Zum Inhalt springen

Unser Spatz

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Karl Müller
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Unser Spatz
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 828–830
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[828]
Thier-Charaktere.
12.   Unser Spatz.

Das Alltägliche ist nicht immer das am meisten und genauesten Gekannte. Gerade weil es alltäglich ist, sieht man gleichgültig drüber weg und lenkt Beobachtung und Forschung von ihm ab. Nichts ist aber für die Wissenschaft gefährlicher, als wenn das Naheliegende, das Heimathgebiet geringschätzig betrachtet und nur in der Fremde das Wissenswerthe gesucht wird. Die Natur ist so reich und die Züge ihrer Gebilde sind so mannigfaltig verzweigt, daß der Forscher in seiner Nähe fortwährend Beschäftigung findet, vorausgesetzt, daß seine Untersuchungen gründlich sind. Auch der gemeinste Vogel, unser Haussperling, verdient noch immer unsere Aufmerksamkeit, und dies um so gründlicher, weil unseres Vogels Charakter ebenso beachtenswerthe Seiten zur Betrachtung bietet, als die wahre Kenntniß seines sehr verschieden beurtheilten Thuns und Treibens dem Landmann und Gartenpfleger zum entschiedenen Vortheil gereicht.

Wir denken uns einen sonnigen Frühlingstag. Die Vögel fliegen emsig umher und feiern durch Gesang die himmlische Jahreszeit. Nur unser Sperling sitzt still am Rande des Lochs in der Lehmwand des Hauses oder in der Mauerspalte und stößt nur von Zeit zu Zeit sein eintöniges „Zwilch“ aus. „Zwilch!“ ruft dieser Schelm und lenkt dabei unsere Aufmerksamkeit auf sein dem schmutzig-grauen Zwilchkleide ähnliches Gefieder, das im Allgemeinen zu seiner Seele paßt. Säuberlich gehalten, ist ja Zwilch ein leichter, bequemer Stoff, der unsere wackeren Turner recht artig kleidet. Aber dieser Leichtfertige hält sein Kleid nicht rein, und wenn er es wäscht, so sucht er dazu häufig eine schmutzige Pfütze aus und wälzt sich noch obendrein im Staube des Wegs. Eben kommt ein Nachbar Seinesgleichen ihm nahe, sofort fährt er unfriedlich auf ihn los und jagt ihn unter boshaftem Gezänke weg. Seine Ruhe will er haben. Streift eine Schwalbe im Fluge dicht an ihm her, so beißt er in die Luft und schimpft, bei aufgerichteten Kopffedern sich schüttelnd, hinter ihr drein mit herrischem „Rrr“. Siehe, da gerathen unten auf der Straße zwei Hähne hart aneinander. Prasselnd prallt Brust an Brust, Flügel an Flügel, und eine Feder fliegt zur Seite. Eilig läßt sich der lauernde Sperling nieder und trägt die Feder im Triumph seinem Neste zu. Der feige, aber schlaue Politiker, er hat sein Vergnügen daran, wenn Andere sich herumbalgen und zerfetzen, und sieht dabei zu, als ob er dächte. „Ja, ich bin klug und weise; denn ich mische mich nicht in Eure Händel, nehme aber, was ich bekommen kann.“

Und in der That, er nimmt auch zu seinem Neste, was er bekommen kann, Stoffe ohne Auswahl, die er im bunten Durcheinander in einer Höhlung oder in einem Winkelchen unserer Wohnungen zusammengeschichtet, ohne allen Kunstsinn, leichtfertig, lüderlich, so daß Strohhalme von Meterlänge seine Familienwohnung oft verrathen. Aber seine Vielseitigkeit läßt ihn bei der Wahl des Nistortes in manchen Gegenden mit dem edlen Geschlecht der Finken rivalisiren, neben deren Kunstbauten natürlich sein Massenbau auf dem Apfel- oder Birnbaum sich ausnimmt wie die alte Bauernscheune neben dem Hause des feinen Salonherrn oder wie das Lumpengewand neben der geschmackvollsten Toilette einer Balldame. Nicht selten tritt er sogar als Concurrent unserer Spechte auf, indem er in die Lehmwand des Hauses tiefgehende Höhlungen zimmert, um sich Nist- und Schlafstätten zu bereiten. So überraschte mich eines Morgens der Kopf eines Sperlingsmännchens in meinem Schlafzimmer, nachdem es von außen bis zur Tapete zimmernd vorgedrungen war und diese mit einem Schnabelhiebe ebenfalls durchbrochen hatte. [829] Neugierig sah sich der kecke Gast um und wollte, durch mein Aufspringen erschreckt, den Kopf zurückziehen, allein die Federn am Hals wurden in der engen Tapetenspalte zur wulstigen Krause vorgedrängt, so daß der Rückzug nur mühsam geschehen konnte und endlich unter Geschrei des Geängsteten mit dem Stuartkragen noch in dem Augenblick gelang, wo meine Rechte ihn greifen wollte.

