Ungedruckte Briefe Fritz Reuters

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Autor: Fritz Reuter
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Titel: Ungedruckte Briefe Fritz Reuters
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3–7, S. 95–96, 109–112, 156–159, 186–187, 206–208
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[95]
Ungedruckte Briefe Fritz Reuters.
I.

In einem einzigen Siegeslaufe haben die Werke Fritz Reuters sich die Welt erobert und den Dichterruhm des mecklenburgischen Humoristen fest gegründet. Es that keinen Eintrag, daß die Dichtungen Reuters in dem wenig bekannten Dialekt des kleinen mecklenburgischen Landes geschrieben waren; an die kleine Gemeinde derer, die dieses Dialektes mächtig waren, schloß sich die große Gemeinde der Lernenden an, die sich gern mit der Mundart vertraut machten, um einzudringen in die wundervollen Schätze Reuterscher Poesie. Der Leser, der nie ein Wort des Mecklenburger Dialekts gehört hatte, fühlte sich unwiderstehlich angeheimelt von den „Läuschen un Rimels“, tief ergriffen von den ernsten Gestalten der „Stromtid“, überwältigt von den rührenden Bildern in „Kein Hüsung“ und den wechselvollen Schicksalen „Hanne Nütes“.

So sind auf Fritz Reuters Werke seit langem die Augen vieler Tausende gerichtet, und alles, was über den Entwicklungsgang des Dichters Licht zu verbreiten geeignet ist, begegnet einer um so lebhafteren Theilnahme, als es sich nicht verbirgt, daß durch die Gebilde seiner Phantasie seine eigenen persönlichen Erlebnisse mannigfach hindurchschimmern.

Wir sind in der erfreulichen Lage, die Beiträge zu der Kenntniß von Fritz Reuters Leben um eine Reihe interessanter Briefe zu bereichern, die bisher nur einmal für eine Biographie des Dichters, und zwar für diejenige aus der Feder seines berühmten Landsmannes Adolf Wilbrandt, herangezogen und zu einem kleinen Theile in der Einleitung zur Volksausgabe der Reuterschen Werke bekannt gegeben worden sind. Von der Wiederholung der dort abgedruckten Bruchstücke sehen wir an dieser Stelle ab; nur in einem einzigen Briefe, dem ersten von Stuer aus datirten, mußten die von Wilbrandt herausgehobenen Bruchstücke bleiben, weil sie zum Verständniß des Ganzen unentbehrlich sind. Sämmtliche Briefe sind an Reuters vertrauten Freund Fritz Peters gerichtet und von dessen Sohn in gerechter Würdigung des Anspruches, den die Freunde des Dichters an diesen Schatz zu erheben haben, uns zur Veröffentlichung übergeben worden.

Wir drucken die Briefe ab, so wie sie geschrieben sind, um ihnen nichts von ihrer lebendigen und liebenswürdigen Eigenart zu nehmen; nur hin und wieder, wo der Freund dem Freunde ganz intime Mittheilungen macht, deren Veröffentlichung nicht angezeigt erscheint, oder wo der Dichter sich wiederholt, haben wir uns zu unwesentlichen Auslassungen entschlossen.

Das Verständniß der einzelnen Briefe haben wir durch kurze Uebergänge und Anmerkungen möglichst zu erleichtern gesucht und die Briefe nach dem Leben des Dichters zwanglos gesondert.

1. Aus dunklen Tagen.

Wir sind über die ersten Knaben- und Jünglingsjahre Reuters verhältnißmäßig gut unterrichtet, und dann wieder über die Zeit von Mitte der fünfziger Jahre bis zu seinem Tode, in welcher er als weithin bekannter Dichter sozusagen vor aller Augen lebte. Dazwischen liegt aber eine Zeit von mehr als zwanzig Jahren, die man mit Rücksicht auf die geringe Kenntniß, die man bisher von diesem Abschnitt hat, als die dunkle bezeichnen kann.

Die sieben Jahre der Gefangenschaft, beginnend mit Reuters Verhaftung im Oktober 1833, wirkten tief zerrüttend auf sein körperliches wie auf sein geistiges Leben. Unlust zu streng wissenschaftlicher Arbeit lähmte ihn, als er die Festung verließ, er war von tiefem Haß gegen viele Menschen und Dinge erfüllt, und es bedurfte langer Jahre der Genesung, bis er wieder zu jenem gemüth- und humorvollen Menschen wurde, der auch das Bitterste der Vergangenheit in heiterer Verklärung schaute und wiedergab. Diese Zeit der Genesung und Erstarkung ist es vor allem, die noch vielfach der Beleuchtung bedarf.

Als nach Reuters Entlassung von der Festung ein Versuch, die juristischen Studien wieder aufzunehmen, gescheitert war, wandte er sich der Landwirthschaft zu, und das war, wie der weitere Verlauf seines Lebens zeigt, zu seinem Heil. Die der Landwirthschaft gewidmete Zeit, die „Stromtid“, die Jahre der stillen ländlichen Zurückgezogenheit, der grübelnden Betrachtung seiner selbst und anderer, des nahen Umganges mit einfachen, gutherzigen Menschen, von denen er selber viel Gutes empfing, haben unendlich viel dazu beigetragen, den Mann in ihm heranzubilden, der mit so tiefer Empfindung und zugleich so heiteren Sinnes dichten und schreiben konnte.

Den bei weitem größten Theil dieser Zeit verbrachte Reuter auf dem Landgute Thalberg bei seinem Freunde Fritz Peters, ihn nach seinem Belieben in der Wirthschaft unterstützend. War der Freund auf Reisen abwesend, so vertrat er ihn vollständig in Haus und Hof, und solchen Gelegenheiten verdanken wir die Briefe, die hier zunächst folgen. Es werden auch diejenigen Stellen wiedergegeben, die sich auf wirthschaftliche Dinge beziehen, denn einerseits zeigen sie uns den berühmten Dichter in dem ungewohnten Lichte eines praktisch thätigen Landwirthes, andererseits sind auch sie meist in humoristisches, echt Reutersches Gewand gekleidet.

Zum Verständniß des ersten Briefes schicken wir die folgenden Erläuterungen voraus:

Peters ist acht Jahre jünger als Reuter, damals 29 Jahre alt und zeitweilig mit seiner Frau in Berlin. Der „Feind“ ist die Cholera. „Maus“ ist der Spitzname einer der kleinen Töchter, „Hanne“ ein empfindsames, häufig kränkelndes Dienstmädchen; „Adam“ der Hausarzt. „P.“ ist einziger Sohn, etwa ein Jahr alt, in welchem Frau Peters nach Art zärtlicher Mütter – und hiermit neckt Reuter sie – einen Engel zu erblicken glaubt, und der sich bis dahin in der That kräftig entwickelt hat.


„Thalberg, den 7. Oktober 1817.

Lieber Vater Papa Petersen!

Wunderschön ist nichts dagegen! Bonus vinus! Die Besatzung der Festung hält sich tapfer, hält sich meistens den Feind durch Schreien vom Leibe; eben quiekt die Maus. Die Blessirte, die Hanne, ist durch Adams Kamillenthee und gekochtes und geschmortes Obst, durch Wassersuppe in jeglicher Gestalt glücklich wieder in Aktivität gekommen, das heißt in keine plötzliche, sondern in eine ganz allmähliche, so ziemlich alles vergessende Aktivität. P. der II., der Große, der Einzige, kurz wie Madame[1] will, vielleicht auch P. der Engelländer (nicht Engländer), hat sich physisch wie moralisch sehr gebessert; das Kind sah bekanntlich nicht sowohl stets sehr, übel und unschön aus, sondern schien es auch darauf anzulegen, durch ungebührliches nächtliches Herumtreiben und Straßenspektakel das Leben, wenigstens die Nächte seiner biedern Eltern zu verbittern, vorzüglich seiner edeln Mutter; jetzt ist es ganz verändert, auf seiner klaren Stirn steht mit klaren Worten geschrieben: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht, und nicht allein, daß er selbst diese Ruhe mit Heroismus ausübt, er sucht auch seine Geschwister mit Fischbeinstäbchen[2] sehr zu beruhigen; auch, wie gesagt, mit seiner physischen Beschaffenheit ist eine große Veränderung vorgegangen, das unruhige braune, brennende Auge[3] ist verschwunden, und aus einem Gesichtchen, dessen Rosen und Lilien vom Himmel stammen, blicken uns zwei klare, fromme, blaue Augen, wie ein Gruß des blauen, himmlischen Aethers, an; sein ins Bräunliche spielendes Haar hat sich in einer Nacht zu einem frommen Blond umgebleicht und fließt wie ein Sonnenstrahl auf dem kräuselnden Bach in lichten Locken auf die lieblich geschwellten Schulterblätter, zwischen denen sich plötzlich, wie durch Zauberschlag, ein Paar rundliche Erhöhungen gebildet haben[4], etwa wie beim Böckchen an der Stirn, wenn’s Hörner kriegt, aber unendlich viel reizender. Da stehen wir nun, wir armen unglücklichen Tröpfe, und bewundern dies liebliche Spiel einer überirdischen Natur: Großmama[5] schüttelt den Kopf und scheint unglücklich zu sein, daß ihr Enkel aus der Menschenart ausgeschlagen ist, Mutter Schultsch[6] sagt: ,Dat heff ich woll fegt!’ Adam will die Auswüchse operiren; Schoenermark,[7] der aussieht wie die Weisen Griechenlands zusammengenommen, sagt, indem er sein Heldenmaul[8] in Falten legt: ,Wenn der Junge ein Engel ist, dann ist’s kein Mensch, und ist er ein Mensch, dann ist’s kein Engel; es ist also alles Dummzeug; [96] übrigens ist dies noch gar nichts, ich habe einmal einen mit 10 solchen Knoten gesehen.’ E. und A.,[9] die beiden kleinen Menschenwürmer, sitzen hinterm Ofen und heulen, daß sich die Steine erbarmen mögten, über die unglückseligen Engelverpuppungs-Ideen ihres Herrn Bruders; und ich habe in aller Stille das Staknetz, worin wir die Karauschen fingen, vor dem Schlafstubenfenster aufstellen lassen; man kann ja nicht wissen, der Junge kann’s Burren[10] kriegen, und dann Adjes! –

Nun den Spaß bei Seite. Alle sind sehr wohl und der Junge ist die beiden letzten Nächte durchaus ruhig gewesen, er hat fast immerfort geschlafen, und so würde Madame einen bedeutenden Nebennutzen von ihrer Reise haben. Das Heu ist hinein (ich glaube 8 Fuder); die Rüben sind hinein und haben recht viel gebracht. Heute Mittag ist der Rappsweizen bei Seite. Es wird Dung aufs Grünfutter-Roggenland gefahren und ist heute mit dem Kartoffelaufnehmen mit 10 Mann angefangen; morgen mit 20. Auswärtige können wir nicht erhalten. Das Vieh ist gesund. Du siehst also, daß wir hier ganz gut aufgehoben sind und daß wir auch in der Wirthschaft weiter kommen. Nur daß die Kartoffeln so lange liegen, will mir nicht gefallen, denn wir haben ja auch noch die Runkeln; und daß der Roggen nicht vor dem Weizen besorgt werden konnte. Wir erwarten, daß Du uns den Tag Deiner Ankunft in Treptow meldest, damit wir des Abends um 10½ Uhr dorthin einen Wagen schicken können, oder sollen wir Dich von Neubrandenburg holen? Lebe wohl, mein bester Freund, und denke bei Deinen Herrlichkeiten

Deines
alten Onkel Ente[11].“

Zwei Jahre sind seitdem vergangen. Peters ist wieder mit seiner Frau abwesend und Reuter richtet den nachstehenden Brief an ihn:

„Thalberg, den 15. Oktober 1849.

Lieber Fritz!

Zuerst bitte ich Dich, ein ernsthaft Gesicht zu schneiden, denn zuerst denke ich von Geschäften mit Dir zu reden. – Gestern habe ich Rechnung gehalten und alle Sachen, wie ich hoffe, zu Deiner Zufriedenheit abgemacht. Dann an Geisler geschrieben und die 100 Thaler gegen Postschein abgesendet; darauf habe ich mich in Deinen Diensten den Sonntag Nachmittag auf meine eigene Hand recht plaisirlich gelangweilt, da ich nicht nach Tetzleben[12] gegangen bin, und heute habe ich einen unbefugten Eingriff in Deine Kasse und in Deine Rechte gewagt; in Deine Kasse, weil ich zu meinem eigenen Gebrauch 6 Thaler entnommen, in Deine Rechte, weil ich unberufen einen Brief erbrochen, der mir mit dem Poststempel Demmin von Schünemann herzurühren schien. Dies war denn auch so; er meldet, daß die Platten etc. fertig seien, auch daß er das alte Eisen annehmen wolle, schreibt aber nur von 20 Sgr. – 1 Thaler pro Centner. Da nun wir (,wir’ heißt in diesem Briefe immer ,Großmama und ich’) nicht genau wissen, was für altes Eisen dahin geschickt werden soll; ferner in Erwägung des schlechten Preises; ferner in noch fernerer Erwägung der Zweckmäßigkeit einer schleunigen Aufstellung des Heerdes, und endlich in noch fernerer Erwägung, daß Du doch wohl noch hinlänglich über Winter nach Demmin Gelegenheit haben wirst, und viel Aussicht dazu vorhanden, daß das alte Eisen durch den Verbrauch an Piken und Säbeln, auch anderem Kriegsmaterial in diesen eisernen Zeiten bedeutend ansteigen wird, so haben ,Wir’ beschlossen, uns mit sothanem Eisenhandel gar nicht zu bemengen und, weil ,Wir’ friedliche Leute sind, blos für das Essen und das Zustandekommen eines passenden Heerdes zu sorgen, und werden demnach morgen einen Wagen mit Begleitschreiben nach Demmin und eine Epistel an den Töpfer Erdmann in Neubrandenburg abgehen lassen und das sublime Vergnügen eines Handels mit altem Eisen für Deine Person aufsparen.

