Vom Eck- und Edelstein der Deutschen

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Autor: Karl Kuh
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Titel: Vom Eck- und Edelstein der Deutschen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 391–393
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Vom Eck- und Edelstein der Deutschen.
Von Karl Kuh in Nassau an der Lahn.


Unvergessen in der großen Geschichte der Entwickelung Deutschlands und auf immer mit ihr verknüpft ist der Name des Mannes, der ein Recht hatte auf die Ehre, als „des Rechtes Grundstein, Bösen Eckstein, der Deutschen Edelstein“ gepriesen zu werden. Was Karl Freiherr von und zum Stein als Staatsmann hat und was er als solcher gethan und wie er seinen mächtigen, durch und durch deutsch gesinnten Geist auf König Friedrich Wilhelm den Dritten und Kaiser Alexander hat einwirken lassen, das ist sattsam in der Geschichte Deutschlands verzeichnet und wurde auch von der Gartenlaube schon in ausführlichen Artikeln des Jahrganges 1859 geschildert.

Angesichts der durch Stein verherrlichten und geweihten Punkte unseres Städtchens Nassau und einem Bedürfnisse unseres Herzens folgend, versuchen wir jedoch hier, seine Persönlichkeit und was damit unmittelbar zusammenhängt, den Enkeln näher zu bringen, und dies gerade zu einer Zeit, da dasjenige zur lebensvollen Wirklichkeit gekommen ist und kommen wird, was er angestrebt, und da man beschäftigt ist, ihm ein Denkmal an dem Orte zu setzen, wo seine Wiege gestanden.

Stein war mittlerer Größe, mehr kurz und gedrungen als hoch und schlank, starken Leibes mit breiten Schultern, fester Stellung und gleichen Schrittes. Auf diesem Leibe ruhte ein stattliches Haupt mit breiter, sehr zurückgeneigter Stirn, einer mächtigen Adlernase, einem fein geschlossenen Munde und einem ein wenig zu langen und spitzen Kinn. Das Auge war braun, klein und scharf und funkelte mehr, als daß es leuchtete. In der Regel sprach dieses Auge Freundlichkeit und Treue aus; aber wenn der Mann in sehr ernster und gar, wenn er in zorniger Stimmung war, konnte es fürchterlich blitzen. Das war das Besondere an ihm, daß sich auch bei der heftigsten Seelenbewegung auf seinem Gesichte gleichsam zwei verschiedene Menschen abspiegelten. Seine Stirn, meistens auch sein Blick, wurden von dem Nebelgewölk des [392] Verdrusses oder vollends von den düsteren Donnerwolken des Zornes selten überzogen. Dort leuchtete fast immer der klare, heitere Himmel eines herrschenden, bewußten Geistes; unten aber, um Mund, Wange und Kinn, zuckten die heftigen empörten Triebe, die wohl an einen Löwengrimm gemahnen konnten. Fast immer trat er die Menschen, auch die gewöhnlichen, die nur Gewöhnliches zu bringen und vorzutragen hatten, mit sehr freundlichem Ernst an; aber seine Geberde erfüllte doch die meisten mit Blödigkeit und Verlegenheit. Die Leidenschaftlichkeit seiner Natur gab ihn wohl auch mitunter dem Jähzorn preis, doch war er sich dessen durchaus bewußt und klagte sich dann selbst über alle Gebühr an, wie es denn seine Art war, als ein wahrhaft demüthiger und rechtschaffener Mann seine Fehler nicht nur anzuerkennen, sondern auch wieder gut zu machen, sobald er glaubte, gute Menschen durch zu große Geschwindigkeit und Heftigkeit verletzt zu haben. Wie oft hat dieser fromme Mann, von früheren Jahren, besonders von seiner Jugend sprechend, im Bewußtsein dieser seiner Leidenschaftlichkeit und anderer angeborenen Feuertriebe gesagt: „Der Mensch soll mit seiner Natur nicht prahlen, wir sind alle arme Sünder. Aus mir hätte ein Bösewicht werden können, hätte eine fromme Mutter und eine fromme Schwester (Marianne) meinen Knaben- und Jünglingsjahren nicht Zügel angelegt.“

Mochten ihn Andere an Kenntnissen und Geschicklichkeiten übertreffen, Etwas war in seinem Geiste, was so Manchem fehlte: Stein war in jedem Augenblick voll und ganz, was er war, er hatte in jedem Augenblick seine Waffe fertig bei sich; in hellen, frischen Stunden blitzte nicht blos Verstand, sondern auch Witz um Witz aus seinem Munde. Solcher Natur gemäß waren Sprache und Rede; festgeschlossen und kurz floß es ihm von den Lippen, selbst in heftiger Aufregung und im zornigen Muthe purzelten und stürzten seine Worte niemals unordentlich durcheinander. Gradaus! und Graddurch! war sein Wahlspruch. Muth und Wahrheit fanden bei ihm immer den rechten Ausdruck und die rechte Rede; diese hätten nimmer krumme, verschlungene Pfade gehen und für alle Schätze der Welt nicht Ja und Nein willkürlich wechseln können.

