Unser aller Herrin und Gebieterin

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Titel: Unser aller Herrin und Gebieterin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 520–522
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Unser Aller Herrin und Gebieterin.

Was wir sind ohne diese Herrin? – Die Wasseruhr. – Das Nonplusultra derselben. – Die Zeitmesser der Barbaren: Kieselhelm, Furchenzähler, Lagerwachen und Rosenkranzbeten. – Sanduhr und Stundenglas. – Die erste Schlaguhr. – Nürnberger Eier. – Federtaschen- und Repetiruhren. – Der englische Chronometer.

Es war während meiner letzten Sommerfrische; ich hatte einen Ausflug in das höhere Gebirg gemacht und war den ganzen Morgen und über den Mittag hinüber derb marschirt. Eben wanderte ich durch einen prachtvollen, aber etwas düstern und melancholischen Tannenwald, ringsum war Alles still, nur ab und zu erklang der Lockruf einer Amsel, dem ein anderer antwortete; da fiel mir plötzlich ein, daß ich ja um sieben Uhr Abends wieder unten im Thale auf der Eisenbahnstation sein müßte, wenn ich noch heut’ in mein zeitweiliges Asyl heimkehren wollte. Der Sonne nach mußte Fünf längst vorüber sein, und ich hatte noch einen weiten Weg bis zu meinem Ziele. Hastig griff ich nach der Uhr in meiner Westentasche, um genau zu sehen, wie ich meine Schritte fortab zu reguliren hatte, damit ich rechtzeitig an Ort und Stelle gelange – doch die treue Begleiterin auf meinem Lebenswege, die ordnende Freundin meiner freudevollen und leidvollen Stunden, sie versagte mir diesmal ihren Rath, sie war stehen geblieben. Meine Situation war nicht eben beneidenswert allein in einem großen Walde, auf dessen verschiedenen Pfaden ich mich möglicher Weise verirrt hatte, weit und breit kein Dorf, kein Haus, aus welchem der Schlag einer Glocke zu mir heraufdringen konnte, bei herannahender Dämmerung, mit dem Bewußtsein, daß die Meinigen mich heut’ bestimmt zurückerwarteten in unserer Villeggiatur daheim und sich zweifelsohne mit den phantastischesten Vorstellungen über mein Ausbleiben ängstigen, an Stürze in Schluchten und Gewässer, an Räuberattaken und andere Unglücksfälle mehr denken würden. So wuchs meine Unruhe mit jedem Schritte und die Minuten wurden mir zu Stunden, nervös, aufgeregt, athemlos wie ich war.

Und aller Noth und Sorge wäre ich überhoben gewesen, hätte sich meine Uhr nicht unglücklicher Weise in den Kopf gesetzt, einmal zu rasten – denn noch vollauf rechtzeitig langte ich auf der Station an – um mir so recht durch die Praxis ad oculos zu demonstriren, was für hülflose Geschöpfe wir in unserer Dampf- und Telegraphenära abgeben würden, stünde uns nicht die kleine tickende Freundin in der Tasche rathend und beschwingend zur Seite. Ja, was sollten wir anfangen ohne die Uhr? Kann doch dieser Zeitmesser geradezu als die Triebfeder der Civilisation bezeichnet werden, ist er doch mit allen unseren Bedürfnissen so innig verwachsen, so vollständig der Regulator unserer gesammten Arbeiten und Geschäfte, daß wir gewissermaßen seine Sclaven geworden sind und ohne ihn einen Zustand socialen Lebens uns ebenso wenig denken können, wie wir uns vorzustellen vermögen, daß es fliegende Vögel ohne Fittige giebt, oder daß sonst etwas Unmögliches möglich und wirklich ist. –

