Verschmähte Freiheit
Verschmähte Freiheit.
(Mit Illustration S. 29.)
„Flieg’, mein Vöglein, nun flieg hinaus!
Draußen schlagen die Buchen aus,
Schau’, wie das Feld in Blumen steht!
Draußen ist Frühling voll Lust und Prangen;
Hier ist ein Winter, der nie vergeht.
... All’ die Bücher, so groß und stolz,
Sorglich gemalt mit reichen Farben,
Sind nicht so reich, wie des Feldes Garben,
Laß’ mich, daß ich darinnen lerne –
Du, mein Vöglein, flieg’ in die Ferne!
Warst mir seit Jahren ein treuer Genoß,
Wenn mir so einsam die Zeit verfloß;
Ueber mein Herz strömt mit einem Mal,
Möcht ich dir, Kleiner, die Freiheit geben,
Die sie genommen aus meinem Leben.
Grüß’ mir die Welt und die Waldesgänger,
Du aber willst nicht – sträubst das Gefieder,
Setzest dich zögernd am Gitter nieder,
Und ist die Welt doch so weit und froh –
... Einstmals ging es mir ebenso.
Sollte wandern und wollt’ es nicht;
Sagte wohl auch: flieg’ fort, mein Herz!
Und es flog immer heimathwärts.
Frühling weckt die Erinnerung ...
Flieg’ mein Vöglein, mein Sehnsuchtssänger,
Grüß’ mir die Welt und die Waldesgänger!“
Karl Stieler.