Das war die Geschichte vom Eisenhandel. – Nun kommt der Gerstenhandel. Darauf ist nur zu bemerken, daß heute eine Fuhr nebst einer Katze nach Brandenburg an Mohnke abgegangen ist; – ich meine aber eine Geldkatze. – Nun über unsern Gesundheitszustand: Sollte Dir beifallen zu glauben, daß wir Pflaumen äßen[13], so würdest Du Dich sehr irren, denn wir alle haben heute einige gegessen, mit Ausnahme der Kinder – daß dies Unsinn ist, weiß ich recht gut, schreibe es aber doch. Ich habe mir aber die möglichste Mühe gegeben, in den kleinen Würmern durch das Loben der Pflaumen, durch öfteres Vorzeigen und durch Essen in ihrer Gegenwart eine unwiderstehliche Neigung für diese verbotene Frucht hervorzurufen und bin nun fest überzeugt, daß ich das Mögliche gethan habe, sie in der Enthaltsamkeit zu üben. – Ihre Zunge, die sie mir alle halbe Stunde ein halbe Elle weit hinaus halten müssen, sieht noch sehr gut aus; und hoffe ich durch diese Glossarübungen den Kindern nebenbei eine größere Geläufigkeit im Sprechen beizubringen. P.[14] amüsirt sich sehr gut mit seinen Aussichten auf neue Hosen; ich fürchte aber, er geht nicht sehr räthlich und reinlich mit den schon vorhandenen Exemplaren um, weil ich ihn wieder mit jenen unnennbaren Unnennbaren umherlaufen sehe, die aussehen, als wäre ihr Vater mit ihnen auf der Kegelbahn zu schaden gekommen. Doch wer kann das wissen; dies mag ja wohl ein Charakterzug der Petersschen Familie sein. – Unsere Hanne hat es wieder; sie hat es wirklich wieder mit allen nicht näher zu beschreibenden Umständen; ich habe sie eigenhändig besichtigt und Großmama hat sie mit Eisentropfen traktirt und kredenzt ihr die nux vomica. – Auch unser komplaisanter Herr Bietz[15] hat sich gestern infolge – nicht der Cholera – sondern einer starken Cigarre heftig unwohl gefühlt, wobei er sich selbst tausendmal um Verzeihung gebeten hat, daß er seinen Gefühlen unumwunden freien Lauf ließe. – Großmama ist gesund, und was mich betrifft, so ist es am besten, davon zu schweigen, weil ich Dir sonst, Du Spitzbube, Gelegenheit geben könnte, den alten abgedroschenen Witz von dem nicht vergehenden Unkraut zu machen. – Schröder[16] ist gestern auf die Jagd gegangen und hat eine ganze Menge wilder Enten auf 200 Schritt – gesehen. Der Ebert[17] habe ich mit blutendem Herzen gestern morgen einen Verweis geben müssen; sie bot mir nämlich, gleich nachdem Ihr fortgefahren wart, die dritte Tasse Kaffee an, worauf ich sie auf ihre Pflicht verwies und fragte: ob sie glaube, daß es so nun losgehe. Morgen nachmittag werde ich aber wohl eine kleine Verschwendung in Kaffee machen müssen, weil ich den alten Leisten[18] zum Kaffee einzuladen gedenke, damit er mir einmal gründlich seine Proceßgeschichte erzähle, die leider immer im besten Zuge durch irgend etwas unterbrochen worden ist; ich denke, er bleibt dann auch wohl zum Abendbrot und wird sich gut amüsiren.

Heute ist eine Madame L. hier gewesen, um Dir ihren Herrn Sohn zu präsentiren, der bei O. in Leuschentin gewesen ist und nach dem Wunsche seiner Mutter hier seine landwirthschaftlichen Studien vervollständigen soll; der Herr Sohn ist ein langgewachsenes Menschenkind mit einem Flachskopf und sein Betragen erinnert stark an abgestandene Milchsuppe, auf der eine lederne Haut sich gebildet. Ich habe natürlich der Mutter gesagt, Du würdest Dich unendlich freuen u. s. w.

Weiter weiß ich nichts und – sei nicht unbescheiden – für einen Tag und eine Nacht ist dies genug. Sollte sich bis morgen mehr ereignen, so erfährst Du mehr, vorzüglich wenn es der Reaktion gelingen sollte, hier einzubrechen und mich todt zu schlagen. Bis dahin

Dein F. Reuter,
augenblicklich im Begriff nach Tetzleben zu gehen.
Fortsetzung am 16. Oktober.

Es ist alles beim Alten. Gestern hat Deine und meine Großmama[19] lauter Kartoffelmehl gemacht und hat sich gar nicht sehen lassen. Ich habe Schröder veranlaßt, sein Pfund nicht zu vergraben, d. h. sein musikalisches; derselbe ist ein großer Virtuose auf der Handharmonika. Wie muß der Mensch erst auf der Drehorgel sein. Jeden Ton begleitet er mit einem besonderen Gesicht, jeden Takt mit einer besonderen Bewegung, so daß er aussah wie eine illustrirte Zeitung für Musikliebhaber. – Es hat hier zwei Nächte scharf gereift und gefroren. Heute hoffen wir das Flachs hineinzubringen.

Mit Liebe
Dein F. Reuter.“
[109]
II.

Unerschöpflich ist Reuter in immer neuen humoristischen Wendungen, und ob nun die häuslichen Ereignisse, die Landwirthschaft, die Nachbarn ihm die Stoffe geben, immer weiß er ihnen eine originelle Seite abzugewinnen. In dem nachfolgenden dritten Briefe bietet ihm die Schreibweise der ländlichen Arbeiter, in deren Briefen das „und daß wir noch recht gesund sind“ oft in komischer Weise sich wiederholt, Gelegenheit zu scherzhafter Nachahmung.

 „Thalberg, den 19. Oktober 1849.

Lieber Fritz!

Damit ich es nicht wieder vergesse: Großmutter läßt grüßen und daß wir noch recht gesund sind und daß heute die Waade[20] nach Schmiedenfelde geschickt ist und wir noch keine Krämpfe in den Waaden haben und noch recht gesund sind; daß die Cholera in Treptow angefangen hat aufzuhören und daß sie auch da noch recht gesund sind und daß Adam und seine Frau hier gestern gewesen sind und sich ersterer wieder sehr unreinlich aufgeführt hat[21] mit Erbrechen und das andere, so daß seine Frau ihm hat das Maul verbieten müssen; wo ich dann durch allerlei Fragen ihn immer wieder aufstachelte, in seinen schmutzigen Expektorationen fortzufahren, und Mutting[22] anstiftete, einen großen Teller voll Obst auf den Tisch zu setzen, damit die Frau Eva mit allerlei verbotenen Gelüsten geplagt wurde, was mir auch prächtig gelang; und daß ich viel Obst aß und noch recht gesund bin. Auch daß die Kinder alle noch recht gesund sind. Auch die Tagelöhner mit Weibern und Kindern. H.[23] hat sein Erntefest gegeben, außer mir und Piper[24] war keiner geladen; überhaupt ist H. sehr gnädig gegen mich. Zum Geburtstage desselben kommen alle seine Verwandten, aber keiner aus der Umgegend wird gebeten werden; auch wird ihr Erscheinen nicht gewünscht; er denkt, wie er sich ausdrückt, später eine Herrengesellschaft en form zu geben. – Die Kartoffeln sind gestern herausgekommen und hereingekommen. Ueber unser Haus ist ein großer Frieden und eine heilige Ruhe gekommen; alles geht still und feierlich bei uns zu; Mutting hat mir dies erklärt, sie meinte: weil Henriette[25] gesetzt worden ist, d. h. auf einen Stuhl als Schneiderin, und weil ‚dei Ketelflicke von Mariek Strutzen ut’n Hus is‘. Unsere Hanne hat’s nicht mehr da, wo sie’s sonst hatte, sondern nun auf den Augen; sie behauptet, ein Fell auf denselben zu haben, was sehr traurig wäre, nicht sowohl für sie, sondern auch für die Welt, weil durch so ein Fell ebenso wenig von außen hinein als von innen [110] hinaus zu sehen wäre und die Welt also den Anblick der schönen Augen verlöre.

Ich weiß nicht, ob Ihr dort in jenen Gegenden auch die merkwürdige Erscheinung habt, daß die Welt verkehrt geht: wir stehen hier um acht Uhr des morgens auf, weil es früher noch ganz dunkel ist, und gehen im Schummerabend zu Bett. Da ich nun weiß, daß Deine Uhr ganz richtig geht, weil Du sie ja erst kürzlich gestellt hast, bin ich auf die Vermuthung gekommen, daß die Sonne nicht mehr richtig geht, wenigstens hier nicht, im Demminer Kreis. Ich schlage Dir vor, Deine Uhr an die Berliner Sternwarte zu verkaufen, ich weiß, man sucht dort eine, die der Sonne das Widerpart halten kann, weil man vermuthet, die Sonne sei zu den Demokraten übergegangen. Du kannst ein schön Stück Geld dafür lösen, was sehr gut wäre, da das Deine unter meiner Verwaltung verteufelt schnell Abschied nimmt; aber wir leben auch danach! Dein Wein ist hier in Thalberg noch nicht angekommen[26], er konnte es auch füglich nicht gut, da wir (eine kleine Gesellschaft von 16 Personen, die ich zu Golreider[27] geladen hatte) ihn schon in Treptow ausgetrunken haben.

Das neue Eisen ist hier und das alte ist auch hier und der Töpfer[28] ist nicht hier; der Kerl heißt Erdmann und ich glaube, es ist nicht viel Verlaß auf ihn, weil auf alle irdischen Dinge kein Verlaß ist und ein Töpfer mit Namen Erdmann doch ein sehr irdisches Ding ist.

Nachdem ich Frühstück gegessen habe, fahre ich fort. Dein Sohn M.[29] schreit ganz hübsch, er bildet seine Kehle wirklich bewundernswerth aus und ich habe stets das Glück, Zeuge seiner Kehlübungen zu sein, denn sowie er brüllt, hat sich Mine[30] es zur Pflicht gemacht, ihn mir zu präsentiren; überhaupt bin ich mehr Zeuge der Schmerzen Deiner Kinder als ihrer Freuden, was gewiß für mich ein günstiges Zeugniß ist, weil darin die Ueberzeugung meines Mitgefühls enthalten ist. Ich freue mich auch sehr darüber; es ist sehr erquicklich, so unter Schreien und Thränen umherzuwandeln, es stimmt das Herz zu absonderlicher Milde. –

Vorgestern war Leisten wirklich bei mir zum Kaffee, blieb auch zum Abendbrod, wo wir uns einen Braten von dem besagten Hammel zeugten[31] und, um den Proceß im Gange zu erhalten, eine kleine Bowle Ananaskardinal von Selleriewurzeln machten; was wir wohl heute Abend und wahrscheinlich später noch einmal wiederholen möchten, da er jetzt erst dabei ist, mir zu erzählen, was Schrader zu ihm gesagt hat, und gewiß das, was er zu Schrader gesagt hat, doppelt so viel Zeit erfordert. Uebrigens war seine Darstellung sehr klar und einleuchtend, vorzüglich was die mecklenburgische Justiz-Kanzelley betraf, über deren Geschäftsgang er mir viele neue Aufschlüsse gemacht hat.

So, lieber Fritz, nun weiß ich nichts mehr, als daß alles beim Alten ist und heute der letzte Weizen gesäet wird. Alles ist wohl auf und die rothen Röcke der beiden Mädchen[32] sind eben aus dem rothen Rock Deiner Gemahlin fertig und geboren worden. Papenthin und Höpper lassen Dir ihre besten Grüße und Tessin und dessen junge Braut ihre beste Empfehlung[33] vermelden und daß sie noch recht gesund sind.

Sollte dieser Brief etwas zu sentimental für Deinen Geschmack sein, so schiebe es gütigst auf den unglücklichen Umstand, daß ich in Liebe zu einer der Schneidermamsells gerathen bin, die unsere Einsamkeit durch ihre Gegenwart verschönen. Liebliches Geschöpf! wenn mein Fritz Dich erst sieht! Alles, selbst kleine Unregelmäßigkeiten, dienen dazu, ihre Schönheit in ein helleres Licht zu setzen; gestern hatte sie das Unglück, einen Hammel[34] an ihrem Kleide zu haben, er kam mir vor, wie ein Goldrahmen, in den ein schönes Bild gefaßt ist. Oh, Oh, Oh!!!

Sollte Dein Bruder Ernst nicht in Moifall zu Hause sein, so grüße ihn nicht von mir, sondern seine liebe Frau und sage ihr gefälligst, daß ich mich sehnte, sie wiederzusehen, und sage ihr soviel Süßes, als sie irgend mag und Dein altes vertrocknetes ledernes Herz herauszugeben vermag.