Das erste Volk, welches den Tag in gewisse Abschnitte getheilt zu haben scheint, waren die Assyrer; sie erfanden die Wasseruhr in einer für jedwede genauere Zeitbestimmung viel zu weit rückliegenden Periode. Nur so viel steht fest, daß der Apparat bereits vor dem Sturze des ersten assyrischen Reiches vorhanden war, denn von den frühesten persischen Autoren erfahren wir, daß man in Niniveh unter der Regierung Phul’s, oder, wie er mit allgemeiner bekanntem Namen auch heißt, Sardanapal’s des Zweiten, des ersten Herrschers des zweiten assyrischen Reiches, die Wasseruhr kannte und benützte. Dieselbe war nichts weiter als ein ehernes Gesäß von cylindrischer Gestalt, welches mehrere Kannen Wasser aufnehmen konnte. Durch eine seiner Wände war ein sehr kleines Loch gebohrt, durch das die Flüssigkeit langsam hindurch träufeln konnte, und zwar derart, daß sich das Gefäß des Tags etwa fünf bis sechs Mal entleerte. Unter Phul besaß der königliche Palast zu Niniveh und jeder der Hauptbezirke der Stadt eine Wasseruhr von der geschilderten Form und Beschaffenheit. Sie wurden sammtlich zu gleicher Zeit, oder mindestens möglichst zu gleicher Zeit, gefüllt auf das Signal eines Wächters, der hoch auf einem Thurme postirt war, den Aufgang der Sonne zu verkünden, und standen den ganzen Tag unter der Obhut gewisser Beamten, welche die Obliegenheit hatten, sie von Neuem zu füllen, sobald sie leer wurden. Zu jedem dieser Zeitmarkirungsämter gehörte ein völliges Corps von Ausrufern, die bei jeder Neufüllung der Uhren durch die Straßen eilten und dies Factum zu Nutz und Frommen der Bewohnerschaft vermeldeten.

Auf solche Weise gelangte man zu einer annähernden Schätzung der fliehenden Zeit. Die Intervalle zwischen Füllung und Entleerung der Gefäße hießen „Wachen“ und umfaßten wahrscheinlich eine Dauer von zwei bis zwei und einer halben Stunde. Allein kaum läßt sich annehmen, daß die verchiedenen Wasseruhren auch nur einigermaßen miteinander Schritt hielten; die Schwierigkeit, mit der Hand Gefäße von genau derselben Größe herzustellen, sie mit Oeffnungen von völlig gleichem Durchmesser zu durchbohren und mit Wasser von ganz der nämlichen Dichtigkeit zu versorgen, – das Alles muß ein sehr unregelmäßiges und ungleichförmiges Arbeiten der Maschinerie hervorgebracht haben.

Mehrere Jahrhunderte hindurch blieb die Wasseruhr oder Klepsydra in diesem primitiven Zustande, und erst als in Alexandria der Sonnenweiser erfunden war, erfuhr sie eine verbessernde Wandelung. Um dieselbe Zeit versah sie ein Aegypter von Memphis mit Zifferblatt und Zeiger. Der letztere drehte sich um einen Zapfen und communicirte mit einer Schnur, an welcher ein Korkschwimmer befestigt war. Wie das Wasser abträufelte, so fiel dieser Schwimmer mit ihm, und die dadurch größer und größer werdende Spannung der Schnur bewirkte, daß sich der Zeiger mit leichtem Ruck drehte, etwa in der Art des Secundenzeigers an einer unvollkommen fabricirten Taschenuhr. In der Theorie war diese Verbesserung entschieden höchst verdienstlich, in der Praxis jedoch noch ziemlich mangelhaft, denn die alte Schwierigkeit, mit einander Schritt haltende Uhren zu erlangen, verdoppelte und verdreifachte sich nur, sobald man das System durch Zeiger, Schnur und Schwimmer complicirte. Um ein gleichzeitiges Arbeiten zu sichern, hätte Schnur und Draht der verschiedenen Uhren auf das Haar genau von derselben Länge und Stärke sein, hätten alle Zeiger die nämliche Größe haben und sich um Zapfen bewegen müssen, die sämmtlich an Höhe und Umfang sich durchaus gleich gewesen wären. Und hätte man auch dies Alles wirklich erzielt, dann blieb immer noch die Frage: wie es machen, daß Schwimmer und Schnur, Schnur und Zeiger in vollkommener Uebereinstimmung arbeiteten, da ja das kleinste Hinderniß, wie Rost oder Staub, die Beweglichkeit des Weisers hemmte und damit die Arbeit von Schwimmer und Schnur abschwächte?

