Von der Camorra

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Autor: Isolde Kurz
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Titel: Von der Camorra
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38–39, S. 620–623, 635–636
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Von der Camorra.

Das Wort ist seit lange in den Sprachgebrauch aller Völker aufgenommen, und wo nur immer mächtige und einflußreiche Personen zur gewaltthätigen oder verkappten Ausbeutung ihrer Mitbürger zusammentreten, da sagt man: es ist eine Camorra.

Was aber die echte ursprüngliche, nur in Neapel einheimische Camorra sei, woher sie stamme und was sie zusammenhalte, das pflegten selbst Diejenigen nicht genau zu wissen, die von dieser geheimnißvollen, unsichtbaren und allgegenwärtigen Macht wie von eisernen Klammern umstrickt waren. Ich sage „waren“, denn zum Glück gehören die Zustände, von denen hier die Rede sein soll, zum größeren Theil der Vergangenheit an: ermöglicht es doch heutigen Tags schon der leichtere Verkehr einem von der Camorra Bedrängten, seine Zelte abzubrechen und den Schlingen, die er nicht durchreißen kann, wenigstens zu entschlüpfen.

Während der tiefen Geistesnacht aber, die unter der bourbonischen Regierung über Neapel lag, mußte sich der Eingeborene wie der Fremde auf Schritt und Tritt in diesem großen Spinnennetz verfangen, das sich über das ganze Königreich beider Sicilien ausdehnte.

Am Bahnhof wie am Landungsplatze der Schiffe, auf der Haltestelle der Fiaker, am Bureau des Lotto, auf dem Markte, am Schenktisch, allüberall wo Geld ausgegeben und eingenommen wurde, ja – wie von Einigen behauptet wird – sogar am Opferstock stand der unbekannte Steuereinnehmer, der von jedem Geschäft, von jeder Vergnügungsausgabe, selbst von dem Almosen seinen Zehnten einforderte. Und so wenig es heute einem friedlichen Bürger einfallen würde, die Zahlung der Gemeindesteuer zu verweigern: so wenig dachte der Neapolitaner von damals daran, zu rebelliren, wenn der tyrannische Eintreiber mit goldenen Ringen und Ketten belastet vor ihm erschien und, gelassen an die Mütze greifend, mit den lakonischen Worten: „Für die Camorra!“ seinen Zins erhob.

Gegen dieses Erpressungssystem gab es für den Einzelnen keine Hilfe; zwar waren nur Männer aus dem Volk als Camorristen bekannt; aber es ist gewiß, daß sich die Verzweigungen der Organisation bis in die höchsten Gesellschaftsschichten erstreckten und daß alle Aemter mit dieser Fäulniß durchsetzt waren: gegen einen Schützling der Camorra fanden sich meist weder Zeugen noch Richter, und die Thatsachen selbst, die gegen ihn sprachen, verschoben sich in Kurzem auf so wunderbare Weise, daß auch dem unparteiischsten Gerichtshof der Muth sinken mußte, ein „Schuldig“ abzugeben.

Verschiedene kleine Gewerbe entrichten übrigens noch heute einen direkten Tribut an die Camorra, z. B. die Droschkenkutscher, die Fischhändler etc. Dafür genießen sie aber eine gewisse Sicherheit, die der Staat seinen pünktlichen Steuerzahlern nicht immer zu gewähren im Stande ist. Der friedliebende Handwerker und der ängstliche Kleinbürger werden daher nur ungern den starken Arm entbehren, der sie an Unterwerfung hielt, aber zugleich beschützte. Als die italienische Polizei gleich nach Einverleibung der Provinz Neapel die Camorra mit Stumpf und Stiel auszurotten suchte – der Eifer hat seitdem merklich nachgelassen – war der Jammer unter den niederen Gewerbtreibenden groß.

Die reichste Quelle jedoch floß und fließt der Camorra noch heute aus jeder Art von unehrenhaftem Gewerbe sowie aus dem Spiel, der Nationalleidenschaft des Neapolitaners. Ob friedliche Bürger nach Sonnenuntergang vor der Hausthür saßen und die Karten mischten, ob zerlumpte Lazzaroni Nachts in einem schmutzigen Kafé um ihre wenigen gestohlenen oder erbettelten Kupfermünzen spielten: überall fand der Camorrist sich ein, überwachte mit strengem Auge das Spiel und empfing, sobald es zu Ende war, vom Sieger den zehnten Theil des Gewinnes. Wenn Streit entstand, wenn falsch gespielt wurde, so rief man seine Entscheidung an. Seine Sentenz, die meist gerecht war, galt für unanfechtbar, und im Nothfall war er auch bereit, allein gegen ein Dutzend Gegner mit gezogenem Messer dem Recht zum Siege zu verhelfen.

