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Was uns der Garten lehrt

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Titel: Was uns der Garten lehrt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 243–244
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte, Leipzig, F. C. W. Vogel. 1891, Google
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Was uns der Garten lehrt.


Man hat Karl den Großen den ersten Kunstgärtner Deutschlands genannt: mit vollstem Rechte, denn was vor ihm in Germanien an Gärten zu sehen war, das erhob sich nicht über die niedrige, auf alle Barbarenvölker zutreffende Stufe. Karl der Große war überhanpt der Kulturträger des Nordens, und noch bis heute ist manche seiner Einrichtungen in Kraft geblieben. Wenn wir das Mittagessen, die Hauptmahlzeit, im Gegensatz zu vielen anderen Völkern um 12 Uhr einnehmen, so ist das eine Sitte, welche auf die Verordnungen Karls des Großen zurückzuführen ist. Was der deutsche Garten jahrhundertelang trug, was an Kindern der Flora noch heute in Bauerngärten alten Schlages gezogen wird, entspricht durchaus den Vorschriften des ersten deutschen Kunstgärtners. In seinen Verfügungen über den Betrieb der königlichen Meiereien findet man eine ganze Anzahl von Blumen, Arzneipflanzen, Küchenkräutern, Gemüse- und Obstarten genannt, welche in seinen Gärten gepflegt werden sollten. Da werden bereits die beiden Königinnen der mittelalterlichen Gärten, Rosen und Lilien, erwähnt, da lesen wir von Rosmarin, Liebstöckl, Mohn, Eibisch, Brunnenkresse, von Anis, Salbei, Schnittlauch, von dicken Bohnen und Kohl, von Apfel-, Birnen-, Kirsch- und Pflaumenbäumen, von Kastanien, Quitten und Mispeln, ja sogar von Mandel-, Lorbeer- und Feigenbäumen.

Kaiser Karl war aber ein durchaus praktischer Mann, und man würde irren, wenn man glauben wollte, daß er die duftenden Blumen nur der Augenweide und des Wohlgeruchs wegen hätte pflanzen lassen. Zu jener Zeit, da die Gewürze und Spezereien der fernen Welttheile noch selten waren, mußten die heutigen Schmuckpflanzen zu Heilzwecken und Leckereien verarbeitet werden. Da wurde der Lilie mannigfache heilende Kraft zugeschrieben, da hieß es im späteren Mittelalter vom Zuckerrosat, d. h. von dem mit Zucker angemachten Rosensaft: „Er überhebt dich viel pfenning in der apoteken“, da wurden zu ähnlichen Zwecken auch Violsirupe und Violöl bereitet. Durch die Klöster wurden die Anregungen Karls des Großen weiter verbreitet, und so entstanden überall Würzgärten für heilkräftige Kräuter und Gewürze, Krautgärten für Gemüse sowie Obstgärten und Weinberge. Viele Landapotheker im Anfang unsres Jahrhunderts haben noch ihre Gärten genau nach den Vorschriften des Gründers des heiligen römischen Reichs gehalten. Mancherlei Blumen und Kräuter wurden vom deutschen Wald und Feld in den Garten verpflanzt, viele aber, die jetzt zu den allgemein bekannten Gewächsen zählen, sind erst im Zeitalter Karls des Großen über die Alpen zu uns gekommen. Von diesen ältesten Pflanzeneinwanderern nennen wir nur Gurken und Kürbisse, Lavendel, Rosmarin und Raute, die Lilie, Levkoje und Gartennelke.

Als dann der Wohlstaud zunahm und die Sitten sich verfeinerten, da begnügte man sich nicht mehr mit Nutzgärten, sondern

schuf auch Ziergärten, welche die Höfe der Fürsten, die Burgen der Ritter und die Landhäuser der Patrizier umgaben. Die Lustgärten des Orients dienten dabei zum Vorbild, und der Orient versorgte auch die ersten Blumenliebhaber mit neuen Pftanzen. Es ist interessant, weiter zu verfolgen, wie der Gartenstil sich dem Kunstgeschmack anpaßte, wie die Renaissance lange Zeit herrschte und wie dann der gebundene Gartenstil später durch die freien englischen Parkanlagen, eine Nachahmung der chinesischen Gärten, ersetzt wurde.

Ein Gärtnerspruch lautet:

„Gärten sind Visitenkarten:
Wie der Herr, so der Garteb“,

und so ist in der That in der Enwicklungsgeschichte des deutschen Gartens ein Stück Kulturgeschichte enthalten. Ein von dem als Aesthetiker und Kunsthistoriker bekannten Dr. [[Alexander Kaufmann]] herausgegebenes Buch „Der Gartenbau im Mittelalter und während der Periode der Renaissance“ bietet sehr hübsche Einblicke in die Wechselbeziehungen zwischen dem Volksleben und dem Garten, und wir können es aus diesem Grunde jedem Gartenfreund empfehlen.

Zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts begann der große Eroberungszug des europäischeu Handels über weite Länder und Meere. Durch ihn wurde im Laufe der Jahre eine ungeheure Einwanderung fremder Pflanzen nach Europa bewirkt, und diese wiederum veränderte das Aussehen unserer Gärten.

„Wenn plötzlich, während wir hier versammelt sind, eine Gigantenhand über unsre Stadt führe und mit einem Schlage von Pflanzen alles entfernte, was nicht schon seit Menschengedenken von selbst bei uns gewachsen ist, da würden wir dann hinaustreten in eine abschreckende Wildniß. Leer würden nicht bloß die Blumentische reicher Leute, fort wären auch alle die bescheidenen Töpfe von den Fenstern der kleinen Wohnungen, weg wären aus den Vorgärten und Promenaden Sträucher und Bäume, ja stundenweit könnten in der Landschaft große pflanzenleere Lücken entstanden sein. Denn fast alles, was der Mensch zu seiner Freude, vieles, was er zum Nutzen von Gewächsen in seine nächste Umgebung und eigenhändige Pflege genommen, das hat er aus fremden Welttheilen, zumal aus Asien und Amerika, erst heimgebracht.“

Mit diesen Worten eröffnete Professor G. Kraus einen Vortrag „Ueber die Bevölkerung Europas mit fremden Pflanzen“[1], und es ist in der That keine Uebertreibung, wenn man sagt, im Pflanzenreich habe sich gewissermaßen der umgekehrte Prozeß wie in der Menschenwelt vollzogen, Europa sei von den Wilden erobert worden.

Die Gärten, namentlich die seit der Errichtung des Pflanzengartens [244] bei der Universität Padua (1545) üblich gewordenen botanischen Gärten, waren die ersten Pflanzstätten der Fremdlinge, und aus ihren Annalen läßt sich auch die Geschichte der Pflanzeneinwanderung zusammenstellen. Schon um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts tauchen in denselben einige amerikanische Gäste auf, die man ursprünglich indische oder spanische Pflanzen nannte. Ohne eine Ahnung ihrer zukünftigen Bestimmung zog man damals unter dem Namen „Papas Peruanorum“ eine Zierpflanze an Stäben – es war nichts andres als unsre heutige Volkerernährerin, die Kartoffel – und der amerikanische Lebensbaum, der statt der südlichen Cypresse unseren Friedhöfen ernste Stimmung verleiht, war schon bei uns heimisch geworden.

Stets aber wurden unter den Fremdlingen einzelne Pflanzen den anderen vorgezogen; als ausgesprochene Lieblinge der Massen drückten sie dem Gartenbau ein besonderes Gepräge aus. So gilt als eine wichtige Periode der Pflanzeneinfuhr die der orientalischen Blumenzwiebeln; dann kamen die kanadischen Pflanzen an die Reihe. Noch heute steht im Pariser Jardin des Plantes die uralte, als erste ihrer Art auf europäischem Boden im Jahre 1636 von Jean Robin gepflanzte Akazie, die eine zahlreiche Schar von überseeischen Landsleuten in Europa aufblühen sah; denn um jene Zeit hat in Paris zum ersten Male der Wilde Wein sein Laub herbstlich geröthet, haben die hohen amerikanischen Astern geblüht, und von dort entsprang eine kanadische Pflanze ins Freie, die jetzt überall an Eisenbahndämmen zu sehen ist – die Nachtkerze.

Bald daraus kamen die Pflanzen vom Kap der Guten Hoffnung nach Europa und fanden in den Glashäusern Hollands willige Aufnahme. Da sah man zuerst die scharlachroten Pelargonien, die Dracänen, zierliche Heiden und viele andere, die noch heute ausgesprochene Lieblinge der Blumenfreunde sind.

Als später der freie Gartenstil siegreich vordrang, als die Parkanlagen sich mehrten, da kamen zu uns neue Gestalten: die amerikanische Eiche, Ahorn, Pappeln, Kastanien und Nußbäume und die kleinfruchtigen Aepfelsorten und blühenden Sträucher Sibiriens. Adlig im Wuchse, glühend in ihrer herbstlichen Färbung oder unübertroffen in ihrem frühen Blüthenschmuck, sind sie heute unentbehrlich in allen größeren Parkanlagen.

