Zum Inhalt springen

Was wäre, wenn … (Tucholsky 5 PS)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Kurt Tucholsky
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Was wäre, wenn …
Untertitel:
aus: Mit 5 PS Seite 116-119
Herausgeber:
Auflage: 10. – 14. Tausend
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1928
Verlag: Ernst Rowohlt
Drucker: Herrosé & Ziemsen
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Aus dem Zyklus: KURVE
Erstdruck in: Weltbühne, 15. September 1925
siehe auch: Was wäre, wenn … in Das Lächeln der Mona Lisa
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[116]
Was wäre, wenn …

W.T.B.

Wilhelm der Zweite ist heute abend 7.15 Uhr in Doorn an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben.

*

Demokratischer Leitartikel

Der ehemalige Kaiser ist gestern in Doorn entschlafen, und wir drücken am Grabe eines Menschen selbstverständlich die anständige Trauer aus, die dem Menschen gebührt. „Et le combat cessa faute de combattants“, heißt es in Corneilles „Cid“. Es ist heute nicht der Tag, um zu schildern, was dieser Kaiser hat geben wollen, aber vielleicht nicht hat geben können. Mochte seine Impulsivität auch vieles verursacht haben, was besser unterblieben wäre, so ist doch sein reiner Wille und die Liebe zu seinem Volke …


„Deutsche Tageszeitung“, achtundvierzig Stunden später

Einzelheiten der Überführung stehen noch nicht fest. Doch kann heute schon soviel gesagt werden, daß der Trauerkondukt am Mittwoch, den 17., abends gegen 9 Uhr, in Berlin ankommen wird, wo die Leiche im Schloß aufgebahrt werden wird. Der Reichspräsident Hindenburg hat Armeetrauer befohlen. Daß die Schulen schließen werden, halten wir für selbstverständlich. Näheres über den Trauerzug, der sich durch die Hauptstraßen Berlins bewegen wird, sowie die Absperrungen geben wir morgen bekannt.

[117] Paul Warncke im „Kladderadatsch“

… Dein harter Lebensfaden liegt zerschnitten.
Du stiller Dulder hast nun ausgelitten,
Du, der du stets die Völker überragt,
Der Zahn der Zeit nur hat dich hohlgenagt.
In schwarzen Schleifen Trauerreiser,
Dies bringt dein Volk dir! — Deutscher Kaiser!


„Berliner Lokalanzeiger“, schwarzer Trauerrand, Schlagzeile

Sämtliche Minister nehmen am Trauerzuge teil!

Wie wir hören, haben sich auch die sozialdemokratischen Minister bereit erklärt, am Trauerzuge teilzunehmen. Nur die Kommunisten haben sich ausgeschlossen. Ihre Verhaftung steht unmittelbar bevor.


Tagesbefehl des „Stahlhelm“, Ortsgruppe Belgard in Pommern

Sämtliche Abteilungen stehen morgen früh acht Uhr an der Ecke der Stettiner Straße. Abmarsch zur Trauerfeier auf dem Exerzierplatz 8.05. Kleiner Anzug, große Hose, Stiefel in denselben; Stock, Totschläger, Handgranaten. Keine Waffen mitbringen!


„Vorwärts“

Die Massen Berlins, die gestern so ausgezeichnete Disziplin gehalten haben, konnten ein merkwürdiges Schauspiel beobachten. Während alle andern Regierungsstellen mit feinstem Takt die menschliche Rücksichtnahme mit der Achtung vor der Republik zu vereinigen wußten, hat das Reichswehrministerium, Dienststelle B, auf seinem Gebäude nur die Fahne in den preußischen Landesfarben gehißt. Hat man dort keine [118] schwarzrotgoldenen Fahnen? Wir fragen den Reichswehrminister …


„Deutsche Zeitung“

Fortgesetzt laufen noch Beileidskundgebungen aus allen Teilen der Welt ein. Ein besonderes Zeichen für die Beliebtheit, deren sich Kaiser Wilhelm überall zu erfreuen hatte, ist der Gruß, den der Eskimo-Fußballklub „Nanuk“ aus Grönland an Seine Exzellenz den Generalfeldmarschall Hindenburg gesandt hat. Wahrlich, das deutsche Volk kann stolz auf seinen Kaiser sein.


„Kreuzzeitung“

Die Nachricht, daß Kaiser Wilhelm hunderttausend Mark testamentarisch den deutschen Kriegskrüppeln vermacht hat, bewahrheitet sich nicht.


Gerichtskorrespondenz

Die Arbeiter Wilhelm Lawrentz, Heinrich Katschke, Fritz Demmert standen gestern wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung, Beamtenbeleidigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Vergehen gegen die Gesetze zum Schutze der Republik vor der 12. Strafkammer des Landgerichts III. Sie waren beschuldigt, beim Vorbeiziehen des kaiserlichen Trauerkondukts die Hüte nicht abgenommen zu haben. Die unter Eid vernommenen Beamten gaben einstimmig an, von den Angeklagten mit schwerer Artillerie bedroht worden zu sein. Lawrentz wurde zu 8 Jahren, Katschke und Demmert nur zu 6 Jahren Zuchthaus verurteilt.


Bildunterschrift

Der Kronprinz im Trauerzug. Rechts oben: Der Kronprinz bei den Ruderregatten in Grünau.

[119] Radio-Dienst

Die heutige Rundfunkstunde ist dem Andenken des verstorbenen Kaisers gewidmet. 7.15: Zeitangabe, Wirtschaftsnachrichten, Neueste Meldungen. 7.30: Vorspruch. Von Karl Rosner. Gesprochen von der Rundfunkprinzessin. 7.38: Was uns unser Kaiser war. Ansprache von Dr. Carl Diem, Generalsekretär der Hochschule für Leibesübungen. 8.05: Blasorchester …


Annonce

Der Kaiser ist tot. Da hat wohl mancher sein Leben an sich vorbeipassieren lassen, angesichts dieser großen und klassischen Tragödie sowie dieses Stücks Geschichte, das er hier miterleben durfte. Bei aller nationalen Verehrung aber sollte man auch sein leibliches Wohl nicht vergessen. Wenn Sie Hühneraugen haben …


Vermischtes

Generaldirektor Dembitzer von der Misti hat Herrn Otto Gebühr für den demnächst fertigzustellenden Kaiser-Film „Marsch-Marsch, Hurra!“ verpflichtet.


Lokales

Der Rentenempfänger Jakob Krewald hat sich gestern abend mit Leuchtgas vergiftet. Krewald war Schwerkriegsbeschädigter und erhielt 45% Rente. Er hat im Kriege das Augenlicht, die Beine, die Arme und den Unterkiefer verloren. Was den alten Mann in den Tod getrieben hat, ist noch nicht geklärt.