Zuweilen ist es dem Sperling zu mühsam, ein eigenes Nest zu bauen, und darum wartet er, bis eine Schwalbe mit dem ihrigen beinahe fertig geworden ist. Hartnäckig ergreift er Besitz und trägt nur noch einige Federn zum Auspolstern hinein. Lauernd verbirgt er sich im Neste und läßt die ihre Wohnung liebende Schwalbe zu sich einschlüpfen; dann aber packt er sie und läßt sie eine Weile am Rande des Nestes zappeln, ehe er losläßt. Er ist mir dabei immer vorgekommen, wie ein habgieriger Wucherer, der das Bäuerlein nach und nach aus seinem Besitzthum vertreibt und sich selbst dann als Herr des Hauses breit macht. Jeder Versuch des Verdrängten, wieder in die alten Rechte eingesetzt zu werden, scheitert an der Unbarmherzigkeit und Gewissenlosigkeit des neuen Inhabers.

Die jungen Sperlinge im Neste sind flügge geworden. Die Eltern wollen, daß sie ausfliegen, weil es ihnen zu beschwerlich wird, jedes einzelne ihrer Kinder in der engen Höhle ferner zu versorgen. Wie schlau fangen sie es an, ihren Willen durchzusetzen! Sie lassen die Kleinen eine Zeit lang hungern. Die Größeren derselben sehen hervor und schreien nach Futter. Die Alten fliegen in die Nähe, und während die Jungen gierig sperren, flattern jene langsam wieder weg mit lang gezogenem Lockton. Dies wiederholen sie so lange, bis sie die Brut nach und nach zum Ausfliegen gebracht haben. Kein Wunder, daß die Kleinen große Spitzbuben werden, wenn die Eltern selbst sie so frühe betrügen. Mit jedem Tage ihres Wachsthums und ihrer zunehmenden Fertigkeit im Fliegen sehen sie neue Frevelthaten ihrer Anführer. Sie werden mit den Spalten vertraut gemacht, die auf die Fruchtböden führen, mit den Bäumen, welche die süßesten Kirschen tragen, mit den Käsekörben, die ohne Drahtgitter sind, mit den Höfen, wo junges Federvieh gemästet wird. Aber sie werden auch schon frühzeitig gewarnt, wenn ihnen Gefahr droht, und es wird ihnen gelehrt, von ihren Diebereien mit heiler Haut zurückzukehren. Sind die Felder leer, die Früchte ausgedroschen und tritt der Winter vor die Thür, dann ziehen sich die Sperlinge in die Höfe zurück. Ihr Element ist dann die Miststätte. Noth lehrt sie sorgen und arbeiten. Das ist ein Suchen, ein Umwenden der leergedroschenen Weizenähren, ein Auseinanderpicken des Kehrichts, ein Vorliebnehmen mit der magersten Kost, daß die weichherzige Hausfrau die ihr zur Sommerzeit gestohlenen Erbsen vergißt, der Vater an die Raupen denkt, die sie im Frühling vertilgt haben, und der wilde Knabe in seiner Phantasie schon die Nester zählt, aus denen er ihre Jungen dereinst nehmen kann. Und wirklich, man füttert auch noch die Diebe, man gewöhnt sie auf die Fenstergesimse, wo sie unverschämt mit den Schnäbeln an die Fenster pochen, bis ihnen ihr vermeintliches Recht, ihr standesgemäßes Futter zu Theil wird.

