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Von den Farben

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Von den Farben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 556–558
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[556]
Von den Farben.
Ein Kapitel für Industrie, Kunst und Leben.
Die Lehre vom Lichte, die dunkelste Parthie der Naturwissenschaft. – Chevreul und seine Principien. – Das Gesetz von den Farben-Contrasten. – Eigenthümlichkeit und Sehnsucht des Auges. – Tinten und Schattirungen. – Ein Beispiel für den Kattundrucker. – Die Farben als Unfriedenstifter. – Noch ein Beispiel aus der Damenwelt. – Die Kunst des Straußbindens. – Der französische Geschmack.

Die Farbe, welche in Kunst und Industrie, in unsern Wohnungen und Kleidern, in unsern Freuden und Genüssen über die Schönheiten der Natur und der lebendigen Wesen darin, ja selbst in unsern Gemüthsstimmungen und Launen eine viel wichtigere Rolle spielt, als wir im Allgemeinen glauben, ist bis jetzt gleichwohl noch ein ziemlich dunkeles Geheimniß der Männer der Naturwissenschaft, welche sich besonders mit den optischen Wissenschaften mit Katoptrik und Dioptrik beschäftigen, (d. h. den Theilen der Optik, welche vom zurückgeworfenen und gebrochenen Lichte handeln) geblieben. Ein Professor der Physik fing seine optischen Vorträge ehrlich damit an: „Es giebt keine dunklere Parthie in den Naturwissenschaften, als die Lehre vom Lichte.“ Wir halten uns hier blos an die praktische Wichtigkeit der Farben, von der jeder Maler, Färber, Musterzeichner, Kattundrucker, Tapezierer, kurz jeder praktisch beschäftigte und mit Schönheitssinn begabte Mensch eine Ahnung, eine praktische Erfahrung oder durch natürlichen „Farbensinn“ eine Art Gefühls-Aesthetik, aber sehr selten eine wirkliche Wissenschaft besitzt. Kunst und Industrie und Cultur überhaupt sind wie die Sonne, die, wie Goethe sagt, „kein Weißes duldet,“ da sie stets Alles mit Farben beleben will. Wie wichtig ist daher eine wirkliche Farben-Wissenschaft, welche es jedem möglich macht, den Natur- und Seh- und Schönheitsgesetzen gemäß zu färben, Farben zusammenzustellen oder gefärbte Waaren- und Lebensverschönerungsmittel zu beurtheilen und danach zu wählen! Woher kommt die Ueberlegenheit der Franzosen in Dessins und Farben? Warum sind die meisten englischen Fabrikate geschmacklos in Form und Farbe? Die Ersteren besitzen nicht nur natürlichen Schönheits- und Farbensinn, sondern auch eine Menge Schulen, Akademien und praktische Lehranstalten, worin die Schönheitsgesetze der Form und Farbe Handwerkern, Fabrikaten und Künstlern unentgeltlich gelehrt werden, während letztere mit natürlicher Geschmacklosigkeit Mangel oder zu große Theuerung solcher Anstalten verbinden.

Die Farbenwissenschaft für Kunst und Industrie hat in Chevreul seit vielen Jahren in Frankreich den größten Meister und praktischen Lehrer gefunden. Man kann eine ordentliche Landkarte von seiner Wirksamkeit machen und in den Fabrikaten der verschiedenen Städte Frankreichs nachweisen, bis wohin seine Farbenwissenschaft gedrungen und wo er sie vorgetragen. Seine Wissenschaft ist jetzt Gemeingut aller Völker geworden und zwar durch seit veröffentlichtes Werk „die Principien der Harmonieen und Contraste der Farben und deren Anwendung auf Künste, Handwerk u. s. w.“ Eine englische Uebersetzung desselben wurde in der Times als der Anfang einer neuen Periode der Kunst und Industrie bezeichnet. Für England hat dies seine volle Richtigkeit. In Deutschland, wo man durch natürlichen Farbensinn und Geschmack, durch Erfahrung und Schaden, aus dem man klug wurde, den Mangel an wirklicher Wissenschaft besser zu ersetzen weiß, wird man nicht gerade „Periode“ zu sagen brauchen, gewiß aber „Epoche“. Die Wichtigkeit des Chevreul’schen Werkes besteht darin, daß sich Jeder auch ohne den natürlichen Farbensinn und ohne die Erfahrungen praktischer Maler, Färber, Drucker u. s. w. ein klares Wissen und eine sichere Anwendung von Farben und deren Harmonieen aneignen kann.