Diese verrufenen Spelunken, in denen es der bourbonischen Polizei nicht geheuer war, standen einzig und allein unter der Aufsicht der Camorra, die sogar eine gewisse Ordnung daselbst aufrecht erhielt, Mord, Raub und andere Ausschreitungen verhütete mit Ausnahme derer, die sie selbst beging. Zuweilen konnte es denn allerdings geschehen, daß sich ein zweiter Camorrist, der dem ersten unbekannt war, am Orte einfand, um den Zehnten für sich selbst in Anspruch zu nehmen. In solchem Falle wurden aber nicht die Spieler doppelt taxirt – höchste Loyalität im Geschäftsverkehr ist eine Haupteigenschaft der Camorra – sondern das Messer hatte zwischen den Konkurrenten zu entscheiden. Das streitige Geld wurde auf den Boden gelegt; die Gegner stürzten mit gezückter Waffe auf einander, und der Kampf endete nicht eher, als bis einer von beiden blutend am Boden lag. Wenn die Polizei endlich herbeieilte, so beobachtete der Verwundete das tiefste Stillschweigen über die Person des Thäters und der Sieger stieg in der Camorra an Ehre und Ansehen, auch wenn er einen Genossen getödtet hatte.

Häufig fällt dem Camorristen auch die Rolle des Friedensrichters in seinem Stadtviertel zu, denn in Rechtsstreiten, wo der arme Mann sich vor langwierigen und unsicheren Processen fürchtet, ruft man seine Vermittlung an, und es werden mitunter von solchen Camorristen salomonische Urtheile, die eines Sancho Pansa würdig wären, berichtet. Für einen Klienten, der sich unter seinen Schutz gestellt hat, ist der Camorrist auch bereit, die eigene Haut zu Markte zu tragen. Daher verschmähen es selbst Personen von Rang gelegentlich nicht, für sich und die Ihrigen die Dienste der Camorra anzunehmen.

So erzählt John Peter in seinen reizenden „Etudes napolitaines“ von einem Mann in hoher Stellung, der eines schönen Tages ganz unerwartet den Besuch eines Camorristen, seines Nachbars, erhielt.

Pulpetiello (ein Spitzname, so viel wie kleiner Polyp) macht seinen Kratzfuß.

„Eccellenza reisen morgen nach Rom,“ redet er den Erstaunten an – „Ihre Frau und Tochter bleiben hier allein; sie möchten gewiß gern des Abends allein ausgehen, ihre Hühner und Eier, das Obst aus ihrem Garten in Ruhe essen können. [621] Auf mein Wort, das will ich möglich machen. Wenn Eccellenza mir während Ihrer Abwesenheit ein monatliches Almosen von sechs Franken gewähren wollen, so werden Sie sehen, was ich für meine Herrschaft thun kann.“

Da das Stadtviertel unsicher ist, spielt die Eccellenza nicht den Spröden, sondern geht auf Pulpetiello’s Vorschlag ein. Vier Monate lang war der Familienvater abwesend; während dieser Zeit gingen Frau und Tochter Abends mit voller Sicherheit aus, von stummen, geheimnißvollen Trabanten eskortirt. Auch Garten und Hühnerstall wurden verschont, während man sonst in jenem Stadtviertel von Nichts als Raub und Einbruch reden hörte und selbst dem Geistlichen des Sprengels der Garten ausgeplündert wurde.

Eben so bezeichnend ist die Geschichte jenes Uhrmachers, eines braven Schweizers, der allen Camorristen seines Viertels unentgeltlich die Uhren reparirte. Dies hatte seinen besonderen Grund.

Im Jahre 1856, so erzählt Peter, als dieser Schweizer sich eben in Neapel etablirt hatte, kam ein Unbekannter zu ihm in den Laden und stahl ihm eine sehr werthvolle Uhr, die er zu repariren hatte. Der arme Mann rennt auf die Polizei, wo man wenig Notiz von ihm nimmt; er soll warten, heißt es, bis der Inspektor von seinem Sommeraufenthalt in Castellamare zurückkommt. In seiner Noth wendet sich der Schweizer an einen wohlbekannten Camorristen, der sich das Signalement des Diebes geben läßt und zu helfen verspricht. Gegen Mitternacht legen sich Beide in einer Gasse von Alt-Neapel in einem Thorweg auf die Lauer und sehen allerlei nächtliche Vögel vorüberstreichen, denn es ist die Zeit, wo die Spitzbuben zur Ruhe gehen. Der Uhrmacher reißt die Augen auf, so weit er kann, um in der Dunkelheit seinen Dieb ausfindig zu machen; endlich erkennt er ihn an dem herausfordernden Gang und dem kleinen Hütchen, das keck auf dem Ohr sitzt, und zeigt ihn dem Camorristen. Dieser stürzt sich auf den Gauner, packt ihn an der Gurgel und fordert ihm unter wuchtigen Faustschlägen seinen Raub ab.