Madame Peters, ich empfehle mich Ihnen in Gehorsam und Unterwürfigkeit! Herr Peters, kommen Sie bald und theilen Sie das Glück.

Ihres ergebensten

F. Reuter.

Am Mittwochen schicke ich den Wagen.“


Die nun folgenden Briefe sind während eines Aufenthaltes in der Wasserheilanstalt Stuer geschrieben, die Reuter von Thalberg aus besuchte. Auch diese Kur in der Wasserheilanstalt hat Spuren in seinen Dichtungen hinterlassen. Wir würden schwerlich die humorvollen Berichte Bräsigs in der „Stromtid“ finden, wenn Reuter nicht aus eigener Erfahrung hätte schöpfen können.

Er war dorthin gegangen, um Heilung von einem quälenden Leiden zu finden, das ihn um so mehr drückte, als es seine Verheirathung mit Luise, die ihm gerade in diesem Jahre ihr Jawort gegeben hatte, ins Unbestimmte hinauszuschieben drohte; er war zugleich besorgt um die Gesundheit seiner geliebten Braut, welche in jener Zeit, glücklicherweise irrthümlich, für brustleidend gehalten wurde, und trübe genug mag es oft in seinem Herzen ausgesehen haben. Dennoch begegnen wir in seinen Briefen dem sprudelndsten, oft auch derbsten Humor, der ihm dann wieder selber unbegreiflich erscheint, aus dem er sich selber einen Vorwurf macht.

„Stuer, den 10. Nov. 1847.

Mein lieber Fritz!

Ich habe Dir versprochen zu schreiben und bin jetzt bereit, sothanes Versprechen zu halten; seit dem 5. d. M. erst hier, wirst Du einsehen, wie bereitwillig dies geschieht. Ueber die beiden Fälle, über Großmamas Unwohlsein und dem Asthma des p. Krüger muß ich jedoch noch schweigen, weil mein Aufenthalt hier zu kurz ist, um ein gediegenes Urtheil fällen zu können und ich ungern den Vorwurf auf mich laden wollte, zu einer Sache gerathen zu haben, die sich nachher nicht bewährte. Nur soviel für dies Mal …[35]

Du fragst mich nun wohl, wie es mir hier geht und wie es hier aussieht? Nun, die Gesellschaft ist sehr angenehm . . . Das Essen ist gut und reichlich, nur wird Abends und Morgens nur kalte Milch gegessen oder getrunken. (Es herrscht ein heiterer und gemüthlicher Ton, der nur dadurch auffällt, daß man sich hier zu allerlei krankhaften Erscheinungen Glück wünscht, daß man folgende Fragen aneinander richtet: Wie viel Geschwüre haben Sie jezt? Was macht Ihr Schorf? Was macht der Ausschlag an Ihren Beinen? Haben Sie heute noch zu arbeiten? [d. h. zu baden, zu douchen, zu schwitzen, zu brausen, zu sitzen]).[36] Hat nun einer so ein kleines Geschwür, wie ein 4schillingsstück groß, so wird er beneidet, hat er eins wie ein Taubenei, so wird er glücklich gepriesen, ist ihm das Heil widerfahren, mit einem von der Größe eines Hühnereis begnadigt zu werden, so wird er stolz und sieht auf die andern mit Hohnlächeln herab, und ist er gar von der Göttin der Wasserheilkunst mit einem schorfigen Ausschlag über den ganzen Körper gesegnet, so wagt keiner in ehrfurchtsvoller Scheu, ihm zu nahen, gleichsam, als wäre er ein übernatürliches Wesen, oder weil er – zu sehr stinkt. Bis dato kann ich natürlicher Weise noch nicht solche Auszeichnungen aufweisen und bin gehöriger Weise unglücklich darüber; aber man hat sich die möglichste Mühe gegeben, mir Muth einzusprechen. Ich lasse mir des Morgens, sowie ich aus dem Bette komme, 6 Grad kaltes Wasser über den Kopf gießen, sitze hernach des Tages zweimal, jedesmal 10 Minuten, in ebensolchem Wasser, wo mir denn ungefähr so zu Muthe ist, als Deiner E.[37], wenn sie einen tüchtige P . . . voll gekriegt hat; trage Tag und Nacht einen kalten, nassen Gürtel von 2 Handtüchern um den bloßen Leib und werde schon in dieser Woche täglich meinen Nachmittagsschlaf in einem nassen Laken halten müssen, vielleicht werde ich auch später die Annehmlichkeit von nassen Strümpfen probiren und die Süßigkeit eines armdicken Wasserstrahls von der Höhe von 20 Fuß kosten; doch sind dies bis jetzt noch sehnsüchtige [111] Wünsche. – Pindarus singt, Wasser ist das Ursprüngliche, hier ist es aber A und O; Anfang und Ende. Die große Wasserfrage in Lutheri Katechismus: Wasser thut’s freilich nicht, ist hier umgeändert und heißt: Wasser thut’s freilich! – Alle meine Poesie ist im Wasser ersäuft und von alten Gedichten, die ich sonst citiren konnte, ist mir nur der Vers geblieben: An der Quelle saß der Knabe etc. (Mein ganzer Lebenslauf ist Wasser, ich werde damit begossen, wie ein Pudel, werde darin ersäuft, wie junge Katzen, sitze darin wie ein Frosch und saufe es wie ein Ochs.) – Aber nun des Scherzes genug, die Hauptsache ist, daß alle ohne Ausnahme sehr mit ihrer Kur zufrieden sind, daß man sich bei allen diesen Geschichten, die einem total widersinnig Vorkommen, gut befindet und daß man sich leicht daran gewöhnt. Schon mit dem zweiten Male war ich an den Kram gewöhnt und empfinde nichts Unangenehmes, als daß meine Zeit so sehr zersplittert ist und ich die Absicht, hier etwas zu schreiben, am Ende aufgeben muß.[38] Nur klagen alle Patienten über Schlaflosigkeit, wovon ich jedoch bisher noch nichts an mir bemerkt habe.

Nun grüße mir alle die Deinigen, Deine liebe gute Frau und Großmama vor allen. Denke daran oft, mein bester Freund, daß ich Dich nie vergessen und bis zum letzten Athemzug voller Dankbarkeit und Liebe bin
Dein F. Reuter. 

Schreibe auch einmal, wenn auch kurz.

Solltest Du Gelegenheit haben, durch Adam vielleicht vom Pastor K. eins von meinen Büchern, das ich ihm geliehen habe: Die chemischen Briefe von Liebig, erhalten zu können, so bist Du wohl so gut, es mir zu schicken oder in Stavenhagen abzugeben, damit es mir von dort geschickt würde.“




Brief aus Stuer ohne Datum. 

 „Mein alter Fritz!

Wenn ich Dich überhaupt noch mit dem Titel sr. königlichen Majestät, des hochseligen Königs Friedrich II. von Preußen anrede, so geschieht es nur, weil ich Deine notorische Faulheit im Schreiben bemitleide und in Großmuth entschuldige; „liebes Kamehl“ oder „verehrter Theekessel“ würden beiweitem passendere Anreden gewesen sein und hätten sogar vielleicht einen besseren Erfolg, d. h. Antwort zur Folge gehabt. – Doch was hilft aller Zorn, was hilft alles Predigen bei einem eingewurzelten chronischen Uebel, wie das Deine; Du würdest doch nicht schreiben und deshalb ist es besser, daß ich es thue, damit doch wenigstens noch irgend ein noch so unbedeutender Fußsteig existire, auf welchem meine Gedanken zu Dir spazieren und Dir meine Aufwartung machen. Du wirst aus dem Ton meines Briefes ersehen, daß mir das Baden nicht alle gute Laune weggewaschen hat und daß die Kälte mich nicht eingeschrumpft hat. Alles, was man mir von Geschwüren, von Ausschlag, von Stinken und dergl. Annehmlichkeiten prophezeit hat, ist nicht eingetreten und man ist zu dem beruhigenden Resultat gelangt, daß ich keinen Krankheits- und Giftstoff im Leibe habe, kurz, daß man nicht etwas Rechtes mit mir aufstellen kann und daß ich ein Normalmensch bin, wovon Du und Deine verehrte Frau Gemahlin gewiß schon längst überzeugt seid. Sollten in meinen Briefen Dir fremde, nicht verständliche medizinische Ausdrücke aufstoßen, so bitte ich Dich, darüber nachzulesen in: Adam, praktischer Arzt zu Treptow a. T., erster und vorzüglichster Theil, Pathologie für Laien; ferner: Hafergrütz-Diätetik von demselben; und noch weiter: Monographie der Psora von demselben; wo Du dann alles leicht verstehen wirst und nebenbei viel Unterhaltung haben wirst. –

Nicht wahr? ich bin ein Narr, einen ernsthaften Brief an einen ernsthaften Mann mit solchen Thorheiten anzufüllen; zumal ich weiß, daß bemeldeter Mann von Geschäften geplagt ist, weil dies gewöhnlich seine bedrängteste Zeit im Jahr ist, da er wohl noch nicht zugesäet hat;[39] ich will mich daher etwas ernster in der Unterhaltung zeigen und als Landmann mich genauer nach Deinen landwirthschaftlichen Verhältnissen erkundigen.[40] Also: Zugesäet hast Du wohl noch nicht? Das schadt auch nicht! Gott ist in den Schwachen mächtig und der Kalender prophezeit noch bis zu Neujahr offen Wetter. – Wie viel Kühe glaubst Du wohl in diesem Frühjahr aufheben[41] zu müssen und von wo beziehst Du jetzt nur Milch zum Kaffee, vielleicht vom Nachbar Hilgendorf? – Daß Du eine eigene Grube für gefallenes Vieh hinter dem Schafstall angelegt hast, halte ich sehr gut für die Kompostbereitung, bin jedoch der Ansicht, daß der Tod Deiner Schweine vom zu vielen Fressen herrührt, denn für jedes Schwein täglich ein verhungerter Hammel ist doch zu viel; übrigens lasse doch die noch lebenden Schafe auf den Roggen gehen, wenn der schon so weit sein sollte, daß sie dort etwas finden; die erste Noth muß doch immer zuerst gekehrt werden und, wie Du selber sagst, das Schaf hat einen vergoldeten Fuß. Das wäre denn so das, was die Außenwirthschaft beträfe, die Häuslichkeit ist wohl nicht so glänzend bestellt, doch man kann ja auch nicht überall groß sein. Daß Du in der Kinderzucht das Möglichste und Vortrefflichste leistest, ist mir hinlänglich bekannt, doch möchte ich Dich darauf aufmerksam machen, daß Dir die Feinheit, das Exquisite darin abgeht; gefreuet habe ich mich, daß Du daran gedacht hast, E.[42] zu Weihnacht einen Fächer und Glacehandschuhe und A.[43] ein Schnürleib zu schenken, wenn Du nun noch etwas Pomade, Schminke, Eau de Cologne etc. zufügst, so kann aus den Töchtern etwas Bedeutendes werden; kaufe ihnen doch bei Gelegenheit auch das neueste Komplimentirbuch und vor allem ein Collier, dann wirst Du sie auch bald an den Mann haben.

Nun lebe wohl und antworte, verehrtester Kuchen, damit ich doch erfahre, ob Ihr nicht etwa todt seid. Erlauben Sie, verzeihen Sie, wat is dat för’n oll dämlich Gerehr?[44]
Dein F. Reuter.“ 




Peters’ Schwiegermutter leidet an Gicht und Reuter äußert sich ausführlich darüber, ob ihr die Benutzung der Wasserheilanstalt Stuer zu empfehlen sei. Interessant dürften in diesem Briefe Reuters Ansichten über Heilung mit Wasser und über Medicin im allgemeinen sein.

„Stuer, den 19. Nov. 1847. 

 „Mein lieber, guter Fritz!