Wir geben hier eine gedrängte Skizze des meisterhaft ausgeführten, nach allen Seiten hin praktischen wissenschaftlichen Gebäudes, welches Chevreul aufgestellt und seit Jahren bewährt gefunden. Schon daraus wird man sich eine Vorstellung machen können, wie wichtig und interessant es sich bekunden muß.

Um allgemein verständlich zu sein, müssen wir die natürlichen Licht- und Farbengesetze und den bestimmten Sinn verschiedener Ausdrücke angeben.

Das Gesetz von den Farben-Contrasten gründet sich auf die physiologische Thatsache, daß unser Auge für das Sehen weißen Lichtes construirt ist. Mit andern Worten: weißes Licht ist die Einheit des Lichtes, welche das Auge bei allen Vielheiten oder Brüchen desselben voraussetzt. Das Auge bezieht alle Farben auf diese Einheit, dieses Weiß. Wohl Jeder weiß, daß man den natürlichen weißen Lichtstrahl durch Prismen und sonst eckig und winkelig geschliffene Gläser in Farben brechen kann. Diese Farben bestehen aus einer unendlichen Menge verschieden gebrochener Lichtstrahlen, wie im Regenbogen. Man theilt sie in 6 Gruppen: Roth, Blau, Gelb, Violett, Orange und Grün. Die drei ersten heißen primäre (erste), die drei letzten secundäre (zweite) Farben, weil sie sich durch Mischung aus den drei ersten bilden: Violett aus Roth und Blau, Orange aus Roth und Gelb, Grün aus Blau und Gelb. Um aus diesen verschiedenen Farben wieder zu weißem Lichte zu kommen, mischt man die primäre Farbe mit der secundären, die durch Mischung der beiden anderen primären entstand, also Roth mit Grün (Gelb und Blau), Blau mit Orange (Roth und Gelb), Gelb mit Violett (Roth und Blau). Durch Mischung von primären Farben entsteht immer nur eine secundäre, während durch Vereinigung je einer primären und secundären Farbe immer alle Elemente zusammenkommen, die weißes Licht (d. h. die Einheit aller Farben) hervorbringen. Die Farbe nun, welche zu irgend einer gegebenen Farbe nöthig ist, um die Elemente des weißen Lichtes zusammenzubringen, heißt die complementäre oder Ergänzungsfarbe zu der letzteren. Die Ergänzungsfarbe einer primären ist allemal die secundäre, welche aus den beiden andern primären entstand. Wenn dies Vielen ganz bekannt ist, mögen sie es entschuldigen, da es zur Vollständigkeit der Skizze gehört, die in ihrem Verlaufe gewiß Jedem etwas Neues und Praktisches geben wird. Sieht das Auge auf eine bestimmte (besonders primäre) Farbe allein und längere Zeit, entsteht in ihm gleichsam der Instinct und das Bedürfniß, weißes Licht zu sehen. Diesem physiologischen Bedürfnisse kommt die Natur des Auges selbst zu Hülfe: sie schafft das weiße Licht d. h. sie überhaucht die angesehene Farbe mit dem Complement, der Ergänzung derselben zum weißen Lichte, also z. B. Roth mit Grün. Ungeübte oder ungebildete Augen merken davon nichts und werden höchstens, aufmerksam gemacht, finden, daß z. B. Roth, lange angesehen, etwas von seiner Röthe verliert und schwächer erscheint oder sich grünlich überhaucht; geübte und gebildete Augen sehen dies aber genau und gewisse Augen, welche danach in der Augenheilkunde verschiedene Krankheitsnamen [557] haben, können überhaupt viele primäre Farben von secundären gar nicht unterscheiden, wie z. B. der Verfasser dieses Artikels gerade ein gewisses Ziegelroth nicht von Grün unterscheiden kann. Dieses Phänomen, dieser physiologische Proceß des Auges, zu bestimmten Farben immer selbst weißes Licht herbeizurufen („und wär’ das Aug’ nicht sonnenhaft, wie könnt’s das Licht erblicken?“) und dadurch diese bestimmte Farbe zu modificiren, nennt Chevreul den „successiven Contrast“. Diese Einsicht ist von der größten praktischen Wichtigkeit. Der successive Contrast ändert und modificirt alle unsere Ansichten von farbigen Gegenständen bedeutend. Alle Erscheinungen der Farben-Contraste gehen aus der Sehnsucht des Auges, weißes Licht zu erblicken, hervor. Wer denkt hier nicht an Schiller’s wundervolles Räthsel:

„Ein kleines Bild aus zartem Grunde:
Es giebt sich selber Licht und Glanz.“

Das Resultat dieser Sehnsucht und dieses sich selbst Erleuchtens ist, daß wir nie auf längere Zeit ohne Wechsel primäre Farben sehen können, ohne daß sie in secundäre hinüberschimmern oder förmlich übergehen. Und so kommen wir zum Verständniß dessen, was Chevreul das Gesetz vom simultanen oder gleichzeitigen Contrast“ nennt. Es zeigt sich darin, daß jede Farbe neben einer andern sich durch diese für unser Auge ändert, daß beide durch ihr Nebeneinander modifizirt erscheinen. Aus dieser wichtigen Wahrheit ergeben sich eine Menge Modifikationen, die unser Urtheil über Farben bedingen. Beispielsweise: man lege zwei farbige Streifen neben einander, etwa Roth und Blau. Das Auge in seinem Verlangen nach weißem Licht ruft zu diesem Zweck die Ergänzungsfarben hervor: zu Roth – Grün, welches zum Blau kommend dasselbe grünlich macht und zu Blau – Orange, das mit Roth das letztere erhellt, also gelblich erscheinen läßt. Mit andern Worten: Die fehlende primäre Farbe Gelb wird vom Auge geschaffen und zu den beiden primären Farben Roth und Blau hinzugefügt. Dieses einfache Experiment zeigt drei Arten von Contrasten, den simultanen mit Contrast der Farbe und des Tons, den succesiven, d. h. die Farbe, welche der gesehenen folgt als Ergänzungsfarbe und der gemischten d. h. die Modification, welche durch die Ergänzungsfarbe in der wirklich vorhandenen (Roth und Blau) entsteht. Der Anblick des Rothen ergänzt sich durch Grün, dieses das Blau modificirend giebt den gemischten Contrast.

Gegenseitige Ergänzungsfarben erhöhen sich neben einander, geben sich einander „Intensität“ oder „Contrast des Tons.“ Man nehme Roth und Grün. Grün, Ergänzungsfarbe des Roth, erscheint neben Grün röther, wie das Grüne grüner erscheint. Eben so erhöht sich ein und dieselbe Farbe in ihrer Intensität durch Nebeneinanderstellung verschiedener „Töne“ oder Schattirungen derselben. Zwei rothe Streifen, der eine hell, der andere dunkel, neben einander, lassen den hellen lichter, den dunkeln tiefer erscheinen. Läßt man beide Streifen auseinander laufen und nur in einem Punkte zusammentreffen, erscheint der „Contrast des Tons“ am Berührungspunkte am Stärksten und verliert sich, je weiter beide „Töne“ sich von einander entfernen.

Der Klarheit wegen muß man sich von den verschiedenen Ausdrücken ganz bestimmte, sachgemäß begrenzte Begriffe machen. So werden unter dem Ausdrucke „Ton“ die Modificationen verstanden, die eine Farbe in ihrer größten Intensität oder Reinheit noch durch Weiß oder Schwarz fähig ist. Weiß schwächt, Schwarz vertieft die Intensität. Die Modifikationen durch Weiß heißen „Tinten,“ die durch Schwarz „Schattirungen.