Immer war die Erfindung von nicht zu unterschätzender Bedeutung, schon insofern, als sie anderen Verbesserungen den Weg bahnte und zur Vervollkommnung der Klepsydra durch ein Getriebe von kleinen Zahnrädern führte, die bald in Gebrauch kamen. Diese Räder fußten auf den Principien unserer Wassermühlen und machten die Hinzufügung eines zweiten Zeigers möglich, mit dessen Hülfe die einzelnen „Wachen“ in kleinere Abschnitte getheilt werden konnten. Damit aber hatte man das Nonplusultra der Wasseruhr erreicht, es datirt aus dem Jahre zweihundertundfünfzig vor Christo, und Aegypten, welches der große Uhrenmarkt jener Zeit geworden war, versandte die neuen Instrumente zu fabelhaften Preisen nach den verschiedenen Ländern des Orients. Als im Jahre 62 vor Christo Pompejus als Sieger über Tigranes, Antiochus und Mithridates in Rom einzog, war eine der werthvollsten Trophäen, welche er unter den Schätzen des Königs von Pontus mitbrachte, eine Klepsydra, die nach der in Rom gebräuchlichen horologischen Methode Stunden und Minuten bezeichnete. Der Cylinder, welcher als Wasserbehälter diente, war von Gold, ebenso das Zifferblatt; die Zeiger waren mit kleinen Rubinen besetzt und jede der Zahlen, welche die vierundzwanzig Stunden angaben, aus einem Sapphir geschnitten. Die Uhr muß von ungeheurer Größe gewesen sein, denn der Cylinder brauchte täglich nur einmal gefüllt zu werden. Noch niemals hatten die Römer etwas Aehnliches gesehen, und als Pompejus das kostbare Beutestück im Hauptsaale des Capitols aufstellen ließ, mußte eine starke Wachmannschaft daneben postirt werden, um es vor der indiscreten Neugier des Publicums zu schützen.

Auf den Sturz des römischen Reiches folgte bekanntlich eine [521] Zeit gänzlicher Finsterniß, in welcher Wissenschaft und Kunst und Alles, was das Leben schmückt und verschönt, in Vergessenheit und Verfall sanken. Unsere germanischen Vorfahren, die in die kaiserliche Stadt als Sieger eindrangen, hatten ihre besonderen und sehr ursprünglichen Methoden, die Flucht der Zeit zu markiren; von Stunden und Minuten wußten sie nichts. Um Wasseruhren zu erfinden, waren sie lange nicht gebildet genug, und Sonnenuhren, selbst wenn sie solche besessen hätten, dürften ihnen in ihren Wäldern und Sümpfen, wo das Tagesgestirn nur selten einmal in hellem Glanze sichtbar wurde, von geringem Nutzen gewesen sein. Nichts destoweniger aber mußten sie wissen, wann sie ihre rohen Mahlzeiten zu bereiten, wann sie sich zum Cultus ihrer Götter zu versammeln und wann sie die Wachposten abzulösen hatten, die am Saume ihrer Ansiedelungen aufgestellt zu sein pflegten. Um dies zu bewerkstelligen, ersannen sie das folgende Verfahren. Mit Tagesanbruch, wenn der Häuptling des Lagers oder Dorfes sich von seinem Thierfell erhob, kam ein junger Sclave, setzte sich am Eingang der Hütte nieder und stellte zwei Helme vor sich hin, von welchen der eine mit Kieseln gefüllt, der andere leer war. Sein Geschäft bestand nun darin, daß er diese Kiesel einen nach dem andern, und nicht zu schnell, vom ersten Helm in den zweiten warf, worauf er von einem andern Sclaven abgelöst wurde, der die gleiche Operation wiederholte. So ging es mit Leeren und Füllen der beiden Helme fort bis Sonnenuntergang. Da die Helme in der Regel sehr groß, die Steine aber durchschnittlich sehr klein waren, so muß der Proceß des Ueberwerfens von einem Behälter in den andern wohl zwei gute Stunden, vielleicht noch mehr in Anspruch genommen haben; es ist daher wahrscheinlich, daß die alten Germanen, gleich den Asyern, ihre Tage in sechs Theile oder Wachen teilten. War ein Helm entleert, so verkündete man dies Begebniß dem Lager dadurch, daß man, an der Thür vor der Häuptlingshütte, mit dem Schwerte an den Schild schlug. Der Schall tönte durch das ganze Lager, und sämmtliches Publicum wußte dadurch, daß die Stunde des Mittagsessens oder der Götterverehrung gekommen war.

