hat, weil sie Wasserstoff und Sauerstoff im Wasserbildungsverhältniß, d. h. auf je einen Theil Sauerstoff je zwei Theile Wasserstoff – und natürlich auch noch den nie fehlenden Kohlenstoff enthalten. Ferner sind hier die Fette und Oele zu nennen, welche gleichfalls nur aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff bestehen, aber verhältnißmäßig sehr viel mehr Wasserstoff und Kohlenstoff als Sauerstoff enthalten.

Was die zweite Hauptgruppe organischer Verbindungen, die stickstoffhaltigen, angeht, so bestehen sie aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff, viele von ihnen und gerade die wichtigsten enthalten aber noch kleine Mengen Schwefel (S), manche auch Phosphor (Ph) und Eisen (Fe), so daß die complicirtesten derselben aus der Vereinigung von fünf, sechs oder sieben Elementen hervorgehen.

Hierher gehören jene merkwürdigen organischen Stoffcomplexe, welche man Proteinstoffe oder Eiweißkörper genannt hat. Sie enthalten alle: Kohlenstoff (52 bis 54 Procent), Wasserstoff (gegen 7 Procent), Sauerstoff (21 bis 26 Procent), Stickstoff (13 bis 16 Procent) und Schwefel (1 bis 1,6 Procent) und werden zum Aufbau jener Organe und Organtheile verwendet, deren Thätigkeiten die höchsten und eigenthümlichsten Lebensäußerungen in Erscheinung treten lassen.

Der Unterschied zwischen den organischen und den unorganischen Verbindungen liegt also nicht in einer Verschiedenheit der chemischen Elementarstoffe, aus deren Verbindung sie hervorgehen – denn diese sind identisch, mögen sie nun in den mineralischen Bestandtheilen des Erdbodens, der Gewässer und der Luft stecken, oder die Substanzen des Pflanzen-, Thier- und Menschenleibes bilden helfen. Der Unterschied liegt wesentlich nur in der Anzahl und der Zusammenordnung der genannten wenigen Elemente zu einem complicirten chemischen Ganzen.

Die organischen Verbindungen zeichnen sich im Allgemeinen also zunächst durch die höhere Complication ihrer Zusammensetzung oder Constitution vor den unorganischen aus. Ein anderes hervorstechendes Merkmal der organischen Verbindungen ist, daß sie alle ohne Ausnahme verbrennlicher Natur sind, während die meisten unorganischen Verbindungen unfähig sind zu verbrennen, d. h. neue Sauerstoffmengen aufzunehmen.

Unter Verbrennung oder Oxydation versteht man nämlich die Verbindung der Stoffelemente mit Sauerstoff.

Die Verbrennung oder Oxydation hat Stufen oder Grade, und man nennt sie eine vollständige, wenn ein Mehrzutritt, eine Mehraufnahme von Sauerstoff unmöglich geworden ist; die meisten unorganischen Körper sind solche „gesättigte“ Sauerstoffverbindungen.

Die organischen Verbindungen enthalten hingegen entweder gar keinen Sauerstoff, oder, wenn er vorhanden ist, doch nur in verhältnißmäßig so geringen Mengen, daß in allen Fällen der Zutritt und die Bindung neuer Quantitäten von Sauerstoff möglich ist, d. h. daß eine vollständige Verbrennung eingeleitet werden kann, in Folge welcher die organische Verbindung schließlich stets in einfache Endproducte von unorganischem Charakter zerfällt. Wird daher ein ganzer pflanzlicher oder thierischer Organismus vollständig verbrannt, so verflüchtigt sich die Hauptmasse desselben in die Luft und es bleibt nur ein unorganischer Rückstand als sogenannte Asche übrig, welcher in den meisten Fällen verhältnißmäßig gering, oft fast gleich Null ist.

Diese Thatsache erklärt sich einfach daraus, daß das Wasser, welches ja der Masse nach den größten Theil aller organischen Gebilde ausmacht, durch die Verbrennungswärme als Dampf entweicht, während die hauptsächlich aus den genannten vier Elementarstoffen Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff bestehenden stickstofflosen und stickstoffhaltigen organischen Verbindungen überwiegend gasförmige Verbrennungsproducte liefern. Der Kohlenstoff derselben verbrennt zu Kohlensäure, von der nur ein Bruchtheil in den kohlensauren Salzen der Asche fixirt wird; ihr Wasserstoff (H), theils zu Wasser (H2O) verbrannt, theils mit Stickstoff (N) zu Ammoniak (NH3) verbunden, verflüchtigt sich ebenfalls; während nur die in den Eiweißkörpern enthaltenen, freilich meist geringen Schwefel- und Phosphormengen, zu Schwefelsäure und Phosphorsäure verbrannt oder oxydirt, ganz in der Asche zurückbleiben.