Nach Luft schnappend zieht der Dieb demüthig die gestohlene Uhr hervor; die Kette kann er jedoch nicht mehr herausgeben; denn die ist schon versetzt.

„Führe uns zum Pfänderverleiher!“ herrscht ihn der Camorrist an, ohne seine Beute fahren zu lassen. Der Dieb gehorcht, und bald stehen sie vor der Thür des Hehlers. Mit dröhnender Stimme ruft der Camorrist den alten Wucherer heraus, faßt ihn am Kragen, führt ihn mit sich in seinen Schlupfwinkel zurück, von wo er bald, die Kette in der Hand, triumphirend wieder herauskommt. Unser Schweizer hatte 15 Franken zu bezahlen und mußte sich außerdem von dem Camorristen umarmen lassen, der ihn bei dieser brüderlichen Umhalsung stark mit Knoblauch parfümirte. Von dieser Zeit an nahm der Schweizer stets die Partei der Camorra, wenn Jemand Uebles von ihr sprach.

Das denkwürdigste Beispiel dieser Art ist übrigens gewiß dem bekannten russischen Schriftsteller Alexander Hertzen widerfahren, als ihm im Februar 1848 das Portefeuille mit seinem Gesammtvermögen, bestehend aus Bankbilletten, Wechsel- und Kreditbriefen in den Straßen von Neapel abhanden gekommen war und ihm, nachdem die Polizei sich völlig ohnmächtig erwiesen hatte, durch ein paar zerlumpte Männer aus der Hefe des Volks wieder zugestellt wurde.

Aus allem bisher Gesagten geht hervor, daß die Camorra, so verderblich und demoralisirend auch ihr Einfluß im Ganzen sein mag, doch in einzelnen Fällen Gutes gewirkt hat und sogar in Zeiten politischer und socialer Auflösung ein Element der Ordnung gewesen ist. Von ihrer eigenen Ehrenhaftigkeit und Berechtigung ist sie jedenfalls aufs Tiefste überzeugt und hält streng auf point d’honneur, wie denn vor Aufnahme eines neuen Mitglieds die moralischen Eigenschaften desselben (il suo [622] morale, lautet der technische Ausdruck) einer genauen Prüfung unterliegen.

Neben dieser Art von Banditentreue, die man auch anderwärts bei halbverwilderten Menschen findet, sobald sie nur durch eine strenge Disciplin und den Glauben an ihre gute Sache moralisch gehalten werden, finden sich noch andere lobenswerthe Züge, die im Camorristen eben den Sohn der „dolce Napoli“ kennzeichnen. So die Fürsorge für die Familien gefangener oder getödteter Genossen, die Rücksicht auf die alten im Dienst ergrauten Häupter, auch wenn sie längst in Ruhestand getreten sind – ein solcher Veteran der Camorra heißt in der Sprache der Sekte ein camorrista proprietario und genießt ein patriarchalisches Ansehen – ferner die unauslöschliche Erkenntlichkeit für erwiesene Wohlthaten, wenn sie wirklicher Menschenliebe und nicht der Furcht entsprangen.

Unser trefflicher Gewährsmann Peter, der seit lange das Amt eines Pastors der protestantischen Gemeinde in Neapel bekleidet, erzählt von einem Freunde, der wegen seiner Wohlthätigkeit allerwärts bekannt war und unter Anderm auch die Mutter eines gefangenen Camorristen, ohne den Grund ihrer Noth zu kennen, unterstützt hatte. Die Camorra blieb ihm dafür dankbar und bewies es zu öfteren Malen. Als er starb, folgten viele Camorristen seiner Bahre und kehrten Tags darauf noch einmal an das Grab zurück, das vom Volke schon ganz mit Blumen überschüttet war. Ihre Dankbarkeit für den Todten übertrugen sie auf den überlebenden Freund, und Herr Peter hat mehrfach Gelegenheit gehabt, der treulichen ihm von Camorristen erwiesenen Dienste rühmend zu gedenken.

Diese Gesellschaft, so stark nach innen und außen, mit hundertjährigen Traditionen und vererbtem Recht, getragen von unten und beschirmt von oben, mit der Polizei auf dem Fuße gegenseitiger Toleranz, übte natürlich auf das furchtsame und jedem Eindruck zugängliche neapolitanische Volk einen wunderbaren Bann aus; ihr anzugehören mußte Jeder wünschen, der lieber bei den Unterdrückern als bei den Unterdrückten stand. Und so wiederholte sich von Generation zu Generation der traurige Fall, daß alle mannhafteren Elemente der niederen Bevölkerung einer geheimen Verbrüderung zuströmten, deren Endziel das Verbrechen ist, und daß es für den jungen Neapolitaner, wenn er irgend hervorragende persönliche Eigenschaften besaß, keinen höheren Ehrgeiz gab, als Camorrist zu werden.