Wie leutselig macht die Noth, wie brüderlich gesinnt, wie herablassend! Der hungernde Sperling, der noch vor Kurzem alle Vorüberziehenden ausschalt, sucht sich nun mit dem Gesinde gut zu stellen. Er folgt ihm auf Weg und Steg, weil er weiß, daß für ihn da und dort etwas von Dem abfällt, was dem Vieh gebracht wird. Wie sehr gleicht er hierin gewissen Menschen, die in ruhigen, harmlosen Zeiten ein stolzes, prahlerisches Wort führen, aber in schlimmen Zeiten sich retten lassen von Denen, die sie verachteten! Das sind traurige Prüfungstage für unsern Sperling, der wahrlich kein Kostverächter ist, Tage der Demuth, der tiefen Erniedrigung und schweren Selbstverleugnung. Da lernt er die Stunden zählen und sich die Minuten merken, wo es etwas zu reißen und zu beißen giebt. Er weiß genau, wann das Tischtuch am geöffneten Fenster ausgeschüttelt, oder der Kehricht auf die Miststätte getragen, oder das Federvieh gefüttert wird, oder auch wann der Hund mit einem Knochen aus der Küche kommt. Sobald der Knochen einen Augenblick von dem Hunde verlassen wird, fallen vier bis fünf Sperlinge gierig darüber her, und nun geht das Zerren und das Durchsuchen der Knochenhöhlen vor sich, daß man meint, man habe „Schlachthyänen“ vor Augen, die einem gefallenen Officier die Taschen durchsuchen.

So muß sich der Schwergeprüfte bei Schnee und hoher Kälte kümmerlich ernähren, und in den langen Nächten ist ihm obendrein noch zu viel Zeit gegeben, das Wenige zu verdauen und vielleicht von Träumen gequält zu werden, die seine unbußfertige Seele in reiche Fruchtfelder und Obstgärten versetzen.

In meinem Urtheile über seine Thaten will ich nun streng sachlich verfahren und die Summen auf Seiten der Nützlichkeit mit denen der Schädlichkeit als kaltblütiger Rechner vergleichen.

Wenn die Gärten und Fluren sich mit frischem Grün geschmückt haben, mit dem Grün aber auch die Kerbthierwelt in tausendfacher Gestalt zu bewegtem Leben erwacht ist; wenn, in Gespinnstklümpchen zunächst vereinigt, ganze Masten von anfangs winzigen, aber in kurzer Zeit zu beträchtlicher Größe heranwachsenden und über große Baumflächen sich ausdehnenden Räupchen ihr Verheerungswerk beginnen; wenn jene mannigfaltigen schädlichen Larven der Spanner, Eulen und Falter aus den Eiern gekrochen sind und ihre geheime vernichtende Thätigkeit beginnen: da entwickelt auch unser Sperling seine allerheilsamste Thätigkeit und wetteifert in Wahrheit mit den eigentlichen Insectenfressern im Durchsuchen der Bäume von den untersten Zweigen bis in die Kronen hinauf. Und aus den Gärten begiebt sich der Raupen- und Käfervertilger auch hinaus in das Feld, wo er in Wiesen und Saatfeldern sich in unzweideutiger Weise nur als Freund des Landmannes im Vertilgen von Kerbthieren erweist. Dem Heere der Mai- und Junikäfer gegenüber ist er freilich, wie überhaupt die denselben nachstellenden Vögel, nur in beschränktem Maße ein beeinträchtigender Feind, zumal da viele der in seine Gewalt kommenden Käfer der genannten und anderer Arten bereits ihre Eier abgelegt haben.

