Ueber den Landschaftsmaler Friedrich in Dresden
Zuerst laß mich von dem Landschaftsmaler Friedrich und von seinen Schöpfungen reden, die mich diesmal insbesondere festhielten, und mein Gemüth auf eine eigene Weise ergriffen. – Dessen ungeachtet finde ich 16 sehr begreiflich, wie dieser gemüthvolle sinnige Künstler, wie vieles wahrhaft Originelle und Geniale, gleich manchem geistreichen Schriftsteller nur wenigen Individuen zusagt, während er für die Mehrheit unverständlich bleibt. – Ossian’s Gesänge klingen manchem Hörer wie Geisterstimmen und Aeolsharfengetön, während sie den Meisten als ein unverständliches Stürmen und Sausen vorüber rauschen. – Friedrich’s Gebilde gleichen in mehr als einer Hinsicht den Dichtungen Ossian’s, insbesondere aber an Tiefe, Innigkeit und Zartheit! – wenn nur das Verwandte ihnen gegenüber tritt, so werden sie sicher aus ihren magischen Höhen und Himmelsgluten das leise Echo im Gemüthe wiederhallen lassen. – Ich möchte auf Friedrich’s Genius anwenden, was Schiller von dem der Sprache sagt:
Jeden anderen Meister erkennt man in dem was er ausspricht
Was er weise verschweigt, zeigt mir den Meister des Stils. –
[737] Friedrich malt die Natur mit großer Wahrheit – aber er giebt sie uns stets in solchen Zuständen, wo sie am meisten das Gemüth ergreift, und nur alleinige leise Andeutung eines höher waltenden geistigen Lebens ist, dem eine analoge Stimme im Inneren begegnet. – Er befreundet sie uns, gleich einer Vertrauten unseres Kummers und unserer Sehnsucht – und ihr ernstes, feierliches Gewand spricht tiefer zu unserem Herzen, als der lieblichste brautliche Schmuck. – So sahe ich unter anderen Gemälden eines, welches zwar von Manchen der Uebrigen an Kunstwerth übertroffen wurde, aber dennoch durch alleinige tiefe Bedeutung und eine vollständige Harmonie in allen seinen Theilen das Gemüth fesselte und ergriff. Der Form nach, welche sich nach oben, gleich einem Kirchenfenster zuwölbte, schien es für eine Hauscapelle bestimmt zu seyn – das heißt, für eine solche, in welcher man die Weihestunden feiert, sie mögen nun in einer stillen Erhebung des Gemüths oder in einer gemütlichen Unterhaltung anderer Art bestehen, ich würde es am liebsten in dem Zimmer eines ruhigen Landhauses sehen, in welchem sich die Bewohner freundlich und stille des Abends zusammen fänden. – Den Vordergrund des Gemäldes bildet ein Söller, welcher den Raum der ganzen Breite desselben einnimmt, von wo herab man die Einsicht in zwei Straßen erhält, welche durch eine Kirche alter Bauart mit mehreren hohen zugespitzten Thürmen getrennt werden; an die Kirche gränzt ein Kirchhof mit mehreren Leichensteinen und Statuen. – Dieser Kirchhof schließt sich perspektivisch, am Vordergrunde des Söllers, an. – So weit wäre nun das Gemälde allein durch die Wahrheit der Darstellung, und in perspektivischer und architektonischer Hinsicht, bemerkenswerth – aber der Genius dieses Künstlers, welcher selbst der leblosen Natur Seele [738] und Gemüth zu geben weiß, hauchte auch in diese Zusammenstellung alleiniger Steinmassen eine Bedeutung, die freilich nur mit der Empfindung aufgefaßt werden kann, da sie aus ihr hervorgegangen ist. – Der Abendhimmel in röthlichem Glanze spiegelt magisch und lieblich sich in den Glasscheiben der seitwärts gelegenen Häuser. – Die Straßen sind menschenleer – und nichts, was an Geräusch erinnert, ist sichtbar. – Der Kirchhof ist schon in leise Dämmerung verborgen. – Das alte Gemäuer der Kirche mit seinen künstlichen Bildungen, seiner vielfach gewölbten Thüre schimmert dennoch deutlich in stiller Größe hervor, und das dunkele Kreuz auf einem der höchsten Thürme hebt sich hoch über die Wohnungen und das irdischen Treiben der Menschen, in den mit leisem rosigen Duft umzogenen Abendhimmel hinein. –