Die Hauptmasse der Asche aber bilden die sämmtlichen unorganischen oder mineralischen Verbindungen, welche zum Aufbau jedes Pflanzen- und Thierkörpers mitverwendet werden – mit Ausnahme des Wassers, das bei der Verbrennung verdampfte.

Außer der Kohlensäure, Schwefelsäure und Phosphorsäure, welche, wie wir sahen, zum Theil organischen Ursprungs sind, finden sich in der Asche, mit basischen Stoffen zu Salzen verbunden, noch Chlor (Cl), Fluor (Fl) und Kiesel (Si). Die [340] basischen Stoffe der Asche sind: Alkalien Kalium (K) und Natrium (Na), und alkalische Erden: Kalk (Ca) und Bittererde (Mg) – und ein einziges schweres Metall, das Eisen (Fe).[1]

Die letzten Verbrennungsproducte der Pflanzen- und Thierkörper sind also: einige Mineralsalze, Wasser, Kohlensäure und Ammoniak – sämmtlich unorganischer Natur.

Diese Endproducte, welche die Verbrennung liefert, liefert noch ein anderer – den organischen Körpern aber ausschließlich zukommender Zersetzungs- oder Zerstörungsproceß – die sogenannte Fäulniß. Auch durch die Fäulniß zerfällt der pflanzliche und thierische Körper zuletzt in Kohlensäure, Wasser, Ammoniak und Mineralsalze.

Hiermit haben wir nicht nur eine Uebersicht der letzten Zersetzungsproducte unorganischer Natur, in welche die Organismen zerfallen, sondern zugleich auch eine Uebersicht der sämmtlichen wichtigsten Elementarstoffe, aus denen in letzter Instanz alle pflanzlichen und thierischen Gebilde bestehen. Es sind ihrer nur etwa vierzehn: Kohlenstoff (C), Wasserstoff (H), Sauerstoff (O), Stickstoff (N), Schwefel (S), Phosphor (Ph), Chlor (Cl), Fluor (Fl), Kiesel oder Silicium (S), Kalium (K), Natrium (Na), Calcium (Ca), Magnesium (Mg) und Eisen (Fe).

Zunächst sind es also der Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, dann der Schwefel, der Phosphor und allenfalls noch das Eisen, welche, in den mannigfaltigsten Anordnungen und Verhältnissen zu höheren chemischen Einheiten verbunden, alle die zahllosen eigentlich sogenannten organischen Stoffe bilden. Diese, gemischt oder in chemischer Verbindung mit Stoffen unorganischer Natur, namentlich Wasser und einigen Mineralsalzen, treten dann zu den eigenthümlichen Substanzen zusammen, welche die organischen Formen des Thier- und Pflanzenleibes annehmen und die Erscheinungen des Lebens manifestiren!

Sehen wir uns nun um, wo und wie die genannten vierzehn Elementarstoffe, die letzten Endes zum Aufbau aller der Organismen dienen, im Stoffvorrath der unorganischen Natur, im Mineralreich, sich vorfinden.

1) Freier Sauerstoff und freier Stickstoff, im Verhältniß von einundzwanzig zu neunundsiebzig Raumtheilen gemengt, bilden die atmosphärische Luft, welche den Erdball von allen Seiten umgiebt.

2) Der Kohlenstoff, mit Sauerstoff verbunden zu Kohlensäure, mischt sich in dieser Gasform der Luft und dem Wasser bei, oder bindet sich in den kohlensauren Salzen, welche im Wasser gelöst sind, oder feste Bestandtheile des Erdbodens darstellen.

3) Aus der Verbindung des Wasserstoffs mit Sauerstoff geht das Wasser hervor, welches überall in festem, flüssigem oder dampfförmigem Zustand verbreitet ist.

4) Eine andere Verbindung des Wasserstoffs, die mit Stickstoff, bildet das Ammoniak, welches sich in der Damm- oder Ackererde und in sehr wechselnden Mengen in der Atmosphäre findet.

