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Weltwirtschaft und äussere Wirtschaftspolitik

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Autor: Bernhard Harms
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Titel: Weltwirtschaft und äussere Wirtschaftspolitik
Untertitel:
aus: Handbuch der Politik Zweiter Band: Die Aufgaben der Politik, Neuntes Hauptstück: Allgemeine Wirtschaftsfragen, 46. Abschnitt, S. 252−260
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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46. Abschnitt.


Weltwirtschaft und äussere Wirtschaftspolitik.
Von
Dr. Bernhard Harms,
o. Professor der Staatswissenschaften an der Universität Kiel.


Literatur:

[Bearbeiten]
Wagner, A.: Agrar- und Industriestaat. Jena 1902.
Pohle, Deutschland am Scheidewege 1902.
Dix, A.: Deutschland auf den Hochstrassen des Weltwirtschaftsverkehrs. Jena 1901.
Arndt, P.: Deutschlands Stellung in der Weltwirtschaft. Leipzig 1908.
Kobatsch, R. v.: Internationale Wirtschaftspolitik. Wien 1907.
Dietzel, H.: Weltwirtschaft und Volkswirtschaft. Dresden 1900.
Schmoller, G., Sering, M., Wagner, A.: Handels- und Machtpolitik, I. Band. Stuttgart 1900.
v. Halle., E.: Die deutsche Volkswirtschaft an der Jahrhundertwende. Berlin 1902.
Neufeld, A.: Die führenden National-Exportämter. Berlin 1905.
v. Waltershausen. A.: Das volkswirtschaftliche System der Kapitalanlage im Auslande. Berlin 1907.
Harms, B.: Das staatswissenschaftliche Institut an der Universität Kiel. Jena 1911.
Harms, B.: Weltwirtschaftliche Aufgaben der deutschen Verwaltungspolitik. Jena 1911.
Harms. B.: Volkswirtschaft und Weltwirtschaft, Versuch der Begründung einer Weltwirtschaftslehre. Jena 1912.
Harms, B., Kaiser Wilhelm II. und die Triebkräfte des neudeutschen Sozial- und Wirtschaftslebens. Jena 1913.

Unter Weltwirtschaft verstehen wir den Inbegriff der durch hochentwickeltes Verkehrswesen ermöglichten und durch staatliche internationale Verträge sowohl geregelten wie geförderten Beziehungen und deren Wechselwirkungen zwischen den Einzelwirtschaften der Erde. [253] Diese Begriffsbildung schliesst sich unmittelbar an diejenige der „Volkswirtschaft“ an, die wir charakterisieren als den Inbegriff der durch Verkehrsfreiheit und die technischen Verkehrsverhältnisse ermöglichten, sowie durch einheitliche Rechtssatzung geregelten und durch wirtschaftspolitische Massnahmen geförderten Beziehungen und deren Wechselwirkungen zwischen den Einzelwirtschaften eines staatlich verbundenen Volkes. Volkswirtschaft und Weltwirtschaft in dem hier erörterten Sinne sind demnach blosse abstrakte Begriffe, die freilich eminent konkrete Dinge umschliessen.

Die Tatsache, dass die „Weltwirtschaft“ der politisch abgegrenzten Basis entbehrt, hat dazu geführt, die Berechtigung ihrer begrifflichen Inbeziehungsetzung zur „Volkswirtschaft“ zu bestreiten. Mit Unrecht, denn ausschlaggebend für die Analogie ist – abgesehen von den internationalen Rechtsverträgen – die Intensität der Wechselwirkungen, die durch die wirtschaftliche Tätigkeit der die „Welt“ bewohnenden Menschen über die Grenzen der einzelnen Staaten hinaus entsteht. Wird die Volkswirtschaft durch die Summe der Wechselbeziehungen zwischen den wirtschaftlich tätigen Subjekten innerhalb eines Staates charakterisiert, so kann für die Bestimmung des Begriffes Weltwirtschaft nur ausschlaggebend sein, ob die internationalen wirtschaftlichen Beziehungen sich heute bereits zu einem ähnlichen Gebilde hin- und herlaufender Fäden verdichtet haben und dadurch ein neues, mehr oder weniger organisches Gebilde entstanden ist. Dies ist zu bejahen.

