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Von den Schlangen

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Textdaten
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Autor: Johann Peter Hebel
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Titel: Von den Schlangen
Untertitel:
aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
S. 30-36
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1803-1811
Erscheinungsdatum: 1811
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Djvu auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[30]
Von den Schlangen.

1.

Noch immer glauben Leute, daß die giftigen Schlangen mit der Zunge stechen. Allein es ist schon lange ausser Zweifel gesetzt, daß sie an der obern Kinnlade zwey Giftzähne habe, die sie in eine Scheide zurückziehen und wieder hervorstossen können. Diese [31] Zähne sind hohl, und haben an den Spitzen eine feine Oefnung, hinter jedem derselben befindet sich eine Drüse, in welcher das Gift bereitet wird, und wenn das Thier beißt, so tritt das Gift aus der Drüse in den Zahn und durch die Oeffnung in die Wunde. Es ist also eine Fabel, daß die Schlangen, ehe sie ins Wasser gehen, das Gift unter einen Stein ablegen. Wenn ein solches Thier im Wasser nicht giftig ist, so hat es auch kein Gift ausser demselben. An jenen Zähnen hätte man also wohl ein Kennzeichen, die gefährlichen Thiere dieser Art von den unschuldigen zu unterscheiden. Aber wie kann man ihnen so lange sie leben, in den Mund schauen und wer wirds thun? Lieber geht man ihnen zur Sicherheit aus dem Wege oder schlägt sie todt. Allein so wird doch auch manches unschädliche und sogar nützliche Thier getödtet. Denn die Schlangen verzehren viel sogenanntes Ungeziefer, und helfen also, uns vor der schädlichen Menge desselben bewahren. Und ein guter und besonnener Mensch will doch lieber erhalten, als ohne Zweck und Noth zerstören, lieber leben lassen als tödten, wär es auch nur ein Thier im Staube. Und die Schlange, ob sie gleich mit dem Bauch auf der Erde schleicht, ist doch ein merkwürdiges und wirklich ein schönes Thier. Schon das verdient ja unsere Bewunderung, daß dieses Geschöpf ohne Füsse nur durch seine zahlreichen Muskeln sich so leicht fortbewegen kann. Ihre Gestalt ist so einfach und doch fehlt ihnen nichts, was ihnen zur Erhaltung und zum Genusse ihres Lebens nöthig ist. Mit welcher Geschwindigkeit und Gewandtheit gleiten sie in den mannigfaltigsten Wendungen ihres schlanken Körpers nach allen [32] Richtungen dahin, und ereilen ihre fliehende Beute, oder retten ihr verfolgtes Leben? Mit welcher leichten Biegsamkeit wenden sie sich zwischen und über und unter den tausend Hindernissen durch, die ihrem Laufe überall im Wege liegen? Wer hat über den ganzen Körper hinab Schild an Schild und Schuppe an Schuppe gereiht und übereinander gelegt, daß sie bey jeder Bewegung in der größten Geschwindigkeit ausweichen, nachgeben, sich über einander schieben, und doch den zarten Körper bedecken, und allemal wieder in ihre vorige Lage zurückkehren? Wer hat sie mit der Schönheit und Mannigfaltigkeit ihrer Farben geziert? In Amerika wird eine Schlange mit rothen, schwarz eingefaßten Flecken, und citronengelben Querstreifen wegen ihrer ausnehmenden Schönheit zum Staat als Halsschmuck getragen, oder in die Haare geflochten. Auch von unsern Schlangen sind manche, zumal wenn sie sich noch nicht lange gehäutet haben, an Farbe und Zeichnungen schön, wenn man sie nur ohne Furcht und Abscheu betrachten kann.


2.