Zur Illustration dieses seines eigenartigen Wesens zeichnen wir einige Züge. Bei einem Aufenthalte in Rom hielt Stein dem Staatsrath Niebuhr aus Berlin, mit dem er in der dortigen preußischen Gesandtschaftscapelle das heilige Abendmahl zu genießen gedachte, auf dessen Entschuldigung, daß er durch erhaltene Briefe aus Berlin in gereizter Stimmung sei, vor: „Ach was, das Evangelium befiehlt, man soll seinen Feind nicht hassen,“ als ihm jedoch Niebuhr in’s Wort fiel: „Aber hegen Eure Excellenz keinen Haß gegen den Grafen M.?“ entgegnete er:

„Haß? Nein; aber wenn ich ihm auf der Straße begegnete, würde ich ihm in’s Angesicht speien.“

Als einst Fürst W. sich bei Stein zum Besuch meldete, ließ dieser ihm sagen: „Der Fürst mag kommen; aber er wird mir’s nicht übelnehmen, wenn ich ihn die Treppe hinunterwerfen lasse.“ Auf solche Einladung kam natürlich der Fürst nicht, den er wegen seines undeutschen Wesens und seiner Kriecherei nicht leiden konnte. – Einem Anderen, Obersteuereinnehmer Baron von G., der von ihm wegen Steuerbetrugs in’s Gefängniß gebracht worden, aber Wege gefunden hatte herauszukommen, und der sich ihm mit den Worten vorgestellt: „Ich wollte mir die Freiheit nehmen, mich Eurer Excellenz zu zeigen, Seine Majestät der König haben die Gnade gehabt, mich wieder zu rehabilitiren,“ beförderte er mit den Worten: „Geh’ Er, beschmutze Er mir die Augen nicht“ – und den Stock nehmend – „fort, die Treppe wieder hinunter, ich will Ihm zeigen …“ zum Hause hinaus.

Er hatte Etwas von einer Sturmwindsnatur; er mußte rein fegen und niederstürzen, er mußte das Unlautere rasch und unwiderstehlich von sich entfernen, wo es ihm auch begegnete.

So war Stein einmal in Frankfurt bei seinem Banquier Metzter und Comp. im Garten beim Kaffee, als Fürst W. gemeldet wurde. Stein steht auf, läßt anspannen und eilt mit den Worten: „Mit solch einem verfluchten Räuber sitze ich nicht in demselben Zimmer!“ an W. vorüber. Fürst W. hatte sich nämlich, gleich den französischen Generälen, in dem Schlosse (des Herzogs von Braunschweig) Oels in Schlesien das herzogliche Silberzeug gegen einen Schein vom Schloßverwalter ausliefern lassen.

In Nassau besuchte ihn 1825 Graf G. aus Petersburg, der einen im Auslande weilenden, der Verschwörung angeklagten Russen hatte mit zum Tode verurtheilen helfen. Stein fragte G., ob der Verurtheilte schuldig gewesen. Als dieser antwortete: „Eigentlich nicht, wir wußten, daß er im Auslande sicher war,“ stand Stein auf und sagte mit eisiger, verachtender Kälte: „Pfui, Herr Graf, pfui, pfui, Herr Graf!“ und ging, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer auf und ab, als wolle er abwarten, allein zu sein. Der Eintritt eines Hausgenossen gab dem Grafen die gewünschte Gelegenheit, ohne Abschied aus dem Zimmer zu kommen.

