Venetianisches Ständchen (Die Gartenlaube 1885)
[771] Venetianisches Ständchen. (Mit Illustration S. 756 und 757.) O Venedig, alte Märchenstadt im Meere, welcher Zauber kommt dem deinen gleich! Auch jetzt noch mit deinen zerbröckelten Palästen, deinen verschlammten Kanälen und verödeten Plätzen schlingst du ein magisches Band um die Seele, enthronte Beherrscherin der Fluthen! Wie erst in jenen Tagen, wo deine großen Söhne dich mit verschwenderischem halb orientalischem Luxus schmückten, wo auf den Kanälen und Lagunen in reichvergoldeten Gondeln die glänzendste Gesellschaft der Erde sich bewegte, wo dein Hafen noch von Masten starrte, deine Piazza von Masken wimmelte, wo deine stolzen Gallionen alle Gewässer durchkreuzten, sich die fernsten Gestade unterwarfen, um heimgekehrt dich mit neuer, noch fremdartigerer Pracht zu überschütten!
In jene Zeiten deiner Herrlichkeit versetzt nun der Meister, dem es wie Wenigen gegeben war, uns durch die Gluth seiner Farben den märchenhaften Zauber solch sinnverwirrenden Prunkes vorzuführen. – Segelfertig liegen im Hafen die Prachtgaleeren, welche die „Serenissima“ ausgerüstet hat, um einen edeln Patricier mit allem Pomp, der seiner hohen Stellung gebührt, als Statthalter auf die ionischen Inseln zu entsenden. Schon ist die Familie an Bord, die Verwandten und nächsten Freunde den Hauses, welche den Damen bis zum Schiffe das Geleit gegeben haben, sind in ihren Gondeln heimgekehrt; vor den Blicken der Scheidenden geht wie das Meer die Zukunft reich an Wundern auf. Schon mischt sich mit der Wehmuth des Abschieds das Vorgefühl der Triumphe, die ihrer harren, des fürstlichen Empfanges, der dort bereitet ist, der Feste, wo sie wie Königinnen herrschen werden durch ihre Schönheit, ihren Rang und vor Allem durch jene eigene unnachahmliche Grazie, die der Venetianerin [772] dazumal denselben Nimbus verlieh, den in unserer heutigen Gesellschaft, nur in verringertem Grade, die Pariserin besitzt.
Da, im letzten Augenblick, als eben die Anker gelichtet werden, tönt Gesang und Lautenklang über das Wasser, ein kleiner Kahn durchfurcht die stille Fluth, und eine stattliche Männergestalt wird aufrecht im Boote stehend sichtbar. Es ist ein Freund, den seine bescheidenere Stellung – vielleicht auch ein tieferes Gefühl abgehalten hat, sich an den geräuschvollen Abschiedsceremonien zu betheiligen, und der nun spät noch allein erscheint, um seine Grüße hinaufzusenden.
Wehmüthig tönt die Weise:
„Sogna il guerrier le schiere,
Le selve il cacciator“ – – [1]
Der Sänger läßt sein Boot zu Füßen der reizenden Blondine halten, die, an der Seite der Gefährtinnen stumm und bewegt zu dem Freunde niederblickend, ihm zum Abschied eine Blume zuwirft, und während schon die Galeere langsam dem offenen Meere zufährt, tragen noch Wind und Welle die letzten Worte des wohlbekannten Liedchens zu ihr herüber, Worte, die noch lang in ihrer Seele nachhallen werden:
„Sogno anch’io cosi
Colei che tutto il dì
Sospiro e chiamo.“[2]