Wann, wie und durch wen Amerika zuerst entdeckt wurde
Wann, wie und durch wen Amerika zuerst entdeckt wurde.
Als in unvordenklicher Zeit unsere germanischen Altvordern auf ihrem Wanderzuge von der mittelasiatischen Hochebene her von den übrigen Zweigen der indoeuropäischen Völkerfamilie sich gesondert hatten und in unsern Erdtheil eingerückt waren, da hat sich – so wird jetzt ziemlich allgemein angenommen – der germanische Wanderstrom zunächst in den Norden Europa’s ergossen. Dort hat er sich eine Weile gestaut, dann aber, wieder in Bewegung gerathen, südwärts sich geschoben, das eigentliche Germanien oder Deutschland allmählich bis zu den Alpen füllend, Kelten und Slaven aus seinem Wege drängend, jene westwärts, diese ostwärts.
Ein ansehnlicher Theil der Germanen schloß sich aber dieser Weiterwanderung in südlicher Richtung nicht an, sondern blieb in Skandinavien fest angesessen, wo sich nach Jahrhunderten aus dem blutigen Wirrsal urgermanischer Adelsrepubliken, aus der Anarchie des Jarlthums die Königsherrschaft entwickelte und in den drei Reichen Dänemark, Norwegen und Schweden Throne aufbaute. Diese gelangten jedoch erst dann zu größerer Festigkeit, als die nordischen Könige die höchst vortrefflichen politischen Handhaben, welche das römisch-christliche Wesen dem Königthum darbot, erkennend und werthend, dem neuen Glauben nach und nach den Sieg über den urväterlichen verschafften. Herb und hart genug ging es dabei her. Denn in Skandinavien hatte sich mit dem religiösen Glauben der Ahnen des ursprünglichen Germanenthums ganze Kraft und Härte noch frisch erhalten zur Zeit, wo dasselbe in Deutschland bereits der durch Karl den Großen empfohlenen und befohlenen romanisch-christlichen Cultur mehr und mehr gewichen war. Lange und heftig haben sich die trotzigen Bonden (Freibauern) und stolzen Jarle (Edlinge) des Nordens gegen das Unterfangen gesträubt, ihnen mittelst List und Gewalt zugleich mit den christlichen Dogmen auch das Joch königlicher Despotie aufzulegen, und als die Mehrzahl sich endlich dennoch gefügt, gab es immer noch eine Anzahl von Unbeugsamen, welche lieber Haus, Hof und Heim verließen, als daß sie den fremden Göttern oder einem Könige ihre Kniee gebogen hätten.
Solche Männer waren es, welche von Norwegen aus Island, das „Eisland“, besiedelten. Sie brachten Weib und Kind, Vieh und Waffen, Erde von der Stelle, wo der Opferaltar ihres heimischen Lieblingsgottes Thor stand, sie brachten auch die „Hochsitzsäulen“ ihres väterlichen Hauses an Bord ihrer „Langschiffe“ und steuerten kühn dem wunderbaren Eiland zu, wo aus Gletscherspalten rothglühende Lavaströme brechen und das unterirdische Feuer mächtige Säulen siedenden Wassers aus Schneegefilden thurmhoch in die Lüfte steigen läßt. Hierher, in diese insularische Abgeschiedenheit von einer Welt, welche neue Götter anbetete und neue Lebensformen anthat, hatte das Germanenthum seine theuersten Schätze gerettet: seine Rechtssatzungen und Sitten, seine religiösen Vorstellungen und Mythen, seine Heldensagen und seine Culte. Hier hat es diesen Hort gehütet und gemehrt. Hier, auf der fernen Insel, blühte eine Cultur auf, deren schriftliche Erzeugnisse den Völkern germanischer Zunge von Rechtswegen nicht weniger ehrwürdig sein sollten, als den Indern ihre Veda’s und den Juden ihr Pentateuch. Hier, auf Island, nämlich ist die germanische Bibel aufgezeichnet worden, die „Edda“, d. i. die Urahne, die Urgroßmutter, welche den spätesten Enkeln noch von dem Glauben der Väter, von den alten Stammgöttern und Stammhelden erzählt.