In keiner Zeit vorher sind die internationalen wirtschaftlichen Wechselbeziehungen so ausgeprägt gewesen, als in der unsrigen. Es handelt sich heute nicht mehr, wie fast immer in der Vergangenheit auf allen Stufen des Wirtschaftslebens um ein blosses Nebeneinanderbestehen von Industrie- und Rohproduktionsländern, die ihren Überfluss austauschen, sondern die internationalen wirtschaftlichen Beziehungen sind heute derartig kompliziert, und die dabei entstehenden Wechselbeziehungen so unendlich mannigfaltig, dass sie sich längst zu einem eigenen Organismus ausgewachsen haben. Ein Blick in die Praxis bestätigt dies. Erinnert sei z. B. an das internationale Verkehrswesen, an Eisenbahnen, Post, Telegraph, drahtlose Telegraphie und Schiffahrt, an das internationale Bankwesen und die Regelung des internationalen Zahlungsverkehrs, an die grossen Kapitalkonzerns, denen nationale Grenzen längst gleichgültig geworden sind und überall auf dieser Erde zur Stelle sind, wo dem Geldkapital lohnende Aufgaben winken. Hingewiesen sei ferner auf die folgenschwere Wirkung der durch die modernen Verkehrsmittel ermöglichten Weltkonkurrenz auf dem Gebiete der agrarischen Bedarfsbefriedigung, auf das internationale Kartellwesen mit seiner grandiosen Organisation, auf die internationalen Schiffahrtsverbände und auf die Tatsache, dass fast alle grossen Unternehmungen das Bestreben zeigen, in Form von Filialen und Tochterunternehmungen ihre Tätigkeit über die eigene Volkswirtschaft auszudehnen. Zu beachten ist ferner das internationale Anleihewesen, das nicht selten auch unmittelbar zu wirtschaftlichen Wechselbeziehungen führt. Und dass endlich niemals irgendwelche Zeit einen so enormen internationalen Güteraustausch gesehen hat, wie – trotz aller Schutzzollpolitik – die unsrige, bedarf ebenfalls keiner Erörterung, wie auch die Tatsache für sich selbst spricht, dass der „Kampf um den Weltmarkt“, wie wir ihn heute sehen, für unsere Zeit und für diese allein etwas durchaus charakteristisches ist. Kurzum, wir sehen hier einen Komplex von Erscheinungen, der unser Wirtschaftsleben von demjenigen aller früheren Zeiten deutlich abhebt.

Es kann nicht Aufgabe dieser Abhandlung sein, in eine exakte wirtschafts-wissenschaftliche Untersuchung der Weltwirtschaft als Gegenstand einer besonderen „Weltwirtschaftslehre“ einzutreten. Hier handelt es sich vorläufig noch um so wenig geklärte Dinge, dass deren Erörterung zunächst der reinen Fachwissenschaft vorbehalten bleiben muss. Dem Charakter des „Handbuchs der Politik“ entsprechend, soll an dieser Stelle vielmehr der Frage näher getreten werden, in welchem Masse die deutsche Volkswirtschaft in die Weltwirtschaft verknüpft ist, und welche Konsequenzen sich hieraus für die deutsche Wirtschaftspolitik ergeben.

Ausgangspunkt solcher Erörterungen muss die Bevölkerungsfrage sein. Auf dem Gebiete des Deutschen Reiches heutigen Umfanges lebten im Jahre 1816 24,8 Millionen Menschen. Heute haben wir 65 Millionen bereits überschritten und in 20 Jahren werden es aller Voraussicht nach [254] 80 Millionen sein. Seit geraumer Zeit vermehren wir uns jährlich um 800/900 000 Menschen. Auf einen qkm kamen im Anfänge des 19. Jahrhunderts 45, heute 120 Einwohner. Wie ist es möglich gewesen, diese gewaltige Bevölkerung innerhalb unserer Grenzen mit Arbeit und Nahrung zu versorgen? Einzig und allein durch unsere industrielle Entwicklung. Ein Ackerbaustaat muss seine Bevölkerung immer den Nahrungsmitteln anpassen, die er auf eigenem Boden gewinnt. Die Produktivität eines gegebenen Stück Landes ist selbst durch den grössten Kapital- und Arbeitsaufwand nicht beliebig vermehrbar, sondern an bestimmte Grenzen gebunden (Gesetz des abnehmenden Bodenertrages). Da nun aber die Bevölkerung immer die Tendenz hat, sich über diesen Spielraum hinaus zu vermehren, so müssen Ventile geschaffen werden. Eines dieser Ventile öffnet sich regelmässig von selbst; es ist das „Gesetz des natürlichen Regulativs“: Hungersnöte und Epidemien sorgen dafür, dass die Bevölkerung immer wieder auf den ihr von der Natur gegebenen Nahrungsspielraum zurückgedrängt wird. Das andere Ventil ist die Auswanderung. Wie es schon in der Bibel von Abraham und Lott heisst: „Und das Land mochte es nicht ertragen, dass sie beieinander wohnten, denn ihre Habe war gross und konnten nicht beieinander wohnen“. Das grosse Wandern der Menschheit, das wir seit Jahrtausenden sehen, und das schliesslich zur Besiedlung der Erde geführt hat: es ist die Folge davon, dass ein Stück Land in seiner Ertragsfähigkeit nicht beliebig gesteigert werden kann. Auch in Deutschland reden die Auswandererziffern eine ernste Sprache. In den Jahren 1821–90 wunderten allein nach den Vereinigten Staaten annähernd 5 Millionen Deutsche aus. Unsere Auswandererziffer erreichte zeitweise eine stattliche Höhe. Im Jahre 1880 verloren wir durch Auswanderung 117 000, im Jahre 1881 220 000 Landsleute, gleich 5% der damaligen Bevölkerung.

