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War Maria Stuart schön?

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Textdaten
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Autor: Rosalie Braun-Artaria
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Titel: War Maria Stuart schön?
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 236–238
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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War Maria Stuart schön?

Die Frage klingt seltsam, besonders uns schillerfesten Deutschen, die wir gewohnt sind, „der hohen Schönheit göttliche Gewalt“ als selbstverständliche Eigenschaft der Vielberufenen zu betrachten, welche nicht nur bei Lebzeiten heiße Leidenschaften weckte, sondern noch über den Tod hinaus einer Theilnahme genießt, wie sie wenigen Figuren der Geschichte entgegengebracht wird, obgleich viele derselben unverdienter litten als Maria. Nicht ihr Unglück allein ist es, was die Herzen bewegt, sondern die Vorstellung jenes seltenen Liebreizes, der seit der trojanischen Helena Zeiten die Poeten auf seiner Seite hat und selbst strengen Sittenrichtern ein Wort der Entschuldigung ablockt. In ihm birgt sich ein Zauber, der noch nach Jahrhunderten wirkt.

Aber seltsam – je bekannter seit neuerer Zeit die wenigen als echt beglaubigten Bildnisse Marias werden (denn die vielen nach ihrem Tode gemachten und als Reliquien verbreiteten zählen nicht), um so stärker erwacht der Zweifel, ob sie das gewesen sein könne, was wir heutzutage schön nennen. Ihren Zeitgenossen galt sie unzweifelhaft dafür; zur Erklärung dieser Thatsache ist neuerdings die Vermuthung ausgesprochen worden, es habe das Renaissancezeitalter über Schönheit andere Begriffe gehabt als das unsere. Aber das ist ein unglückliches Beweismittel gegenüber der Fülle von entzückend schönen Frauenköpfen, welche eben jene kunstfreudige und feinfühlige Zeit auf der Leinwand hinterlassen hat. Was Schönheit ist, wußten die Menschen der Renaissancezeit jedenfalls so gut und vielleicht besser als wir, davon legt ihre Kunst unsterbliches Zeugniß ab. Aber allerdings trug diese Kunst in den nördlichen Ländern härtere und herbere Früchte als in Italien, und hierin ist wohl ein Hauptgrund unserer Enttäuschung beim Anblick von Marias Bildnissen zu suchen. Wäre einem Tizian oder Bordone der Auftrag geworden, das Porträt der Königin zu malen, sicher würden wir ein Spiegelbild der holdseligen Anmuth sehen, welche ihre Zeitgenossen bezauberte, statt der trockenen Abschrift ihrer energisch geschnittenen Züge, wie sie die Mehrzahl der vorhandenen Bildnisse zeigt. – Das früheste derselben, welches wir unseren Lesern auf Seite 238 vorführen, ist eine Zeichnung von Clouet, einem tüchtigen Künstler, der am französischen Hofe unter Franz I. und Heinrich II. viel beschäftigt war. Es stellt Maria Stuart im sechzehnten Jahre vor, als Gemahlin des vierzehnjährigen Dauphin Franz. Wir sehen ein nüchtern blickendes, längliches Gesicht mit gutgeformter, etwas großer Nase, welche alle Bildnisse der Königin übereinstimmend zeigen, so daß man sie wohl für richtig annehmen muß. Die schöne Stirn, schmalgeschnittene dunkle Augen, der feingezeichnete Mund vollenden das Bild einer regelmäßigen Physiognomie. Aber wo bleibt der Ausdruck von lebensfroher Heiterkeit, der damals „die kleine Königin von Schottland“ zur Freude aller Augen am französischen Hofe machte? Er ließ sich offenbar nicht so pünktlich nachmalen wie die Krause und das feine Hemdchen, die dicken Perlenschnüre um Kopf, Hals und Mieder. Und doch muß derselbe ein hervorragend reizender gewesen sein, denn schon das kleine Mädchen eroberte bei seiner Ankunft am Hofe von Frankreich im Sturm die Herzen des Königs Heinrich sowohl als des gesammten Hofstaates. Aber auch die Lehrer, Kammerfrauen und Diener vergötterten das muthwillige Prinzeßchen, dessen natürlicher Liebenswürdigkeit offenbar schon damals niemand widerstehen konnte.