Allein dies war nicht die einzige Art und Weise, auf welche unsere Ureltern die Zeit bezeichneten. Es gab vielmehr noch eine Menge anderer Mittel und Wege dazu, je nach den verschiedenen Oertlichkeiten und Stämmen verschieden. Da wo die Beschäftigung des Landmanns vorwaltete, rechnete man nach der Zahl der Furchen, die er mit dem Pfluge ziehen, oder, war es zufällig Erntezeit, nach der Quantität der Halme, welche er mähen konnte. In jenen Städten, wo sich noch ein schwacher Ueberrest von römischer Cultur erhalten hatte, ward die Zeit durch Wächter verkündet. Sowie der Tag kam, brach ein Soldat zu Fuß – war der Ort umfänglich, wohl auch zu Roß – auf und hielt seinen Umgang um die Stadt. Hatte er denselben beendet, so war der erste Zeitabschnitt, die erste Wache, vorüber der Soldat rückte in sein Quartier heim und stieß laut in die Trompete, während ein zweiter sich auf den Weg machte, die Stadt zu umwandern oder zu umreiten. Und diese Umzüge währten ununterbrochen fort Tag und Nacht, mit dem einzigen Unterschiede, daß nach Sonnenuntergang kein Trompetenstoß mehr erfolgte und daß dann nicht ein einzelner Soldat, sondern eine Rotte von zehn bis zwölf Mann den Umgang vollzog.

Als ein letztes Beispiel von barbarischer Zeitmessung wollen wir noch die in den Klöstern des Abendlandes, deren erstes bekanntlich vom heiligen Benedict im Jahre fünfhundertdreiundzwanzig unserer Aera gestiftet wurde, gebräuchliche Methode anführen. Die Mönche pflegten nämlich die Zeit nach der Anzahl von Gebeten zu berechnen, welche sie abplärren konnten, wodurch die sogenannten Rosenkränze in Aufnahme kamen. Jeder Mönch hatte so viele „Paters“ und "Aves“ herzusagen, wie sich Perlen an seiner Schnur befanden, und da, wenn wir nicht irren, die orthodoxe Perlenzahl dreiunddreißig zu sein pflegte, das heißt je eine für jedes Lebensjahr unseres Religionsstifters, so war das Abbeten des Rosenkranzes das Werk von guten anderthalb Stunden. Ganz wie bei den erwähnten Zeitwächtern löste nun ein Mönch den andern ab, und die Beendigung jeder einzelnen „Vigilie“ wurde durch Anschlagen der Capellenglocke verkündigt, – eine Sitte, welche, beiläufig, in gewissen Klöstern noch heutigen Tages besteht.

Ein Jahrhundert nach dem Untergang des römischen Reiches war die Gewohnheit, Stunden und Minuten zu markiren, in Westeuropa völlig verschwunden, und ohne die Staaten des Ostens, in denen die Flamme der Wissenschaft noch matt glimmte, während der Occident ganz und gar im Dunkel lag, würde vielleicht alle Horologie außer Cours gekommen sein. Dem berühmten Kalifen von Bagdad, Harun-al-Raschid, gebührt das Verdienst, Europa die alte Wasseruhr wieder geschenkt zu haben. Ein Zeitgenosse Karl’s des Großen, sandte er diesem im Jahre 807 eine prachtvolle Klepsydra zum Zeichen seiner Freundschaft, allein man scheint das merkwürdige Geschenk zunächst mehr bewundert und angestaunt als nachgeahmt zu haben, denn wir finden keine Erwähnung von im Frankenstaate fabricirten Wasseruhren bis auf Philipp, der im eilften Jahrhundert über das heutige Frankreich herrschte. Der Grund dieser auffälligen Erscheinung ist möglicher Weise darin zu suchen, daß kurz vor dem Regierungsantritte Karl’s des Großen die Sanduhr erfunden worden war und daß man diesen Apparat für bequemer und einfacher erachtete, als die Klepsydra.