Während das Weibchen brütet, tritt vorzüglich das Männchen als Vertilger der Zerstörer von Blättern und Blüthen unserer Obstbäume oder auch als erfolgreicher Feind der Fruchtknospennager auf. Sehr oft sah ich den Sperling auch Regenwürmer, bloßgelegte Engerlinge und sonstige Käferlarven verzehren. Hier und da wird auch ein Schmetterling, eine Mücke, eine Biene im Vorbeifliegen erhascht. Ich habe Magen von vielen Dutzenden im April, Mai und Juni gefangener Sperlinge untersucht und bei der überwiegenden Mehrzahl nur Käferreste von verschiedener Art und Größe und andere Insecten nebst deren Larven gefunden. Durchaus bestimmend wirkt auf die Ernährungsweise der Sperlinge in den genannten Monaten die Gelegenheit ein, sich auf bequeme Weise Körnerfrüchte anzueignen. Hühnerhöfe, Fruchtböden, Malzbereitungsstätten, welche ihnen zugänglich sind, lenken sie vielfach von der Kerbthierjagd ab. Indessen führt sie doch immer wieder der Umstand in die Gärten, daß die Nestlinge der weicheren Kerbthiernahrung zu ihrem Gedeihen bedürfen. Ist aber die Fortpflanzungsperiode vorüber, so tritt die bis daher gerühmte Eigenschaft des Sperlings wesentlich in den Hintergrund. Schon die zweite Brut wird nicht mehr ausschließlich mit Kerbthieren ernährt, weil es da in den Gärten mancherlei vegetabilische Nahrung, insbesondere junge Erbsen giebt, welche ich – wohl zu merken! – bei den secirten Nestlingen in Menge fand. Noch weit weniger Insectennahrung erhalten die späteren Jungen der Brutperiode, welche bis zum September sich ausdehnt. Lediglich auf den Sommer, ich möchte sagen, auf den Vorsommer, beschränkt sich also der Nutzen dieses Vogels, und wollen wir gerecht sein, so gestehen wir das Gewicht dieser Thatsache ein, wenn dasselbe auch immerhin dadurch etwas herabgedrückt werden mag, daß ich im Sperlingsmagen auch unschädliche und sogar nützliche Kerbthiere gefunden habe, und nicht jedes Insect Ungeziefer ist.

Nun muß ich ebenso unparteiisch wie von seinem Nutzen auch von dem mannigfachen Schaden reden, den der Sperling stiftet. Vor Allem, um wieder mit dem Frühjahre zu beginnen, mache ich darauf aufmerksam, daß er zur Stunde, wo er sich als Beschützer der Obstbäume mit dem Gartenbesitzer befreundet, diesen durch freventliches Zerbeißen der Blüthen- und Blattknospen empört. Mir scheint diese Unart hauptsächlich eine muthwillige Spielerei zu sein, denn der Vogel läßt eine Weile die zerbissenen Knospen im Schnabel herüber und hinüber gehen und alsdann fallen. Daß freilich auch in manchen Fällen die Entdeckung eines Wurms in einer Knospe, zum Beispiel des Apfelblüthenbohrers Larve, den Sperling zu weiteren und öfteren [830] Untersuchungen auch der gesündesten Blüthen und Knospen veranlaßt, möchte ich für höchst wahrscheinlich halten.

Jede Hausfrau, die einen Garten besitzt, kennt die Aergerniß erregenden Thaten des Sperlings an den ausgestreuten Sämereien, wogegen Scheuchen und Klappern nur wenig vermögen. Die pfiffigen Vögel benutzen die Frühstunden, wo es noch still im Haus und Garten ist, und warten den Tag über die günstige Gelegenheit ab, welche von einzelnen dem ganzen nachbarlichen Contingent durch Locktöne gleichsam telegraphisch verkündet wird. Die jungen Erbsenpflänzchen werden mit dem derben Schnabel ausgehoben, wenn ihre Spitzen aus der Erde lugen, und mit der gekeimten Frucht fortgetragen. Die Diebereien werden fortgesetzt, so lange es noch Schoten giebt. Die ausgeflogenen Jungen folgen den Eltern dahin und finden die beste Unterweisung, an die Frucht zu gelangen und die süßeste auszusuchen. Im Nachsommer begeben sich die vereinigten Bruten einer Stadt, eines Dorfes oder auch mehrerer derselben in die reifenden Getreidefelder und plündern gemeinschaftlich die Aehren, vorzüglich in der Nähe der Gärten und Baumpflanzungen. Von ihrem Gewichte beugen sich die Halme, werden teilweise geknickt und zu Boden gedrückt, wo die Körner um so leichter herausgepickt werden können. Wer jemals solche plündernde Schaaren in den Getreidefeldern hat hausen gesehen, der muß den erheblichen Schaden anzuschlagen wissen, den sie dem Landmanne zufügen. Auch die Hanf- und Hirseäcker werden von den Sperlingen heimgesucht und reichlich gezehntet.