Maria Stuart als Königin von Schottland.

Was Talbot in Schillers unsterblichem Drama sagt,

— „Die Arme rettete kein Gott. Ein zartes Kind,
Ward sie verpflanzt nach Frankreich an den Hof
Des Leichtsinns, der gedankenlosen Freude – –“

bezeichnet das Verhängniß für Marias leicht erregbare, ohnehin dem Schönen, Glänzendem, Künstlerischen maßlos zugethane Natur. Musik, Poesie, Tanz und Gesang waren ihre Lieblingsbeschäftigungen; als kleines Kind schon führte sie mit vollendeter Grazie vor versammeltem Hofe einen künstlichen Tanz zusammen mit ihrem Bräutigam auf und erntete laute Bewunderung. Sie ritt, ehe sie erwachsen war, schon mit zur Jagd, saß zu Pferde wie eine echte Hochländerin und warf ihren Falken nach allen Regeln der Kunst in die Luft, um ihn sicher und geschickt wieder aufzufangen. Zum Entsetzen der französischen Damen trug sie bei solchen Gelegenheiten ihre „wilde schottische Nationaltracht“, aber, so barbarisch man dieselbe fand: daß sie ihr entzückend stehe, wurde doch allgemein zugegeben.

Wie sollte nun in einem solchen Freudenleben die junge Erbin von Schottland auch nur einen Begriff der schweren Pflichten bekommen, die ihrer harrten, als ein Jahr nach der Vermählung 1559 ihr fünfzehnjähriger Gatte Franz II. den Thron von Frankreich bestieg? Sie wurde gleich ihm ein gefügiges Werkzeug in der Hand ihres Oheims, des Cardinals v. Guise, und blieb es, als abermals ein Jahr später der kränkliche Knabe starb, und sie nach Schottland heimkehrte. Sie sollte dort ihre Ansprüche auf den englischen Thron geltend machen, die Freiheit des schottischen Adels brechen und die Reformation vernichten. In dem Eifer, mit welchem Maria diese sämmtlichen unmöglichen Ziele zu den ihrigen machte, lag ihr Schicksal beschlossen.

Das nebenstehende Bild, heute in der Bodleyschen Galerie in Oxford befindlich, zeigt Maria in vollem Pomp königlicher Würde, so wie sie dem schottischen Adel bei ihrer Ankunft zur Audienz entgegengetreten sein mag. Ein schwarzes Sammtkleid umgiebt in reicher Fülle die zugleich anmuthige und majestätische Gestalt, kostbare Spitzen bilden die Krausen um Hals und Arme, unter der ersteren wird ein reicher Juwelenschmuck sichtbar, während vom Gürtel einer jener großen, durchweg aus Gold und Edelsteinen bestehenden Rosenkränze mit kostbarem Kreuz herabhängt, welche einen Hauptluxus fürstlicher Frauen ausmachten. Ein langer weißer Schleier deckt die eigenthümlich geformte „Stuarthaube“, bauscht sich an den Schultern flügelartig auf und wallt dann in schlichten Falten bis zum Kleidersaum hernieder. Kulturgeschichtlich ist das Bild von hohem Werth, aber nimmermehr kann der [237] unbedeutende, fast schläfrige Ausdruck des Kopfes dem lebensvollen Urbilde entsprochen haben. – Was eine künstlerische Kraft aus diesem Kopfe hätte machen können, das ahnen wir vor einem kürzlich im Britischen Museum neu aufgefundenen, hierneben wiedergegebenen Miniaturbild, das man dem Italiener Zucchero zuschreibt. Hier „sprechen“ die dunkeln Augen, über ihnen wölben sich die Brauen, nicht als hochgezogene langweilige Striche, sondern weich und anmuthig, Mund und Kinn verrathen ein lebhaftes Temperament; aus der Haltung des Kopfes und der feinen Anordnung von Schleier und Spitzen spricht die Grazie, welche Maria in hohem Grade besessen haben muß; hier sehen wir einen Strahl ihres Wesens, statt der bloßen Abschrift ihrer Züge.

Miniaturbild von Maria Stuart.