Aber wenn wir nur erst die gefährlichen unter ihnen kennten! Ein gelehrter Beobachter dieser Thiere hat folgende allgemeine Kennzeichen angegeben, die leicht zu merken sind. Wenn der Kopf breit, und mit dünnen Schuppen besetzt ist, so ist die Schlange verdächtig; wenn er aber mehr rund ist, so ist sie’s nicht. Ferner, wenn sich das Ende des Körpers fein zuspitzt, so ist nicht zu trauen; ist es aber stumpf und abgerundet, so hat man keine Gefahr. Doch giebt er diese Kennzeichen selber nicht für ganz untrüglich aus, und das beste an der Sache ist das, daß wir [33] nur sehr wenige giftige Schlangen haben, die leicht zu kennen sind, und daß diese nicht muthwillig den Menschen angreifen, sondern nur sich selber vertheidigen, wenn sie beunruhigt, gereizt, gedrückt oder verletzt werden.

Zum Beyspiel, die sogenannte Otter hat einen fast herzförmigen Kopf, eine Länge von 1 bis 2 Fuß und ein spitziges Ende. Die Farbe ist nach den verschiedenen Häutungen, oben grau oliven braun, oder schwärzlich, unten hellgrau auch bläulich. Auf dem Kopfe steht ein grosser herzförmiger brauner Fleck, auf dem Halse dergleichen Punkte im Zickzack, dann Streifen und von der Mitte an noch einzelne grössere und kleinere Flecken, hie und da, die ebenfalls braun sind. Die Kupferschlange, auch Kreuzotter hat einen platten, eyrunden Kopf, dünnen Hals, eine Länge von 6, 8 bis 12 Zoll und einen zugespitzten Schweif. Oben ist sie rostfarbig, bald stärker bald schwächer. Sie hat auf dem Kopfe zwey voneinander abgekehrte Halbzirkel )(. Ueber den Rücken hinab lauft ein dunkelbrauner Streifen im Zickzack, und an den Seiten hin liegen braune Punkte. Der Unterleib ist aschgrau mit weißen Querbinden, auf welchem wieder schwärzliche Punkte stehn, und die Endspize ist braun.

Auch findet man hie und da noch eine giftige Schlange, die am ganzen Körper schwarz ist, und deßwegen auch die schwarze Otter genennt wird.

Alle halten sich gern in einsamen, waldigen, düstern und verwilderten Gegenden auf.

Jede Art von giftigen Schlangen bringt durch ihren Biß andere, aber allemal schmerzhafte, traurige, bisweilen sehr gefährliche Folgen hervor. Auch ist [34] der Biß von der nemlichen Schlangen-Art nicht immer gleich furchtbar. Er ist gefährlicher, wenn das Thier alt, als wenn es jung ist, gefährlicher in der heißen und schwühlen Witterung, als in der kühlen, und desto gefährlicher, je mehr der Feind gereitzt und erbost ist. Auf alle Fälle soll man nicht säumen, oder sich auf Segensprechen und Sympathie verlassen, wenn man gebissen worden ist, sondern so geschwind als möglich einen erfahrnen Arzt oder Wundarzt zu Rathe ziehn.

Unterdessen soll man zum wenigsten die Wunde unterbinden, wenn es seyn kann, erweitern, mit Salzwasser auswaschen. Man empfiehlt auch ein Loch in die Erde zu graben, und das verwundete Glied hinein zu stecken. Jäger haben schon Schießpulver auf die Wunde gestreut, und angezündet, und haben die Wirkung gerühmt.

Auch mit den getödteten Schlangen von giftiger Natur muß man gar behutsam seyn. Man hat Beyspiele, daß unvorsichtige Personen durch die Giftzähne noch am abgeschnittenen Kopf einer Schlange gefährlich verwundet worden sind. Aber verschlucken könnte man solches Gift ohne Gefahr, wenn man nur innerlich gesund und unverletzt ist, denn es schadet nur, wenn es unmittelbar ins Blut kommt. Auch das Fleisch dieser Thiere ist unschädlich. Schon manche Schlange ist gegessen worden, ja man bereitet von dem Fleische der giftigen Otter für gewisse Kranke eine sehr nahrhafte und heilsame Brühe.