Das freie isländische Gemeinwesen ist freilich nach dem Jahre 1000 unter der Einwirkung des vom Mutterlande herübergreifenden Christenthums allmählich zerfallen, und mit der Unterwerfung der Insel unter Norwegen (i. J. 1261) hatte die eigenthümliche Bildung ein Ende, welche auf diesem Eilande während seiner Unabhängigkeit zur Entwicklung gekommen war. Allein es knüpft sich an die Besiedelung Islands durch die Normänner oder Normannen, welcher Name den skandinavischen Völkerschaften gemeinsam, den Norwegern aber par excellence zukam, ein Ereigniß, welches uns berechtigt, etwas weiter auszugreifen. Denn das gemeinte Ereigniß war kein geringeres als die erste Entdeckung von Amerika.
Lange hatte das skandinavische Germanenthum in Dunkelheit und Schweigen verharrt, als wollte dasselbe seine ganze Kraft und Wildheit erst recht concentriren, um sie dann um so furchtbarer über die südlicheren Länder Europa’s, wo der ungeheure Tumult der Völkerwanderung nach und nach endlich zum Stehen gekommen, losbrechen zu lassen. Sowie die Männer des Nordens, die Normänner, vom 8. Jahrhundert an auf der Bühne der Weltgeschichte erschienen, geschah es in der gewaltsamsten Rolle. Zerstörung bezeichnete [247] ihre Pfade. Auf abenteuerliche Seefahrt, auf erbarmungslosen Kampf, auf Raub und Beute war all ihr Sinnen gestellt. Aus diesem Skandinavien, welches man die „Werkstätte der Völker“ genannt hat, ging eine solche Ueberfülle von kriegerischer Wildheit und Begehrlichkeit hervor, daß man leicht begriff, wie diese Männer daheim nicht Platz gehabt, alle diese „Wikinger“ und „Berserker“ und „Seekönige“, welche auf ihren offenen „Drachen“ den wüthenden Meeren trotzten und den Tod lachend gaben und lachend empfingen.
Wehe den Küsten, auf welche der Sturm eines jener normännischen Seezüge fiel, wie sie Sommer für Sommer von Skandinaviens Gestaden ausgingen, den seßhaften Völkern sich furchtbar machend, Deutschen wie Kelten und Slaven! In jede zur Landung ladende Bucht, zu jeder Strommündung schwammen die schrecklichen Wikingerdrachen heran, und weit in’s Binnenland herein trugen dann ihre Insassen Mord und Brand. Und doch sollte auch hier sich bewahrheiten, daß es wie in der Natur so auch in der Geschichte eigentlich keine absolute Zerstörung giebt. Denn aus dem wilden Antrieb zu normännischem Seeraub entwickelte sich jene edle Abenteuerlust, welche ihre Thaten in das Buch der Weltgeschichte einzuzeichnen verlangte. Aus Piraten und Mordbrennern wurden Staatengründer. So der Normann Rurik mit seinen Gefährten mitten unter Slaven und Finnen am Dnepr und Wolchow (852), so Rolf Gangu, der erste Herzog der Normandie (911), von wo aus ein Schwarm von Normannen unter Führung des Robert Guiscard zur Eroberung von Unteritalien aufbrach. Rolf’s Abkömmling, Wilhelm der Bastard, der Sohn Robert’s des Teufels und der schönen Wäscherin Arlete, entriß, wie bekannt, England den Angelsachsen (1066), und während in der südöstlichsten Ecke Europa’s, am Bosporus, die gefürchteten Streitäxte normännischer Söldner, der „Waräger“ oder „Wäringer“, den kaiserlichen Palast von Byzanz bewachten, spannten im äußersten Nordwesten des Erdtheils Landsleute von ihnen die Segel auf, um kühn in Meerstriche vorzudringen, in welche bis dahin nur die Phantasie und auch diese nur schüchtern sich gewagt hatte.