Die industrielle Entwicklung hat diese enorme Auswanderung zum Stillstand gebracht. Unser Wanderungsverlust im Jahre 1910 belief sich auf 25 500 Menschen (0,7‰). Die Einwanderung war in derselben Zeit grösser, wenngleich es nicht die besten Elemente sind, die aus dem slavischen Osten zu uns herüberkommen. Immerhin ändert dies nichts an der Tatsache, dass wir heute ein Einwanderungsland sind.

Weshalb hängt dies mit der industriellen Entwicklung zusammen? Einfach deshalb, weil die Stoffverarbeitung auf demselben Boden mehr Menschen ernähren kann als die Urproduktion; unter zwei Voraussetzungen: 1. müssen über die im Inlande produzierten Rohstoffe hinaus solche aus dem Auslande bezogen werden können; 2. muss für die produzierten Güter Absatz vorhanden sein. Unter diesen beiden Voraussetzungen lässt sich die industrielle Tätigkeit beliebig steigern. Und in dem Masse, als dies geschieht, wird im Inlande Arbeitsgelegenheit geschaffen und damit die Möglichkeit, den Bevölkerungszuwachs im Lande zu behalten.

Bevor dies näher erörtert wird, soll kurz die Frage aufgeworfen werden, ob es für Deutschland überhaupt erwünscht ist, innerhalb seiner Grenzen eine so grosse Bevölkerung zu haben. Neuerdings macht sich auch bei uns Propaganda für den Neumalthusianismus geltend, der sich letzten Endes die Aufgabe stellt, auf eine Beschränkung der Kinderzahl hinzuwirken. Solches Beginnen erscheint mir vom deutschen Standpunkt als frevelhaft. Zur Begründung nur eines: Deutschland gilt heute mit Recht als ein Staat, der sich wirtschaftlich ungewöhnlich günstiger geographischer Lage erfreut. Im Herzen Europas liegend, fast überall auf Landgrenzen stossend, aber doch des Zugangs zum Meere nicht entratend, wird Deutschland bei zunehmendem internationalen Verkehr immer mehr Durchgangsgebiet für die Beziehungen der Völker Europas, wovon es selbstverständlich profitiert. Es sei nur hingewiesen auf den grossen Verkehr Westeuropas, vornehmlich Englands, via Sibirien und Ostasien, der noch intensiver werden wird, wenn wir erst die Bahnen nach Indien und dem Persischen Golf haben. Dieser Durchgangsverkehr hat unsere Volkswirtschaft mittelbar und unmittelbar sehr erhebliche Werte zugeführt. Anderseits brauchen wir nur einen Blick auf unsere Geschichte zu werfen, um zu erkennen, dass diese unsere exponierte Lage von jeher mit grossen Gefahren verbunden gewesen ist, indem wir unter dem Mangel ausreichender Grenzwacht zeitweise schwer gelitten haben und überdies unser Boden im Laufe der Jahrhunderte oftmals den Tummelplatz für die Kämpfe anderer Völker hat abgeben müssen. Diese Gefahr ist heute eher grösser als kleiner geworden und wenn wir uns trotzdem behauptet haben, so verdanken wir dies unserer politisch-militärischen Macht, die ihrerseits aber mit abhängig [255] ist von der Zahl der Menschen, die wir zur Verteidigung aufrufen können. Man braucht sich nur vorzustellen, welche Rolle heute Deutschland in Europa spielen würde, wenn seine Bevölkerung, wie diejenige Frankreichs, auch jetzt noch den Stand von 1870 nicht überschritten hätte. Wollen wir uns in einer Zeit, in der die Tendenz zum Grossbetrieb auch in die Staatenbildung eingedrungen ist, als Volk und Nation behaupten, so müssen wir eine der vornehmsten Bedingungen hierfür sicher stellen: Innerhalb unserer Grenzen eine Bevölkerung, die gross genug ist, um sich unter allen Umständen politisch durchsetzen zu können. Dies auch vor allem im Hinblick auf die starken Vermehrungstendenzen innerhalb der slavischen Völker des Ostens.

Ich möchte deshalb sagen: Begünstigung des Neumalthusianismus bedeutet Versündigung an der Zukunft unseres Volkes. Dies um so mehr, als die Geburtenzahl in Deutschland so wie so ständig zurückgeht. Auf 1000 Einwohner des Deutschen Reiches kamen im Jahrzehnt 1871/80: 40,7, im Jahre 1911 nur noch 29,5 Geborene. Wenn wir uns trotzdem so stark vermehrten, so ist dies lediglich auf die noch grössere Abnahme der Todesziffer zurückzuführen. Starben im Jahrzehnt 1871/80 von 1000 Menschen in Deutschland 28,8, so waren es im Jahre 1911 nur noch 18,2. Diese Ursachen unserer Bevölkerungsvermehrung machen die meisten Menschen sich garnicht klar, sondern zetern nur über die grosse Zahl der Neugeborenen und bedenken nicht, dass deren auch ohne das Evangelium des Neumalthusianismus immer weniger werden.