Jener Mann, welcher die Jahrhunderte verloren gegangene Kunst der Glasbereitung wieder erfand, war auch der Verfertiger der ersten Sanduhr. Es war ein Mönch, Namens Luitprand, in einem Kloster zu Chartres, und so wie er das erste Sandglas herstellte, genau so sind die Sanduhren bis auf den heutigen Tag geblieben. zwei birnenförmige Gläser, die an den schmäleren Enden miteinander verbunden sind. So wie der Sand von dem einen in das andere Glas hinabgeronnen war, wurde die Verrichtung umgekehrt und die Operation begann von Neuem. Kurze Zeit nach dem Empfange von Harun-al-Raschid’s Wasseruhr ließ Kaiser Karl eine Monstersanduhr herstellen, auf welcher die Stundenabschnitte durch dünne rothe Linien bezeichnet waren. Dies gilt als das erste "Stundenglas“. Es brauchte alle zwölf Stunden blos einmal umgedreht zu werden, und wenn wir annehmen dürften, daß es mit derselben Sorgfalt geblasen war, die man heutzutage aus die Verfertigung unserer kleinen Eiersanduhren wendet, so würde es an Genauigkeit unseren besten Ankeruhren nicht viel nachgestanden haben. Hört man doch noch jetzt mannigfach die Behauptung ausbrechen, daß die Sanduhr der beste aller bisher erfundenen Zeitmesser ist.

England, welches heute in vorderster Reihe steht, wo es sich um technische Erfindungen und Verbesserungen handelt, bediente sich damals noch einer Reihe alter, primitiver und unbeholfener Methoden, die Zeit zu messen. König Alfred, der von 872 bis 900 regierte, hatte sicherlich von den fränkischen Stundengläsern gehört, möglicher Weise auch selbst ein solches besessen, da die Mönche und Pilger, die fortwährend zwischen Deutschland und England hin und her wanderten, wohl kein Jahrhundert hätten verstreichen lassen, ohne ein Modell der neuen Erfindung mit über den Canal hinüber zu tragen. Dennoch erdachte König Alfred eine eigentümliche, höchst ursprüngliche Zeitmessungsmethode, er markirte die Zeit nämlich durch das Verbrennen einer in eine Laterne gestellten Kerze, deren Docht aus einer Binse bestand, wie dergleichen Lichter noch jetzt in England hie und da auf dem Lande im Gebrauch sind. Etwas Unzweckmäßigeres und zugleich Kostspieligeres als diese Art der Zeitmessung läßt sich aber gar nicht vorstellen. Ein solches Binsenlicht kann damals kaum unter zwei bis drei Groschen unseres heutigen Geldes herzustellen gewesen sein, und da man den Talg noch nicht zu raffiniren verstand, so müssen alle Mittel gefehlt haben, die Zeit zu bestimmen, in welcher eines dieser Lichter verbrannte. Das eine flackerte und schmolz vielleicht eine Stunde, während ein anderes sich in zehn Minuten verzehrte. Erst fast zwei Jahrhunderte später wurde das Sandglas in England allgemein eingeführt und Richard Löwenherz brachte, wenige Jahre vor seiner Thronbesteigung, die erste Wasseruhr aus Frankreich in sein Heimathland herüber.

In den nächsten beiden Jahrhunderten machte die Horologie sehr unmerkliche Fortschritte, bis unter König Karl dem Fünften von Frankreich, im Jahre 1374, die erste wirkliche Schlaguhr das Licht der Welt erblickte. Ihr Verfertiger war ein gewisser Henri de Vie, ein Araber von Geburt, welcher in Frankreich den christlichen Glauben angenommen hatte. Seine Uhr hatte riesige Dimensionen, sie wog mehr als fünfhundert Pfund! Froissart, der bekannte Chronist, giebt uns eine ausführliche Beschreibung der schweren Maschine, die im runden Thurm des königlichen Palastes (jetzt Palais de Justice) ihren Platz fand und mehrere Monate hindurch Tag für Tag Schaaren von Neugierigen herbeizog. [522] Der Künstler empfing zum Lohn eine lebenslängliche Pension von dreihundert Goldkronen jährlich und ward in den Adelsstand versetzt – der erste Künstler, welchem diese Ehre in Frankreich zu Theil wurde.

Von jetzt an verbreiteten sich große Schlaguhren für öffentliche Gebäude über ganz Europa, allein erst Anfangs des sechzehnten Jahrhunderts sehen wir kleinere Zimmeruhren in Gebrauch kommen. Die erste, die man kennt, ging 1518 als Geschenk des Julius von Medici, des nachmaligen Papstes Clemens des Siebenten, an König Franz den Ersten von Frankreich aus Florenz nach Paris. In demselben sechzehnten Jahrhundert war es auch, daß Purbach, 1500, die Horologie zuerst bei astronomischen Berechnungen in Anwendung brachte. Sechzig Jahre später ließ der dänische Astronom Tycho de Brahe, der Lehrer unseres großen Kepler, auf seiner grandiosen Sternwarte zu Cranniesburg eine Schlaguhr errichten, die sowohl Minuten als Secunden zeigte.