Ein hartes, trotziges, heldisches Geschlecht, diese Nordmänner; vor keinem Wagniß, vor keiner Mühsal, vor keinem Tod zurückschreckend, aber auch vor keiner Gewaltthat. Auf sich selbst gestellte Naturen von Granit und Eisen. Man versteht unschwer, wie einer dieser Krieger auf Olaf’s des Heiligen Frage: „An wen glaubst Du?“ zur Antwort geben konnte: „Ich glaube an mich.“
Ja, sie glaubten an sich, sie vertrauten der eigenen Kraft, dem eigenen Muth, und dieses Kraftgefühl verlieh dem ursprünglich so spröden und brüchigen altnordischen Naturell eine Beweglichkeit und Unternehmungslust, die rastlos von Erfolg zu Erfolg eilte. Vom 9. Jahrhundert an sehen wir die äußersten Küsten und Inselgruppen der Nordsee durch Normannen entdeckt und theilweise in Besitz genommen. Schon früher sogar hatten sie auf Irland Niederlassungen gegründet und im nördlichen Schottland Spuren ihrer Anwesenheit zurückgelassen. Eines ihrer Raubgeschwader sodann fand i. J. 861 den Archipel der Faröer auf. Die Shetlands-Inseln wurden seit 964 häufig von ihnen besucht. Weiterhin entdeckten und eroberten sie die Orkaden und Hebriden.
Als im Jahr 863 der Sommer gekommen und die Fjorde Norwegens vom Eise frei geworden, zog ein vielberufener Wiking[1], Naddod geheißen, seinen Drachen, d. h. sein Seeschiff, vom Strande in die Salzfluth, um mit seiner Gefolgschaft eine Fahrt nach den Faröern zu thun. Von einem Sturm gepackt, wurde sein Schiff weit nordwestwärts über den Curs hinausgetrieben, welchen er halten wollte. Endlich tauchte eine Küste von fremdartigem Ansehen vor ihm aus den Wogen auf. Er erblickte ein gebirgiges Land, und sämmtliche Berggipfel waren mit Schnee bedeckt. Deshalb nannte er es Snjoland (Schneeland). Es heißt, ein schwedischer Seefahrer, Gardar, habe ganz kurz nach Naddod, ebenfalls von einem Sturm verschlagen, das Schneeland in Sicht bekommen, ja sogar dasselbe umschifft und so gefunden, daß es eine Insel sei. Dann habe er angelandet und sogar auf der Insel überwintert, auch die Kunde von dem neuen Land nach Skandinavien heimgebracht und daß es ein gutes Land sei. Das lockte im Jahre 867 einen muthigen Mann, den Floke, Vigerde’s Sohn, eine Fahrt nach dem neugefundenen Eiland zu unternehmen. Um den Weg zu finden, nahm er, wie die Sage meldet, drei geweihte Raben mit – die Raben galten für weissagende Vögel und waren dem Odin geheiligt – welche er auf offenem Meere nach einander fliegen ließ. Der erste wies ihm zu den Shetlandsinseln, der zweite zu den Faröern, der dritte nach der großen Insel den Weg, welche ihrer Küstengestaltung nach die von Naddod und Gardar gesehene sein mußte. Floke landete an der Südwestküste, da, wo jetzt Skalholt liegt, und nannte die Insel nach den ungeheuern Massen von Treibeis an der Küste Island, Eisland. Sie erschien ihm jedoch nicht sonderlich zur Ansiedelung einladend, obgleich damals in Folge des reichlichen Vorhandenseins von Waldung das Klima der Insel unverhältnißmäßig milder und fruchtbarer war, als es heute ist, und er kehrte bald wieder heimwärts (872). Hierdurch nicht abgeschreckt, machten sich zwei Jahre später zwei reiche, engbefreundete Bonden, Ingulf und Leif, aus ihrem Heimathlande Norwegen auf, mit Weib und Kind und Knechten und Mägden, mit Geräth und Zeug, Vieh und Saatfrüchten, um auf Island sich niederzulassen. Diese Männer, denen mehrere Sippen und Freunde bald nachfolgten, sie waren die Patriarchen der isländischen Colonisation, die Gründer des isländischen Gemeinwesens, in welchem, wie schon oben berührt worden, das Germanenthum seine letzte ureigene, reine und ungemischte social-politische Gestaltung erhielt. Der kleine Freistaat gedieh, und die Bevölkerung wuchs rasch an, weil die monarchisch-centralistischen Tendenzen, wie sie Gorm der Alte in Dänemark und Harald Schönhaar in Norwegen verfolgte, viele freiheitstrotzige Jarle (Edlinge) und Karle (Bauern) bewog, nach Island überzusiedeln.