Wir wiederholen: das Deutsche Volk muss, wenn es sich in alle Zukunft als Nation erhalten will, ein an Zahl grosses Volk sein. Wenn wir auch im 20. Jahrhundert und darüber hinaus unsere Stellung unter den Weltvölkern behaupten wollen, so müssen wir auch eine starke Bevölkerungsvermehrung wollen. Freilich, und darauf muss mit Schärfe hingewiesen werden: Nicht auf die Zahl allein kommt es an, sondern ebenso sehr darauf, dass es gelingt, diese Menschenmassen physisch und psychisch sich so entwickeln zu lassen, dass vom gesamten Volkskörper behauptet werden kann, er bewege sich unablässig in der Richtung aufsteigender Kultur. Wenn wir uns nun auf den Standpunkt stellen: durch Realismus zum Idealismus, so heisst das: es muss die Möglichkeit vorliegen, diese Menschenmassen hinreichend zu ernähren. Sind wir auf eine grosse Bevölkerung angewiesen, so müssen wir auch Mittel und Wege finden, sie mit Arbeit und Nahrung zu versehen. Nicht so kann die Frage lauten: Wie verringern wir unsere Bevölkerung? Sondern: Wie schaffen wir die Grundlagen ihres für notwendig erachteten Wachstums?

Wie schon angedeutet, lenkt der Blick sich hier von selbst auf die Industrie. Scheinbar liegt es freilich näher, zunächst einmal die Landwirtschaft ins Auge zu fassen. Wir wollen deshalb über sie den Weg zur Industrie finden.

Welche Rolle spielt heute für die deutsche Volkswirtschaft unsere Landwirtschaft? Von der Gesamtbevölkerung des Deutschen Reiches gehörten zur Landwirtschaft

1882...................42,5%
1895...................35,7%
1907...................28,6%

Nehmen wir nur die Erwerbstätigen (im Hauptbedarf), so ergibt sich das folgende Bild:

1882...................43,3%
1895...................36,1%
1907...................32,6%

Neben dieser prozentualen Abnahme der zur Landwirtschaft gehörigen Bevölkerung sehen wir sogar deren absolute Verminderung, denn im Jahre 1882 umfasste sie 19,2, 1907 aber nur noch 17,6 Millionen Menschen.

Inwieweit hat diese Landwirtschaft uns ernährt? Die Artwort gibt uns der Einfuhrüberschuss an agrarischen Produkten. Im Jahre 1912 haben wir an menschlichen und tierischen Nahrungsmitteln (ohne Genussmittel) für reichlich 1½ Milliarden Mark mehr eingeführt als ausgeführt. Das ist eine ganz gewaltige Summe, denn sie umfasst etwa 20% unserer gesamten Einfuhr. Da ist es nun ganz selbstverständlich, dass unsere erste [256] Sorge der Steigerung landwirtschaftlicher Produktivität gilt. Die durch das Gesetz des abnehmenden Bodenertrages bedingte Grenze der Produktivität ist in Deutschland noch nicht annähernd erreicht, sodass wir hoffen dürfen, einen erheblichen Teil dieses Imports nach und nach im Inlande decken zu können. In Sonderheit wird durch grosszügige Kolonisation, d. h. durch Schaffung von Bauerngütern im Osten der Preussischen Monarchie sowie durch Kultivierung unseres Moorbodens noch ausserordentlich viel getan werden können.

Pflege der deutschen Landwirtschaft bleibt aber nicht nur aus Gründen der Ernährung für alle Zeit eine unserer hauptsächlichsten Aufgaben, sondern auch aus anderen Gründen. Eine starke landwirtschaftliche Bevölkerung sichert die fortdauernde Regeneration der Gesamtbevölkerung in physischer und moralischer Beziehung. Hierzu kommt, dass eine Industrie mit überwiegendem Weltmarkt weniger gut fundiert und internationalen Wirtschaftskrisen besonders stark ausgesetzt ist. Eine kaufkräftige Landwirtschaft muss der Industrie den Rückhalt geben. Sehr erheblich ist ferner, dass die Entwicklungstendenz in der landwirtschaftlichen Betriebsform (im Gegensatz zur Industrie) zum Klein- und Mittelbetrieb drängt, der sich gegenüber dem Grossbetrieb als durchaus konkurrenzfähig zeigt. Die Marxistische Konzentrationstheorie trifft, wie heute allgemein feststeht, für die Landwirtschaft nicht zu. Die soziale Differenzierung in der Industrie (zunehmende Abhängigkeit) erhält demnach durch diejenige in der Landwirtschaft ein starkes und sehr erwünschtes Gegengewicht. Eine Tatsache, die den Soziologen Schäffle bekanntlich zu der Äusserung veranlasst hat: Es werde an den Schädeln der Bauern der Sozialismus zerschellen. Und insofern ist es auch ganz richtig, dass unsere Zukunft, oder wenigstens ein Stück davon, auf dem Lande liegt.

