Wie ich zu meiner Frau kam

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: E. R.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Wie ich zu meiner Frau kam
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 182–183
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[182]

Wie ich zu meiner Frau kam.

Die Eröffnung der großen Gewerbe-Ausstellung hatte mich im Beginn des Frühlings nach der Residenz geführt. Müde vom langen Stehen und Umhergehen, müder noch vom Schauen und Bewundern der zahllosen die mächtigen Culturfortschritte unserer Heimath hekundenden Wunderdinge dieser Ausstellung, kehrte ich eines Nachmittags in meine Wohnung zurück.

Von meinen Freunden hatte ich mich, eine weitere Verabredung für den Abend treffend, verabschiedet und lenkte meine Schritte nun einem der stilleren Stadtviertel zu, in welchem mein Hôtel belegen war. Je seltener die großen Bazars und Schauläden wurden, um so geringer wurde auch das pflastertretende Publicum, wenigstens der Zahl nach. Im Uebrigen erschien es mir besser, das heißt vornehmer, als in dem lauten Treiben des Centrums, weil hier die hohen ernstblickenden Häuser auch meistens von höheren Beamten, von Stabsofficieren oder reichen Privatiers bewohnt wurden.

Vor mir her ging schon eine geraume Zeit eine junge elegant gekleidete Dame, bei einer Biegung der Straße hatte ich einmal flüchtig ihr feines Profil zu sehen bekommen und mich deshalb veranlaßt gefunden, auch dem Knoten des goldblonden, sonnig schimmernden Haares mit dem dunklen englischen Hütchen darüber, sowie der ganzen zierlich graziösen Gestalt des noch sehr jugendlichen Mädchens größere Aufmerksamkeit zu schenken.

Plötzlich stockte ihr Fuß; sie wandte sich halb, zögerte noch einen Augenblick und schritt dann hastig mir entgegen, an mir vorüber und den Weg zurück, den sie eben gekommen war. Vor uns, nicht gar weit, kam ein Officier mit einer Dame am Arme daher, eifrig plaudernd und lachend; sollten die meine holde Unbekannte so erschreckt haben? Ein plötzliches Interesse regte sich in mir; ich wollte Aufschluß über ihr sonderbares Benehmen haben, machte daher schleunigst Kehrt, folgte und hielt mich dann nur wenige Schritte hinter ihr.

Da sah ich, wie sie die kleine zusammengeballte Hand heftig auf’s Herz drückte und mit Thränen in den Augen in halb traurigem, halb zornigem Ausdruck etwas vor sich hin murmelte, das meine aufgeregte Phantasie sich in die Worte ausspann:

„O du thörichtes Herz, warum bist du nicht still: weshalb stieg mir das Blut in die Wangen und zwang mich zur Umkehr, wenn ich mich nicht verrathen wollte?“

Mich rührte unbewußt dies kindliche Gebahren, und mich beschlich ein Gefühl von Eifersucht gegen jenen Officier, den ich ja unwillkürlich mit dem jungen Mädchen bereits in Verbindung gebracht hatte. Hätte ich sie nur anreden dürfen, aber das konnte ich mir nicht erlauben, gehörte sie doch unzweifelhaft den ersten Kreisen der Gesellschaft an, und nichts lag mir ferner als eine Beleidigung. Doch der Zufall war mir günstig.

Ein kleines Paket, das sie bisher getragen, entglitt ihrem Arm, ohne daß sie es bemerkte: schnell hob ich es auf und gab es mit ein paar höflichen Worten der Eigenthümerin zurück. Sie maß mich mit einem erstaunten etwas hochmüthigen Blick, als ich länger, wie wohl gerade nöthig war, vor ihr stehen blieb. Ihre großen blauen Kinderaugen schwammen noch in Thränen, das feine Gesicht war tief blaß.

„Ich danke,“ sagte sie kurz, das Paket aus meiner Hand nehmend.

So schnell ließ ich mich aber nicht abweisen.

„Sie sind nicht wohl, mein gnädiges Fräulein,“ sagte ich. „Wollen Sie nicht meine Dienste annehmen?“

Etwas in meiner Stimme, vielleicht auch meine ruhige respectvolle Haltung schien ihr Vertrauen einzuflößen. Sie sah mich mit den thränenumflorten Augen noch etwas verwundert an, sagte dann aber minder herb als vorhin:

„Sie sind sehr freundlich, mein Herr, ich möchte wohl eine Droschke haben.“

Ich verbeugte mich und, während sie an einem Blumenladen stehen blieb, eilte ich die Straße hinunter und hatte bald einen leeren Fiaker gefunden, in welchem ich triumphirend und mit einem leisen Gefühl der Erwartung, was nun geschehen werde, zu meiner kleinen Unbekannten zurückfuhr. Sie hatte inzwischen ihre Fassung wiedergewonnen, nur ihre Hand zitterte noch, als sie sich beim Einsteigen in den Wagen leicht auf meine dargebotene Rechte stützte, auch fühlte sie sich durch den Handschuh eiskalt an.