Geborene Seefahrer, wie sie waren, mußten die Isländer ihre Blicke nicht nur ostwärts, dem alten Heimathlande zukehren, sondern auch bald westwärts richten, nach dem großen Ocean hin. Ein widriger Zufall zeigte auch hier dem Unternehmungsgeist zuerst die Bahn. Im Jahre 876 oder 877 ging, ob auf den Faröern oder auf Island ist ungewiß, der Sohn des Ulf Kraka, Gunnbjörn, zu Schiffe und wurde von einem Orkan weitin nach Westen entführt. Rückgekehrt, sagte er aus, daß er westlich von den nach ihm benannten Gunnbjörn-Klippen zwischen Island und Grönland eine weitgestreckte unbekannte Küste geschaut habe. Dieses Gunnbjörn’s Augen sind darnach aller Wahrscheinlichkeit zufolge die ersten europäischen gewesen, welche ein Stück der neuen, der transatlantischen Welt gesehen haben.
Atlantis war aus den Wogen des „Meers der Finsterniß“ aufgetaucht; die Ahnungen der Alten waren in der Erfüllung begriffen.
Indessen währte es doch noch volle hundert Jahre und drüber bis zur Stunde, wo ein Mann der alten Welt seinen Fuß zuerst auf den Boden der neuen setzte. Das war Erik der Rothe (Raudi), eines gewaltsamen, unbändigen Geschlechts würdiger Sprößling. Er stammte von Edlingen oder jedenfalls von Freibauern, was eigentlich ursprünglich Eins und Dasselbe gewesen. Sein Vater hieß Thorwald. Verschiedene Umstände, worunter auch eine mittelst mehrerer Morde contrahirte Blutschuld, veranlaßten Vater und Sohn, ihr angeerbtes Heimwesen in Norwegen aufzugeben und nach Island hinüberzugehen. Es sind, wie auch dieses Beispiel wieder darthut, keineswegs immer makellose Charaktere, an deren Namen große, weltgeschichtliche Vorschritte sich knüpfen. Thorwald und sein Sohn bauten sich im nordwestlichen Island an. Jener starb bald darauf, und der rothe Erik führte die Thorhild, eines angesehenen Hauses Tochter, als Ehefrau heim. Allein es war ihm nicht beschieden, fortan das ruhige Dasein eines Landbebauers zu führen. Ein Streit, in welchen er ohne sein Zuthun mit seinem Nachbar Eyjulf Saur verwickelt wurde, nahm rasch weite Dimensionen und jene bluträcherische Wildheit an, welche auf Island, wie daheim in Skandinavien, oft mehrere Generationen hindurch in Fehde begriffene Familien decimirte. Das Ende vom blutigen Liede war diesmal, daß Erik der Rothe vom Volksthing für drei Jahre für „friedlos“ erklärt, d. h. für so lange aus Island verbannt wurde.