Die Erfindung von Taschenuhren war der Herstellung von Zimmeruhren um ein paar Jahre vorausgegangen. Wie Jedermann weiß, gilt unser Nürnberger Landsmann Peter Hele als der Erfinder der Taschenuhr, des sogenannten Nürnberger Eies, dessen erstes im Jahre 1490 verfertigt worden sein soll. Es waren diese Nürnberger Eier gar schwerfällige, dicke, unführliche Apparate, nicht mit Unrecht ihrer Gestalt wegen mit den Kartoffeln verglichen, und es währte beinahe einhundertundfünfzig Jahre, ehe ein Schotte, Namens Graham, das cylindrische „Echappement“ ersann und damit der Taschenuhr eine etwas acceptablere, obschon noch immer ziemlich unbequeme Form gab. Den größten, wir möchten fast sagen den letzten Fortschritt in der Kunst der Horologie verdanken wir Hugens von Zülichem, der freilich nur einen Gedanken ausführte, dessen Ruhm dem unsterblichen Galilei gebührt. Wir meinen die Benützung der Pendelbewegung. Hugens überreichte den Generalstaaten der Niederlande im Jahre 1657 die Beschreibung einer auf Galilei’s Pendellehre gegründeten Uhr und schenkte, zugleich die Spiralfeder beifügend, hierdurch der Welt eine Erfindung, die unbedingt zu den vollkommensten zählt, die jemals gemacht worden sind: denn eine bewunderungswürdigere und zugleich einfachere Maschine als die Pendeluhr läßt sich kaum denken.

Die Federtaschenuhren endlich, so wie wir sie heutzutage tragen, sind von einem Engländer, Namens Hooke, 1658 erfunden worden, und achtzehn Jahre darauf fabricirte ein Holländer in Amsterdam die ersten Repetiruhren. Seitdem ist bis zu unserem gegenwärtigen Jahrhundert, dem wir den Chronometer und die Secundenuhr mit Hemmfeder schuldig geworden sind, kein nennenswerter Fortschritt in der Kunst der Horologie zu verzeichnen, ja, wir vermögen kaum abzusehen, daß sich überhaupt noch eine höhere Entwicklung derselben erwarten läßt, es müßte denn ein Peter Hele oder ein Hugens der Zukunft eine Uhr herausdüfteln, welche, durch Elektricität in Bewegung gesetzt, uns die Mühe des Aufziehens erspart.

Bis in die erste Hälfte unsers Jahrhunderts hinein hatte Genf den Ruf, die vorzüglichsten Taschenuhren der Welt in den Handel zu bringen, gegenwärtig hat es jedoch, vom Wunsche einer billigen Production verführt, diesen Nimbus in etwas eingebüßt und ist von England und von Frankreich überflügelt worden. Das letztere liefert die kostbarsten und elegantesten Damenuhren, das erstere steht namentlich in der Herstellung von Chronometern unerreicht da. Ein englischer Chronometer ist in der That ein Ding fast absoluter Vollkommenheit, was nicht Wunder nimmt, wenn wir erfahren, daß sämmtliche Chronometer, insbesondere die amtlich benützten, vom Vorstande der Sternwarte zu Greenwich geprüft und mit dessen Namensunterschrift oder Handzeichen approbirt werden müssen. Alle Schiffschronometer haben auf der erwähnten Sternwarte eine Probezeit von sechs Monaten bis zu einem Jahre, in manchen Fällen sogar von zwei Jahren, zu bestehen, bevor sie das Liceat über See zu gehen erlangen. Während dieser Probezeit unterliegen sie einer ganzen Folge von Experimenten, werden allen möglichen Witterungswechseln ausgesetzt und müssen sich in Feuer und in Wasser bewähren, so daß der Mann, der ein solches stichhaltig befundenes Instrument gemacht hat, gewiß mit vollem Rechte den Namen eines Künstlers beanspruchen darf. Wem also „Zeit“ wahrhaft „Geld“ ist, der kaufe sich in England einen Chronometer, vorausgesetzt, daß er die dazu nöthigen unterschiedlichen Pfunde Sterling durch Befolgung seines Grundsatzes sich bereits erworben hat, nicht erst mit Hülfe derselben erwerben will.