Aber an allen unsern Schlangen, die nicht Giftzähne haben, ist auch sonst nichts furchtbares und ihre Größe macht sie nicht gefährlich. Ob man gleich nicht genau sagen kann, wie alt sie werden, so hat man doch Ursache zu glauben, daß sie lange wachsen, und [35] die ungewöhnliche Grösse mancher Schlangen bewiese also nur, daß ihr der Zufall viel Zeit gelassen hat, sich zu strecken.


3.

Es liesse sich noch viel merkwürdiges von diesen Thieren besonders aus fremden Ländern erzählen z. B. die giftige Klapperschlange in Amerika giebt mit mehrern beweglichen Gelenken am Schweif einen zischenden oder rauschenden Laut von sich, ehe sie angreift. Wer es hört, ist gewarnt und kann sich in Acht nehmen. Aber Eichhörnchen und andere Thiere, die zu ihrer Nahrung bestimmt sind, werden durch diesen Laut ordentlich herbeygelockt, und liefern sich selber zur Beute und die jungen Amerikaner, wenn sie Eichhörnchen fangen wollen, sind so keck, daß sie sich irgendwo im Gebüsche verbergen, das Rauschen der Klapperschlange nachmachen, die Eichhörnchen damit locken, und sich alsdann ihrer zu bemächtigen suchen.

Es gibt auch ungeheure große Schlangen in Afrika, Ostindien etc. die größte soll mehr als Mannsdicke und eine Länge von 40 Fuß auch drüber erreichen. Sie ist nicht giftig, aber durch ihre Größe und Stärke selbst dem grausamsten Raubthiere, dem Tiger, gefährlich. Sie umwindet ihn, und drückt ihm die Knochen im Leibe entzwey. Sie schlingen Thiere ganz hinab, die dicker als sie selbst sind, weil der Körper nachgibt, und sich über seine gewöhnliche Dicke ausdehnen läßt, werden aber alsdann träge und unbehülflich.

Man erzählt, daß ein Vater eben dazukam, als eine große Schlange sein Kind verschluckte. Augenblicklich und glücklich soll er sie getödtet, ihr den Bauch aufgeschnitten, und sein Kind lebendig und unversehrt [36] heraus gezogen haben. Es gehört Glauben dazu, aber als ein äusserst glücklicher Zufall scheint es wenigstens möglich zu seyn.

Wenn die Neger in Afrika einer grossen Schlange die Haut abstreifen wollen, so ziehn sie dieselbe mit einem Strick an den Ast eines hohen Baumes auf. Einer klettert alsdann mit einem Messer hinauf, geht auf den Ast hervor, läßt sich an das Ungeheuer hinab, löst ihm die Haut unter dem Kopf, streift sie ab, und gleitet alsdann sachte mit der Haut, die er von oben nachzieht, an dem glatten Körper zur Erde hinab.

Grosse Schlangen wurden bey den Alten auch Drachen genannt. Aber wer dabey an geflügelte und feuerspeiende Unthiere denkt, oder an sogenannte Basilisken, der denkt an eine Fabel. Und es ist nur so viel an der Sache, daß es in fremden Welttheilen auf den Bäumen Eidexen giebt, die durch sogenannte Flughäute auf dem Rücken und am Hals, oder an den Seiten zwischen den vordern und hintern Beinen sich in der Luft schwebend erhalten und weite Sprünge machen können.

Man kennt auch eine Schlange, die auf dem Kopfe zwey bewegliche Auswüchse wie Hörner hat, und nennt sie deswegen die Gehörnte. Sie weiß sich sehr geschickt im Grase zu verbergen, so daß nur diese Auswüchse hervorschauen. Vögel, die dies sehen, haltens für Würmer, fliegen herzu und wollen anbeissen, werden aber augenblicklich von der Schlange erhascht, und gefressen.

So begegnet wohl auch manchem Menschen gerade dasjenige selber, was er aus Eigennutz oder Schadenfreude einem andern zugedacht hat.