Doch ward der Eintritt Keinem leicht gemacht. Bei der Camorra dient man von der Pike auf; der Aspirant muß schon früh Beweise von körperlicher Kraft und Gewandtheit, von Muth, Standhaftigkeit und Kaltblütigkeit gegeben haben.

Im persönlichen Dienst eines „Picciotto“ – die Erklärung dieses Grades wird später folgen – macht er als „giovane onorato“ oder, wie ihn Andere mit mehr Berechtigung nennen, als „garzone di mala vita“ seine erste oft viele Jahre dauernde Lehrlingszeit durch. Er ist gewissermaßen der Laienbruder dieses Ordens. Er führt blindlings jeden ihm gewordenen Befehl aus, ist stets bereit, vor der Justiz die Missethaten seiner Kameraden oder Vorgesetzten auf die eigenen Schultern zu nehmen; er trägt geduldig die härtesten Entbehrungen und Mißhandlungen; an der Beute, die er selber macht, hat er keinen Antheil, und wenn ihm der „Picciotto“, in dessen Diensten er steht, nur ein Stück Brot reicht, so muß er es als eine Gnade erkennen. Ein im Auftrag des Vorgesetzten verübter Todtschlag oder ein glücklich ausgeführter „sfregio“[1] beendigt die Prüfungszeit. In Ermangelung solcher Gelegenheiten hatte der Kandidat ein meist ungefährliches Duell mit einem durch das Los gezogenen „Picciotto“ zu bestehen, worauf er selbst als Picciotto oder besser gesagt als „Picciotto di sgarro“[2] in den aktiven Dienst der Camorra trat.

In früheren Jahren, als die Bedingungen noch härter waren, soll die Aufnahmeprüfung darin bestanden haben, daß man eine Kupfermünze auf den Boden legte und daß alle Versammelten gleichzeitig mit ihren langen Messern danach stachen; der Kandidat mußte mit bloßer Hand das Geldstück zwischen den Messern hervorholen. In unserer Zeit scheint ein einfacher Aderlaß, durch irgend einen Barbier der Camorra in Anwesenheit von zwei Camorristen und drei Picciotti an dem Kandidaten vollzogen, die einzige Ceremonie zu sein; angesichts des rinnenden Blutes hat der Neuling Treue und Gehorsam zu schwören.

Nun beginnt für ihn ein neues, bei Weitem gefährlicheres Noviziat. Er tritt in den unentgeltlichen Dienst eines Camorristen, der ihm nach Gutdünken jede Herkulesarbeit aufladen kann und ihm keinen Antheil am Erwerb schuldig ist. Was er selber „verdient“, liefert er pflichtgetreu in die Hände seines Vorgesetzten aus.

Auch diese Knechtschaft läßt er willig über sich ergehen. Eine glänzende That, eine Probe der Treue und Hingebung an die Gesellschaft sichert endlich seine Beförderung. Diese Probe bestand gewöhnlich darin, daß der „Picciotto“, sobald sein Vorgesetzter eine Missethat begangen hatte, alle Indicien der Thäterschaft auf sich selber lenkte und vor Gericht die Schuld des Camorristen übernahm. Wohl konnte er sich dadurch zehn, ja zwanzig Jahre Zwangsarbeit zuziehen, aber er bekränzte sich in den Augen seiner Genossen mit unvergänglichem Ruhm und stieg selber zum Camorristen auf. Aus Zeiten verschärfter Verfolgung der Camorra wird sogar der Fall erzählt, daß ein „Picciotto“, ohne wankend zu werden, die Todesstrafe für seinen Camorristen erlitt.

Andere avanciren, indem sie einen gefährlichen Gegner der Camorra aus dem Weg räumen. So jener Raffaelle Esposito, von dem John Peter in seinem Aufsatz „La Camorra en 1881“ erzählt. Derselbe erschoß einen allgemein verhaßten Polizei-Agenten, welcher der Camorra grimmigen, erbarmungslosen Krieg erklärt hatte. Die Nachbarschaft huldigte ihm wie einem Befreier; man gab ihm ein großes Bankett und er zog wie ein Triumphator unter einem Regen von Blumen und Bonbons durch die Straßen. Als er verhaftet wurde, eröffnete das Volk eine Subskription, um ihm einen Vertheidiger zu bezahlen, und die Regierung war gezwungen, seinen Proceß in Viterbo führen zu lassen, da die Richter in Neapel ihres Lebens nicht sicher gewesen wären. Er wanderte auf dreizehn Jahre in das Zuchthaus, aber das große Ziel seines Lebens war erreicht: er war noch am Tage der That vom „Picciotto“ zum Camorristen avancirt. Welchen Werth dieser Titel in der Gefangenschaft hat, werden wir später sehen.