Dies alles ist demnach in seiner ganzen Tragweite anzuerkennen. Trotzdem dürfen wir uns aber keinen Illusionen hingeben, denn dass die deutsche Landwirtschaft jemals in der Lage wäre, unseren heutigen und künftigen Bedarf an Lebensmitteln (im weitesten Sinne) zu normalen Preise selbst zu erzeugen, ist Utopie. Es mag dahingestellt bleiben, wieweit wir unseren Bedarf an Vieh und tierischen Produkten (Eier, Fette, Milch, Butter etc.) mit der Zeit im eigenen Lande decken können. Doch gerade wenn dies, wie zu hoffen ist, möglich sein wird, vergrössert sich unsere Abhängigkeit vom Ausland im Hinblick auf Getreide und Futtermittel um so mehr. Was wir zur Pflege und Förderung der deutschen Landwirtschaft auch tun, es bleibt dabei, dass wir in steigendem Masse auf das Ausland angewiesen sein werden. Hierzu kommt noch, dass wir auch in bezug auf mancherlei Genussmittel, die wir ungern entbehren (Kaffee, Kakao, Tee, Tabak, Südfrüchte) dem Auslande mit annähernd einer halben Milliarde tributpflichtig geworden sind.

Da entsteht nun die Frage: Womit bezahlen wir diese Güter? Wir besitzen kein nennenswertes Naturprodukt, das wir als Gegenwert hinausgeben könnten. Es bleibt uns deshalb nichts anderes übrig, als Industrieprodukte zu exportieren. Mit den Erzeugnissen unseres Gewerbefleisses müssen wir das bezahlen, was wir an Nahrungsmitteln aus dem Auslande erhalten. Hierbei ist ausserdem noch zu beachten, dass wir in Deutschland auch gezwungen sind, einen grossen Posten von Rohmaterialien zu beziehen – selbst für den blossen Inlandsbedarf (Baumwolle, Jute, Kupfer, Erze, Holz, Kautschuk, Petroleum etc.) – den wir ebenfalls mit Industrieerzeugnissen zu bezahlen haben.

Endlich ist noch zu bedenken, dass auch abgesehen von diesen Notwendigkeiten die Förderung industrieller Tätigkeit sich dringend empfiehlt. Die Betriebskosten des modernen Staates gehen ständig in die Höhe. Dies bedingt nicht nur der Aufwand für Heer und Marine, sondern in grösserem Umfange noch die im Staat unserer Tage immer mehr sich durchsetzende Kulturidee, will sagen: Der Teil des Budgets, der sich auf die soziale und kulturelle Tätigkeit des Staates und der Gemeinden bezieht, schnellt die Gesamtausgaben je länger desto mehr in rascher Steigerung empor. An sich zweifellos erfreulich und erwünscht. Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Einzelwirtschaften der Steuersubjekte auch imstande sind, jene vergrösserten Betriebskosten der Gemeinwirtschaften aufzubringen. Die Durchführung der Kulturidee im Staat hat den Wohlstand seiner Bürger zur Voraussetzung. Dieser aber ist im hohen Grade abhängig von der Struktur des Wirtschaftslebens. Ein blosses Ackerbauvolk [257] kann dem Staate die Mittel für seine neuzeitigen Aufgaben nicht geben, da der Rentabilität des landwirtschaftlichen Betriebes durch das schon erwähnte Gesetz des abnehmenden Bodenertrages und die Länge der Betriebsperioden bestimmte Grenzen gezogen sind, über die hinaus das hineingesteckte Kapital im umgekehrten Verhältnis zum Ertrage steht. Ganz anders in der Stoffverarbeitung, deren Ausdehnung – die Absatzmöglichkeit vorausgesetzt – an keine Grenzen gebunden ist und deren Rentabilität, wie schon erörtert, sich nicht bloss im Verhältnis zum Betriebsumfang bewegt, sondern dessen Ausdehnung progressiv übersteigt. Industrielle Tätigkeit ermöglicht häufigeren Kapitalumschlag, schafft höheres Einkommen und führt schneller zur Kapitalbildung als landwirtschaftliche Arbeit. Als Steuerquelle ist demnach die Industrie, wie jedermann weiss, der Landwirtschaft überlegen – für den Geld suchenden Staat eine sehr beachtenswerte Tatsache.

Je grösser der Spannrahmen industrieller Tätigkeit durch Erweiterung des Anteils am Weltmarkt gezogen wird, um so reichlicher auch die Einnahmen des Staates, von denen wieder die Intensität seiner kulturellen Wirksamkeit und der politisch-militärische Aufwand abhängig sind. Dazu kommt schliesslich noch, dass mit der industriellen Tätigkeit sich der Handel verbindet, der volkswirtschaftlich betrachtet, die grössten Werte schafft, wenn er international betrieben wird, und von diesem Standpunkt den heimischen Wohlstand in dem Masse fördert, als er seinen Anteil am Welthandel ausdehnt. Dasselbe gilt vom Bankwesen und besonders der Schiffahrt, Erwerbszweige, die unsere Zahlungsbilanz um so günstiger beeinflussen, je weltumspannender sie sind.