Bei solchen Aufwallungen des höchsten Zornes wurde Stein’s Nase weiß und sein Ungestüm drohte ihn wohl manchmal mit fortzureißen. Diese rücksichtslose Ehrlichkeit der Meinung zeigte er aber nicht nur seinen hochgeborenen Standesgenossen gegenüber; er scheute sich ebensowenig, dem Herzog von W., der mit den heiligsten Dingen gern spielte und sich frivole Redensarten in Gegenwart junger Officiere erlaubte, zu sagen: „Ich halte es nicht für passend, daß ein deutscher Fürst schmutzige Gespräche vor jungen Officieren führe,“ worauf der Herzog verstummte, um erst nach einigen Minuten die Unterhaltung wieder fortzusetzen. So konnte „des Rechtes Grundstein und des Bösen Eckstein“ auch mit Fürsten wie ein grimmer Leu umgehen.

Der kühne Recke durfte auch einer russischen Kaiserin, der Mutter Alexander’s, einer geborenen Prinzessin von Württemberg, die bitterste Wahrheit sagen. Nach der Schlacht bei Borodino äußerte sie in Stein’s Gegenwart: „Wenn jetzt noch ein französischer Soldat über die deutschen Grenzen entrinnt, so werde ich mich schämen, eine Deutsche zu sein.“

Stein wurde im Gesicht roth und an der Nase weiß, trat vor sie hin, und des deutschen Volkes „Edelstein“ sprach: „Eure Majestät thun sehr unrecht, solches hier und zwar über ein so großes, treues und tapferes Volk zu sprechen, welchem anzugehören Sie das Glück haben. Sie hätten sagen sollen: Nicht des deutschen Volkes schäme ich mich, sondern meiner Brüder und Vettern, der deutschen Fürsten. Hätten die deutschen Fürsten ihre Schuldigkeit gethan, nimmer wäre ein Franzose über die Elbe, Oder und Weichsel gekommen.“

„Sie mögen Recht haben, Herr Baron,“ antwortete die Kaiserin, „ich danke Ihnen für die Lection.“

Daß aber unser Held seine Natur auch sänftigen konnte, beweist folgende Thatsache. Goethe war 1815 nach Nassau gekommen und in der „Krone“ abgestiegen. Kaum vernahm dies Stein, so begab er sich selbst hin und holte den sich sträubenden Goethe ab in’s Schloß. Die beiden würdigen alten Herren gingen mit der aufmerksamsten und vorsichtigsten Zärtlichkeit nebeneinander her, ohne gegeneinander zu stoßen. Goethe war äußerst liebenswürdig und freundlich mit Allen. Stein, dem Goethe’s Wort: „O ihr Guten, schüttelt an euren Ketten, ihr werdet sie nicht zerbrechen, der Mann“ – er meinte Napoleon – „ist euch zu groß!“ wohl bekannt war, und der in den politischen Ansichten durchaus nicht mit ihm übereinstimmte, war ungewöhnlich sanft und mild, hielt den kühnen, geschwinden Athem seiner Natur an und zügelte den Löwen, daß er nimmer herausguckte. Des andern Tages ließ er anspannen und fuhr mit dem Gaste gen Köln, wo sie den Dom besuchten, und wo er zu dem nachgereisten Arndt sagte: „Nur nichts Politisches! Das mag er nicht. Wir können ihn da freilich nicht loben; aber er ist uns doch zu groß.“

Doch genug der heroischen Züge. Kehren wir in sein häusliches Leben nach Nassau zurück. Nach 1815 besuchte er öfter Nassau und seit 1824 wechselte er seinen Aufenthalt zwischen Nassau und Kappenberg. Den Sommer pflegte er dort und den Winter hier zuzubringen. In Nassau beschäftigte er sich, außer mit den Verfassungsangelegenheiten von Württemberg, Baden, Kurhessen und Frankfurt, mit dem Umgang und Briefwechsel mit bedeutenderen Männern, sowie mit dem Quellenstudium der deutschen Geschichte und lehrte nach dem, was er sich aus derselben niedergeschrieben hatte, seine Töchter und deren Gespielinnen.

Außerdem gaben ihm Schloß, Felder, Wiesen und Wälder, welch letztere er seine besondere Aufmerksamkeit widmete, Beschäftigung nach außen. Seine Güter im Großen und Kleinen waren meistens verpachtet. Den eigentlichen Ackerbau, obgleich er die edle Kunst sehr liebte, hatte er in den Tagen der Jugend und seiner vollen Manneskraft nicht Zeit gehabt zu lernen, noch zu üben; aber den Baum, den Wald, den liebte, den pflegte und beschaute er meistens tagtäglich mit liebenden Augen und besprach seinen Bau und seine Verpflegung und seine Verschönerung mit [393] seinen Förstern und Jägern. Wie oft verweilte er in Gegenwart seiner Freunde bei einem Apfelbaum, bei einer Lärche oder Tanne und erzählte, wie er als kleiner Knabe dabei gewesen, als die selige Mutter und die Schwester Marianne sie haben pflanzen lassen. Seine Abendspaziergänge gingen meistens in den von dem Abendroth beleuchteten Wald oder unter schattigen Bäumen auf Feldern und Wiesen hin, wo er seine einzelnen Lieblingsruheplätze hatte.