Nicht immer findet sich jedoch Anlaß zur Großthat oder zum Martyrium; in diesem Fall bietet die Camorra, der daran gelegen ist von Zeit zu Zeit junge Kräfte aufzunehmen, einem Aspiranten „von guter Moral“ eine andere Gelegenheit zur Auszeichnung. Der „Picciotto“ darf einen Camorristen, welcher ihm übrigens auch durch das Los bestimmt werden kann, zum Zweikampf mit dem Messer herausfordern. Dieses Duell ist viel ernstlicher als das, welches der „giovane onorato“ zu bestehen hatte; es findet in geschlossenem Raume statt und geht häufig auf Tod und Leben. Der Verwundete wird von seinen Kameraden aus der Kammer getragen und einfach auf die Straße gelegt, wo ihn alsdann Vorübergehende, die häufig von der Camorra schon benachrichtigt sind, aufheben[WS 1] und ins Spital schaffen. Bleibt der „Picciotto“ Sieger, so erfolgt die Aufnahme unter allerlei feierlichem Hokuspokus, der die völlige Hingabe des Adepten an die Camorra symbolisch darstellt. Schließlich schwört der Neuling über einem Krucifix oder über zwei gekreuzten Messern (was dieselbe Bedeutung hat) der Gesellschaft Treue auf Leben und Tod; er wird der Reihe nach von seinen neuen Kameraden umarmt, und das Haupt der Versammlung stellt ihn allen Anwesenden vor mit den Worten: „Ecco l’uomo!“ (Seht den Mann!) Von dieser Stunde an nimmt er an allen Rechten, Ehren und Einnahmen der Genossenschaft Theil.

In früheren Zeiten hatte die Camorra in jedem Stadtviertel ein kleines Centrum, eine sogenannte „paranza“. Heute ist die Zahl derselben bedeutend zusammengeschmolzen, aber nach wie vor wählt jede dieser kleineren Korporationen aus ihrer Mitte den Tüchtigsten und Verwegensten zum Oberhaupt unter dem Titel „capoparanza“. Dieser Chef ist die höchste bekannte Behörde der Camorra; höher hinauf dringt kein Auge, und es ist schon viel darüber gestritten worden, ob die Camorra in den oberen und obersten Schichten der Bevölkerung wirkliche Mitglieder oder bloße [623] Gönner zähle. Gewiß ist, daß kein Angehöriger der niederen Camorra alle Fäden kennt, die durch seine Hände laufen; ein Jeder sieht nur, was unmittelbar über ihm und was unter ihm steht.

Die Bedeutung eines solchen Chefs, der keine geschriebenen Gesetze zur Seite hat, hängt einzig und allein von der Gewalt seiner Persönlichkeit ab. Ein gewisser großer Stil ist für ihn unerläßlich, und er muß jeden Augenblick bereit sein, eine Meuterei niederzuwerfen und sich allein zwischen die Messer aller seiner Kameraden zu stürzen. Eine Fülle von Ringen und Schaustücken aller Art, worunter der breite Messingreif am Mittelfinger nicht fehlen darf, kennzeichnet ein Haupt der Camorra. Seine amtlichen Funktionen sind jedoch ziemlich beschränkt; jede wichtige Entscheidung muß dem Rath vorgelegt werden, in welchem jeder Camorrist eine Stimme hat. Noch unlängst brachten die italienischen Journale eine Reihe neuer Enthüllungen über die Camorra, aus denen hervorgeht, daß über den gewöhnlichen Versammlungen innerhalb der „paranza“ noch eine höhere Instanz steht, das große Tribunal oder die „gran mamma“, wie die officielle Bezeichnung der Camorristen lautet. Neapel besäße demnach im Augenblick drei solcher großen Tribunale, deren Jurisdiktion je ein Drittel der Stadt umfaßt. Diese Tribunale haben über die schwereren Vergehen der Mitglieder der Camorra zu richten und treten – vielleicht um den Schreck, der von ihnen ausgeht, zu vermehren – mit Vorliebe am Freitag zusammen.

Der Präsident heißt „u prence e testa d’oro“[3]; er thront auf einem großen Faß, während die andern richterlichen Sitze durch kleinere Fässer dargestellt sind. Meist figurirt ein altes Weib „a spagara“ als Staatsanwalt; sie hält einen langen Bindfaden (spago) mit den Zähnen, den sie während der ganzen Verhandlung beständig zwischen den Fingern durchzieht, wie um symbolisch das Abspinnen des Processes darzustellen, und mag bei dieser Beschäftigung recht einer Parze gleichen. Ist der Beklagte ein „Picciotto“, so hat er das Recht, bei dem Proceß anwesend zu sein und sich zu vertheidigen, während der „giovane onorato“ stets von den Verhandlungen ausgeschlossen bleibt. Von der Justiz der Camorra und der Willigkeit, mit der ihre Sentenzen vollzogen und erlitten werden, soll späterhin die Rede sein.