Kehren wir zum Ausgangspunkt zurück, so ergibt sich ohne weiteres, dass Deutschland vermöge seiner ideellen und materiellen Entwicklungsbedingungen sich in der Tat mehr und mehr in die Weltwirtschaft verknüpft sieht; wir brauchen Spielraum für den Absatz unserer Produkte auf dem Weltmarkt. Wir müssen uns aber anderseits auch den Bezug von Rohmaterialien sichern, die zum Teil die Grundlage eben dieses unseres Exports sind. Daraus ergibt sich: Waren wir früher ein Volk, dessen Interessen in wesentlichen in Europa lauen, so werden wir heute in die Weltwirtschaft und damit in die Weltpolitik gedrängt. Dies scheint mir eines der wesentlichsten Ergebnisse neudeutscher Entwicklung zu sein.

Weltpolitik und Wirtschaftspolitik! Man kann sich des Eindrucks nicht recht erwehren, dass heute über die letzten Triebkräfte unseres Eingreifens in die Händel dieser Welt immer noch ganz falsche Meinungen verbreitet sind. Historiker alter Schule lehren uns auf dem Boden rein idealistischer Geschichtsauffassung sogar, dass die moderne Weltpolitik nichts anderes sei, als Fortführung jenes Imperialismus, den es zu allen Zeiten gegeben habe. Und doch besteht gerade im Hinblick auf die letzten Triebkräfte zwischen dem Imperialismus alter Zeit und moderner Weltpolitik ein gewaltiger Unterschied.

Eine Art weltwirtschaftlicher Expansion sehen wir freilich seit Jahrtausenden. Man kann fast sagen: in jedem Reiche der Geschichte macht er sich geltend. Imperien erhoben sich auf dem Boden der vier arischen Welten und auf dem der chinesischen Welt. Das erste Imperium der Geschichte war das der Achämeniden, das zweite Alexanders, das dritte Rom. Das römische Reich in seiner gewaltigen Ausdehnung zeigt uns so recht, was man in jener Zeit unter Imperialismus ausschliesslich verstand: Nicht mehr und nicht weniger als die politische Weltherrschaft. Von Gajus Grachus und Sulla begründet, von Cäsar und Augustus ausgebaut, beherrschte das römische Kaisertum die damalige eigentliche Kulturwelt. Die politische Herrschaft war der Sinn der imperialistischen Idee im Altertum.

Und so auch später. Der Universalismus des mittelalterlichen Kaisertums: Was war er anders als der Inbegriff politischer Machtausdehnung – was anders war die Weltpolitik des mittelalterlichen Papsttums mit seiner ungeheuren Machtfülle! Ja, selbst die Politik Napoleons I. war im gewissen Sinne ein Kampf um die Weltherrschaft, oder zum mindesten um die politische Vormachtstellung in der Welt.

Von diesem Imperialismus der Vergangenheit unterscheidet sich die moderne Weltpolitik ganz gewaltig. Und zwar sowohl im Hinblick auf Art und Wesen, wie Triebkräfte. Der Imperialismus alter Zeit war Zäsarismus, d. h. in seiner praktischen Gestaltung abhängig vom persönlichen [258] Willen eines Einzelnen. Der Feldherr, dem das Kriegsglück hold war, schaffte das Imperium, stampfte es aus dem Boden. Jede gewonnene Schlacht bedeutete Vergrösserung des Territoriums – Erweiterung der politischen Macht. Im Sinne der Weltherrschaftsideen jener Zeiten lag es, das Gebiet des eigenen Staates zu vergrössern, sich in den tatsächlichen Besitz des Landes anderer Völker zu setzen............Jahrtausende gellt durch die Welt der Schrei: Vae victis. Und, halten wir fest: Hinter dem allen der starke Wille eines Alexander, Cäsar, Augustus, eines Karl des Grossen, Gregor, eines Napoleon, kurz einer gewaltigen Persönlichkeit.

Wie ganz anders heute! Man versucht zwar auch bei uns, die Weltpolitik Deutschlands als den Willensausdruck Einzelner zu charakterisieren. So richtig es nun ist, dass Kaiser Wilhelm II. im Hinblick auf die aus der veränderten Weltstellung Deutschlands sich ergebenden Konsequenzen dem deutschen Volke ein Führer geworden ist, so falsch wäre es anderseits und bedeutete eine Verkennung der letzten Triebkräfte neudeutscher Geschichte, wenn eben diese veränderte Weltstellung selbst auf ihn zurückgeführt würde. Für sie sind vielmehr ganz andere Faktoren massgebend gewesen, Faktoren, die sich dem bestimmenden Einfluss eines einzelnen entziehen. Denn für Deutschland ist Weltpolitik im wesentlichen Wirtschaftspolitik. Teilhabe an den wirtschaftlichen Möglichkeiten auf dieser Erde, Spielraum und Ellenbogenfreiheit für wirtschaftliche Arbeit, wo immer sie sich lohnend erweist, das ist’s, was als letzte Triebkraft hinter allen unseren weltpolitischen Aufgaben steht.