Und mit welchem Zauber wirkte dieses Wesen auf Volk und Vasallen, als die holdselige Königin 1561 ihren Einzug in Edinburgh hielt! Eine neue Zeit ging in dem armseligen, rauh gewöhnten Schottland auf, von Frankreich herüber kamen kostbare Teppiche und Möbel, um die räucherigen Hallen des alten Königsschlosses Holyrood zu schmücken; abends entfachte sich Kerzenglanz in den Empfangsräumen, ein Fest folgte dem andern, Hofbälle, Maskeraden, fröhliche Unterhaltungen im großen und kleinen Kreis. Hoch zu Roß flog die Königin ihren Lords voran und rief laut, sie wünschte ein Mann zu sein, um ihr ganzes Leben lang reiten und jagen zu können. Aber das unveränderliche Stuartnaturell: bei großer persönlicher Liebenswürdigkeit eine absolute königliche Willkür und völlige Rücksichtslosigkeit gegen die Wünsche des Volkes, es machte sich bald genug in den schweren Regierungsfehlern der reizenden Königin geltend, und die Liebe, welche als verhängnißvolle Schicksalsmacht ihr Leben beherrschte, sollte sie nur in Unheil und Verbrechen verstricken. In demselben Schloß von Holyrood, das die glänzenden Feste der vielumworbenen jungen Witwe gesehen, ließ 1566 Darnley, der Mann ihrer endlichen Wahl, den sie sich gegen den Willen ihrer Lords, gegen die Einsprache Elisabeths erzwungen hatte, den Günstling ermorden, den er sich vorgezogen glaubte. Es war eine greuliche That. Im kleinen Thurmgemach saß Maria, die zwei Monate später Mutter werden sollte, mit einigen Damen und Herren, darunter ihr Geheimsekretär Rizzio. Darnley erschien auch, setzte sich zu Maria und legte wie liebkosend den Arm um sie. Im gleichen Augenblick sprang die Thür auf, eisengerüstete Männer, der harte Lord Ruthven an der Spitze, drangen ein, ergriffen den Italiener, der sich zitternd an das Gewand seiner Gebieterin schmiegte, und versetzten ihm über ihre Schulter weg die ersten Stiche, während Darnley die Königin festhielt. Grauenvoll, wie der Anfang, war das Ende dieser Mordscene, bis der zerfetzte Leichnam unten an der Treppe lag. Von Bestrafung der Mörder war keine Rede. Lord Ruthven gestand am andern Morgen der Königin unumwunden ein, ihr Gemahl habe die That befohlen.

„Nun,“ rief sie aus, „so fahrt denn hin, Thränen, nun wollen wir auf Rache denken!“ –

Maria Stuart nach dem am Morgen ihrer Hinrichtung aufgenommenen Bilde von Amyas Carwood.

Ein Jahr darauf weckte ein furchtbares Getöse die Bewohner von Edinburgh aus dem Schlaf. Das Haus, worin Darnley übernachtete, war durch Pulver gesprengt, in dem Garten aber lag sein Leichnam, mit sichtlichen Spuren der Erdrosselung. Haß und Liebe in schrecklichem Bunde hatten auch diese That vollbracht. War die Königin mitschuldig? Die Volksstimme rief Ja; denn ihr sträfliches Verhältniß zu dem Thäter, dem verwegenen, gewissenlosen Grafen Bothwell, wurde ebenso allgemein geglaubt, wie ihr Haß gegen Darnley bekannt war. Die Wahrscheinlichkeit ihres Einverständnisses ist groß, wenn auch kein Beweis vorliegt, denn Briefe von ihrer Hand, die diesen Beweis zu liefern schienen, sind neuerdings als gefälscht erkannt worden.

Die Geschichte hat also keine bestimmte Antwort auf die Schuldfrage, und statt ihrer tritt die Dichtung ein, ihr uraltes Recht auszuüben, indem sie das Innerste der Menschenseele, die Beweggründe ungeheurer Thaten aufdeckt. Schiller, der es verstanden hat, die sündige Maria mit dem hinreißendsten Zauber der Weiblichkeit zu umkleiden, er läßt sie nur reuevoll jener alten Schuld gedenken und ihr nahes Ende als Sühne dafür auffassen. Emanuel Geibel aber zeigt in einer sehr schönen Ballade: „Bothwell“ das düstere Gemälde jener [238] Nacht und die dämonische Gewalt des Verführers über das leidenschaftbethörte Weib:

„Wie bebte Königin Marie,
Als durchs geheime Pförtlein spat
Mit ungebog’nem Haupt und Knie
In ihr Gemach Graf Bothwell trat!