Du wirst aus meinem Briefe, der, wenn ich nicht irre, an demselben Tage von mir an Dich gerichtet ist, an welchem Du an mich schriebst, gesehen haben, daß ich Dich und Deine Aufträge nicht vergessen habe. Jetzt, da ich Deinen Brief vom 10. d. M. erhalten habe, auch schon längere Zeit hier bin, um sicherere Beobachtungen machen zu können, kannst Du auf zuverlässigere Nachrichten mit Recht hoffen. – Meine Ansicht von der Wasserkur ist in Hinsicht des allgemeinen die folgende: Viele Krankheiten, die beinahe unmöglich von Aerzten geheilt werden können, werden hier geheilt; die Schuld mag dabei durchaus nicht an den Aerzten liegen, darüber will ich nicht reden, weil ich es nicht verstehe, wohl aber liegt sie sehr häufig in den Lokalitäten und den Verhältnissen der Patienten. Mit aller Mühe von Deiner und Deiner lieben Frauen Seite werdet Ihr nicht imstande sein, Großmama vor jeder Aufregung und Anstrengung zu bewahren, Ihr werdet nicht imstande sein, sie täglich zu bestimmten Stunden zum Spazierengehen zu bewegen, Ihr werdet ihr nicht immer eine durchaus passende Diät geben können, wenn auch noch so ängstlich dafür gesorgt wird, Ihr werdet ihr nicht die regelmäßigen Bäder verschaffen und sie zum regelmäßigen Wassertrinken anhalten können. Dies ist jedoch hier der Fall und dies ist meiner Ansicht nach im allgemeinen das vorzüglich Lobenswerthe der Wasserkur. Was nun das Specielle der Kur betrifft, so richtet sich die Behandlung nach dem Uebel, und hier kann ich nur Tatsachen berichten, die von mir theils selbst gesehen, theils von anderen glaubwürdigen Personen hier mir erzählt sind. Die Aufzählung von Einzelheiten würde zu nichts nützen, deshalb beschränke ich mich darauf, Dir zu sagen, daß hier eine ganze Anzahl von Gichtischen geheilt worden sind, daß jedoch die Kur [112] langsam geht, vorzüglich bei älteren Leuten. Gewöhnlich ist der Verlauf einer solchen Kur, die in Baden, Schwitzen, Tragen von nassen Umschlägen, Sitzbädern, Fußbädern etc. besteht, zuerst mit einer zufriedenstellenden Besserung, später mit allerlei Geschwüren an mancherlei Stellen des Körpers, Ausschlag, zuweilen über den ganzen Körper; hernach vielleicht von[45] einer bedeutenden Verschlechterung des Befindens und wiederholtem Ausschlag verbunden, bis dann diese Ausscheidungen geheilt und der Kranke geheilt entlassen wird. Das Baden selbst, das Schwitzen und alle die einzelnen Prozeduren sind Kinderspiel, man gewöhnt sich sehr bald daran, schlimmer ist der Zustand, wenn die Geschwüre und der Ausschlag kommen, wo dann auch sehr über Schlaflosigkeit geklagt wird; indessen versichern alle, daß man bei aller Schlaflosigkeit doch nicht erschöpft sei. Wie Du siehst, kann durch alle diese Zwischenfälle die Kur sehr in die Länge gezogen werden. Ich für meine Person muß erklären, daß ich noch nie so auf dem Damme gewesen bin, wie jetzt, obgleich ich die Kur jetzt vielleicht am schärfsten gebrauche. Ausschlag habe ich noch nicht, werde ihn aber wohl kriegen. – – – Essen und Trinken ist gut, und ich meine, die Kranken langen zu! Deine Frau kann sich freuen, wenn ich wiederkomme, die Wurst wird nicht sauer und die Spickgans nicht zu alt werden.

Mein lieber Fritz, Du bist ein verständiger Mensch und wirst gewiß mich soweit kennen, daß ich das Beste zu thun glaube, wenn ich zurathe, Du wirst aber auch nicht so ungerecht sein und mir Vorwürfe machen, wenn es sich nicht zum guten wenden sollte; das steht in Gottes Hand! Daß ich nicht ein alberner Nachbeter neu aufgekommener Wahrheiten bin, weißt Du, und noch heute habe ich dreist in Gegenwart von Leuten, die die Wasserheilkunst in den Himmel erheben und die übrige Medizin verdammen, die letztere allein gegen fast alle in Schutz genommen, ich bin von allen der kühlste Verehrer der Wasserkur, vielleicht weil ich der zuletzt angekommene bin, darum wird mein Rath kein übertriebener sein, und mein Rath ist, schicke Deine Mutter hierher. – – – Grüße meine liebe Freundin, Deine gute Frau, und sage ihr, wenn ich nach Th. käme, würde der Kaffeetopf Ruhe vor mir haben, den wird man hier ab. Lebe wohl und schreibe an Deinen Freund. F. Reuter.“ 



[156]
III.

Welchen lebendigen Reiz zu humorvoller Betrachtung die Wasserkur auf Reuter ausübte, das ersehen wir aus seinen Schilderungen der „Waterkunst“ in der „Stromtid“ und aus den bisher abgedruckten Briefen. Aehnlichen Tons muß auch das nicht mehr vorliegende Schreiben gewesen sein, das er zwischen dem 19. November und dem 7. Dezember an Fritz Peters richtete. Auf dieses nimmt der nachstehende Brief an Frau Peters Bezug.

„Stuer, den 7. Dezember 1847.

Meine vortrefflichste Freundin!

Habe ich an Fritz nichts als dummes Zeug geschrieben, so bitte ich, mir dies von Ihrer Seite zu verzeihen; eine Entschuldigung will ich nicht wagen, da ich weiß, wie hartnäckig Sie auf seiner Seite stehen und wie vergeblich es sein würde, Ihnen begreiflich zu machen, daß er diese Strafe für sein Schweigen verdiene. Sie werden aus solchen Tollheiten den Schluß auf mein Wohlbefinden machen können, das sich zuweilen fast zu wahrem Uebermuth steigert und mich manchen Kummer und Sorge vergessen läßt, der billig von mir nicht leicht genommen werden sollte. Ich bin überhaupt in einer sonderbaren Lage, heiter durch Gesundheit, keck durch Sorglosigkeit, frei von allen Schranken, könnte ich augenblicklich der glücklichste Mensch sein, wenn nicht die Briefe aus Ludwigslust[46] mir alles dies raubten und mich mit Selbstvorwürfen über meine Lustigkeit erfüllten, wenn ich bedenke, daß, während ich in lustiger Stimmung schwelge, dort die arme Luise mit überhandnehmender Kränklichkeit und erbärmlicher Engherzigkeit zu kämpfen hat. Die Klagen über ihr Unwohlsein haben zugenommen, und wenn sie auch mir es bis dahin verschwiegen hat, so hat sie meinem Drangen doch nachgeben müssen und mir die Wahrheit sagen, die für mich so peinlich und schmerzlich gewesen ist, daß ich mich genöthigt gesehen habe, an ihren Arzt, den Medicinalrath B. zu schreiben, um durch diesen ihren jedenfallsigen Abgang zu Weihnacht d. J. zu bewirken. Ob sie mir folgen wird, weiß ich nicht, so viel aber weiß ich, daß ich in der höchsten Angst bin, eben weil es die höchste Zeit zu sein scheint. Ihre Briefe sind im übrigen herzlich und freundlich, sowie ich es nur hoffen kann. Ich würde Sie nicht mit solchen Nachrichten beschweren, wenn ich nicht wüßte, daß Sie mir zu gut sind, um nicht theilnehmend zu sein, und zu theilnehmend, um nicht wirklich zu wünschen, helfen zu können. Spornen Sie gefälligst die Trägheit Ihres verehrten Gemahls zu irgend einer Antwort und bedecken Sie meine Unbescheidenheit mit dem Schleier Ihrer Nachsicht. Ich denke viel an Thalberg und an das schöne Weihnachtsfest, wollte Gott, ich könnte dort sein und mich an den Kindern, an P.s großen Augen ergötzen, denn die wird der Junge bei den vielen Lichtern machen. – – – Grüßen Sie Ihr kleines Gewürm von Onkel Eute. – – – Leben Sie wohl, meine liebe Madame – – – denken Sie an mich fortwährend, als an

Ihren

dankbarsten F. Reuter.“

Der folgende Brief entstammt der Zeit des Uebergangs von der landwirthschaftlichen Thätigkeit zum dichterischen Schaffen. Reuter hat seine Luise heimgeführt und ist nach Treptow, ganz nahe bei Thalberg, gezogen, um sich dort – zunächst recht kümmerlich – durch Ertheilen von Privatunterricht zu ernähren.

„Treptow, den 30. Juni 1851.

Meine liebe, gute Madame Peters!

Jetzt erst ernstlich. – Viele tausend Grüße von meiner Luise, einen herzlichen Gruß von meiner Schwiegermutter[47] und einen Kuß auf Ihre Hand von mir. – Heute ist es mir unmöglich, zu Ihnen zu kommen und persönlich dies alles auszurichten an Sie und Ihren alten Fritz und vor allem an Großmama; aber morgen bin ich bei Ihnen, morgen hoffentlich zu Mittag, heute habe ich noch Bestellungen, Besorgungen etc. zu machen, daß ich an nichts weiteres denken kann. – Nun scherzando: Endlich ist jenes Zimmer, welches ich zu einer Speisekammer erhob, weil ich darin späterhin Speisen aufbewahren wollte, wirklich zu einer Speisekammer geworden. Mein natürlicher Instinkt trieb mich heute nach meiner Ankunft in dies räthselhafte Gemach und ich gewahrte dort einen gewissen, geheimnißvoll verschleierten Korb.[48] Dreistigkeit ist meine Sache, und mit Gagerns kühnem Griffe fuhr ich hinein. Mein Glück war größer! Er griff einen Reichsverweser, ich eine Wickelwurst. – Eine Wickelwurst ist eine schöne Idee; aber jedenfalls [157] eine unreife, wenn sie nicht gar ist; ich griff weiter! – Eine Partie schöner Lichter! Das ist ’ne gute Sache, aber nicht für’n hungrigen Magen. Wie ich nun diese Griffe riskirt hatte, schlug mir mein Gewissen und schamröthlich zog ich mich zurück von dem Inhalt des geheimnißvollen Korbes; aber auch hungrig! Die Untersuchung bleibe Luisen; ich will keine vorwitzigen Enthüllungen machen, nur sehr ernstlich will ich danken für Ihre Güte, für Ihre liebevolle Vorsorge und Ihren Besuch in meiner keinen Klause. Möge Gott Ihnen diese Freundschaft, die Sie mir und meinem lieben Weibe erweisen, dort wiedervergelten, wo Ihr Herz mit tausend Banden gefesselt ist, an dem Glücke Ihres alten Fritz und Ihrer Kinder; möge er mir es gestatten, noch lange in Gemeinschaft mit Luisen Zeuge Ihres Glückes zu sein und möge nie ein Schatten zwischen uns sein.

Morgen bin ich bei Ihnen! Fritz verreiset vielleicht; geben Sie ihm zu den gewöhnlichen 26 bis 27 Küssen, die er des Abends als Deputat empfängt, noch einen 28. in meinem Namen; aber so einen, daß er es merkt, daß er von mir kommt, so halb zwischen Küssen und Beißen.

Grüßen Sie Mutter, und Gott erhalte Sie; also morgen! Mit der aufrichtigsten Liebe

Ihr

F. Reuter."


2. Aus guten Tagen.

Hatte Reuter in den Jahren der Dürftigkeit gern und leichten Sinnes entbehrt, so genoß er in der späteren besseren Zeit „froh, was ihm beschieden“. Es ist daher nicht zum Verwundern, daß die materielle Seite seiner Erfolge ihn nicht am wenigsten erfreute, und er spricht sich darüber sehr offen und munter seinem Freunde gegenüber aus. In eine besonders freudige Stimmung versetzt ihn die Schaffung eines eigenen Heims, und wenn auch diese Stimmung zuweilen getrübt wird durch die unerwartet hohen Kosten, so wird Reuter doch nicht müde, dem Freunde bis ins kleinste auszumalen, wie alles werden soll. Getreulich berichtet er auch über die vielfachen Zeichen der Zustimmung, welcher seine Werte in nah und fern begegnen und der in der mannigfaltigsten Weise Ausdruck gegeben wird.

„Neubrandenburg, den 24. Juli 1858.

"Lieber Fritz!

Wie in aller Welt, mein theurer Junge, kannst Du und Deine gute Frau Euch von uns vergessen glauben: diese Umstände treten bei uns nicht ein, aber andere Umstände, Verhältnisse und Rücksichten (köstliche Wörter, wenn man eine Entschuldigung zu schreiben hat) haben uns verhindert, Euch so recht mit Lust und Liebe unter die Augen zu treten. – – – In den letzten acht Tagen war meine Schwägerin E. hier, die gestern kurz nach Ankunft Deines Schreibens mir meine Frau entführt hat, wohin? das weiß der liebe Gott; ich bin nicht klug daraus geworden und soll ich erst von Wismar aus das endliche Schicksal dieser Weiberpläne erfahren. Soviel kann ich Dir verrathen, daß Schwaan und Rostock und Wismar und Roggensdorf und Bokenhagen und Warnemünde sehr viel durchgearbeitet worden sind und daß Dein Schreiben den Namen Thalberg auf eine höchst reuevolle, bedauernde Weise dahinein verweben ließ. Dies alles würde nun für mich keine Entschuldigung abgeben, – – – wenn ich nicht wirklich ein erbärmlich geplagtes Thier wäre. Ich hatte mir vorgenommen, ‚Läuschen un Niemels‘ diesen Sommer zu schreiben, und das wäre auch gut gewesen und gut gegangen, da kitzelt mich die Lust und ich schreibe eine Posse nebenbei; das wäre auch noch gegangen; aber dazu sollen nun noch Couplets gemacht werden; die Musik will nicht dazu passen; also müssen diese abgeändert werden etc. Du siehst, soviel habe ich noch nicht geschmiert wie [158] jetzt. Ich bleibe nun wohl noch 8 Tage hier in den Sielen[49]; dann wird die Posse in Rostock aufgeführt, also dann dorthin, dann zu Lisette nach Schwaan, dann über Schwerin nach Berlin, nach Leipzig, nach Jena, wenn Gott mir Gesundheit und Geld dazu sendet, und dann nach Roggensdorf, und dann nach Thalberg, um Euch viel zu erzählen.

– – – Nun lebe wohl, lieber Bruder, und denke ferner an

Deinen aufrichtigen Freund

Fritz Reuter.

Meiner theuren Freundin Marie[50] meinen respektvollsten Gruß, desgleichen an Großmama und für die lieben Jungen auch einen, aber ohne Respekt.“


„Neubrandenburg, den 21. Nov. 1860.

Lieber Fritz!