Am Sonntag wird unter den Mitgliedern jeder Sektion mit größter Gewissenhaftigkeit der „barattolo“ oder die „camorra“ vertheilt; so heißt nämlich außer der Genossenschaft im Allgemeinen insbesondere noch der die Woche über eingegangene Betrag an Steuern wie aller sonstige Erwerb. Ein Rechnungsbeamter, welcher „contarulo“ heißt, hält die Kasse und führt sorgfältig Buch über das Soll und Haben jedes Mitgliedes. Außerdem steht dem Chef, der häufig mit der Feder nicht sehr vertraut ist, noch ein Sekretär für seine Korrespondenz zur Seite, welcher nicht gerade der Camorra aktiv anzugehören braucht, ihr aber als Mitwisser ihrer delikatesten Geheimnisse Treue und Verschwiegenheit gelobt hat und eine Indiskretion mit dem Leben bezahlen würde.

Den schon angeführten Beispielen aus der Gaunersprache der Camorristen mögen hier noch einige der originellsten folgen. Ihr unzertrennlicher Gefährte, das lange breitgeschliffene, im Griff feststehende Messer heißt sehr euphemistisch „misericordia“, der Revolver „tic-tac“; einen Getödteten nennen sie „dormente“ (Schläfer), einen Bestohlenen „agnello“ (Schaf), einen gestohlenen Gegenstand „il morto“ (der Todte). Ein Oberhaupt der Camorra wird sehr respektvoll „masto“ (Meister) oder „capo-masto“ angeredet, der einfache Camorrist schlechtweg „compagno“ oder „si“ (Abkürzung von signore).

[635] Es war bisher nur von der sogenannten „Camorra di piazza“, der Beherrscherin des Marktes, die Rede; jetzt bleibt uns noch übrig, auch die Camorra im Gefängniß kennen zu lernen; denn der Kerker war in der Blüthezeit dieses Geheimbundes seine eigentliche Wiege, Pflanzstätte und Domaine. Der erste Keim der Camorra soll sich, wie die Forscher der nationalen Zustände versichern, in den Zuchthäusern gebildet haben und erst von da aus in das bürgerliche Leben eingedrungen sein.

Jedenfalls war für den Camorristen, den Sohn des Volks, der vor dumpfen übelriechenden Räumlichkeiten nicht zurückbebte, die Freiheitsentziehung eine sehr zweifelhafte Strafe; denn jedes Zuchthaus stand mit allen übrigen Strafplätzen des Königreichs beider Sicilien sowie mit den städtischen Sektionen der Camorra im innigsten Wechselverkehr.

Sobald ein neu eingelieferter Sträfling den gemeinsamen Gefängnißraum betrat, wurde ihm von der Camorra der Beitrag „für das Lämpchen der Madonna“ – so lautete die herkömmliche Formel – abverlangt. Wehe dem, der mit leeren Händen kam! Kein Aufseher konnte ihn vor den blutigsten Mißhandlungen schützen, bis er Mittel und Wege fand, das Eintrittsgeld zu entrichten. Doch waren damit seine Verpflichtungen gegen die Camorra keineswegs abgetragen; auf Schritt und Tritt mußte er sich ihre Ueberwachung gefallen lassen, konnte ohne ihre Genehmigung nicht die kleinste Handlung vornehmen und schuldete ihr bis zum Tage seiner Freilassung den zehnten Theil jeder Einnahme. Und nicht zufrieden mit diesen direkten Kontributionen wußte die Camorra ihre unglücklichen Opfer durch indirekte Steuern völlig auszusaugen. Sie verkaufte an die Mitgefangenen Tabak und Wein, wofür sie gleichsam das Monopol hatte, vermiethete den Bemittelteren die vom Staat für jeden Einzelnen gelieferten Matratzen oder Strohsäcke, während sie die Armen auf dem nackten Boden zu schlafen zwang; sie besteuerte das Spiel, zu dem sie die Sträflinge zwang, und kaufte ihnen zu niedrigem Preis ihre neuen Kleidungsstücke oder die Hälfte der eben [636] gefaßten Ration ab, um sie durch das Geld zum Weiterspielen nöthigen zu können, und die Summen, die sie solchermaßen dem nackten Elend auspreßte, sollen in der Woche eine sehr beträchtliche Höhe erreicht haben.

Vor allem verfügte sie über die Waffen, deren Tragen sie allem Reglement zum Trotz einem Gefangenen gestatten oder verbieten konnte und die hundertmal konfiscirt immer aufs Neue beschafft wurden. Die Angehörigen der gefangenen Camorristen wußten sie auf tausend scharfsinnige Arten hereinzuschmuggeln; die Sträflinge verfertigten sie selbst aus eifrig gesammelten Nägeln, entwendeten Eisenstückchen, Ketten etc., die sie nächtlicherweile einschmolzen und zwischen zwei Steinen, wovon der eine als Hammer, der andere als Amboß diente, schmiedeten. Trotz der unermüdlichen Jagd, welche die Schließer auf diese oft ellenlangen Messer machten, gelang es ihnen höchstens durch Spionage dann und wann eines aufzufinden, etwa hinter dem Bewurf des Gemäuers oder in einem sorgfältig ausgehöhlten und wieder verstopften Hausgeräth, wie zum Beispiel in den hölzernen Löffeln der Sträflinge, die ein bequemes Futteral dieser Dolche abgaben.