Aber was nun all dieser stillen Herrlichkeit, noch eine seelenvollere Bedeutung gab, war, daß ich nicht allein sie genoß und empfand, daß sie mit mir, auf dem Bilde selbst, ein liebendes Paar zu theilen schien, das vom Söller aus in die stillen Straßen hinabschaute und den in Dämmerung gehüllten Kirchhof überblickte, und die in dem Himmel hinauf steigenden Thürme, und das dunkele Kreuz auf dem rosigen Abendhimmel zu betrachten schien. – Beide schienen sich, wie ich mich selbst, zu fragen: – wer mag wohl vor alter langer Zeit die wunderbare Kirche erbaut haben? wer wohl alles auf den stillen Kirchhofe ruhen? wer dort wohnen in jenen Zimmern, in welche die Abendsonne ihre letzten Strahlen sendet? – wie schon so manches Auge mag hier die niedersinkende Sonne beschaut, ja vielleicht so manches Herz, an dieser Stelle, einem Anderen in bangem Scheiden das letzte Lebewohl zugeflüstert haben, wie wir uns heute! – Ja so war es – es gehörte [739] der Gedanke zu dem Bilde, als müßten sich diese Beiden etwas Heimliches und Feierliches zu sagen gehabt haben, und – als konnten sie nicht so bald wieder an dieser Stelle zusammen kommen – und dennoch war Ruhe und Stille in ihrer Seele – denn das Mädchen schauet nicht auf den Geliebten, sie blickt auch nicht seitwärts, ob jemand Fremdes sich nahe – nein, sie wendet sich sinnend dem Kirchhofe zu und stehet so den Beschauer des Bildes mit dem Rücken zugewendet, während der Jüngling seitwärts herüber gebogen sie anblickt und uns so, im Profil nur, sichtbar wird.
Vielleicht würde mancher Andere, welcher nicht so wie Du, meine Elfriede, die Schönheit mit der Empfindung aufzufassen vermag, die Bemerkung machen können, daß Alles, was ich an dem Bilde rühmte, nur untergelegte Schönheit der eigenen individuellen Auffassung wäre, und daß der Künstler wohl schwerlich solche Wirkungen berechnet, noch ihrer gewärtig gewesen sey. Aber einen Solchen können wir beide kühn fragen: ob dieses Bild wohl dieselbe Wirkung thun würde, wenn ein einziges lebendiges Geschöpf auf der Straße sichtbar geworden, wenn der Kirchhof noch in Sonnenglanz vor uns gelegen, und die beiden Figuren im Vordergrunde, in einer anderen Stellung und Handlung, als im stillen Anschauen und im traulichen Gespräche begriffen, uns dargestellt worden wären? –
Noch ein ähnliches Bild, welches ich mit dem geschilderten sahe, bewies ebenfalls das hohe Talent, die Natur dem Gemüthe nahe zu bringen, wodurch dieser Künstler zum eigentlichen Seelenmaler wird. – Wem ist’s nicht oftmal still und heimlich im Gemüthe geworden – wenn er bei der Rückkehr von einem einsamen [740] Spaziergange, die sonst so geräuschvolle Stadt mit ihren Bewohnern im Dunkel verborgen vor sich sahe, und nun zwischen ihren Thürmen und Gebäuden die Bilder endlicher Größe, der Mond mit seinem stillen Glanze, über ihnen heraufsteigen sah. Auch dieses Bild giebt uns Friedrich wahr und treu, und wie sehen keine heimkehrende lustige Gesellschaft, sondern nur einen einsamen Wanderer über den schmalen Feldweg wandeln und mit uns diesen Anblick theilen. – Doch genug für heute – ich würde sonst kein Ende finden von diesem Genius zu reden, von welchem man in Wahrheit sagen kann:
Landschaftsmaler ist er – so malt er wohl Felsen und Bäume,
Grotten, Wiesen und See’n, Nebel, Himmel und Luft,
Das gewaltige Meer, und des Giesbach’s liebliches Kräuseln,
ja; – doch in allen nur Eins: die Seele der frommes Natur.