Unterricht in der Baumveredelung
[292] Unterricht in der Baumveredelung. (Mit Illustration S. 289.) Es ist zwar eine einfache, aber keineswegs leichte Kunst, das Veredeln der Obstbäume. Ein scharfes Auge, eine sichere geschickte Hand gehören ebenso zu ihrer Ausübung, wie die Kenntniß der verschiedensten Methoden. Im Frühjahr ist die eine, im Herbst die andere zu wählen, selbst im Sommer kann man mit Erfolg zur Baumveredelung schreiten, nur muß stets das richtige Mittel angewandt werden. Aus Büchern würde man die Kunst schwerlich lernen können, obwohl eine Legion Werke über dieses Thema erschienen ist und der berühmte A. Thouin allein in seiner 1821 erschienenen „Monographie des greffes“ gegen 200 verschiedene Veredelungsarten aufführt.
Hier ist es besser, zu probiren, als zu studiren. Diesen Grundsatz befolgt auch der erfahrene Landwirth, der seinen Enkel in die schöne Obstanlage mitgenommen hat, um ihm zu zeigen, wie man auf Wildlinge Edelreiser „pfropft“ oder „kopulirt“. Vielleicht vollbringt er soeben ein kleines Kunststück, indem er das wilde Stämmchen zu zwingen versucht, künftighin verschiedene Obstsorten. auf seinen Zweigen zu tragen. Dabei erzählt er plaudernd dem Knaben von dem Wesen der Baumveredelung, von Bäumen des Waldes, die zufällig zusammengewachsen sind und den Menschen das Geheimniß des „Pfropfens“ verriethen, und von den Kunstwerken berühmter Gärtner, durch welche alte absterbende Stämme verjüngt und mit Dutzenden frischer, die herrlichsten Früchte tragender Zweige versehen wurden. Wie schnell vergeht eine solche Unterrichtsstunde unter dem blauenden Himmel des erwachenden Frühlings! Unvergeßlich bleibt sie Jedem, dem es vergönnt war, sie in früher Jugend zu genießen. *