Weltpolitik und äussere Wirtschaftspolitik lässt sich aber für Deutschland auch noch enger formulieren. Sind wir nämlich darauf angewiesen, die Produkte unseres Gewerbefleisses zu exportieren, um überhaupt die Grundlagen unseres Daseins zu finden, so darf gefordert werden, dass unsere auswärtige Politik in der Schaffung und Erhaltung von Bezugsgebieten für Rohstoffe und Absatzgebieten für unsere Erzeugnisse eine ihrer wesentlichsten Aufgaben erblickt. Solche Politik erfordert hohe Meisterschaft und darf sich messen mit der Kabinettspolitik alten Stils. Denn auch andere Völker, mögen im übrigen Nationalitäten- und Rassenfragen bei manchen unter ihnen in grösserem Masse wirksam sein, als bei uns, sehen sich den gleichen Aufgaben gegenüber, wie wir. Dies gilt besonders von den grossen Mächten, die es bereits zum Abschluss ihrer nationalen Konsolidation gebracht haben.

Denken wir an England, das sogar in viel grösserem Masse als Deutschland mit seiner ganzen wirtschaftlichen Existenz auf den Weltmarkt angewiesen ist. Für Grossbritannien bedeutet die Frage, den Weltmarkt besitzen oder verlieren: Sein oder Nichtsein. Und weil man in England fürchtet, dass das deutsche Volk ihm den Platz an der Sonne streitig machen könnte, eben deshalb jenes Problem, das heute und für absehbare Zeit alle Welt in Atem hält: England-Deutschland.

Oder blicken wir auf die Vereinigten Staaten von Amerika! Es liegt etwas Bewundernswertes in der zähen Energie, mit welcher diese Nation weltwirtschaftliche Expansion nicht nur auf dem amerikanischen Kontinent, über Mittelamerika hinaus bis in die Republiken des südlichen Kontinents, sondern vor allen Dingen auch in Europa und neuerdings in Ostasien mit erstaunlicher Wucht betreibt.

Oder gar Japan! Über Nacht in der Reihe der Grossmächte eingerückt, repräsentiert es ein Volk, das militärisch und politisch, nicht zuletzt auch kolonialpolitisch von zähem Willen und starkem Herrenbewusstsein beseelt ist. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass mit dem Ausgang des russisch-japanischen Krieges in der Geschichte Ostasiens eine neue Ära einsetzt und ein Teil jener Bedeutung, die das Mittelmeer durch Jahrtausende hindurch für die alte Welt hatte, einmal dem Stillen Ozean werden wird. Eine Entwicklung, die wir mit allen ihren Konsequenzen ständig im Auge zu behalten haben.

Von Japan gleitet der Blick zu Russland und dem Panslawismus, der bei der Rassenzähigkeit der slavischen Völker und der stillen Beharrlichkeit gerade russischer Weltpolitik trotz allem, was im letzten Jahrzehnt Osteuropa aufgerüttelt hat – oder vielleicht gerade deswegen – Schritt für Schritt seinen Zielen näher kommt.

Doch nicht allein diese Reiche treffen sich mit ihren wirtschaftlichen Interessen anf dem Weltmarkt. Österreichs Politik auf dem Balkan, Frankreichs Expansion in Nordafrika, Italiens Bestreben, [259] den wirtschaftlichen Einfluss seiner Nachbarländer in den Mittelmeergebieten zu durchkreuzen, das alles erfordert nicht minder die Aufmerksamkeit unserer auswärtigen Politik.

Angesichts so heissen Ringens um den Weltmarkt könnte die Frage entstehen, ob dessen Entwicklungsmöglichkeiten überhaupt ausreichen, um auf ihnen ein Stück Zukunftsbild des eigenen Landes aufzubauen. Es fehlt in Deutschland im Hinblick hierauf nicht an pessimistischen Prophezeihungen. Erst kürzlich hat ein Autor den Zusammenbruch des „industriellen Systems“ in grellen Farben an die Wand gemalt und seine warnende Stimme erhoben. Demgegenüber ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Entwicklungsmöglichkeiten in der Welt noch ganz ungeheure sind, dass vor allem für die Erschliessung landwirtschaftlicher Neuländer noch gewaltiger Spielraum vorhanden ist – und die Sorge, es möchte einmal die objektive Möglichkeit der Ernährung der Völker dieser Erde aufhören, überhaupt nicht diskutierbar ist. Allein Argentinien, das den ganzen Weizenbedarf der Welt decken könnte, ist mit seinem das Deutsche Reich 5 mal übertreffendem Gebiet erst zu ca. 6% unter den Pflug genommen. Kanada, das an Umfang die Vereinigten Staaten von Amerika übertrifft, wird in den grossen Gebieten seines Westens eben erst besiedelt und bietet für absehbare Zeit ein unerschöpfliches Reservoir für den Bezug von agrarischen Erzeugnissen. Auch die Getreideländer im Stromgebiet des Euphrat und Tigris werden für die künftige Versorgung Europas von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein. Ein grosses Weizengebiet ist ferner im Norden Indiens mit Hilfe des genialen englischen Bewässerungssystems, das die Fluten des Indus hunderte von Meilen über bisher trockenen Boden leitet, im Entstehen begriffen. Und das sind nur die grossen Gebiete, denen sich leicht eine ganze Reihe von kleineren anschliessen liessen. Welche Zukunftsmöglichkeiten bietet z. B. allein Sibirien. Kurzum, dass es einmal mit den Nahrungsmitteln zu Ende gehen könnte, ist nicht anzunehmen. So lange aber der Anbau von Nahrungsmitteln sich erweitern und rationalisieren lässt, entsteht immer wieder aufs neue die Grundlage für industrielle Tätigkeit, denn alle noch zu erschliessenden Agrargebiete werden Abnehmer gewerblicher Erzeugnisse sein.