5) Endlich sind Schwefel und Phosphor in den schwefelsauren und phosphorsauren Salzen vorhanden, und diese sowie alle anderen Mineralien, welche die übrigen der genannten vierzehn Elementarstoffe, wie Kalium, Natrium, Calcium, Magnesium u. s. w. enthalten, kommen in gelöster oder fester Form als Bestandtheile in den Gewässern und im Erdboden vor.

Erwägen Sie diese fünf Punkte im Zusammenhange mit den obigen Mittheilungen über die letzten unorganischen Verbrennungs- und Fäulnißproducte der Substanzen des Thier- und Pflanzenkörpers, so wird Ihnen unzweifelhaft die große Thatsache vor Augen stehen, daß die unorganische Welt unseres Planeten in Form von Wasser, Kohlensäure, Ammoniak und einigen Salzen alle die Elementarstoffe enthält, welche die lebenden organischen Wesen in letzter Instanz zusammensetzen, während der freie Sauerstoff der atmosphärischen Luft beim Verbrennungs- und Fäulnißproceß im Stande ist, die Thier- und Pflanzenleiber in dieselben einfachen mineralischen Formen von Wasser, Kohlensäure, Ammoniak und Salzen zu zerlegen, und als solche der unorganischen Welt wiederzugeben.

Durch Wurzel und Blatt entnimmt die Pflanze fortwährend Stoffmaterial aus dem Boden, aus dem Wasser und aus der Atmosphäre. Diese großen Vorrathskammern unorganischen Stoffes liefern der Pflanzenwelt alle Elemente zu ihrer Bildung, Erhaltung und Entwicklung in Form von Kohlensäure, Wasser, Ammoniak und Mineralsalzen.

In den grünen Theilen der Pflanzen wird unser dem Beistande der Sonnenstrahlen die angenommene Kohlensäure reducirt, das heißt der Sauerstoff wird vom Kohlenstoff gewaltsam abgetrennt und in freiem gasförmigen Zustand an die Atmosphäre abgegeben, während der Kohlenstoff in neue Verbindungen organischer Natur mit den Elementen des Wassers und Ammoniaks tritt und im Pflanzenkörper zurückbleibt.

Durch diese innere chemische Arbeit fabricirt die Pflanze jedes Stück ihrer Gewebs- und Säftebestandtheile, die ihr eigenthümlich sind; mit diesem Baumaterial rein unorganischer Natur setzt sie unter Sauerstoffentwicklung oder Desoxydation alle die sogenannten organischen Verbindungen zusammen, welche sich vor den unorganischen durch ihre Verbrennlichkeit und ihre complicirte Constitution auszeichnen.

So verbinden sich die Elemente der Kohlensäure und des Wassers unter gleichzeitiger Desoxydation oder Verminderung ihres Sauerstoffgehaltes zu organischen Stoffen, die nur aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff bestehen (Kohlehydrate: Zellstoff, Stärkemehl, Gummi, Zucker etc.; Fette und Oele).

Durch Hinzutritt des Ammoniaks (NH3) kommt der Stickstoff zu den drei genannten noch als viertes Element hinzu und es entstehen vierfache, stickstoffhaltige, organische Verbindungen. Endlich wird noch der Schwefel und Phosphor, der in den aufgenommenen schwefelsauren (SO3) und phosphorsauren (PhO5)[WS 1] Salzen steckt, vom Sauerstoff befreit und in die neuen Gruppirungen miteinbezogen und es kommt zur Herstellung der am höchsten complicirten organischen Verbindungen, namentlich der eiweißartigen Stoffe.

Diese eigenthümlichen und noch lange nicht im Detail erforschten Vorgänge nennt man die organische Synthese oder progressive Stoffmetamorphose.

Von der unansehnlichen Flechte, welche den feuchten Felsblock überzieht, bis zu den eleganten Zierpflanzen unserer Treibhäuser und den mächtigen Baumriesen der Wälder ist somit die Pflanze als ein natürliches chemisches Laboratorium zu betrachten, welches, durch die Sonnenstrahlen geheizt und in Thätigkeit versetzt, Sauerstoff entbindet und sauerstoffarme, aber hochcomplicirte organische Stoffe producirt und somit der organischen Synthese oder progressiven Stoffmetamorphose dient.