Wie Friedlose zu thun pflegten, rüstete Erik sein Schiff, in unbekannte Fernen zu schweifen. Als er im Jahr 982 vom Snäfellsjökul aus in See stach, sagte er einem Gastfreunde zum Abschied, daß er gesonnen sei, das Land aufzusuchen, welches Gunnbjörn, der Sohn des Ulf Kraka, vor Zeiten gesehen. Er fand es wirklich und betrat die Küste bei jenem Vorgebirge, welches die englischen Schiffer heutzutage Cap Farewell, die holländischen Staatenhoek nennen. Drei Sommer und drei Winter verbrachte der kühne [248] Mann mit der Untersuchung des neuaufgefundenen, unermeßlich weithingedehnten Landes, welches er Grönland nannte, das grüne Land. Denn, sagte er, die Leute würden sehr verlangend werden, dahin auszuwandern, wenn das neuentdeckte Land einen so schönen, lockenden Namen führe. Man sieht, der erste Europäer, welcher amerikanischen Boden betrat, hatte schon etwas von einem Yankee an sich. Da unterdessen sein Bann zu Ende gegangen, kehrte er im Sommer von 985 nach Island zurück. Im folgenden Jahre wanderte er förmlich nach Grönland aus und schlug zu Hrattahlid an der vom vorhin genannten Vorgebirge gebildeten Bucht, die er Eriksfjord nannte, seinen Sitz auf. Er hatte auch nicht falsch gerechnet; der Name des „grünen“ Landes bewährte seine Anziehungskraft. Noch in demselben Sommer von 986 langten vierzehn Schiffe mit Einwanderern aus Island in Grönland an, welches dann bis zum Ende des 14. Jahrhunderts eine blühende normännische Colonie gewesen ist.
So war wiederum ein Pfeiler der Brücke gefunden, mittelst welcher die Europäer über das mächtige Thal, in welchem der atlantische Ocean fluthet, nach und nach in die westliche Hemisphäre hinüber gelangen sollten.
Unter den Ersten, welche neben Erik dem Rothen von Island aus Grönland besiedelten, war Herjulf, der Sohn des Bard. Der hatte einen Sohn, Björn oder Bjarne, einen kühnen, gewandten, waghalsigen jungen Mann, welcher frühzeitig ein „Langschiff“ erworben hatte und damit jene im Norden althergebrachten sommerlangen Seezüge unternahm, die im Laufe der Zeit aus reinen Raubzügen allmählich ein Gemisch von Raub- und Handelsfahrten geworden waren. Zur Zeit, als Herjulf von Island nach Grönland übersiedelte, befand sich Björn in Norwegen. Als er im Jahre 1000 heimkehrt, bei der heimischen Insel Anker warf und erfuhr, wohin sein Vater ausgewandert, ließ er sogleich den Anker wieder heben und den Bug des Schiffes westwärts kehren; „denn,“ sagte er, „ich will den Winter über, wie gewohnt, bei meinem Vater herbergen.“
Nun kannte aber weder Björn noch einer seiner Schiffsgesellen das westliche Meer, und sie hatten auch von der Lage von Grönland nur eine sehr unbestimmte Vorstellung. Kein Wunder daher, daß sie, nachdem sie drei Tage lang frisch in den Ocean hineingesegelt, nicht mehr wußten, wo sie sich befanden. Nachdem sie hierauf viele Tage und Nächte hindurch auf der unendlichen Wasserwüste fortgetrieben worden, erblickten sie endlich Land. Aber dasselbe zeigte keine Schneeberge, keine Gletscher, es konnte demnach nicht Grönland sein. Es war auch nicht dieses, sondern vielmehr jener nordamerikanische Landstrich, welcher um Jahrhunderte später den Namen Neu-Schottland erhielt. Björn, des Herjulf Sohn, muß uns demzufolge für den Europäer gelten, welcher das Festland von Nordamerika zuerst erblickt hat. Ganz richtig schließend, daß Grönland nördlicher liegen müsse als das neugefundene Land, schlug er längs der Küste desselben einen nördlichen Curs ein und gelangte am nachmals so benannten Neufundland und Labrador vorüber glücklich zur Südspitze von Grönland und dort zu seines Vaters Behausung.