Lange vorher, ehe das Getreide, namentlich der Weizen, zur Reife gediehen ist, fallen sie in den Aeckern ein und verzehren die milchigen Früchte. In vielen dergleichen Fällen ist erwiesenermaßen ein Viertel des Körnerergebnisses der geplünderten Grundstücke allein von den Sperlingen verzehrt worden. Selbst den auströpfelnden Saft der Kirschen, Pflaumen, Aprikosen und Zwetschen weiß sich der Sperling anzueignen. Und die Trauben? Wer vermag sie vor dem Sperlinge völlig zu schützen, der heimlich hinter dem Laubschirme seine Mahlzeit hält und so gern auf den Spalieren an Mauerwänden und Häusern schläft? Während er hier einzeln oder nur in kleineren Gesellschaften durch täglich öfters wiederholten Besuch Aergerniß erregt, überzieht er in Massen die Weinberge.

Aber auch in den Gehöften plündert dieser listige Vogel das Getreide auf Fruchtböden und die Sämereien, zu denen er Zugang findet; in Vorratskammern dringt er ein und nimmt, was er haben kann, da er ja Alles frißt, und wer vermag ihm auf allen seinen Diebswegen nachzufolgen, die er schlau und vorsichtig wandelt?

Vergleichen wir nun Nutzen und Schaden miteinander, so liegt das entschiedene Uebergewicht in der Wagschale des letzteren. Hervorzuheben ist indessen, daß das Urteil je nach Gegenden, wo mehr oder weniger Feldwirtschaft, Obstzucht und Weinbau betrieben wird, sich wandelt und die Wage bald nach der einen, bald nach der andern Seite hin schwankt oder auch entschiedener noch zu Gunsten oder Ungunsten spricht. Die Ueberhandnahme der Sperlinge kann ich aus den angeführten Gründen also nicht gutheißen, sondern vielmehr nur eine Niederhaltung des Vermehrungsstandes empfehlen. Der Landmann und Weinbauer muß unbedingt das Recht haben, Vertilgungsmittel gegen die Uebermacht der Sperlinge anzuwenden; ebenso ist es dem Gartenbesitzer zu gestatten, den mit Fleiß und Sorgfalt gezogenen Weinwuchs und seine Obsternte gegen ihre Eingriffe zu schützen. Ich empfehle zu diesem Zwecke mit Dunst (dünne Schrote) geladene Flinten. Wenn die Sperlinge mehrere Cameraden stürzen sehen, so meiden sie sehr bald den Ort, wo ihnen der Schrecken eingejagt wird.

Es handelt sich also darum, daß die Regierung nicht Vertilgungsbefehle giebt, die zu allerlei Grausamkeiten führen, sondern außer der Brutzeit den Fluren-, Garten-, Weinberg- und Obstpflanzungenbesitzern Freiheit der Nothwehr gestattet. Die Tödtung selbst einer großen Menge von Sperlingen wird, wenn auch immerhin bemerkbar, doch keinen bedenklichen Verminderungsstand für das darauffolgende Frühjahr zur Folge haben, denn die Klugheit, mit welcher der Sperling die Gefahr flieht, sichert immer ein hinlängliches Contingent zur Raupenjagd.

In wie weit der Sperling zeitweise verfolgt werden muß, darüber entscheiden so mancherlei Umstände und Verhältnisse, daß ich nach den bereits gemachten Angaben die gesunde Vernunft und beobachtende und erwägende Ueberlegung der Verfolger selbst anrufen muß. Vergessen wir doch nicht, daß der Sperling den Menschen auch wieder durch sein munteres Wesen, sein enges Verhältniß zu ihm und seine treue Hausgenossenschaft vielfach aussöhnt. Er ist und bleibt nun einmal ein aller Welt leidlicher und ergötzlicher Hausgenosse.

Karl Müller.