Längst schon wäre es meine Schuldigkeit gewesen, Dir für Dein Buch[51] meinen herzlichsten Dank zu sagen; aber die Aussicht, Euch vielleicht hier zu sehen, und der Wunsch, gleiches mit gleichem zu erwidern, ließ mich noch immer warten – bis denn nun endlich mein Hanne Nute muthig Deinen ökonomischen Lehren in diese böse Welt gefolgt ist. Ich sollte eigentlich nicht ,muthig’, sondern ,zaghaft’ sagen, denn Dein Buch hat einen Erfolg, der noch gar nicht dagewesen ist. – – –

Also Glück auf! mein alter Doppelkollege als Oekonomiker und als Schriftsteller. Wer hätte uns wohl vor 15 Jahren angesehen, als wir Boston spielten und Preßkopf aßen, daß Thalberger Speis’ und Trank sich dermaleinst in uns zu einer geistigen Thätigkeit entpuppen würde, die in Mecklenburg und Pommern den Leuten ein Licht aufsteckt! Aber nun paß auf! Du wirst dem Fluche der Schriftstellerei nicht entgehen: erstens wirst Du verdammt werden, weiter zu schreiben, und zweitens wird sich der Neid an Deine Sohlen heften. Habe ich meinen G.[52] gefunden, wirst Du Deinen H.[53] finden; oder hast Du ihn schon? – Ich möchte den alten galligen Spitzbuben wohl mal photographiren lassen, wenn er in Deinem Buche liest. – – –

Dein Fritz Reuter.“


„Eisenach, den 21. Sept. 1863.

– – Mein alter, lieber Junge, wenn wir ehrlich sein wollen, so haben wir uns beide nicht über die Ungerechtigkeit des Schicksals zu beklagen und können dem Leiter aller menschlichen Dinge ein dankbares Loblied anstimmen. – Nun, es sind wohl ab und an ein paar Spähne in unsere Suppe hineingefallen; aber sie ist doch noch so geblieben, daß wir sie in alten Tagen mit Behaglichkeit ausessen können. – Ich habe es schon oft gesagt und sage es immer wieder: die sauren, gepfefferten Preßköpfe, die wir im Anfange der 40ger Jahre in Thalberg verzehrten, haben unsern eigenen Köpfen Vorschub geleistet und sind in unserem Organismus zu Gehirn und Gripps[54] geworden. – Gott segne diese Preßköpfe und ihr seliges Angedenken! – Dir und den Deinen wie der ganzen Art Deines Hauses habe ich zum Schlusse in meinem 2. Theile ,Ut de Stromtid’, die jetzt halb gedruckt ist, noch ein freundliches Andenken gestiftet, indem ich den 2. Weihnachtstag in Deinem gastfreien Hause[55] geschildert habe, natürlich mit dem Justizrath.

Wir leben hier in dulci jubilo fort und die Besuche sind noch immer in vollem Gange; die letzte Zeit hat uns neben manchem gleichgültigen auch deren höchst interessante gebracht, und um Euch au fait zu halten, füge ich die Fremdenliste meiner Frau im Auszuge hier bei.[56]

– – Aus dem Arbeiten wird unter solchen Umständen nicht viel, indessen wird es für den Winter anders werden; wenn meine Korrespondenz nur nicht so riesig überhand nehmen wollte. Vor einigen Tagen habe ich eine große Ueberraschung gehabt: Oberappellationsrath Buchka sandte mir zum Dank für das Porträt seines Vaters[57] einen wirklich reizenden Teppich, den seine Mutter, Frau und Schwester für mich gearbeitet haben; natürlich nahm ‚sie‘ ihn mir gleich weg, weil er für mich zu schön sei, und wenn ich mich daran erfreuen will, muß ich zu ,ihr’ gehen. –

F. Reuter.“


Und nun ein Brief, dessen Eingang ein Bild davon giebt, wie der in wenigen Jahren berühmt gewordene Dichter zeitweilig mit Geschenken und Huldigungen überhäuft wurde.

„Eisenach, den 15. Januar 1881.

Lieber Fritz!

Als Eure letzte Sendung bei uns ankam, rief ich aus: ,Herr, halt ein mit Deinem Segen!’ und wenn ich mich jetzt bedanken soll, so weiß ich nicht, soll ich bei der Spickgans anfangen und mit der Lungwurst aufhören, oder mit der Lungwurst anfangen und mit der Spickgans aufhören. Bedankt muß nun aber sein, und darum bitte ich Dich, Dir diesen Dank aus dem Vorstehenden herauszulesen. Wir sind durch Eure Sendungen und die Rauchfleischgeschenke von H. aus Hamburg – bei dem Du ja gewohnt hast, wie er mir schreibt – durch Gothaer Zungenwurst, die W. mitbrachte, durch Leipziger und Lübecker Torten hier in einen Reichthumsglanz versetzt, der den guten Thüringern die Augen verblendet hat. – Na, Gott laß es keinem missen, der das Seine an uns gethan hat, auch dem Bremer nicht, dem braven Unbekannten, der mir 200 Stück Extracigarren schickte, auch dem Zeugschmidt K. nicht, der mir eine Spickgans schickte! Nach Neujahr habe ich noch zweimal eine Freude anderer Art gehabt. Die eine war ein Brief aus Manschester von einem alten Leidensgenossen aus Silberberg[58] mit Namen Wolfs, der jetzt dort in guten Umständen lebt; die andere ein dito Brief von einem alten Friedländer Schulkameraden, Ludwig Meyer, aus Warnemünde gebürtig, der mir aus Kanada vom Huronsee her schreibt. Beide sind durch meine Schriften wieder auf mich aufmerksam gemacht worden, und von letzterem erfahre ich beiläufig, daß man meine Festungsgeschichte theilweise in der New-Yorker „Kriminal-Zeitung“ abgedruckt hat. – Viel Glück, lieber Bruder, viel Glück! und Gott erhalte mich dankbar dafür! – Auch das Reelle, der nervas rerum, strömt auf mich ein: meine Aussichten aus Geldeinnahmen für dies Jahr sind brillant. – – – Alles sehr lieb und gut, wenn nur die Korrespondenz nicht so riesig überhand nähme. Ich bin aber außerdem jetzt sehr fleißig hinter meinem Buch her und denke, ‚schmiedet das Eisen, so lang es noch warm ist,‘ und das ist nächst der grausamen Kälte – wir haben hier 20° – auf der Wartburg sogar 22° – denn auch der Grund, weshalb aus dem Rendezvous in Berlin nichts werden wird; ich muß nothwendig mit meiner Zeit geizen, um das Buch soviel wie möglich zu Ostern fertig zu bringen, und da steckt noch viel Arbeit drin. – Für Deine Anekdoten und Redensarten sage ich Dir um so mehr meinen Dank, als ich weiß, wie sehr knapp auch Dir die Zeit zugemessen ist.[59] – – –

Also H.[60] hat so theuer verkauft, das freut mich; aber ich beneide ihn nicht, vor allem, wenn er nach Demmin zieht; nichts ist schrecklicher, als langweiliger Reichthum:

‚Etwas hoffen und fürchten und sorgen
Muß der Mensch für den kommenden Morgen,
Daß er die Schwere des Daseins ertrage
Und das ermüdende Gleichmaß der Tage.’

Wir beide fürchten und hoffen noch, Fritz, Heil uns! – –

Fritz Reuter.“


„Eisenach, Jakobitag 1864.

Mein lieber Fritz!

Nachgerade wäre es doch wohl Zeit, daß ich an meinen besten Freund ein paar Worte richtete, denn der Schwur, den ich geleistet habe: früher keinen Brief zu beantworten, bevor ich mein Buch[61] nicht fertig hätte – ist Gottlob! gelöst, mein Buch [159] ist fertig und wird wohl 2 bis 3 Wochen das Licht der Welt erblicken. Du glaubst nicht wie ich von allen Seiten Deutschlands darum gequält worden bin, nun sitze ich schon 4 Tage und schreibe Briefe an diese einzelnen Quälgeister, und wenn auch der Haufen der aufgespeicherten Briefe geringer wird, zu Ende bin ich nach lange nicht. – – Wenn Ihr uns im Sommer besucht, so werden wir Euch dafür im Winter abstrafen, denn was meine ist, hat den Einfall: alle Winter reisen wir auf 6 Wochen nach Mecklenburg, da kannst Du dann so viel Plattdeutsch reden als nöthig ist; aber für immer kehren wir nicht wieder zurück, denn die Prügelstrafe kann vielleicht auf Poeten und Litteraten und ihre Frauen ausgedehnt werden und dagegen scheint meine einen natürlichen Widerwillen zu haben. Ach, lieber Fritz, wie muß ein Christ und Mecklenburger sich fressen[62] wenn im Auslande von dem lieben Vaterlande die Rede ist. Man glaubt hier alles mögliche Schlechteste von Mecklenburg und seinen Junkern und Pfaffen, und es sollte mir gar nicht schwer werden, hiesiger Bevölkerung einzureden, daß sich die Rittergutsbesitzer alle Morgen ein keines unschuldiges Tagelöhnerkind zum Frühstück braten ließen.

In der letzten Zeit ist Julian Schmidt mit Frau und Maler Pietsch mit Frau bei uns gewesen; der letztere hat sich mit Hinstorff in Verbindung gesetzt und wird die Stromtid mit Bildern versehen. Prachtvolle Bilder! wunderschöne Figuren! – – Von Otto Speckter (Maler in Hamburg) ist der Hanne Nüte illustrirt; schon alles zum Holzschneider geschickt. – Zu dem Porträt von meinem Päding[63] habe ich mich sehr gefreut, obgleich er dasteht wie ein armer Sünder, der erschossen werden soll und alle Augenblicke die Kugel erwartet. – –

Daß Du einen Bullen ‚Bräsig‘ und ein Schwein ‚Pomuchelskopp‘ getauft hast, hat mir viel Vergnügen gemacht, denn es zeigt mir, daß Du ein richtiges Verständniß dieser beiden Personen hast; aber mit der Taufe Deines neukreirten Gutes bitte ich so lange zu warten, bis Du den Schluß der Geschichte gelesen hast; ich glaube, Du wirst das Ding am Ende Resow nennen müssen, denn mein Rudolph[64] in der vollständigen Entwickelung seines Wesens bist Du, mein alter Fritz. – –

So wie mein Buch herauskommt, schicke ich es Euch, Du wirst auch Deine ‚Inflorentia‘[65] darin finden.

Mit altem treuen Gruß

Dein Fritz Reuter.“


„Laubbach,[66] den 16. Nov. 65.

Mein lieber Fritz!

Heute ist großer Brieftag bei mir; Du bist der siebente, letzte, aber auch liebste, der an die Reihe kommt, um Dir meinen Dank für Deine freundliche Geburtstags-Gratulation[67] zu sagen, obgleich man eigentlich zu 55 Jahren nicht viel gratuliren sollte. – Recht erfreut bin ich, daß Du nicht über Futtermangel klagst; die mecklenburgischen Zeitungen sind ja ebenso voll davon, wie unsere Landleute hier. – Wir leben hier in alter Weise und werden wohl noch bis Anfang März hier bleiben, da mir die Kur im Ganzen gut bekommt, nur daß sich ab und an die Kreuzschmerzen wieder melden; es ist die Sache weiter nicht gefährlich, aber wenn man Geld und Zeit daran setzt, will man die Geschichten doch los werden. Mit meinem Dörchleuchten geht es auch so ziemlich vorwärts und hoffe ich, denselben bis Weihnachten druckreif zu schaffen.–

Vor einiger Zeit war Richard Schröder[68] mit Professor Simrock und Tochter aus Bonn hier bei uns, und in den nächsten Tagen werden wir den Gegenbesuch in Bonn machen. Ueberhaupt leiden wir nicht an Langeweile, gestern war der Freiherr Gisbert Vincke, der Bruder von dem Kammer-Vincke, hier bei uns und blieb die Nacht hier, und zugleich auch der Hauptmann von Köppen, ein Dichter, der schleswig-holsteinische Kriegslieder verfaßt hat, und der Regierungsrath von Forstner. Auch der erste Kommandant von Koblenz und Ehrenbreitstein, General von Hartmann, und der Kabinettssekretär der Königin, Dr. Brandis, sind hier bei uns gewesen und ich bei ihnen. – Es ist mir höchst komisch vorgekommen, lieber Fritz, wie sich die Zeiten geändert haben: in früherer Zeit empfingen mich die preußischen Festungskommandanten im Vorzimmer oder auch gar nicht, jetzt suchen sie mich auf. Dieser war jedoch ein überaus freundlicher Mann und hat mir mitgetheilt, daß unsere preußische Kronprinzessin sich lebhaft für meine Sachen interessirt.

Meine Geldangelegenheiten stehen imgleichen so trefflich, wie ich nie im Traume geahnt habe. – – Deine Marie wird sich freuen zu vernehmen, daß der erste Band der illustrirten Stromtid in sehr hübscher Ausstattung mit den Bildern von Pietsch mir vorliegt, die andern beiden werden im Laufe dieses Monats fertig und werdet Ihr dieselben zu seiner Zeit ansehen können. –

Zu Weihnachten wird’s nun wohl nichts mit dem Wiedersehen werden; vielleicht aber später. – Viele Grüße an alle von

Deinem Fritz Reuter.“
[186]
IV.