Damit soll jedoch nicht etwa gesagt sein, daß in den Pflanzen keine anderen, ja die geradezu entgegengesetzten chemischen Vorgänge vorkämen oder vorkommen könnten, allein die eben geschilderten sind weitaus die wichtigsten und charakteristischesten für die Bedeutung der Pflanzenwelt im Haushalt der Natur. Die Rolle und Bedeutung der Pflanzenwelt im großen Haushalt der Natur muß nämlich in der That dahin formulirt werden, daß sie es ist, welche aus einfachem unorganischem Stoffmaterial unter Sauerstoffentbindung organische Substanz erzeugt.

Das Thier hat ganz andere Beziehungen zur Außenwelt als die Pflanze.

Das Thier bedarf zum Aufbau und zur Erhaltung seiner Körpersubstanzen schon fertiges organisches Stoffmaterial, da ihm alle Fähigkeit abgeht, aus den einfachen unorganischen Verbindungen irgend welche Stoffe von organischer Natur und Zusammensetzung herzustellen.

Diese Fähigkeit besitzen von allen Gebilden der organischen Welt nur die vom Sonnenlicht bestrahlten grünen Pflanzentheile.

[354] Die Thierwelt kann also nirgendwo anders als in den organischen Stoffen, welche die Pflanzen gebildet und aufgespeichert haben, das ihr unentbehrliche organische Stoff- oder Nahrungsmaterial finden – und wenn auch in den Säften und Geweben der Thiere eigenthümliche organische Stoffe enthalten sind, welche in den Pflanzen nicht vorkommen, so sind dieselben nicht etwa vom Thiere selbst aus unorganischen Elementen neugebildet worden, sondern nur Modificationen jener organischen Pflanzenstoffe, welche das Thier entweder unmittelbar in seiner Pflanzenkost aufgenommen hat, oder welche das Thier, wenn es, wie die reinen Fleischfresser – Löwen und Tiger z. B. – niemals Pflanzenkost genießt, mittelbar aus solcher erhält, indem es andere Thiere verzehrt, die entweder selbst Pflanzenfresser sind oder sich von Pflanzenfressern nähren.

Kurz also: das Thier entnimmt das ihm unentbehrliche organische Stoffmaterial in Form von Kohlehydraten, Fetten und Eiweißkörpern, mittelbar oder unmittelbar, somit letzten Endes immer nur der Pflanzenwelt.

Auch die unorganischen Stoffe, welche das Thier zur Erhaltung seines Lebens noch weiter bedarf – Wasser und Mineralsalze – findet es zum Theil ebenfalls schon in den Pflanzen, zum Theil eignet es sich dieselben unmittelbar aus der unorganischen Welt an. Unter diesen letzteren Stoffen ist es vor Allem der freie Sauerstoff, welchen das Thier als wichtigstes und unentbehrlichstes Lebenselement der Atmosphäre oder – wie alle im Wasser lebenden Thiere – der im Wasser absorbirten Luft vermittelst seiner Athmungsorgane unmittelbar entnimmt.

Der freie Sauerstoff dringt durch die Athmungsflächen in die Blut- oder Säftemasse des Thieres und wird im ganzen Körper desselben vertheilt; so gelangt er mit allen Bestandtheilen der lebenden thierischen Gewebe, so wie mit den durch die Verdauung modificirten und ebenfalls in und durch die circulirende Blut- und Säftemasse aufgenommenen und im ganzen Körper vertheilten Nahrungsstoffen in innige Berührung.

Die nothwendige Folge davon ist, daß im Thiere alle die organischen Substanzen, die es letzten Endes aus der Pflanzenwelt bezieht, einer langsamen Verbrennung, einer allmählichen Oxydation verfallen und, durch Spaltung in immer einfachere und höher oxydirte Verbindungen zerlegt, endlich die uns schon bekannten unorganischen Zerstörungsproducte der organischen Substanzen liefern, welche fortwährend an die Außenwelt abgegeben werden.

Wie die rasche künstliche Verbrennung und die träge verlaufende Fäulniß, so liefert der Lebensproceß selbst genau dieselben letzten Zersetzungs- oder Zerstörungsproducte unorganischer Natur – nämlich: Wasser, Kohlensäure, Ammoniak und Mineralsalze.