Falls man Grönland nicht zählen will, ist, wie meine Darlegung ausweist, Björn Herjulfson der erste Entdecker Amerika’s gewesen, und zwar fünfhundert Jahre früher, als der Genuese Colon auf Guanahani landete.
Die Kunde von einem großen neuen Lande im Südwesten, welche Björn nach Grönland brachte, fand dort begierige Hörer, die sich angemuthet fühlten, die gemachte Entdeckung weiter zu verfolgen. Da war vor Allen Erik’s des Rothen, des Patriarchen vom „Grünen Land“, erstgeborner Sohn Leif, welcher ein solches Abenteuer zu wagen brannte, und der stach denn auch wirklich im Jahre 1001 in dem Langschiff Björn’s, welches er diesem abgekauft hatte, mit fünfunddreißig Begleitern in See. Unter seinen Schiffsgesellen befand sich auch, wie zu melden wir nicht vergessen wollen, ein „Südmann“, d. h. ein Deutscher; denn Südmänner hießen die Nordmänner ihre deutschen Stammvettern, wie sie die Bewohner der britischen Inseln Westmänner nannten. Und so war denn ein Deutscher – Tyrker hieß der Mann – mit dabei, als die ersten Europäer den Continent von Amerika betraten.
Leif nämlich und seine Gefährten verfolgten glücklich, aber in umgekehrter Richtung, den Curs des Björn. Sie fanden und berührten zunächst Neufundland, das sie seines Steinreichthums wegen Helluland (Steinplattenland) nannten. Weiter südwärts steuernd fanden sie eine flache, mit Waldungen dicht bedeckte Küste und gaben derselben den Namen Markland (Waldland, heute Neu-Schottland). Und weiter den südlichen Curs haltend, gelangten sie von da mit steifem Nordost binnen zwei Tagen an eine Insel, und das war die Insel Nantucket, die östlich vor dem festen Lande lag und noch liegt. Sie fuhren in die Montaup-Bucht ein und von da in die Mündung des Taunton-River. Eine Strecke flußaufwärts gingen sie an’s Land.
Ich unterlasse nicht, als ein denkwürdiges Zusammentreffen zu erwähnen, daß Leif Erikson und seine Gefährten im Jahre 1001 des Festland von Nordamerika gerade an derselben Stelle zuerst erblickten, nämlich beim Cap Cod, wo der erste Zug der puritanischen „Pilgerväter“, der Gründer der Neu-Englandstaaten und folglich der Vereinigten Staaten von Nordamerika, am 9. November 1620 der westlichen Erdhälfte zuerst ansichtig wurden. Aber der Landungsplatz war nicht derselbe. Denn die puritanischen Insassen der „Maiblume“, in deren Kajüte am 11. November 1620 die erste demokratische Verfassungsurkunde der transatlantischen Welt und zugleich der modernen Geschichte entworfen ward, segelten in die große Bay von Cap Cod ein und warfen in der kleinen Bucht Anker, an deren Gestade sich sofort die Blockhäuser von Neu-Plymouth erhoben, während Leif und seine Gesellen zwischen Nantucket und dem Festland durch und dann, wie schon gesagt, in die Bay von Montaup ein und den Taunton aufwärts fuhren.