Stein’s Haus war ein gastliches für die Nachbarn, für die Männer in Geschäften, die mit ihm irgendwie zu thun hatten. Jeder, der zur Tischzeit in einem Geschäfte oder zu Besuch kam, fand seinen Platz am Familientisch wie bestellt. So lebte er nicht nur mit den unterstehenden Pfarrern seines Patronats, mit seinen Rentmeistern, Förstern, den Beamten, Stadtschultheißen und Schöffen von Nassau und anderen anliegenden Städtchen, sondern auch mit Brückenbauern, Schlossern, Zimmerleuten, die in ihrem Handwerk vorzüglich waren. Sie saßen gelegentlich mit Excellenzen und Grafen an demselben Tische. Stein hatte da nichts von jener falschen, nichtigen Art Freundlichkeit, von jener jämmerlichen Vornehmheit, welche unwillkürlich jeden Anwesenden zu heuchlerischen und lügenhaften Verneinungen nöthigt und erniedrige, knechtische Unterwürfigkeit haben will; hier war auch keine Spur von einem vornehmen Junker, sondern er war in That und Wahrheit der alte, freiherzige, biedere, freigeborene deutsche Ritter.

Jeden Sonntag besuchte er mit seinen Kindern und Hausgenossen den Hauptgottesdienst in Nassau. In Kappenberg fuhr er alle vierzehn Tage in die Kirche nach dem zwei Stunden entfernten Lungen. Den ihm von seiner Mutter und Schwester eingeflößten Glauben hielt er in allen Lagen fest und fand in ihm bei eigenem und des Vaterlandes traurigem Geschick Trost und Erhebung. Maulchristenthum fand bei ihm keine Gnade; breites Gespräch über Religion mochte er überhaupt nicht. Wenn Besucher in der Frühe in sein Studirzimmer kamen, wo unter weltlichen Büchern etwa Bibel und Gesangbuch aufgeschlagen waren, so machte er sie flugs zu und legte sie weg. Begegnete ihm auf dem Spaziergange ein Krüppel oder ein Bettler, der die Hand nach ihm ausstreckte, so gab er still eine Gabe und sprach kein Wort. Und wenn ein wichtiges Geschäft nur einigermaßen zu seiner Zufriedenheit abgemacht war, so sagte er fast jedesmal zu seinen Beamten: „Nun wollen wir auch für die Armen sorgen; die Armen müssen auch was haben.“

Mit seinen Nassauer Mitbürgern lebte er ein Gleicher unter Gleichen. Er konnte es nicht leiden, wenn Jugendgespielen ihn „Excellenz“ anredeten. „Ach was, dummes Zeug, nenn’ mich Karl und sag’ Du,“ war die gewöhnliche Abweisung. Gar oft neckte er, hatte es aber gern, wen man ihm nichts schuldig blieb. Von den Schuljungen, die er bei Begegnung anredete, liebte er kurze, rasche Antworten.

Die Nassauer hatten ihn wegen seiner Leutseligkeit und Wohlthätigkeit sehr gern und zollten dem „Minister“, wie sie ihn nannten, alle Ehrfurcht. Selten trat ihm der Einzelne wie der Stadtvorstand hemmend in den Weg. Als er am 10. Juni 1814 in Nassau eintraf, bereiteten ihm die Bürger einen festlichen Empfang. Zwei „Kosaken von der Lahn“ mit falschen Langbärten und langen Lanzen erwarteten ihn um Mitternacht auf der Landstraße. Auf ein gegebenes Zeichen brannte man auf dem kleinen Haus der Burg Stein ein Feuerwerk ab, läutete man die Glocken, waren die Häuser erleuchtet und jubelten die Einwohner. So zog er durch die Reihen des Landsturms in die Stadt ein. Es war ein Festtag und es wurde beschlossen, den 10. Juni jedes Jahres festlich durch ein Scheibenschießen und einen Aufzug der Schützengesellschaft zu feiern. Stein schenkte der Gesellschaft tausend Gulden, um Denkmünzen und Preise zu vertheilen.