Durch die ungeahnten litterarischen Erfolge, welche Fritz Reuter mit seinen Dialektdichtungen errang, besserten sich zusehends auch seine Vermögensverhältnisse, sodaß er bald daran denken durfte, sich und seiner Luise ein eigenes stattliches Heim zu bauen und einen berühmten Architekten mit der Ausführung zu betrauen. Der nachfolgende Brief an den alten Freund enthält eine anschauliche Schilderung dieses Hausbaues, der dem Eigenthümer viel Freude machte, aber ihm nicht allein solche, sondern auch mancherlei Sorgen brachte.

„Eisenach, den 11. Sept. 1866.

Mein lieber Fritz!

Du wirst nun wohl mit Deiner Ernte hoffentlich fertig sein und hoffentlich nicht so schrecklich viel Regen gehabt haben wie wir hier; und dann kannst Du nicht allein mit Muße diesen Brief lesen, sondern auch denselben bei Gelegenheit einmal beantworten. – Heber E.s[69] Glück und Deine Eigenschaft als Großpapa haben wir uns sehr gefreut; bin aber doch überzeugt, daß Dir meine verehrte Frau Gevatterin in ihrer Würde als Großmama vollständig Gegenstand leisten wird. Was das wohl für ein interessantes Enkelchen ist! und was das wohl für ein Hantieren und Wirken mit Windeln und kleinen nothwendigen Tüchern ist! Dann kommen denn später die gestickten kleinen Gewänder und Bänder und die verzwickten kleinen gehäkelten Mätzchen und die Lutschbeutel und die Klöterbüssen, und die Idylle ist fertig.

Wir träumen hier auch allerlei Idyllen, denn unser Hausbau hat insofern begonnen, als wir dabei sind, die Felsen, die im Wege liegen, zu sprengen, was viel Arbeit, aber auch Baumaterial schafft. Den Plan zu dem Hause habe ich mir von dem Professor Bohnstedt, einem Architekten aus Petersburg, machen lassen, sehr zur Zufriedenheit; der ausführende Baumeister ist der hiesige Ingenieur der Eisenbahn. Einen genauen Anschlag über den Bau habe ich noch nicht, weil der Plan wegen einiger Abänderungen an Bohnstedt zurück [187] gegangen ist.[70] Das Haus wird 40 Fuß tief und 9 Fuß länger, als das, welches wir jetzt bewohnen, wird 2 Stock (je von 12 Fuß) hoch und erhält noch ein sogenanntes Halbstock oben darauf. Im Parterre liegen die Wirthschaftsräume, Küche, Waschzimmer, Mädchenzimmer, Keller, Holzgelaß und Badestube, dasselbe wird mit Eisenbahnschienen gewölbt und liegt bis auf die Keller ganz oberhalb der Erde. Im zweiten Stock sind die Wohnzimmer, meins wird 4 Fuß tiefer und 3 Fuß breiter[71] und erhält nebenan noch ein kleines Kabinett, das Wohnzimmer liegt in der Mitte und springt etwas ein, davor kommt eine sogenannte italienische Loggia als Balkon in der ganzen Breite des Zimmers, welches ebenfalls 3 Fuß breiter und 4 Fuß tiefer wird, als unser kleiner Salon. Ebenso das Zimmer meiner Frau, welches einen Erker nach der Wartburg zu erhält. Nach hinten an demselben stößt ein Speisezimmer, von dem man ohne Treppe auf eine Terrasse, und in den Garten gelangt. Dann kommt noch nach hinten ein Zimmer zum Ablegen, ein kleines Kabinett für Geschirre und Gedecke, ein Garderobe- und ein Schlafzimmer, welches geräumig wird und nach der Seite zu aus dem Hause ausspringt, damit es gesund und der Morgenluft ausgesetzt wird. Oben, über mir und meiner Frau, kommen ein paar Logierzimmer, mehrere Kammern, und für den Fall, daß ich mir eine Kombination von Gärtner und Bedienten anschaffe, ein Zimmer für diesen. Unterhalb der oben angeführten Terrasse kommt ein kleines Gewächshaus. Den Garten werde ich meistens terrassiren lassen und werde an die Terrassen Spaliers anfügen; auch eine kühle Grotte soll in den Fels gesprengt werden. Ich werde Dir zu seiner Zeit den Plan einschicken. Die Fronte wird sehr hübsch im italienischen Geschmack und wird von vorne wie mit einem platten Dach aussehen, wird aber ein sogenanntes Pultdach nach hinten geneigt haben. Du siehst, es kann hübsch werden, und da ich – Gott sei Dank! – noch immer Glück mit meiner Schreiberei habe, so werde ich auch mit dem Kostenpunkt fertig werden, ohne genöthigt zu sein, von meinem angelegten Gelde etwas aufzunehmen. Diesen Herbst werden die Sprengarbeiten beschafft, im nächsten Herbst ist alles fertig und Ostern 1868 ziehen wir ein, wenn uns Gott Gesundheit und Leben giebt. In manchen Dingen, namentlich im Garten, wird dann wohl noch nachzuhelfen sein. Wir sind beide wohl auf; aber zum neuen Arbeiten komme ich gar nicht. Mir hackt soviel Störung an, daß ich gar nicht weiß, wie das noch werden soll. Nun! hoffen wir auf den Winter. – –

Mein neues Buch[72] ist mit 10 000 Exemplaren in die Welt gegangen. – –

Dein Fritz Reuter.“


„Eisenach, den 10. Dec. 66.

Mein lieber Fritz!

Nachgerade müßte ich mich denn doch wohl für Dein prächtiges Geburtstagsgeschenk, die Karauschen, bedanken. Diese kleinen, liebenswürdigen Landsleute[73] kamen hier in frischem, ungetrübtem Zustande am 8. Nov. an und zwar gerade zur Mittagszeit; nun war aber an diesem Tage ein Ruf an mich ergangen aus der Ferne von Gotha aus, daß ich selbigen Abends eine Vorlesung halten sollte daselbst im Schauspielhause zum Besten der Gustav Adolf-Stiftung und sie sollte mitanhacken. Nun war guter Rath theuer, was anfangen mit der lieben Gottes- und Freundesgabe? Aber Du kennst meine Energie und meinen kurzen Entschluß, wenn von Essen und Trinken die Rede ist; ich sagte also resolvirt bloß das Wort: ‚braden’. – ‚Aber,‘ sagte meine sinnige, gemüthvolle Doris, ‚Herr, all die Krutschen braten?’ – denn sie spricht wegen Bildung nur noch Hochdeutsch. ‚Ja,’ sagte ich und kuckte ihr mit Nachdruck in die himmelblauen Augen, ‚braden, Doris, braden; frische Fische gute Fische, also braden.’ Sie zog sich gekränkt zurück, briet aber die Fische. Was nun sie war, enthielt sich in dieser Frage der Abstimmung und schwieg wie ihr Kollege, der Kultusminister in der Abgeordnetenkammer in Berlin – sie ist nämlich in der letzten Zeit zum Minister des Kultus mit Portefeuille avancirt – sonst wäre die Frage ins Bodenlose gefallen. Als wir aus Gotha zurückkehrten, lebten wir drei Tage und drei Nächte unausgesetzt höchst nahrhaft von ‚braden Krutschen’, und als die letzten verzehrt waren und ich nach mehr verlangte und die Nachricht erhielt, sie wären alle, da sagte ich: ‚Wat? Ok all wedder all?’ und ging zürnend und hadernd mit meinem harten Geschick in meine Stube. – Da hast Du die Krutschen-Geschichte.

Bei uns ist jetzt eine schöne, stille Ruhe eingekehrt, der Hof, der sich hier drei Wochen aufgehalten hat, ist nach Weimar zurückgekehrt. Und als er hier war, habe ich auch zum ersten Mal in meinem Leben eine große Gala-Cour mit durchgemacht, bin zur Tafel geladen und habe der Großherzoglichen Familie eine plattdeutsche Vorlesung halten müssen, die für mich höchst dankbar ausfiel, da mit Ausnahme der Großherzogin, einer geborenen Holländerin, auch kein Einziger ein sterbendes Wörtchen davon verstanden hat. Ich bin jetzt bei der ‚Reise nach Konstantinopel’ und habe den Anfang mit den Rostocker Fetthämmeln gemacht.

Heute ist ein behaglicher Tag für mich, draußen braust der Wind, und die Müllerburschen schlagen sich; ich denke an meine Festungszeit und sitze gemüthlich beim warmen Ofen. –

Dein Fritz Reuter.“


„Eisenach, Sylvestertag 1867.

Mein lieber Fritz!

– – Wir haben unser Weihnachtsfest still und ohne Besuch zu Hause verbracht und sind Eurer und der früheren Weihnachten bei Euch so lebendig eingedenk gewesen, wie die Karauschen waren, die Vater Knitschky[74] uns geschickt hat. Ja denke Dir! die kleinen fröhlichen Dinger kamen am 2. Feiertag hier bei uns an und waren ganz frisch und lebendig, und weil unsere Doris am 2. Festtage Ausgehtag hatte, mußten sie wohl oder übel die Nacht über noch in bittern Todesgedanken harren, aber am andern Morgen – lebten sie noch! Wir leben jetzt buchstäblich fast nur von Fischen, und da die Sendung eine reichliche war, so hoffen wir auch noch einen Theil des neuen Jahres uns davon zu ernähren, denn – dies kannst Du Deiner Frau sagen, damit sie ihre Freude daran habe – ich bin mal wieder, wie früher auf der Festung[75], mit einem genialen Fischgedanken in die Wochen gekommen; ich habe nämlich angeordnet, daß der größte Theil dieses Stolper Gewächses gebraten und dann in Essig gelegt und schließlich als saure Heringe verspeist werden soll. Wenn die guten Karauschen noch lebten, die würden sich mal wundern, was alles aus ihnen werden kann. –

Wenn’s alles so geht, wies gehen soll, dann kommen wir im Februar; mein Buch[76] schreitet piano-forte vorwärts, so daß ich es bis zu der Zeit fertig zum Druck bringen werde, und mein Haus ebenso piano-forte, daß ich es ohne Sorge verlassen kann.

– – Luise, die von Tag zu Tag gescheuter und klüger wird – man sollt’s gar nicht glauben, wie weit sie in dieser Geistesausbildung schon vorgerückt ist! – tadelt mich eben heftig, daß ich nicht vorneweg schon an dem Kopfe des Briefes meinen Dank für das künstlerisch schöne Geschenk[77] ausgesprochen habe. Sie hat gut reden, sie ißt bei Tisch die besten Happen vorweg, während ich mir von Jugend auf immer das fetteste Ende vom Butterbrot und das größte Stück Spickgans bis zuletzt aufgehoben habe. Also nun das fetteste Stück Butterbrot! – Herzlichen Dank für das schöne Geschenk, es soll unsern Salon im neuen Hause zieren! – –

Nun lebt alle wohl! Gedenkt unser freundlich und nehmt die Freßsäcke willig als ein unvermeidliches Uebel auf!

Vorher, zeige ich die Ankunft derselben an.

Dein Fritz Reuter.“

[206]
V.


Man braucht nicht auf ein Wort des alten römischen Philosophen Boethius: „die Freundschaft, dies heiligste Gut, gehört der Tugend und nicht dem Glücke zu“, zurückzugreifen, um zu verstehen, aus welchem Grunde die Freundschaft zwischen Reuter und Fritz Peters aufgebaut war; auch ein gut deutscher Dichter, Tiedge, giebt in anderer Form demselben Gedanken Ausdruck:

„Und einen Freund kann jeder haben,
Der selbst versteht, ein Freund zu sein.“

Als Fritz Reuter noch schwer vom Schicksal verfolgt und seine Stirn von düstern Sorgen umschattet war, da nahm sich der wackere mecklenburgische Landwirth des Niedergedrückten mit seiner ganzen Selbstlosigkeit an, und die Mannhaftigkeit und schlichte Treue, die sich hierin offenbarte, waren Züge in dem Charakter beider Männer, die sie dauernd und innig an einander fesselten. Wohl trennten sie sich später wieder, als Reuter seine geliebte Luise heimführte und sich ein bescheidenes eigenes Heim gründete, aber sie standen nach wie vor in innigem Verkehr. Und gemeinsam blieben ihnen Freud und Leid auch dann, als der Lorbeerkranz das Haupt des Dichters umgrünte und der Ruhm den Namen Reuter auf seinen Fittigen durch die Welt trug. Von jedem kleinen Ereigniß machte der Dichter dem Freunde Mittheilung, an jedem Vorkommniß in Peters’ Familie nahm er theil. Als er 1869 wieder wie in den vierziger Jahren zur Kur in der Wasserheilanstalt Stuer war, schilderte er brieflich sein nasses Leben mit dem alten Humor und suchte die Freunde auf ihrem Gute Bollentin persönlich auf. Und als die ernsten Kriegsjahre 1870/71 hereinbrachen, da bewies er seine herzliche Antheilnahme dem Sohne Peters’, der als Soldat mit vor den Feuerschlünden des Feindes stand, und wir geben unter den nachfolgenden Briefen auch denjenigen wieder, den die Feldpost von Reuter dem jungen Peters überbrachte.

*  *  *
„Stuer, den 3. Januar 69. 

 Mein lieber Fritz!

‚Seht, Ihr Beide dort im fernen Pommern,
Seht, Ihr Wilden seid doch bess’re Menschen!
Und ich schlag mich seitwärts in die Büsche.’