Das Thier scheidet in der That während seines lebendigen Bestehens ununterbrochen nebst Mineralsalzen Kohlensäure, Wasser und stickstoffhaltige, alsbald in Ammoniak und Kohlensäure zerfallende Zerstörungsproducte aus – und Sie erkennen, daß das Thier ein chemischer Apparat ist, welcher, im Gegensatze zur Pflanze, Sauerstoff verzehrt, und die organische Substanz durch die – der Desoxydation und Synthese entgegengesetzten – Vorgänge der Oxydation und Spaltung schließlich in dieselben unorganischen Verbindungen zerlegt, aus welchen sie die Pflanze ursprünglich aufgebaut und erzeugt hat.

Während wir die Rolle und Bedeutung der Pflanzenwelt im großen Haushalt der Natur dahin formulirten, daß sie es sei, welche aus unorganischem Stoffmaterial unter Sauerstoffentbindung organische Substanz erzeugt, sehen wir jetzt, daß die Thierwelt es ist, welche der regressiven Stoffmetamorphose dient, d. h. unter Sauerstoffbindung die organische Substanz zerstört und vernichtet, und aus ihr dasselbe unorganische Stoffmaterial wiederherstellt, welches die Pflanze zur organischen Synthese, zur progressiven Stoffmetamorphose braucht.

Es ist aber auch hier hervorzuheben, daß im Thiere die Vorgänge dieser regressiven Stoffmetamorphose nicht die ausschließlich vorkommenden, sondern nur die überwiegenden und bedeutungsvollsten sind und daß neben diesen auch im Thiere gewisse Synthesen vorkommen; immerhin liegt in der regressiven Stoffmetamorphose die Rolle und Bedeutung des Thierreichs im großen Haushalte der Natur.

In ihren Beziehungen zur Atmosphäre unserer Erde sind Thier und Pflanze daher nothwendig in ununterbrochenem Antagonismus.

Die Pflanze entnimmt derselben fortwährend Kohlensäure, zerlegt dieselbe, behält den Kohlenstoff für sich zurück und erstattet ihr dafür freien Sauerstoff.

Unter dem Einflusse der von der Sonne bestrahlten Vegetation sucht sich die Atmosphäre ihres ganzen Kohlensäuregehaltes zu entledigen und dagegen an freiem Sauerstoff reicher zu werden.

Das Thier im Gegentheil bemächtigt sich des Sauerstoffs der Luft, verbrennt damit die organischen Bestandtheile seiner Körpersubstanz und Nahrung und haucht dafür eine fast gleiche Menge Kohlensäure aus. Durch die Lebensthätigkeit der Thiere wird die Atmosphäre fortwährend sauerstoffärmer und kohlensäurereicher. Nichtsdestoweniger haben genaue und zahlreiche chemische Analysen sichergestellt, daß die Zusammensetzung der Atmosphäre in allen Regionen der Erde merklich dieselbe ist, und daß, wenn das relative Mischungsverhältniß der drei Hauptbestandtheile der atmosphärischen Luft, Stickstoff, Sauerstoff und Kohlensäure, auch nicht absolut constant ist, doch nur Schwankungen innerhalb sehr enger Grenzen vorkommen. Die Entwickelung und Vertheilung der Organismen muß daher heutzutage auf einem Punkte angelangt sein, daß sich die oxydirende Thätigkeit der Thiere und die reducirende der Pflanzen das Gleichgewicht halten, denn aus der Gleichzeitigkeit dieser beiden antagonistischen Thätigkeiten resultirt nothwendig der jeweilige Zustand, in welchem sich die Atmosphäre thatsächlich befindet.

Unzweifelhaft war es nicht immer so wie jetzt mit der Zusammensetzung der Atmosphäre bestellt. In früheren Epochen der Entwickelung unseres Planeten war der Kohlensäuregehalt der Luft ein ungleich größerer als jetzt. Ihn hat nur die anfangs überwiegende und kolossale Entwickelung und Verbreitung des vorweltlichen Pflanzenreichs so bedeutend herabgemindert; und dabei ist der Kohlenstoff, der früher im kohlensauren Gas der Atmosphäre in den Lüften schwebte, in fester Form und vom Sauerstoff befreit in die Tiefen der Erde gelangt, wo wir ihn heute in den ungeheuren Steinkohlenflötzen und Braunkohlenlagern wiederfinden und, indem wir ihn als Brennmaterial benutzen, zum mächtigsten Bundesgenossen für die Entwickelung der Industrie und des Weltverkehrs machen.