Der im Jahre 1848 zum Tode verurtheilte und zum Zuchthaus begnadigte italienische Patriot und Schriftsteller Luigi Settembrini erzählt sehr ergötzlich, wie eines Tages ein höherer Officier mit einem ganzen Bataillon Soldaten im Gefängnißhof von Santo Stefano einrückte und verkünden ließ, die Gefangenen hätten binnen drei Stunden ihre sämmtlichen Waffen in den Hofraum herunterzuwerfen, wer eine einzige zurückbehalte, würde augenblicklich erschossen. „Drei Stunden lang regnete es Messer von allen Formen und Arten in den Hof herunter, und es wurden über tausend eingesammelt. Aber sobald die Soldaten abgezogen waren, tauchten die Waffen wie durch Zauber von Neuem auf.“

Als zwei andere bekannte Patrioten, M. Persico und Baron Poerio, in das Castel Capuano gebracht wurden, empfing sie dort bei ihrem Eintritt ein Camorrist, der ihnen mit einer tiefen Verbeugung im Namen der Camorra zwei Dolche zur Wahrung ihrer Sicherheit überreichte.

Solche Auszeichnung von seiten des Geheimbundes wurde jedoch nur den politischen Gefangenen zu Theil, die selbst ihren halb entmenschten Schicksalsgenossen Sympathie und Bewunderung einflößten, wiewohl die Camorra an der nationalen Bewegung keinen Theil nahm. Der gemeine Sträfling dagegen mußte sich, wollte er seines Lebens sicher sein, unter den persönlichen Schutz eines Camorristen stellen, der sich für seine Dienste bezahlt machte, indem er dem unglücklichen Schützling den letzten Sou aus der Tasche zog.

Freilich ließen nicht alle Verurtheilten diese Herrschaft gleich willig über sich ergehen, und zuweilen konnte es dann wohl geschehen, daß die Auflehnung einem Unerschrockenen gute Früchte trug.

So jenem calabresischen Priester, von dem M. Monnier erzählt. Da derselbe kein Oel für die Madonna beizusteuern vermochte, weil er keinen Sou besaß, hob der Camorrist den Stock gegen ihn.

„Wenn ich eine Waffe hätte,“ rief der Calabrese, „so würdest Du Dich hüten, mir so zu begegnen.“

„Daran soll es nicht fehlen,“ antwortete der Camorrist, in seiner Ehre gekränkt, holte eilig zwei große Messer, wovon er eines dem Calabresen reichte, und setzte sich in Positur. Aber der Priester war der Gewandtere und tödtete seinen Gegner. Jetzt erst gerieth er in Furcht, denn er fühlte sich doppelt bedroht durch die Strenge der Justiz auf der einen und den Groll der Camorra auf der andern Seite. Doch zu seinem großen Erstaunen entging er, Gott weiß wie, jeder Gefahr. Nicht nur daß die Camorra die ganze Angelegenheit vertuschte, vielleicht um ihre Autorität nicht zu erschüttern, sondern der Priester fand überdies Abends beim Zubettegehen einen großen Haufen Kupfermünzen auf seinem Kissen. Es war sein Antheil am „barattolo“, den man ihm wie einem neuen Gefährten von da an bis zur Abbüßung seiner Strafe jede Woche pünktlich auszahlte.

Zu der eben erzählten Geschichte, so wunderbar sie klingen mag, werden von Allen, die je mit der Camorra zu thun hatten, unzählige Seitenstücke berichtet. Diese rohen, nur durch persönlichen Muth ausgezeichneten Menschen respektiren Den, welcher der Gewalt Gewalt entgegensetzt und wissen ihn nicht besser zu ehren, als indem sie ihn für ihres Gleichen anerkennen.

Auch den Gefängnißbehörden wußte sich die Camorra als eine Macht gegenüber zu stellen, und nicht selten wurde sie von den Schließern, die mit ihr auf bestem Fuße standen, in Anspruch genommen, um widerspenstige Mitgefangene niederzuhalten oder verborgene Missethaten ans Licht zu bringen.