Ja, Ihr seid besser als wenigstens ich, Ihr schreibt doch und schreibt gute und freundliche Briefe, das will ich Euch nächstens einmal gedenken. Ich lebe hier und blühe hier, wie ein einsames, stilles Veilchen, nur daß ich nicht so schön rieche und statt in Gras und Blumen im Sande versteckt bin. Meine Gesundheit ist von der Art, daß sie anfängt steuerlos zu werden, zwei Meilen ins Land zu laufen, durch die Näthe zu platzen und sich ernstlich darauf vorzubereiten, Siedenbollentin banquerutt zu fressen; ich werde indessen wohl schwerlich die Hand- und Spanndienste[78] Deines getreuen Knappen Jochen Nebke, dessen rechten und wohlklingenden Namen ich bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal erfahre, in Anspruch nehmen, denn wenn ich noch bis die zwanziger Tage des Januar abgeschrubbt bin, werde ich schon so viel Fell verloren haben, daß es auf einzelnen Stellen durchsichtig sein wird. Einen kupfernen Kessel kann man alle Tage mit Strohwiepen und Sand scheuern, das goldene Fließ eines Dichters aber will geschont sein. Doch darüber später!

Was nun sie ist, so scheint sie ein sonderbares Vergnügen daran zu finden, mich ins neue Jahr an der Nase hineinzuführen und dies nützliche Organ bei mir ebenso lang zu ziehen als ihr eigenes. Sie sollte gleich nach Weihnachten kommen, sie kam nicht und scheint die schöne Festzeit mit Hundedressur[79] verbracht zu haben, sie hat sich wenigstens das Verdienst erworben, die irregeleiteten Jugendtriebe meines Steffan in die gebührenden Schranken zu weisen. Nun wollte sie gestern kommen, sie ist nicht kommen und wenn sie nun heute nicht kommt, dann – täuwen wi noch en beten.[80]

Hier ist’s sehr trostlos und einsam und einfältig; trostlos für ein armes, sehr krankes Mädchen, einsam für Deinen ergebensten Diener und Freund, und einfältig für einen jungen Mann, der sich nur, wie Deine kleinen lieben Schweinchen, von ungesalzenen und ungeschmalzenen Erbsen und Linsen nährt und sich einen Vegetarianer nennt. Dies ist nämlich eine neue philosophische Sekte, die Deutschland ausgebrütet hat, die aber ihren Ursprung auf Pythagoras zurückführt und ernstlich damit umgeht, die Menschheit auf den Urzustand Adams und Evas zurückzuführen, ob auch in Bezug auf Kleidung, ist bisher noch zweifelhaft, mit dem Essen versuchen sie es aber durchzusetzen. Die Anhänger dieser vom deutschen politischen Katzenjammer und thierschutzvereinlicher Frömmigkeit ausgebrüteten Sekte, die schon ganz munter sind und Fleischessen für Sünde erklären, gewinnen an Boden, was Dir bei Deiner Rind- und Schweinezucht gefährlich werden kann, sie verlieren aber an Gewicht, denn unser Ober-Vegetarianer, der uns zu Weihnachten verlassen hat, hat so viel an Gewicht verloren, daß sich sogar seine Haut und seine Knochen in Luft zu verflüchtigen drohten. Ich stehe noch auf dem alten, rohen, fleischfressenden Standpunkt.

Der Bruder unseres Herrn Badey, ein Doktor der Mathematik, schützt mich gegen die Langeweile, aus Dankbarkeit habe ich ihm dafür Bismarck und von der Heidt[81] beigebracht; er frißt auch noch Fleisch.

Nun, meine lieben, braven, theilnehmenden Freunde, meine besten Wünsche zum neuen Jahr und die Bitte, Euch um mich nicht zu grämen, ich bin ganz prächtig zuwege.

 Euer

 alter Fritz Reuter.“



„Eisenach, den 2. Dezember 1869. 

 Mein lieber Fritz!

Gestern sind richtig und wohlerhalten die schönen pommerschen Südfrüchte[82] bei uns eingesprungen. Was meine ist, hat um diese Fleischtöpfe Aegyptens getanzt wie der selige König David um die Bundeslade. Schade! Sie hatte keinen leinenen Leibrock an, sonst wäre der Vergleich vollständig gewesen – und schade! ich mußte sie einfangen, sonst wäre sie in ihrer Freude auf den Tisch gehüppt, und der hätte es nicht ausgehalten, denn wenn’s so beibleibt, dann jagt sie Deine Frau in der Vollkommenheit und Völligkeit noch vorbei. – – – Meine Einnahmen werden für die Folge leider eine große Einbuße erleiden, weil ein spitzbübischer Buchhändler in Amerika meine sämmtlichen Werke Wort für Wort plattdeutsch nachdruckt, und wenn derselbe diesen Nachdruck auch nicht in Deutschland gegen die bestehenden Gesetze vertreiben kann, so wird der Schmuggelhandel doch das seine thun; jedenfalls wird aber der Vertrieb in Amerika, der in der letzten Zeit sehr bedeutend war, vollständig abgeschnitten. Das ist sehr schlimm, es läßt sich aber gegen das amerikanische Raubsystem nichts machen. – – –

 Dein

 Fritz Reuter.“




[207]
„Eisenach, den 13. Okt. 70. 

 Mein lieber Fritz!

Es ist schon lange her, daß ich nicht an Euch geschrieben habe, habe auch nicht zu den alljährlich so schön regelmäßig wiederkehrenden Geburtstagen gratulirt, obgleich ich doch auch an anderen minder wichtigen Tagen sehr viel und freundlich an Euch gedacht habe. – Was ist das für eine Zeit! – Man kommt gar nicht zu Athem, zumal wenn man an einer so belebten Militärstraße wohnt wie wir. Hier gehen die meisten Soldatenzüge durch und nur die große Entfernung von uns zum Bahnhof und die Ungewißheit der Ankunft der Züge verhindern uns, bei den meisten Zuschauer zu sein; aber nun diese Zeitungsnachrichten! (ich lese jetzt 4 Zeitungen, die ‚Kölnische‘, die ‚Weimarsche‘, die ‚Rostocker‘ und unser Eisenacher Wurstblättchen), bald sind’s Freuden-, bald Hiobsposten, zu welchen letzteren ich die furchtbaren Verlustlisten der ‚Kölnischen‘ rechne, worin ich denn auch einen A. als leicht verwundet gefunden habe, aber zum Glück keinen M. Peters; ferner die Schilderung der in der Pfalz und im Elsaß herrschenden Noth und schließlich die infame Viehpest.

– – Dein M. hat an mich geschrieben, einen lieben, freundlichen und sehr instruktiven Brief; er bittet darin um Antwort, und diese hätte ich schon längst ihm zukommen lassen, wenn ich nicht die Absicht hätte, ihm irgend einen Abdruck von einem längeren Gedicht von mir zukommen zu lassen. Das Ding muß noch nicht gedruckt sein, ich erwarte es jedoch bald und dann werde ich es an Euch in Bollentin senden, da Ihr doch am Ende seinen Aufenthaltsort genau wissen müßt. Der wird was zu erzählen haben. Gebe Gott nur, daß er erst gesund und heil zu Euch zurückkehre; wenigstens aus diesen nichtswürdigen Bivouaks bei Metz erlöst wird, von denen uns ein mecklenburgischer Unteroffizier eine sehr häßliche Beschreibung gemacht hat.

Wir haben hier ein Lazareth von einigen Leichtverwundeten und ziemlich vielen Kranken (Rheumatismus, Typhus, Ruhr) und heute erwarten wir französische Gefangene; es soll eine Rasselbande von Zuaven, Turkos, Mobilgarden und Franctireurs sein, die zur Sicherheit von einer ganzen Kompagnie geleitet wird. Diese unsere neue Einwanderung wollen wir denn auch heute Nachmittag auf dem Bahnhofe in Empfang nehmen. Es ist nur ein sehr schlechtes Wetter augenblicklich, stürmisch mit vielem Regen, und der Herbst macht dem rasch herbeieilenden Winter nur noch ein flüchtiges Kompliment.

Wie’s uns geht? Nun, bei so allgemeinem Leid und so verbreiteter Sorge und Noth darf man billigerweise mit seinen kleinen Klagen nicht zu Markte ziehen. Fühl’s aber doch schon, daß ich in kürzester Zeit meine 60 Jahre auf dem Rücken habe; Kreuzschmerzen, Reißen in den Beinen und andere Altersgenossen treiben sich in meinem Leichnam umher. – – –

Was mir noch viele Freude macht, ist mein Garten, der in diesem feuchten Sommer prächtig herangewachsen ist; alles gedeiht gut, auch die im oberen Garten neu gepflanzten Obstbäumchen. Die andern haben schon fast alle getragen und treffliches Obst gebracht, vor allem die Weinstöcke, nur sind manche spätere Sorten nicht reif geworden. Meine Kirschen haben die Vögel, meine Nüsse die Eichkatzen aufgefressen. Heute will ich Pfirsiche, Aprikosen und Wein beschneiden. – –

 Dein Fritz Reuter.“




„Eisenach, den 2. Nov. 70. 

 Mein lieber M![83]

Gottlob, daß Ihr mit dem verdammten Metz fertig seid! Es ist dort doch wohl die scheußlichste Lage im ganzen Kriege gewesen. Ich habe hier von verschiedenen Seiten darüber Schilderungen von Leuten, die davor gelegen haben, erhalten, unter andern von dem Obersten des 77. Regiments, der ein paar Häuser weit von uns sehr bedeutend am Typhus erkrankt darniederliegt. Nun lese ich aber zu meiner großen Freude, daß schon vor dem vollständigen Abschluß der Kapitulation die eine Division des 2. Armeecorps[84] in vollem Regen des Abends auf Paris abmarschirt ist.

Ich hätte Dir schon viel früher auf Deinen so freundlichen und hübschen Brief geantwortet, wenn ich nicht die Absicht gehabt hätte, Dir ein Stückchen Poesie mitzusenden, zu dem mich eigentlich Dein Bericht über Gravelotte zunächst veranlaßte; aber bevor so etwas geschrieben und wiederholt durchgesehen und schließlich gedruckt ist, darüber vergeht immer geraume Zeit, und nun wissen wieder die Deinigen, an welche ich diese Zeilen zur Beförderung sende, wahrscheinlich nicht, wohin sie mein Machwerk schicken sollen.

Die Begeisterung für Eure Thaten vor Metz ging wie ein Lauffeuer durch das ganze deutsche Vaterland, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf, vom Palast zur Hütte, alles jubelte nicht allein über Euren Erfolg und Euren Heldenmuth, sondern alle die, die sich einen Begriff von den Schwierigkeiten Eurer Lage machen konnten, waren voll Enthusiasmus über die Zähigkeit und Aufopferungsfähigkeit der herrlichen Armee, die unter solchen Umständen solche Erfolge erstreiten konnte. Ja, mein lieber Sohn, wenn wir uns, will’s Gott, gesund einmal wiedersehen, dann kannst Du mit Stolz sagen: da bin auch ich dabei gewesen! Das ist ein großes Gefühl, welches dem Menschen für alle Zeit und Zukunft als Stab und Stütze sicher zur Seite steht.

Wir alten Knaben hier in Eisenach thun auch freilich das unsere, um der Noth im Felde so viel als möglich abzuhelfen, und haben von hier aus schon einige Male Wagensendungen mit warmen Kleidern und Lebensmitteln an unser 2. Bataillon des 94. Regiments abgesandt; aber was will das heißen? Es ist das Scherflein der armen Wittwe, wohl gut gemeint, aber doch sehr wenig hilfreich.

Meine Luise, die Dich recht von Herzen grüßen läßt, hat unser Haus, oben und unten, für Leichtverwundete und Reconvalescenten eingerichtet, sie hat eine Unmasse von Erquickungen eingekocht; aber vergebens, es werden keine Kranke in Privatlogis einquartiert, und so beschränkt sich denn unsere Pflege auf den Obersten v. C., und das auch nur durch etwaige Zusendungen.

Seit zwei Tagen sind wir denn auch mit französischen Gefangenen gesegnet, es sollen meist Elsasser aus Schlettstadt sein, ich habe sie noch nicht gesehen. Heute pfeift die Lokomotive wieder ununterbrochen, ein Zeichen, daß Frankreich wieder bei uns zum Besuch kommt, wir haben uns diesen Besuch wiederholentlich auf unserem vorzugsweise frequentirten Bahnhofe angesehen; aber ich kann nicht sagen, daß derselbe einen wohlthuenden Eindruck auf uns gemacht hat, es sind verkommene Gesellen, diese Zuaven und Turkos, und wenn Deutschland noch irgend Ehre im Leibe hat, so wird es in heller Werkthätigkeit Gott und Euch auf den Knieen danken, daß Ihr uns vor diesen Menschen bewahrt habt.

