Vom Meeresstrand
Vom Meeresstrand.
Du frägst, wie ich hier lebe? – Still, verträumt! –
Auf gelben Sand des Dünenhangs gestreckt,
Schau ich ins weite Meer. – Rings Alles einsam.
Strandhafer duftet stark zu meinen Häupten,
Die blaue Distel, die der Meersand nur,
Vom würz’gen Salzhauch stets gefeuchtet, trägt,
Lockt rings die Bienen an: sie summen emsig. –
Das Buch liegt aufgeschlagen neben mir;
Ich lese nicht: ein kleiner Schmetterling,
Mit Perlenäuglein auf den Unterflügeln,
Sitzt auf dem weißen Blatt und sonnt sich froh.
Am duftumzognen Himmel wandert rasch
Ein weiß’ Gewölk vor’m Seewind in das Land;
Ein braunes Fischersegel weit im Meer –
Rings Alles still. Eintönig rauscht der Anschlag
Der Wellen: denn die Ebbe fluthet rückwärts.
Manchmal ein schriller Schrei: und blitzgeschwind,
Mit blendend hellem Schein der weißen Schwingen,
Taucht in die blaue Fluth die Silbermöwe:
Dann wieder Alles still und groß und einsam. –
Du frägst, wie ich hier lebe? – Still, verträumt! –
* * *
Am Abend war’s. – Die Sonne sank ins Meer.
Ich blickte träumend in die Wolkenbilder,
Die Wind und Licht und Schatten wechselnd schufen. –
Bald Walhalls Zinnen, silberhell gethürmt,
Von dunkler Riesen ungefüger Schar,
Von Bär und Wolf und hochgebäumter Schlange
Bestürmt: – umsonst! Sie taumeln rücklings nieder.
Bald Geisternachen, die mit Purpursegeln
Weißarm’ge Jungfraun tragen durch die Luft.
Bald steigen aus der Fluth versunkner Städte
Hochgieblige Häuser, altersbraun, – –
Das Rathhaus mit der breiten Balustrade:
Es fehlt der Dom: doch leise hör’ ich’s klingen:
„Julin! Julin!“
Ja, aus der Tiefe läutets in Julin!
Bald Drachenschiffe, Schild an Schild am Bord:
Blutrothe Wimpel flattern von den Masten,
Im Adlerhelm am Bugspriet steht ein Held –
Die Büffelhaube deckt des Feindes Haupt:
Sie fahren grimmig auf einander! Schau,
Wahrhaftig! Lanzen fliegen durch die Luft: – –
Nein. Sonnenstrahlen waren’s: und ein Traum! –
Und dort, am Werderstrand, die weiße Maid,
Hochragend: – eine Kön’gin acht’ ich sie.
Es fliegt im Wind gelöst ihr gelbes Haar,
Sie ringt die lichten Hände über’m Haupt:
Du, Gudrun, bist’s! Getrost! Siehst du, schon zieht
Heran auf grauer Fluth der wilde Schwan,
Der dir die Rettung weissagt: dort vom Westen
Der treue Wate watet schon ans Land,
Und fernher aus den Nebeln tönt Gesang
Das ist Herrn Horand’s zaubersüßes Lied! – – –
Als ich erwachte, war es dunkle Nacht:
Verschwunden waren Goldgewölk und Bilder,
Verschwunden waren alle meine Träume! –
Fast schmerzte mich’s! – –
Doch vor mir rauschte stets noch groß das Meer,
Und über meinem Haupte stand ein Stern,
Und Meer und Stern, sie sprachen still zu mir:
„Nicht klage du um das in deinem Leben,
Was dir verging wie Goldgewölk und Traum:
Vergänglich war’s: drum mußt’ es untersinken:
Was ewig ist an dir – das bleibt bestehen.“ –