Modificationen einer Farbe durch eine andere (nicht Schwarz oder Weiß, welches keine Farben sind) heißen „Abtönungen,“ wofür die Engländer bezeichnender „hues“ sagen.

Reine Farben heißen die primären und secundären und deren Abtönungen je einer durch je nur eine andere.

Gebrochene Farben oder Grau’s entstehen durch Hinzutritt einer primären Farbe in eine schon gemischte. Normale Grau’s entstehen, durch Mischung von Weiß und Schwarz, deren verschiedene Verhältnisse verschiedene Töne des normalen Grau geben. Colorirte Grau’s ergeben sich aus Mischung von primären oder secundären Farben mit einem normalen Grau. So haben wir blaue, rothe, gelbe, orange, violette und grüne Grau’s. Da unsere gewöhnlichen Färbestoffe fast alle mehr oder weniger unrein sind, finden wir fast alle gefärbten Gegenstände mehr oder weniger vergraut, zumal da auch rein gefärbte Sachen durch Hervorrufung ihrer Ergänzungsfarben etwas mit Weiß gemischt d. h. grau abgedämpft erscheinen.

Hier ist ein Beispiel für den Kattundrucker:

„Blicken wir einige Secunden auf ein Stück Zeug mit gefärbtem Grunde, auf welches wir weiße Muster aufgedruckt finden, doch so, daß dieselben in Folge eines unvollkommenen Druckprozesses einen leichten Ton des Grundes beibehalten, so werden diese weißen Muster in der Ergänzungsfarbe des Grundes erscheinen und nicht weiß. Auf chromgelbem Grunde sehen sie violett aus, auf Orange-Chrom blau, auf Grün rothschillernd. Um diese Illusion zu zerstören und die wahre Farbe des Musters zu sehen, braucht man den Grund nur mit Papier, in welches das Muster geschnitten ist, zu bedecken. Dann sieht man das weiße Muster nur insofern es durch die Grundfarbe modificirt worden ist (da angenommen ward, das Weiße lasse etwas Grundfarbe durchschimmern). Der Einfluß des starken Tons auf einen schwachen ist so, daß der letztere nicht nur neutralisirt wird, sondern auch durch seine Ergänzungsfarbe getintet erscheint.“

Aus Mangel an Kenntniß der Farbencontrastgesetze finden sich Kattundrucker so oft den größten Irrthümern ausgesetzt, indem sie Rezepte für Farbencompositionen beurtheilen. Wie sollte man sich sonst die vielen, oft wahrhaft widerlichen Kattunmuster erklären, die von England aus die Märkte überschwemmen?

Chevreul theilt hier noch folgende interessante Thatsache mit: „In einer Kattundruckerei hatte man ein gutes Rezept zum Grünfärben, welches sich eine Zeit lang sehr günstig erwies. Später wollt’ es auf einmal gar nicht mehr damit gehen. Sie zerbrachen sich die Köpfe darüber, bis ein Arbeiter, der meine Vorträge über die Gobelins mit angehört, ihnen mittheilte, daß das Grün, welches sie jetzt auf blauen Grund druckten, durch den Einfluß von Orange, die Ergänzungsfarbe zu Blau, vergilbe. Man möge deshalb nur die Intensität des Blau erhöhen, um die Wirkung des Contrastes zu corrigiren. Man versuchte es damit, und das Grün war so schön, wie früher.“

Dies Beispiel zeigt zugleich, wie Maler auch ohne Kenntniß der Farbengesetze sich viel leichter helfen können, als Kattundrucker. Wird dem Ersteren das Grün neben dem Blau zu gelblich, mischt er einfach etwas Blau hinzu. Der Letztere kann dem Kattune nicht mit dem Pinsel nachhelfen.