Ihr schön Gesicht ward leichenweiß;
Sie zuckt’ und sah ihn fragend an;
Er wischte von der Stirn den Schweiß
Und sagte dumpf: ‚Es ist gethan.

Es ist gethan, Dein süßer Mund
War nicht für Buben solcher Art,
Heut’ abend um die achte Stund’
Hielt Heinrich Darnley Himmelfahrt.‘

Sie schrie empor: ‚Verzeih Dir Gott!
Nimm all mein Gold, nimm hin und flieh!‘
Da lacht er laut in grimmem Spott:
‚Was soll mir Gold für Blut, Marie?

– – – – – – – – – – –

Die Hand, die einen König schlug,
Greift auch nach einer Königin.‘
Er rief’s, und Grau’n in jedem Zug,
Starr wie ein Wachsbild sank sie hin.

Er hub sie auf – sie fühlt’ es nicht,
Daß ihr ins Fleisch sein Stahlhemd schnitt
– – – – – – – – – – –
Er schwang sie vor sich fest aufs Roß
Und jagt’ ins wetterschwüle Land
Hinaus mit ihr gen Dunbar-Schloß.

Schwarz war die Nacht, als wäre rings
Erloschen jeder Stern des Heils;
Nur manchmal in den Wolken ging’s
Gleichwie das Blitzen eines Beils.“ –[WS 1]

Wohl waren die guten Sterne der Unglücklichen versunken, und die furchtbare That trug schwere Frucht! In ihrer Leidenschaft zu dem Ruchlosen ließ sich Maria zu Thaten hinreißen, die keine noch so gefahrvolle Lage entschuldigt. Höchstens wird man mit ihrem milden Anwalt Talbot sagen können:

 „– es geschah
In einer finster unglücksvollen Zeit,
Im Angstgedränge bürgerlichen Kriegs,
Wo sie, die Schwache, sich umrungen sah
 Von heftigdringenden Vasallen, sich
 Dem Muthvollstärksten in die Arme warf –“

aber gerechte Vergeltung war es, daß ihre Großen sie von dem Throne stießen, den sie drei Monate nach dem Mord schon mit dem Mörder theilte. Und doch – so unwiderstehlich wirkte der Zauber dieser neuen Helena auch auf ihre Feinde, daß in der strengen Gefangenschaft auf Schloß Lochleven, wo man sie für immer unschädlich zu machen dachte, der jüngste ihrer Wächter, von Liebe und Mitleid hingerissen, ihr den Weg zur Freiheit öffnete.

Es war nur ein letztes Aufleuchten vor dem Erlöschen ihrer Glückssonne. Geschlagen und flüchtig eilte Maria vierzehn Tage später der englischen Grenze zu, um bei derselben Elisabeth Schutz und Hilfe zu suchen, deren Thronrecht sie früher bestritten und sich selbst angemaßt hatte. Und somit standen sich die beiden merkwürdigen Frauen gegenüber, deren tiefer Gegensatz im Innern und Aeußern für alle Zeiten ein Gegenstand des größten Interesses bleiben wird.

Maria Stuart in ihrem 16. Lebensjahre.