[355] Die vorweltlichen Wälder sind nämlich durch die heftigen Katastrophen, welche die Bildungsepochen der jungen Erde kennzeichneten, verschüttet, weggespült und begraben worden und haben im Erdboden unter dem Einflusse der Feuchtigkeit und Wärme jene Veränderungen erlitten, welche der kohlenstoffreichen vegetabilischen Substanz die Beschaffenheit der Braun- und Steinkohle ertheilen. So ist denn der Kohlenstoff durch die innere chemische Arbeit der vorweltlichen Wälder gesammelt und aufgespeichert worden, um heute eine so großartige Rolle in der Geschichte des Fortschritts der Menschheit zu spielen! Welch wunderbarer Zusammenhang!

Die vergleichende Untersuchung der Art und Weise, wie sich Thier und Pflanze dem Stoffmaterial der Außenwelt gegenüber verhält, lehrt also, daß die chemischen Vorgänge in den beiden Reichen der organischen oder belebten Welt im Großen und Ganzen principiell verschieden sind.

Anschauliche Darstellung des Kreislaufs des Stoffes.

Diese principielle Verschiedenheit zuerst hervorgehoben und damit das Dunkel des solidarischen Zusammenhanges zwischen dem Thier-, Pflanzen- und Mineralreich aufgehellt zu haben, das ist Lavoisier’s unsterbliches Verdienst.

Dieser Zusammenhang stellt sich aber als ein in sich geschaffener Kreislauf des Stoffes durch die drei Reiche der Natur dar.

Während die Pflanze einfach zusammengesetzte und hochoxydirte unorganische Verbindungen als Nahrung zu sich nimmt und dieselben unter Desoxydation oder Sauerstoffaustreibung in organische Stoffe verwandelt, verwandelt das Thier, das seine Hauptnahrung mittelbar oder unmittelbar aus dem Pflanzenreiche bezieht, die von der Pflanze erzeugten hochzusammengesetzten und sauerstoffarmen organischen Stoffe durch Oxydation und Spaltung zurück in einfache unorganische Verbindungen. – Die Pflanze eignet sich die Elementarstoffe aus dem Mineralreiche an und macht sie zu Bestandtheilen ihrer organischen Körpersubstanz. Diese organische Substanz und somit die in ihr enthaltenen Elementarstoffe werden Bestandtheile des Thierkörpers, die Bestandtheile und Elementarstoffe des Thieres aber werden wieder zu Bestandtheilen des Mineralreiches und so fort in ununterbrochenem Kreislaufe. Von jedem chemischen Elemente, das die organische Substanz des Thierleibes zusammensetzen hilft, läßt sich nachweisen, daß es, aus dem Mineralreiche von der Pflanze aufgenommen und in ihren organischen Verbindungen fixirt, als Nahrungsstoff in das Thier gelangte, um aus diesem wieder in’s Mineralreich zurückzukehren und diesen Kreislauf immer wieder von Neuem zu beginnen.

Werfen Sie einen Blick auf das große Diagramm, welches ich entworfen habe (siehe den beigebrachten Holzschnitt), um Ihnen den erörterten Kreislauf des Stoffes durch die drei Reiche der Natur einigermaßen anschaulich zu machen.

Die eine Hälfte der Kreisfläche, welche das ganze Universum bedeutet, soll uns die unorganische, die andere Hälfte die organische Welt darstellen; diese letztere zerfällt wieder in einen Quadranten, der das Pflanzenreich, und in einen zweiten, der das Thierreich repräsentirt.