Mit der Verbesserung der Verkehrsmittel wurde die Einfuhr erweitert. Neu-Holland sandte uns den Fieberbaum (Eucalyptus globulus) und andere Pflanzen von sonderbarer Gestalt. Solche Bäume und Sträucher hatten in grauer Vorzeit, in der Tertiärzeit, in Europa geblüht und gegrünt, nun streckten sie wieder ihre Blätter unter dem Schutze des Menschen der alten Sonne entgegen.

Der Dampf beherrscht heute die Welt, der „Pflanzenjäger“ stellt seine Glaskästen auf dem Decke des Dampfers auf und dank der kurzen Fahrzeit kann er selbst die zartesten Kinder der Tropen wohlbehalten in die mustergültigen Glashäuser Europas bringen. So wandern wir im Norden unter Palmen, so sehen wir die prachtvollsten Orchideen des tropischen Urwalds bei uns erblühen, und so sehen wir die riesigen Bananen, die Musenarten, als Sommergewächse unsre Rasenplätze schmücken.

In England wachsen etwa 1500 Pflanzenarten wild, die Zahl der eingeführten aber betrug bereits im Jahre 1830 nicht weniger als 32000! In dem berühmten Garten von Kew bei London wurden im August 1891 gegen 19800 Arten und Formen gezogen, im Berliner botanischen Garten im Jahre 1890 gegen 19000 und in St. Petersburg 25000 Arten und Abarten in 71850 Exemplaren.

Aber diese Fremden haben uns nicht allein durch den Schmuck, den sie unseren Gärten und Wohnungen verleihen, erfreut, sie haben auch den Forschern Gelegenheit gegeben, tiefer in die Geheimnisse des Pflanzenlebens einzudringen.

Und was der botanische Garten für den Forscher ist, das kann der kleine Hausgarten für jeden Naturfreund werden, denn er bildet für sich eine Welt, in der es viel zu beobachten und viel zu lernen giebt. Man kann in ihm über die Räthsel der Pflanzennatur sinnen, kann den mannigfachen Beziehungen der Blumen zu dem Heere der Insekten nachgehen, kann des Lebens Erwachen, das Blühen und Reifen, das Welken und Vergehen im Herbste und die Winterruhe verfolgen. Wie wenige wissen leider, welche merkwürdigen Schätze in ihrem Garten ruhen!

Namentlich die reifere Jugend könnte im Garten viel, viel lernen und ihren Wissenskreis durch Anschauung erweitern. Manchmal verspürt sie auch die Lust dazu und stellt Fragen auf Fragen, aber leider sind oft die Eltern selbst nicht imstande, sie zu beantworten. Ich habe solche junge Leute, die ihren Wissensdurst nicht befriedigen können, stets bedauert, um so mehr, als es für die Jugend keine bessere und edlere Erholung geben kann, als die Beschäftigung mit der Natur, welche sie ins Freie hinauslockt und ihre Sinne schärft.

Die Botanik hat man einst die „liebenswürdige Wissenschaft“, die „scientia amabilis“ genannt; leider ist sie jahrelang in den Schulen durch das Vorkehren der Systematik zu einer dürren und langweiligen geworden. Das Thierleben wurde durch Brehm so populär, weil der Altmeister nicht tote Systematik, sondern das volle Leben der Thiere seinen Lesern schilderte; auch für die Pflanzenwelt schlägt dieselbe Stunde.

Unter den Neuigkeiten des Buchhandels finde ich ein hübsch ausgestattetes Buch, „Durch des Gartens kleine Wunderwelt. Naturfreundliche Streifzüge“ von Heinrich Freiherr Schilling von Canstatt (Frankfurt a. d. O., Trowitzsch u. Sohn). Es ist ein ausgezeichneter Führer für die reifere Jugend und den Gartenliebhaber durch das Stückchen Natur, das man sein eigen zu nennen pflegt. Das schlichte Werkchen kann als eine Vorstufe zu tiefer angelegten Schriften, wie z. B. dem „Pflanzenleben“ von Anton Kerner von Marilaun, betrachtet werden.

Der Garten besitzt eine hohe ethische Bedeutung im Volksleben; aber seine veredelnde Wirkung auf das Gemüth des Menschen kann nur dann sich bethätigen, wenn die Blumen, die in ihm blühen, die Bäume, die in ihm Schatten spenden, dem sorgsamen Pfleger auch ihre Lebensschicksale, ihre weiten Fahrten, ihre Lust und ihr Leid verrathen. Die Bedeutung des Gartens in dem Volksleben hat auch Ernst Keil vorgeschwebt, als er sein neugegründetes Blatt, in dem jedermann nach des Tages Last und Mühe Erholung und Erhebung finden sollte, die „Gartenlaube“ nannte.




  1. Vergl. Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte (Leipzig, F. C. W. Vogel. 1891)