Höchst angenehm überrascht und gefesselt durch die Milde des Klima’s, das üppige Wiesengrün, die prächtigen Forste und den Fischreichthum der Gewässer, beschlossen unsere Abenteurer, am Taunton zu überwintern, zogen ihr Schiff an’s Land und blockten Hütten auf. Dann durchstreiften sie die umliegende Landschaft, deren Beschaffenheit zu erkunden. Eines Tages hatte sich unser Landsmann Tyrker von den Uebrigen verloren, fand sich aber bei Einbruch der Nacht wieder zu ihnen, in so freudig aufgeregter Stimmung, daß er ganz vergessen hatte, seine Gefährten verständen kein Deutsch, und dieselben mit Ausrufungen der Freude in dieser Sprache überschüttete. Sie fürchteten schon, der Mann sei närrisch geworden, da fand er aber wieder isländische Sprachlaute und theilte mit, daß er Rebstöcke und Weintrauben in Fülle gefunden. Und dieser Anblick, der den guten Tyrker an die Rebengelände am heimischen Rhein erinnern mochte, hatte die weinselige deutsche Seele in solches Entzücken versetzt. Freilich, es waren selbstverständlich nur wilde Weinranken, und die Trauben – es war gerade die Zeit ihrer Reife – mochten nicht übermäßig süß schmecken. Allein in der Wildniß nimmt man es nicht so genau, und die Gaumen der Nordmänner waren nicht verwöhnt. Genug, Tyrker’s Entdeckung erregte solches Wohlgefallen, daß Leif mit Zustimmung seiner Gefährten dem ganzen See- und Flußgestade den Namen „das gute Weinland“ gab.
Nachdem der Winter vergangen, segelten Leif und seine Gesellen nach Grönland zurück, wo ihm um seines Landfundes willen der Ehrenname des Glücklichen ertheilt wurde. Die Schilderungen der Heimgekehrten vom guten Weinland erregten den Wunsch, dasselbe noch weiter zu erforschen und dann auch zu besiedeln; denn es versprach doch ganz andere Vortheile, als das unwirthliche Grönland. Im folgenden Jahre fuhr zum Zweck weiterer Entdeckung Leif’s Bruder Thorwald mit dreißig Begleitern nach Weinland, wo sie Leif’s Hütten am Taunton richtig auffanden und daselbst überwinterten. Im folgenden und zweitfolgenden Sommer unternahm Thorwald Küstenfahrten in südlicher Richtung, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß er bis zu den Gestaden von Maryland vorgedrungen. Der Tod setzte seinen Unternehmungen ein Ziel, denn Thorwald starb in Weinland an einer Wunde, welche er im Kampfe mit den Urbewohnern des Landes erhalten hatte.
Hier sehen wir also die Eingebornen von Amerika zum ersten Mal erscheinen, aber den Beschreibungen der normännischen Abenteurer zufolge waren es keineswegs die kräftigen, schlank und hoch gebauten Rothhäute, wie sie später zu Ausgang des 16. und zu Anfang des 17. Jahrhunderts von den englischen Einwanderern in diesen Gegenden vorgefunden wurden, sondern es waren „Wichte“ oder „Zwerge“ (Skrälinger, von skrael, klein), wie sie von den normännischen Weinlandsfahrern verächtlich genannt wurden. Wir können uns unter diesen Skrälingern, diesen „Abschnittseln von Menschen“, nur Eskimos denken und müssen also annehmen, daß diese Race zu Anfang des 11. Jahrhunderts den nordamerikanischen Continent viel weiter südwärts hinab bewohnt habe, als heutzutage. [249] In der Zeit, welche zwischen der ersten Entdeckung Amerika’s durch die Nordmänner und der zweiten durch Colon verstrich, muß demnach in der westlichen Hemisphäre eine großartige Völkerwanderung vor sich gegangen sein. Durch dieselbe müssen Stämme von Rothhäuten aus Centralamerika nordwärts geschoben worden sein, und diese Indianer haben dann ihrerseits die Eskimos bis in die Polarländer zurückgedrängt.