Im Mineralreiche oder in der unorganischen Welt finden sich die vierzehn Elementarstoffe, welche letzten Endes zum Aufbau der organischen Welt dienen, in Form von einigen Mineralsalzen, von Ammoniak (NH3), Wasser (H2O) und Kohlensäure (CO2) vor. Sie finden diese Bezeichnungen in die ausgesparten weißen Täfelchen der rechten Hälfte des Kreises eingeschrieben. Verfolgen Sie nun mit dem Auge in der Richtung, welche die kleinen Pfeile angeben, wie dieses Stoffmaterial unorganischer Natur in den Quadranten des Pflanzenreichs eindringt! Sie bemerken, wie sich die punktirten, die Sauerstoffbahnen andeutenden Linien abtrennen, um wieder in den Raum des Mineralreichs zurückzukehren, wo sie sich in dem Täfelchen, welches mit O bezeichnet ist (d. h. „freier Sauerstoffvorrath der Atmosphäre“), sammeln, während die ausgezogenen Linien, welche die Bahnen des Kohlenstoffs, Wasserstoffs, Stickstoffs etc. bedeuten, ihren Weg fortsetzen und in einen dem Pflanzen- und Thierreichsquadranten gemeinschaftlichen weißgelassenen Streifen gelangen, innerhalb welches die Buchstaben C,H,O,N,S,Ph eingeschrieben sind. Dieser weiße Streifen mit den eingeschriebenen Buchstaben soll uns die hochzusammengesetzten und niedrigoxydirten organischen Verbindungen bedeuten, welche die Pflanze aus dem unorganischen niedrigzusammengesetzten, aber hochoxydirten Stoffmaterial unter Sauerstoffabscheidung erzeugt.

Der weiße Streifen mit den eingeschriebenen Buchstaben greift aber zur Hälfte in den Quadranten des Thierreichs hinein, um Sie daran zu erinnern und Ihnen anschaulich zu machen, wie die dem Thiere unentbehrlichen organischen Nahrungsstoffe und Körperbestandtheile aus der Pflanzenwelt stammen.

Die Bahnen der Elementarstoffe können Sie durch diesen weißen Streifen hindurch in den Thierreichsquadranten verfolgen. Hier jedoch lagert sich die Anordnung der Bahnen wieder um, und, indem die punktirten Linien aus dem freien Sauerstoffvorrath der Atmosphäre, welche in den Thierreichsquadranten eindringen, an die ausgezogenen Linien sich wieder anlegen, kommen die vierzehn Elementarstoffe wieder in Form von Kohlensäure (CO2), Wasser (H2O), Ammoniak (NH3) und Salzen in’s Mineralreich zurück. Dies soll Sie an die Verbrennungs- und Spaltungsvorgänge, durch welche sich im Thiere die regressive Stoffmetamorphose vollzieht, erinnern.

Jeder Elementarstoff vollendet, wie Sie deutlich verfolgen können, eine in sich geschlossene Kreisbahn, welche ihn in ewig wechselnder Vergesellschaftung und Gruppirung mit anderen Elementen durch die drei Reiche der Natur hindurchführt.

So haben Sie denn wohl den Eingangs in Aussicht gestellten tieferen Einblick in die Rolle gewonnen, welche der elementare Stoff bei dem Ablauf der Lebensvorgänge auf unserem Planeten spielt; hineingerissen in einen mächtigen Strom, der aus dem Mineralreich entspringt und seinen Lauf durch das Pflanzen- in’s Thierreich nimmt, um von da wieder in’s Mineralreich zurückzukehren, verändert der Stoff fortwährend seine chemische Anordnung und Gruppirung und seinen Ort im Raum.

Die ganze unendliche Fülle von Erscheinungen des organischen Lebens in der Natur – ja unser eigenes Menschendasein mit seinem ganzen Reichthum an intellectuellen und socialen Erscheinungen [356] ist an diesen Wechsel und Kreislauf des Stoffes erfahrungsgemäß gebunden. Hemmen Sie diesen Wechsel und Kreislauf des Stoffes – und Sie vernichten die Welt! –

Die uralte Vorstellung von der Metempsychose oder Seelenwanderung ist ein phantastischer Traum aus der Kindheit des Menschengeschlechts, aus dem die Mehrzahl der Menschen heute noch nicht völlig erwacht ist. Der ewige Kreislauf des Stoffes hingegen, dessen Detail-Ausmalung in einem der Wirklichkeit auch nur annähernd entsprechenden Bilde der kühnsten und reichsten Phantasie spottet, ist eine großartige nüchterne Wahrheit, welche der herangereiften Menschheit – durch die exacte Naturforschung – unerschütterlich feststehend für alle Zeiten aufgegangen ist.

Mit der Wage und dem chemischen Reagens in der Hand ist der Naturforscher den Stoffelementen nachgegangen und hat sie auf ihren Wanderungen durch’s Universum in ewig wechselnder Vergesellschaftung mit einander Schritt für Schritt verfolgt – aus dem Stoffvorrath der Erde, der Gewässer, der Atmosphäre heraus, durch die pflanzlichen, thierischen und menschlichen Individuen hindurch, wieder in’s Mineralreich zurück, und so fort und fort in geschlossener Kreisbahn.