Eine entschiedene Familienähnlichkeit fällt jedem auf, der die Bilder der beiden betrachtet; um so merkwürdiger ist es, wie verschieden der äußere Eindruck sein konnte. Bei Maria war offenbar Reiz und Leben in jedem Zuge, bei Elisabeth verstandesmäßige Kühle und Trockenheit, wenn auch mit hoher Intelligenz gepaart. Jene verkörperte alle Fehler des leichtsinnigen, liebenswürdigen Weibes, diese die der scharf gewordenen ältlichen Jungfrau, und deshalb wenden sich auch heute noch, wie damals, die Herzenssympathien Maria zu. Ihr gegenüber handelte Elisabeth im Einverständniß mit ihren Räthen durchaus nach dem Gebot der Klugheit und der Politik: sie durfte die Gefährliche nicht freilassen, die ihr den Bürgerkrieg im eigenen Land würde entzündet haben und mit allen Elisabeth bedrohenden römischen und spanischen Umtrieben Fühlung hatte. Aber das menschliche Mitgefühl neigt sich eben doch der Gefangenen, wenn auch nicht Schuldlosen zu, deren Anmuth und Herzensgüte in den verschiedenen Schlössern ihres Aufenthalts immer wieder die Sympathie ihrer Hüter gewann und Gelegenheit schaffte zu heimlichem Briefwechsel mit denen, die sie zu retten hofften. Achtzehn lange Jahre dauerte die Kerkerhaft, anfangs mild, dann, als die Verschwörungen gegen Elisabeth sich häuften, streng und hart. In ihr hat Maria die Schuld ihrer wilden Jugend gebüßt. Als ein blühendes sechsundzwanzigjähriges Weib war sie ins Gefängniß eingetreten, im fünfundvierzigsten Jahre, mit ergrautem Haar, verließ sie es, um aufs Schaffot zu steigen, als die große Babingtonsche Verschwörung entdeckt wurde, in der sie mitwissend und wahrscheinlich auch mitschuldig war. Für Elisabeth stand es in der That so, wie Burleigh sagt:

„Du mußt den Streich erleiden oder führen.
Ihr Leben ist Dein Tod! Ihr Tod Dein Leben!“

und nach langem Zögern entschloß sie sich zur Unterzeichnung des Urtheils.

Das geschichtlich merkwürdigste unter unsern Bildern stellt Maria Stuart auf ihrem letzten schweren Gange vor (siehe S. 237). Am Morgen ihrer Hinrichtung (8. Febr. 1587) wurde die Skizze von Amyas Carwood für ihren Sohn, König Jakob VI., aufgenommen und das Bild befindet sich heute im Besitz der Königin von England. Das lebensgroße Gemälde zeigt die zum Schaffot Schreitende im schwarzen Sammetgewande mit der großen, feingefältelten Krause und dem lang niederwallenden Schleier. Den einzigen Schmuck der Königin bildet das elfenbeinerne Kreuz auf ihrer Brust. Die ausgestreckte, hier nicht sichtbare, rechte Hand umfaßt mit majestätischer Gebärde ein Kruzifix, welches Maria bis zum letzten Augenblick nicht aus den Händen ließ. Die Gesichtszüge stimmen wieder mit denen der früheren Bilder überein, aber sie tragen einen düsteren und starren Ausdruck, den die Königin nach der Erzählung der Augenzeugen nicht hatte, als sie ernst und hoheitsvoll, aber mit gewohnter Anmuth ihren letzten Weg antrat und zu ihrem strengen Wächter Paulet sagte, als er ihr die Hand zum Emporsteigen reichte: „Sir, dies ist die letzte Mühe, die Ihr um meinetwillen habt!“

So tritt uns bis zum Ende aus Marias Wesen die holde, bestrickende Anmuth entgegen, welche den größten Reiz des Weibes ausmacht, und deshalb ist die Frage, welche die Ueberschrift dieser Zeilen bildet, im weiteren Sinn sicher zu bejahen. Marias königlich hohe Erscheinung mit den von heiterer Liebenswürdigkeit strahlenden, wenn auch etwas scharf geschnittenen Gesichtszügen hat Unzählige entzückt und zu blinder Ergebenheit hingerissen, sie muß also in hohem Grade anziehend gewesen sein. Sehr wahrscheinlich lag bei ihr die Schönheit mehr in dem Ausdruck des Ganzen als in den einzelnen Zügen. Ihre Augen waren offenbar nicht groß, Wangen und Kinn nicht weich gerundet, aber jedenfalls vergaß man, wie bei so vielen schönen Frauen, das Einzelne über dem entzückenden Gesammteindruck. Maria besaß jene Vereinigung von Anmuth, Holdseligkeit und Schönheit, welche Homer meint, wenn er von dem Gürtel der Aphrodite spricht. Und als eine seiner berühmtesten Trägerinnen wird die herzenbezwingende Schottenkönigin im Gedächtniß der Nachwelt fortleben, ohne daß die Betrachtung ihrer unvollkommenen Bildnisse etwas daran zu ändern vermag. R. Artaria.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. vgl. Bothwell aus Gedichte und Gedenkblätter, 1864