Thorwald’s Schicksal schreckte seine Verwandten nicht zurück, die Besiedelung Weinlands ernstlich in Angriff zu nehmen. Im Jahre 1005 that ein dritter Sohn Erik’s des Rothen, Thorstein, eine Fahrt dahin, allein eine epidemische Krankheit zehntete seine Begleiter und raffte ihn selber weg. Umsichtiger vorbereitet und reicher gerüstet, führte zwei Jahre darauf Thorfinn Karlsefne eine Schaar von 160 Männern aus Grönland nach Weinland. Sie hatten Milchvieh und alles zur Ansiedelung nöthige Zeug und Geräthe bei sich. Auch befanden sich bei der Gesellschaft fünf Frauen, worunter Gudrid, die Gattin Thorfinn’s. Die Stelle am Taunton, wo Thorfinn sein Haus aufblockte und seinen Hof einfenzte, ist genau nachweisbar, weil durch einen mit Runenschrift versehenen Fels bezeugt. Diese zweifelsohne von dem Manne selbst herrührende Rune heißt: „Nam Thorfinns“, d. h. Gut oder Grundstück Thorfinn’s. Hier gebar die Gudrid ihren Sohn Snorre, den ersten Europäer, der auf dem Boden Amerika’s zur Welt gekommen. Der Vater des Knaben wurde durch Tauschhandel mit den Skrälingern ein reicher Mann, gerieth aber später mit den Eingebornen in solche Mißhelligkeiten, daß er für gut fand, im Frühling von 1010 mit seiner Familie nach Grönland zurückzukehren.
Die normännische Ansiedlung am Taunton aber blieb bestehen und dehnte sich aus. Wir wissen, daß nach der Bekehrung der isländischen Colonisten auf Grönland im Jahre 1121 der Bischof Erik von da nach Weinland schiffte, um die dortigen noch heidnischen Ansiedler ebenfalls zum Christenthum herüberzuführen, was ihm auch gelang. Man hat Ursache, zu glauben, daß ein alter Rundbau aus Steinen, getragen von acht schweren Rundpfeilern mit roher Deckplatte, wahrscheinlich eine Taufkapelle, welche noch heute zu New-Port auf Rhode-Island aufrecht steht, von eben diesem Bischof Erik erbaut worden sei.
Von da an aber wird die Kunde von Weinland immer spärlicher und verstummt in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ganz. Was aus der dortigen Niederlassung geworden, wie sie untergegangen, ob die Ansiedler ausgestorben, ob sie den Angriffen der Skrälinger erlegen, ob sie nach Grönland zurückgekehrt, Niemand weiß es zu sagen, und selbst die Sage flüstert nicht davon. Es mag das davon herrühren, daß auch Grönland, welches den Verkehr Islands mit Weinland vermittelt hatte, im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts plötzlich wieder aus der Geschichte verschwand. Denn damals ist die normännische Colonie auf Grönland in Folge von entsetzlicher Winterkälte, Mißwachs, Hungersnoth und Pest vollständig ausgestorben. Das Land selbst verscholl hinter ungeheuren Eismassen und wurde erst im 16. Jahrhundert wieder aufgefunden.
Dies ist die Geschichte von der ersten Entdeckung Amerika’s ..... Im März des Jahres 1477 kam mit einem Bristoler Stockfischfahrer ein italischer Seemann nach Island, Christobal Colon. Ob der Mann schon damals mit dem Gedanken seines Lebens sich trug, über das große Westmeer hin nach der Küste von Ostasien zu gelangen? Ob er gar vielleicht auf Island durch lateinisch redende Geistliche Kunde erhalten von der normännischen Entdeckung eines neuen Erdtheils südwestlich von der Eisinsel? Möglich, aber kaum wahrscheinlich. Denn erstens treffen wir in den Aufzeichnungen Colon’s nicht die leiseste Spur einer solchen Mittheilung, und zweitens wollte er ja bekanntlich nicht einen neuen Erdtheil, sondern nur einen westlichen Seeweg nach Ostasien aufsuchen und keineswegs ein wildes „Weinland“, sondern vielmehr die goldschimmernden Städte von Katai und Zipangu.
- ↑ Altnord. Viking, Mehrzahl Vikingar, von Vik, Busen, Meer. Ein Wiking also eigentlich ein „Meermann“, Seefahrer. Den wahren Sinn des Wortes trifft aber besser unser „Seeräuber“.