Es ist daher keine beliebige abenteuerliche Idee[2] mehr, sondern eine ganz nüchterne und sehr reelle Möglichkeit, daß einzelne derselben Stofftheilchen, die einst das geschäftige Gehirn Julius Cäsar’s zusammengesetzt haben, heute in den Getreidekörnern auf dem Felde einer nordamerikanischen Farm oder in einer Leipziger – Nasenspitze stecken, und in hundert Jahren das Herz unseres eigenen Urenkels bilden helfen werden. Denn Das steht über alles Meinen und Glauben fest und sicher, daß die Stoffelemente, welche die organischen Verbindungen des Thier- und Menschenleibes in einem gegebenen Augenblicke zusammensetzen, früher einer Pflanze angehört haben müssen, die sie aus dem Boden, dem Wasser und der Luft entnommen und organisch gruppirt hat, und daß diese Stoffelemente aus den Thier- und Menschenleibern in anderer, unorganischer Gruppirung in den Boden das Wasser und die Luft zurückkehren, aus denen sie nur die Pflanze für das organische Leben wieder zurückgewinnen kann.

Die Kohlensäure, die wir heute hier in diesem Saale ausathmen – sie wird durch die Ventilation der Herren Müller und Kelling der Atmosphäre Leipzigs beigemischt, und über Deutschland und Europa, ja über die ganze Oberfläche der Erde fortgeführt, um nach kürzerer oder längerer Zeit von einer Pflanze aufgenommen, und unter dem Einfluß des Sonnenlichts in Kohlenstoff und Sauerstoff zerlegt zu werden.

Den freigewordenen Sauerstoff athmet irgendwo und irgendwann Thier oder Mensch ein oder es verzehrt ihn ein Hochofen oder eine bescheidene Herdstelle, an der man eben die Mittagssuppe kocht; den freigewordenen Kohlenstoff verbaut die Pflanze in ihre Kohlehydrate, Fette und Eiweißkörper, die wieder Thieren und Menschen zur Nahrung dienen.

Und so können wir dieselben Kohlenstofftheilchen, welche wir heute hier als Kohlensäure ausgeathmet haben, vielleicht schon im nächsten Jahre auf einer Reise durch Italien im Mehl der Macaroni Neapels oder im Fleische einer Apfelsine Sorrents wiedergenießen und so als einen integrirenden Bestandtheil unseres eigenen Blutes und Fleisches zurückerhalten!

Doch – weiteres frappantes Detail dieser Art auszudenken, kann ich füglich Ihrer eigenen Einbildungskraft überlassen, der Sie dabei getrost den kühnsten Flug gestatten mögen, ohne befürchten zu dürfen, die Wirklichkeit an Phantasiereichthum und Erfindungsgabe jemals zu überbieten.

Schließlich nur noch die Frage: Was wohl aus der „Auferstehung des Fleisches“ wird, wenn der Tag der Auferstehung noch lange auf sich warten läßt, und mittlerweile Millionen und Millionen von Generationen durch ihre Entstehung und ihr Leben die Berechtigung erhalten, am Auferstehungstage dasselbe Stoffmaterial als ihr eigenstes Fleisch und Blut zu reclamiren, auf welches frühere Generationen, die ja doch auch zur Auferstehung berufen sind, den gleichen Anspruch erheben werden, da sie absolut denselben, nur noch älteren Besitzrechtstitel darauf haben?! –


  1. Das Eisen bildet einen integrirenden Bestandtheil jener äußerst zusammengesetzten, in einen Eiweißkörper und einen eisenhaltigen Farbstoff zerfallenden organischen Verbindung, welcher das Blut der Thiere seine Scharlachfarbe verdankt.
  2. Daß der Genius eines Shakespeare den Kreislauf des Stoffes poetisch vorausgeahnt hat, beweist jene Stelle im „Hamlet“, wo es heißt:

    „Der große Cäsar, todt und Lehm geworden,
    Verstopft ein Loch wohl vor dem rauhen Norden.
    O daß die Erde, der die Welt gebebt,
    Vor Wind und Wetter eine Wand verklebt!“



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: (Ph O5)