Gestern Abend verbreitete sich hier, durch Berliner Zeitungen hervorgerufen, das Gerücht, es sei auf unseren König geschossen und der Kriegsminister sei verwundet; ich glaub’s aber nicht. Wäre es wirklich der Fall, so wär’s für Frankreich das fürchterlichste Unglück. – – –

 Dein Fritz Reuter.“




Das Kriegsgetöse war verrauscht, und wenn auch die im blutigen Ringen geschlagenen Wunden noch nicht vernarbt waren, wenn auch mancher theure Todte von den Seinen noch heiß betrauert wurde und der glücklich Heimgekehrte die unter Kanonendonner und Schmerzenslauten erlebten Schreckensscenen noch treu im Gedächtniß hielt: der Friede war doch wieder eingekehrt und mit seinen Segnungen neues kraftvolles Leben. In seiner schönen Villa bei Eisenach lebte Fritz Reuter an der Seite seiner treuen Luise ruhig und glücklich und der Aufschwung, den nach dem siegreichen Kriege das ganze öffentliche Leben in Deutschland nahm, kam auch ihm zugute. Seine Werke fanden Freunde in Hütte und Palast, im Norden und Süden des geeinten deutschen Vaterlandes und in der ganzen Welt, wo Deutsche an dem kraftvollen Gedeihen der alten unvergessenen Heimath freudigen Antheil nahmen. Stets blieb Reuter mit seinen Freunden in reger Verbindung und unauslöschliche Liebe und Dankbarkeit bewahrte er insbesondere dem treuesten Freunde aus schweren Tagen, Fritz Peters, und dessen Familie. Das spricht lebendig aus dem folgenden – letzten – Briefe des Dichters, den er bei dem Tode der Mutter Peters’ an die in Trauer versetzte Familie richtete:

„Eisenach, den 27. Jan. 1873. 

 Mein lieber Fritz!

Als mir gestern Abend mein Möller einen schwarzgeränderten Brief brachte, ich Deine Handschrift auf der Adresse sah und den [208] Poststempel ‚Malchin‘, da wußte ich freilich gleich, was der Brief enthielte, leider bestätigte sich meine bange Befürchtung. Also, sie ist zur Ruhe gegangen, diese alte, liebe, brave, rastlos thätige Frau! Es ist traurig für die, die ihr näher angehört haben, auch für die, die sie näher gekannt haben; aber es ist ein Trost, überzeugt zu sein, daß sie mit dem Gefühl gestorben sein muß, daß ihr Leben kein unnützes gewesen ist, daß sie auf ihrem zum Theil sehr schweren Lebenswege manchen Schweißtropfen auf der Stirn, manche Thräne in dem Auge ihrer Mitmenschen getrocknet hat. Sie ruhe in Frieden! Und das wird sie; sie ist jetzt wieder mit ihrer kleinen Helene[85] vereint, und wie die Seligen dort oben miteinander in Friede und Freude verkehren, davon haben wir hier unten keinen Begriff, können nur zu Gott wünschen und hoffen, daß uns einmal eine ähnliche Statt bereitet werden möge.

Luise würde gewiß einige Worte den meinigen hinzugefügt haben; aber die gestern Abend erhaltene Trauernachricht hat sie so sehr erregt, daß sie die Nacht schlaflos hingebracht hat und mit ihren alten Kopfschmerzen erwacht ist. So ist denn allenthalben Kummer und Elend in dieser trauervollen Welt, und wenn auch der liebe Herrgott heute seine Sonne wieder hell und warm nach dreitägigem gelinden Frost über unserer Erde scheinen läßt, so läßt mich doch die Erinnerung an die zeitigen Frühjahre von 46 und 48 ein böses Jahr befürchten. Bei uns ist der Winter ungemein milde, in meinem Garten blühen die Blumen, und noch 6 bis 7 solche Tage, dann blüht schon ein Birnbaum bei mir.

Nun lebt wohl, Fritz und Marie! Gott tröste Euch!

 Euer Fritz Reuter.“




Im Garten der Villa Reuter standen die Blumen im köstlichsten Schmucke und sandten ihren Duft empor zu dem von Clematis umrankten Balkon des Hauses. Drinnen aber lag ein Schwerkranker, der im Nahen des Todes die Worte „Friede, Friede, Friede!“ flüsterte, als fühlte er, wie der Friede sich auf ihn herabsenkte, und der dann sich an die treue Gefährtin in Glück und Leid wandte mit den letzten bittenden Worten: „Luising, lulle mich in Schlaf!“ – Es war am 12. Juli 1874, als der Dichter entschlief[86], der „mit jedem Pulsschlage seines braven Herzens fest in seinem Volke wurzelte“, dessen Herz für alles Edle und Gute so warm schlug und der mit Gaben so reich begnadet war wie der Besten Einer. „Die Stille des Todes war eingekehrt in das Haus, welches der Geschiedene sich vor noch nicht zehn Jahren so schön erbaut, in welchem sein Mund so manches heitere Wort gesprochen, in dem er so manchem Freunde die Hand gedrückt.“



  1. „Madame“ ist hier wie später immer Frau Peters.
  2. Indem er damit nach ihnen schlägt.
  3. Das Kind hatte in der That dunkle Augen und Haare.
  4. Ansätze zu Engelsflügeln.
  5. Mutter der Frau Peters, die bei ihrem Schwiegersohne wohnte.
  6. Alte Frau, die zur Wartung der Kinder angestellt war.
  7. Wirthschafter in Thalberg.
  8. Er war Soldat gewesen.
  9. Die beiden Töchterchen.
  10. Fliegen mit den Engelsflügeln.
  11. „Ente“ = kindliche Aussprache des Names „Reuter“, der von den Kindern stets als „Onkel“ angeredet wurde.
  12. Nachbargut, auf welchem damals Luise, Reuters spätere Frau, als Erzieherin thätig war.
  13. Wegen der herrschenden Cholera war das Obstessen vom Arzt untersagt.
  14. Der damals drei Jahre alte Sohn.
  15. Wirthschafter in Thalberg.
  16. Ebenfalls Wirthschafter in Thalberg.
  17. Küchenlehrling.
  18. Einen alten Bekannten, der in einen langwierigen Prozeß verwickelt war.
  19. Scherzhaft für Peters’ Schwiegermutter.
  20. Schleppnetz zum Fischen.
  21. Der Hausarzt Adam drückte sich nach Art mancher Mediziner über menschliche Zustände und Gebrechen etwas offen aus, was seiner jungen Frau oft peinlich wurde.
  22. Peters’ Schwiegermutter.
  23. Nachbar auf Tetzleben, der sich als wohlhabender Gutsbesitzer Reuter gegenüber etwas aufgeblasen zu benehmen pflegte und deswegen oft von ihm verspottet wurde.
  24. Pfarrer in Tetzleben.
  25. Die Wirtschafterin.
  26. Die Bemerkung beruht lediglich auf scherzhafter Erfindung.
  27. Gastwirth in Treptow.
  28. Der nach dem vorigen Briefe aus Neubrandenburg bestellt worden war.
  29. Zweiter Sohn, damals ein Jahr alt.
  30. Kindermädchen.
  31. „Sich zeugen“ ist verhochdeutscht aus dem Plattdeutschen „sich tügen“, s. v. a. sich etwas Angenehmes gestatten.
  32. Der beiden Töchterchen.
  33. Spöttisch gemeinte Grußbestellung von unbrauchbaren Tagelöhnern.
  34. Nasser, erdiger Rand, der sich zuweilen bei feuchtem Wetter am unteren Saume der Frauenkleider bildet.
  35. Reuter kommt in dem Briefe vom 19. November 1847 (vergl. S. 111) auf das Leiden der Großmama und den für sie in Aussicht genommenen Aufenthalt in der Kaltwasserheilanstalt zurück.
  36. Die hier und weiter unten in Klammern gesetzten Stellen sind auch von Adolf Wilbrandt abgedruckt.
  37. Dreijähriges Töchterchen.
  38. Es ist interessant, daß Reuter sich schon damals ernstlich mit dem Gedanken an schriftstellerische Thätigkeit trug, während das erste Buch von ihm erst zu Weihnachten 1852 erschien.
  39. Scherzhaft gemeint. Die Herbstaussaat war um die Zeit längst beendet und Peters war dafür bekannt, daß er die Bestellung sehr beeilte.
  40. Es folgen jetzt erst recht „Thorheiten“. Das Jahr 1847 war ein Nothjahr, in welchem namentlich das Vieh durch Futtermangel litt. In Thalberg war indeß alles in gutem Stande, und Reuter richtet nun allerlei scherzende Fragen und Rathschläge an den Freund.
  41. Weil sie so matt sind, daß sie nicht ohne Hilfe aufstehen können.
  42. Dreijähriges Töchterchen.
  43. Zweijähriges Töchterchen.
  44. Gerede.
  45. wörtlich
  46. Dort hielt seine Braut sich auf.
  47. Reuter ist mit seiner Frau verreist gewesen und ist zunächst allein zurückgekehrt.
  48. Es war in der That ein Korb mit Eßwaren und anderen Dingen von Thalborg für die Wirthschaft angekommen.
  49. Geschirr, das den Pferden zum Ziehen aufgelegt wird; „in den Sielen“ bildlich für „in Arbeit“.
  50. Vorname von Frau Peters.
  51. Peters hatte ein Buch über landwirthschaftlichen Betrieb herausgegeben, das sehr starken Absatz fand.
  52. Klaus Groth, der Fritz Reuter bekanntlich angegriffen hatte.
  53. H., ein Gutsnachbar Peters’.
  54. Burschikoser Ausdruck für geistige Fähigkeiten.
  55. Siedenbollentin – kurz Bollentin genannt – ein Gut bei Treptow, das Peters gekauft hatte und wohin er 1859 von Thalberg übergesiedelt war.
  56. Folgt eine lange Auszählung von zum Theil weit bekannten Personen.
  57. Pfarrer in dem mecklenburgischen Dorfe Schwanbeck, nicht weit von Treptow. Es giebt noch eine Anzahl von Reuter ausgeführter Porträts aus den vierziger Jahren. Reuter zeichnete gern und hatte vielleicht Anlage zu einem guten Maler, hat es aber aus Mangel an Schulung nicht sehr weit gebracht.
  58. Wo Reuter den ersten Theil seiner Festungshaft verbüßte.
  59. Reuter wünschte solche Mittheilungen. Er empfand es, seit er nicht mehr im Gebiet der plattdeutschen Sprache lebte, als einen Uebelstand, daß ihm so manche kleine drollige Schnurren und Redensarten entgingen, die er in seiner „Stromtid“ hätte verwerthen können.
  60. Der schon mehrfach erwähnte Gutsnachbar von Peters.
  61. Die „Stromtid“.
  62. Kränken.
  63. Pathenkind. Reuter hatte bei Peters’ jüngstem Kinde zu Gevatter gestanden.
  64. Die Romanfigur in der Stromtid.
  65. Verdrehung des Wortes „Influenza“.
  66. Wasserheilanstalt bei Koblenz, in der Reuter sich längere Zeit aufhielt.
  67. Reuters Geburtstag war um 7. November.
  68. Docent in Bonn, Sohn von Reuters Freund Justizrath Schröder in Treptow.
  69. Peters’ älteste Tochter hatte sich im September 1865 verheirathet.
  70. Der ursprüngliche Kostenanschlag wurde später sehr überschritten, so daß Reuter wiederholt deshalb sich beklagte. Er äußert sich darüber zu seinem Freunde Peters u.  a. in einem vom 28. Oktober 1866 datierten Briefe, den wir seines sonst unwesentlichen Inhalts wegen weggelassen haben. Dort heißt es: „Mit dem erneuten und erhöhten Kostenanschlage unseres künftigen Hauses hat der Teufel uns ein neues Basiliskenei ins Nest gelegt. Das geht mir denn doch etwas über den Kreidstock! Aber was thun? Die nöthigen Sprengarbeiten sind gemacht, die Grundmauern sind fertig, der Großherzog hat infolge der Einsicht in den Plan und in die Façade mir das Versprechen der Anlage eines schönen Weges zu meinem Hause gegeben: soll ich nun die ganze Geschichte umstoßen, anders bauen? schlechter? kleiner? – Schlecht will ich nicht bauen, es soll nicht heißen, daß ich ein liederlich Gebäude nach meinem Tode in der Welt zurückgelassen habe, kleiner auch nicht, ich will nicht wieder in solchem kleinen Kasten mich Halbtod räuchern. Also es wird nichts helfen, ich werde in den sauren Apfel beißen müssen.“
  71. Als in der bisherigen Wohnung.
  72. „Dörchleuchting“.
  73. Karauschen waren Reuters Lieblingsfische und er nahm sie daher um so lieber von seinem Freunde an, als sie in Thüringen schwer zu bekommen waren.
  74. Verwalter aus Stolpe, einem Gute, das Peters gepachtet hatte.
  75. Man erinnere sich der drolligen Scenen, wie Reuter mit dem „Franzos“ zusammen wirthschaftet und sie eines Tages Karpfen kochen.
  76. „De Reis’ nach Konstantinopel“.
  77. Eine kleine Malerei.
  78. Zum Abreiben mit nassen Tüchern als Nachkur nach dem Verlassen der Heilanstalt.
  79. Reuter hatte sich zur Bewachung seines neuen Hauses eine junge Dogge angeschafft.
  80. Warten wir noch ein bißchen.
  81. Scherzhafte Bezeichungen von Touren im bunten Whist.
  82. Reuter bezog in den letzten Jahren regelmäßiq gegen Bezahlung Fleischwaren aus Bollentin, die ihm besonders zusagten.
  83. Dieser Brief ist an Peters’ Sohn, der im Felde stand, gerichtet.
  84. M. Peters stand beim zweiten Armeecorps.
  85. Ihre Enkelin Helene Rust, von der sie lange gepflegt worden und die vor kurzem gestorben war.
  86. Ueber die letzten Stunden Reuters berichtet Friedrich Friedrich im Jahrgang 1874 der „Gartenlaube“ (S. 498) in dem Artikel „Der Heimgang eines Dichters“.