„Ihre Wohnung?“ fragte ich.

Sie nannte eine der elegantesten Straßen im Westende, und wie ich dem Kutscher die Adresse zurief, wußte ich auch, daß ich dieselbe sicher nicht vergessen würde. Ich schloß den Wagenschlag, da beugte sie ihr schönes Köpfchen in das offene Fenster und dankte mir für meine Dienste, sie sprach aber so befangen, und in der Verwirrung färbten sich die blassen Wangen mit einem zarten Roth, sodaß sie noch um Vieles reizender aussah als vorhin.

„Darf ich morgen kommen und mich nach Ihrem Befinden erkundigen?“ wagte ich zu fragen, das schien sie aber nicht erwartet zu haben; sie zögerte mit der Antwort, und das Roth ihrer Wangen verdunkelte sich.

„Hü!“ machte der Kutscher in demselben Augenblicke; der Gaul zog an, und während ich mit einer Verbeugung auf das Trottoir zurücktrat, rumpelte der Einspänner schon die Straße hinunter.

Wie im Traume schritt ich hinterdrein meinem Hôtel zu. Ich mußte mich selbst belächeln; dieser Eifer, dies Interesse für eine mir völlig unbekannte Dame – waren an mir doch im Leben schon häufig schönere, blendendere Erscheinungen vorüber gegangen als dies kindlich schüchterne Mädchen, ohne daß ich mich sonderlich um sie gekümmert hätte. Ich wurde mir selbst zum Räthsel, faßte aber den festen Entschluß, morgen Näheres über diese Straßenbekanntschaft zu ermitteln. – –

Einige Stunden später saß ich mit einer Anzahl guter Bekannter in einem der ersten Restaurants unter den Linden. Der Verkehr war lebhaft, auch Damen sah man häufig, aber nur in Begleitung von Herren, dort aus- und eingehen. In der Nähe unseres Tisches, an dem es bald lustig genug, wenn auch nicht übermaßig laut, herging, saß eine größere Gesellschaft, gleich uns heiter und lebhaft. Einige dazwischen befindliche junge niedliche Mädchengesichter fesselten mich flüchtig: unwillkürlich hatte ich mich nach einer Unbekannten umgeschaut: dann aber – ja wahrhaftig, das war er, dort neben der kleinen koketten Blondine mit dem verführerischen Stumpfnäschen und dem auffallenden weißen Filzhut – der Officier aus der Lützower Straße, derselbe, vor dem meine kleine Freundin die Flucht ergriffen hatte; denn obschon ohne jeden Anhalt und jede Begründung – da uns ja noch mehr Menschen auf jener Straße begegnet waren – konnt’ ich’s nicht lassen, den stattlichen, auffallend hübschen, aber auch unendlich blasirt und siegesgewiß blickenden Infanterielieutenant mit ihr in Verbindung zu bringen.

„Wer ist jener große blasse Officier?“ fragte ich meinen Freund Erich.

„Wo?“

Ich wies ihm die Richtung. „Der dort mit dem schwarzen Vollbart neben dem blonden Dämchen.“

„Der?“ lachte er, „der neugebackene Bräutigam, der schöne Paumwolf? Du mußt ihn kennen, dächte ich.“

[183] „Nein, nein, aber was ist’s mit ihm? erzähle nur,“ forschte ich.

„Nun. weiter nichts, als daß ihn – mit einiger Mühe allerdings – jene Blonde aud Lebenszeit gekapert hat, nachdem er circa neunundneunzig andere denselben günstigen Erfolg hatte träumen lassen. Mir ist wahrhaftig nie so etwas von Courschneiden bei solch elegischer Ruhe vorgekommen! Aber hatte der Mensch ein Glück! Junge Damen mit und ohne Stammbaum, mit und ohne Geldsack beugten sich nach der ersten halben Stunde, in der er sich ihnen gewidmet, vor seiner Unwiderstehlichkeit, und die Alten machten’s nicht anders. Manche freilich behaupten auch, hinter jener titanenhaften Stirn verberge sich nichts, als ein unabsehbares Kornfeld – aber ein ausgedroschenes!“

Ich hatte, während Erich plauderte, besagten Paumwolf nicht aus den Augen gelassen. Sein blasses, von lockigem Bart und Haar eingerahmtes Gesicht erinnerte in der That an den Zeus von Otricoli; mir war er im höchsten Grade zuwider.