Eines ist freilich zuzugeben, der Kampf auf dem Weltmarkt hat sich verschärft und wird sich weiter verschärfen. Vielleicht darf man auch aus der Geschichte die Lehre ziehen, dass es immer Völker geben wird, die an politischer und wirtschaftlicher Macht die andern überragen. Die Tendenz zum Grossbetrieb mit der Begleiterscheinung des Übergreifens in die Sphäre kleinerer Betriebsformen macht sich nirgends stärker geltend als im Staatenleben. Es ist deshalb auch nicht ausgeschlossen, sogar nicht einmal unwahrscheinlich, dass auch künftig grosse Auseinandersetzungen zwischen den Völkern Platz greifen werden. Warum soll das, was gleichsam als ehernes Gesetz die Menschheit von den Uranfängen bis auf unsere Tage begleitet Hat, der Kampf, aus dem Völkerleben verschwinden. So wünschenswert es vielleicht wäre, wahrscheinlich ist es nicht. Mögen solche Kämpfe in der Form des Waffenganges oder in friedlichem kommerziellen Wettbewerb ausgefochten werden, eines ist sicher: es gilt, beizeiten, das Rüstzeug sicher zu stellen, um gegen alle Möglichkeiten geschützt zu sein. Dass zu diesem Rüstzeug in erster Linie ein schlagfertiges Heer gehört, und eine Flotte, die anzugreifen unter allen Umständen auch mit schweren Verlusten für den Gegner verbunden ist, darf nachgeradezu als die in fester Überzeugung wurzelnde Erkenntnis aller Einsichtigen bezeichnet werden. Ich habe ja schon darauf hingewiesen, dass gerade Deutschland vermöge seiner exponierten Lage wie kaum eine andere Macht darauf Bedacht nehmen muss, seine militärische Macht zu Wasser und zu Lande in steter Bereitschaft zu halten. Denn wenn auch eine gewisse Wahrheit in dem Satze liegt, den vor kurzem ein amerikanischer Staatsmann aussprach, dass für die künftigen Kämpfe der Nationen nicht das Schwert, sondern der Dollar entscheidend sei, so zeigen doch wieder die jüngsten politischen Ereignisse, dass es allein mit finanzieller, kommerzieller und industrieller Tüchtigkeit nicht getan ist, sondern hinter dem Kaufmann der starke Staat stehen muss, der ihm die Möglichkeit friedlichen Wettbewerbs überhaupt erst garantiert.

Es hiesse aber die weltpolitischen Aufgaben Deutschlands völlig verkennen, wenn ihr Schwergewicht allein in der Sicherung unserer militärischen Machtstellung gesucht würde. Auf so einfache Formel lässt sich eine Weltpolitik, die im wesentlichen Weltwirtschaftspolitik ist, heute nicht mehr bringen. Ein gut Teil unserer Rüstung findet z.B. je länger desto mehr seinen Niederschlag in handels- und zollpolitischen Massnahmen, so dass wir beständig darüber zu wachen haben, ob wir mit unserem System der Handels- und Zollpolitik auf dem richtigen Wege sind. Darüber ist an anderer Stelle [260] dieses Handbuchs Näheres zu finden. An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, dass die Probleme einer Reform der Meistbegünstigung, des Veredelungsverkehrs sowie der Reformierung unserer Handelsvertragspolitik überhaupt schon jetzt höchst aktuell geworden sind.

Mit Entschiedenheit sei schliesslich noch darauf hingewiesen, dass diesen grossen politischen Massnahmen sich diejenigen anreihen müssen, deren Lösung von denen erwartet wird, die als Produzent oder Kaufmann selbst im internationalen Wirtschaftsleben tätig sind. Wir haben uns in Deutschland daran gewöhnt, letzten Endes alles vom Staat zu verlangen. So richtig es nun ist, und dies war ja auch der Niederschlag meiner Darlegungen, dass der Staat zu keiner Zeit grössere Aufgaben wirtschaftspolitischer Natur gehabt hat, als gerade jetzt, so kann doch nicht scharf genug betont werden, dass alle Staatstätigkeit immer nur ergänzender Natur sein kann und die Vorbedingung jedes Aufstrebens deutscher Volkswirtschaft die zielbewusste Arbeit der Unternehmer ist. Unsere technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unablässig fortzuentwickeln, ist letzten Endes die einzige Möglichkeit, das Wettrennen im internationalen Wirtschaftsleben zu behaupten.