Vor einigen Jahren wurde das Haymarket-Theater in London auf’s Neue prächtig ausdecorirt und die Logen mit bernsteingelben Linien versehen. Die Wahl dieser Farbe ward sehr angegriffen, da sie die Damen mit einer leichenbläulichen Tinte überhaucht und den Verbrauch der Schminke zu sehr erhöhe. Andere traten dogmatisch auf und behaupteten: Bernsteinspitzenfarbe ist hier gerade am Orte, wie man schon aus den Goldrahmen der Gemälde ersehe. Das war ein guter, englischer Beweis. Kluge Maler nehmen entweder gleich Rücksicht auf den goldenen Rahmen, der leider einmal Mode und bei Vielen so sehr die Hauptsache ist, daß sie Bilder kaufen, um den schönen Rahmen zu haben, oder sie wundern sich hernach selbst über die schlechte Farbenharmonie in ihren Werken. Und hier darf man nur weiter gehen in Haus-, Stuben- und Menschendecorationen, um sich zu überzeugen, wie der Mangel an Kenntniß der Contraste und Neutralisationen der Farben die kostspieligsten Ornamente lächerlich oder widerlich macht. In Häusern thun Maler und Tapezirer ihre Schuldigkeit, jeder für sich, dann kommt der Ausmöblirer, dann kommt der Hausherr, dann die Hausfrau und ein Hausfreund. Jeder decorirte und färbte nach seinem besondern Geschmacke und so schreien die Farben Wehe über die Bewohner und bringen durch ihre Disharmonien Unfrieden in’s Haus. Der Engländer Jones zankte stets mit seiner Frau in der feurig-roth-tapezirten Stube, in der lichtgrünen waren sie immer einig und glücklich. Farbendisharmonien wirken eben so störend und ärgerlich auf die Nerven, wie der verstimmte Leierkasten vor unserer Thür. Dabei ist gerade Roth sehr berüchtigt. Puterhähne und Ochsen im Stiergefecht werden durch Roth eben so aufgebracht, wie 1848 u. s. w. gewisse Beamte, denen das Rothe in der deutschen Kokarde so empörend vorkam, daß sie um sich schlugen oder den Schuldigen arretiren ließen. Ganz im Ernste und aus Erfahrung kann man sagen, daß eine harmonische Färbung im Hause den Nerven und Sinnen wohlthut und also die Farbenwissenschaft wesentlich zu Häuslichkeit, Bürgerwohl und Familienglück beitragen wird.

Unsere Damen gehen in den Laden, um sich Zeug zu neuen [558] Kleidern zu kaufen. Sie verlangen rothen Merino zu sehen und der Ladenbesitzer, glücklich in der Aussicht, ein Geschäft zu machen, wirft ein Dutzend Rollen auf den Tisch, lauter ganz gleich gefärbte Merinos. Aber die Damen behaupten und bleiben dabei, daß die letzten fünf bis sechs Stücke nicht von derselben frischen Röthe seien. Wie geht das zu? Die Antwort ist einfach. Ihre Augen sehen die rothe Farbe nicht mehr, wie sie wirklich ist, sondern durch das komplementäre Grün (vermittelst des successiven Contrastes) abgeschwächt und gleichsam beschmutzt. Versteht der Ladenbesitzer Farbe und seinen Vortheil, legt er grüne Stoffe neben die rothen. Der Contrast beider giebt dem Auge sofort seine normale Unterscheidungskraft wieder. Die rothen Stoffe sehen nun sogar schöner in der Farbe aus, als sie wirklich sind, da der Anblick des Grünen dessen Complement-Roth hervorruft und letzteres zu den rothen Stoffen hinzuthut.

Das Chevreul’sche Werk ist mitten in seiner wissenschaftlicken Strenge und Klarheit reich an solchen handgreiflichen Beispielen, welche beweisen, wie alle Künstler und Handwerker, die mit Färbungen zu thun haben und alles Publikum, welches in seinen Einkäufen, Kleidern, Verzierungen u. s. w. auf Farben sieht, durch die Unkenntniß dieser Farben Schaden hat und anrichtet und durch deren Kenntniß unberechenbare Vortheile genießt. Das Buch verdient deshalb in allen Kreisen und Klassen der Gesellschaft genau bekannt und studirt zu werden und wer eine wohlfeile deutsche Ausgabe davon veranstaltete, würde sich eben so viel Verdienste um die praktische Bildung und Aesthetik des Volkes, Verschönerung industrieller und künstlerischer Fabrikate als Geld für sich erwerben.