Zuweilen aber brachen im Schoß der Genossenschaft selbst Konflikte und Feindseligkeiten aus, die zu dämpfen die Kerkermeister alsdann machtlos waren. Die politischen Mitgefangenen haben Schilderungen blutiger Schlachten hinterlassen, die sich in den Zuchthäusern abspielten und ihren Anlaß in Eifersüchteleien und inneren Zerwürfnissen der Camorra hatten. Doch auch ohne solche Massenkämpfe feierte das Messer nicht, und häufig wurde das Gefängniß Schauplatz eines regelrechten Bluturtheils, von der Camorra an treulosen oder rebellischen Mitgliedern vollzogen. Nur selten gelang es der Behörde, einen solchen Verurtheilten durch Isolirung oder Versetzung in ein anderes Gefängniß zu retten, die Sentenz wurde augenblicklich sämmtlichen Häuptern der Camorra, den Internirten wie den auf freiem Fuße Befindlichen, bekannt gemacht, und überall, so weit der Arm der Camorra reichte, also im ganzen Königreich, lauerte der Dolch seiner Richter auf den Schuldigen.

In offener Versammlung wurde das Urtheil gesprochen und alsdann ein „Picciotto“ mit der Vollstreckung desselben betraut. Entzog sich der Erwählte seinem Amt, so verfiel er selbst wegen Insubordination dem gleichen Schicksal.

Für geringere Vergehen gab es andere Strafen wie zeitweilige Enthebung vom Amte, Entziehung des „barattolo“ etc., die alle mit eiserner Strenge gehandhabt wurden.

Wenn jedoch ein gefeiertes Oberhaupt, einer von den Auserwählten, die im goldenen Buch der Camorra stehen, von der Staatsgewalt wegen irgend eines Verbrechens verurtheilt wurde und im Gefängniß seinen festlichen Einzug hielt, so konnten an einem solchen Freudentag alle über seine geringeren Brüder von dem Bunde verhängten Strafen durch eine Generalamnestie aufgehoben werden.

Von der Bestrafung eines Camorristen, der eine unabsichtliche Indiskretion gegen die Gesellschaft begangen hatte, berichtet ein Augenzeuge folgendermaßen:

„Bei einem Festmahl, das die Kameraden abhielten, mußte der Schuldige in einer Saalecke stehen und alle erdenklichen Beschimpfungen über sich ergehen lassen. Er wurde geschlagen, geohrfeigt, angespuckt, und erst mit Schluß der Mahlzeit nahm seine Buße ein Ende.“

Derselbe Gewährsmann theilt noch andere Details über die strenge Disciplin der Camorra mit. Wenn bei dem allmorgendlichen Rapport der Camorristen in seinem Stadtviertel, so erzählt er, einer der Anwesenden aus Versehen rede, ohne aufgefordert zu sein, oder die Hände, die zusammengelegt sein müssen, entfalte, so springe der Vorgesetzte auf und traktire den Ungeschickten mit Ohrfeigen, was diese gewaltthätigen, rachsüchtigen, an Blut gewöhnten Männer ohne Murren über sich ergehen ließen.

Es ist klar, daß eine so streng organisirte und dabei so geheime Institution, über welche es ja noch heutigen Tages schwer hält, genaue Aufschlüsse zu bekommen, in ihrem Mutterboden viel zu tiefe Wurzeln geschlagen hat, als daß ein Regierungswechsel und der gute Wille der neuen Staatsgewalt genügt hätten, um das Uebel von Grund aus zu vertilgen. Doch ist in Neapel ein großer Schritt auf diesem Wege geschehen, und vor Allem ist durch die allgemeine Wehrpflicht mit dem beständigen Garnisonswechsel ein neuer Geist in das Volksbewußtsein eingedrungen: der Name des Camorristen hat aufgehört, ein bewunderter Ruhmestitel zu sein; sah ich doch selbst unlängst einen neapolitanischen Marinesoldaten Thränen hilfloser Wuth vergießen, weil ein Vorgesetzter aus den nördlichen Provinzen die Aeußerung gethan hatte: „Neapolitaner ist gleichbedeutend mit Camorrist.“

Anders leider verhält es sich in Sicilien, wo die Mafia noch alle Zweige des bürgerlichen Lebens und der Verwaltung durchdringt und wo Dank der Abgeschlossenheit der Insel und den unausrottbaren Traditionen des Brigantenwesens noch auf lange Zeit alle Bemühungen scheitern werden, das 19. Jahrhundert unmittelbar dem Feudalismus und dem Faustrecht aufzupfropfen. Isolde Kurz.     



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ausheben
  1. „Sfregio“, eine dem Gegner beigebrachte entstellende Gesichtswunde, wobei das Messer kreuzweise durch das Gesicht des Opfers gezogen wird. Dieser sfregio war stets ein sehr verbreitetes Abzeichen, das die Camorra den Gesichtern ihrer Mitbürger, besonders den weiblichen, aufzudrücken liebte; M. Monnier, der eifrige Forscher des neapolitanischen Volkslebens, behauptete, in den sechziger Jahren sei derselbe in den niederen Klassen von Neapel noch so häufig gewesen wie der „Schmiß“ beim deutschen Studenten.
  2. „Picciotto“ heißt so viel wie „Junge“; die Bedeutung des Wortes „sgarro“ ist nicht zu ermitteln.
  3. Gekröntes Haupt.