Von allen Anwendungen der Gesetze von den Farbencontrasten ist die auf Gärten und Blumenbeete die anmuthigste und reichste. Man kaufe einen Blumenstrauß auf dem ersten besten Markte von Paris, und man wird sich allemal über das gefällige Arrangement von Farben freuen. Und man kaufe für den sechsfachen Preis in Conventgarden zu London das beste Bouquet, einen in weißes Papier gesteckten, plumpen Knäuel von Blumen, dessen Buntscheckigkeit eben so gemein ist, als dessen dickbäuchige Form, in welcher er die Brust des herrschaftlichen Kutschers verunstaltet.

Wie wir hören, will Sir Joseph Paxton in den herrlichen Parkräumen des Krystall-Palastes zu Sydenham die Chevreul’sche Farbenwissenschaft im Großen durch die Blume zu verstehen geben und danach schon diesen Herbst seine Einrichtungen treffen, so daß diese in blühendes, duftiges Leben verwandelte Wissenschaft ein herrliches Seitenstück zu dem Arboretum, einer classificirten, wissenschaftlichen, lebendigen Zusammenstellung aller Bäume und Gesträuche bilden würde.

Jeder unparteiische Kenner giebt zu, daß die Franzosen in Farbe und Form industrieller und künstlerischer Produktionen die ersten sind. Was ihren Geschmack in Zusammenstellung und Verschmelzung von Farben betrifft, so ist Chevreul thatsächlich bereits der Schöpfer einer neuen Epoche geworden, wie Diterle (von Geburt ein Deutscher, Director der Porzellan-Manufactur zu Rouen) der Reformator in Formen und Desseins keramischer und plastischer Produkte. Chevreul’s Name war schon lange berühmt unter den praktischen und wissenschaftlichen Chemikern, aber sein Werk über die Farben ist sein Monument, denn hiermit hat er für immer einen der mächtigsten Factoren in Leben, Industrie und Kunst von der empirischen Unsicherheit der Charlatans und Dilettanten befreit. Viel Dank gebührt hier der französischen Regierung, die, wie sie auch zu verschiedenen Zeiten auftrat, absolutistisch, constitutionell, republikanisch, tyrannisch, doch immer Wissenschaft und Kunst zu fördern und Eins durch das Andere zu heben suchte. Sie lud 1836 Chevreul ein, seine Farbenwissenschaft den Gobelins gegenüber für die Arbeiter an derselben und sonstige Künstler vorzutragen. Das Direktorium der polytechnischen Schule gewann ihn darauf, seine Vorträge in dieser Anstalt zu wiederholen. Sie waren so berühmt, daß das Handelsamt zu Lyon nicht eher ruhte, bis Chevreul auch die Seidenweber u. s. w. mit seiner Wissenschaft bekannt machte. Dies war 1842. Und seit dieser Zeit wurden die Fabrikate von Lyon so schön in Muster und Farbeneffect, daß sie förmlich sprichwörtlich geworden sind.

Die englische Kritik begrüßte die Uebersetzung des Chevreul’schen Werks als die Bürgschaft einer neuen Epoche in Industrie und Kunst. Alle Befriedigungs- und Verschönerungsmittel des Lebens im weitesten Sinne sind jetzt über den bloßen Zweck des Nutzens hinaus. Jeder verlangt mit Recht, daß der Rock nicht nur warm halten, sondern auch „sitzen,“ daß der Stiefel nicht nur ganz, sondern auch schön sein soll, so daß selbst Schuster und Schneider ganz wesentlich zu den Künstlern gehören müssen, wenn sie gute Geschäfte machen wollen. Daß neben der schönen Form die schöne Farbe überall an und um uns her von der größten Wichtigkeit ist und daher das Chevreul’sche Werk auch ein deutsches Volksbuch zu werden verdient, wird schon nach diesen hier gegebenen Andeutungen keines Beweises mehr bedürfen.