„Es werden neulich genug Thränen aus schönen Augen geflossen sein, wie seine Verlobung mit Fräulein Josepha Maier in den Zeitungen stand.“

„Maier?“ fragte ich unwillkürlich.

„Ja, ja,“ lachte Freund Erich, „schlechtweg Maier, mit ai, dazu ziemlich bornirt, aber leidlich hübsch und kolossal reich natürlich, und da Fräulein Josepha, Gottlob! nicht jüdisch aussieht, kann es Paumwolf ja auch gleich sein, daß sein Schwiegervater in spe ein ehemaliger Tuchhändler aus Frankfurt am Main ist.“

Die Unterhaltung, einmal auf den schönen Paumwolf gebracht, wollte nicht so bald von dem Gegenstande wieder ahlassen. Drüben an der anderen Seite unseres Tisches flüsterten sie noch von ihm und einer sagte:

„Es ist mir nur unbegreiflich, daß er nicht lieber die kleine Gerdshof genommen hat, die er in letzter Zeit so poussirte; in dem Mädchen steckt doch ein ganz anderer Fonds, als in der Maier, und die schien ja bis über die Ohren in ihn verliebt zu sein.“

„Ja, aber de Moneten – de Moneten!“ spöttelte ein Anderer.

„Na, jedenfalls ist diese auch blond, impertinent blond sogar,“ meinte ein Dritter.

Ich wurde plötzlich von einer Idee erfaßt.

„Wo wohnt Fräulein Gerdshof?“ fragte ich Erich.

Er sah mich einen Moment sprachlos an; dann lachte er laut auf.

„Du bist köstlich heute Abend mit Deinen abrupten Fragen. Ueberdies heißt sie von Gerdshof, alter märkischer Adel: ihr Vater ist pensionirter General. Wo sie wohnt, weiß ich nicht; wolltest Du sie über Paumwolf trösten, mein alter Junge?“

Ich schleuderte ihm einen wüthenden Blick zu. Ein junger Assessor, der mit an unserem Tische saß und unseren Dialog gehört zu haben schien, rief mir zu:

„Ich kan Ihnen die Adresse sagen, Baron: Kurprinzen-Straße 35.“

Hollah! das war richtig die Wohnung meiner Unbekannten; ich fühlte, wie mir alles Blut nach dem Herzen drängte, dankte für die Auskunft und griff dann nach Hut und Stock, um, ohne mich an die Stichelreden der Zurückbleibenden zu kehren, das Local zu verlassen und ohne Zweck und Ziel durch die mondhellen Straßen zu schlendern.

Wie ich dann nach langem Hin- und Herirren vor das bewußte Haus in der Kurprinzen-Straße gelangte, weiß ich selber nicht. Ich trat auf die gegenüberliegende Seite der Straße und sah das Haus im hellen Mondlicht vor mir liegen. Aus knospenden Gärten ragte die zierliche Villa mit dem antiken weinumrankten Säulenaltan hervor, wie das Zauberschloß im Märchen. Und die kleine Fee, die drinnen waltete? Wachte sie etwa noch hinter den einzigen noch erleuchteten Fenstern der Giebelwand und härmte sich um den ungetreuen Paumwolf? Mitleid, Zorn und – ja, ich will’s gestehen – brennende Eifersucht im Herzen, kehrte ich endlich heim in mein stilles Logis.

Nach einer ziemlich schlaflos verbrachten Nacht und ein paar unruhvollen, ungemüthlichen Morgenstunden befand ich mich zur Visitenzeit richtig in der Kurprinzen-Straße. Nun war ich auf der Treppe. O, das Herzklopfen, die seltsam beklemmende Angst, die ich empfand! Wilder hatte mein Herz nicht gepocht, als mir vor einer Reihe von Jahren der erste Kugelregen um die Ohren pfiff. Auf meinem einsamen alten Familiensitz Bärwalde in der Mark waren die letzten Jahre so still und gleichförmig an mir vorüber gegangen, hatten ernste Studien und die Verwerthung meiner auf früheren weiten Reisen erworbenen Kenntnisse mich so ausschließlich beschäftigt, daß die Etiquette der großen Welt mir fremd und unbequem geworden war. Und doch war’s nicht Schüchternheit allein, was mein Blut so in Wallung brachte, was mich mit fast zärtlichem Interesse das zierliche Messingschild mit dem eingravirten Namen „von Gerdshof“ betrachten ließ. Ei was! Frisch drauf los, die Klingel gezogen! In’s Feuer!

Ein alter, sauber gekleideter Diener in Livrée öffnete mir, und auf meine Anfrage, ob die Herrschaft zu sprechen sei, ging er mit dem üblichen „ich will nachsehen“ und meiner Visitenkarte in’s Zimmer, kam aber bald zurück und öffnete mir die hohe Flügelthür links vom Eingang. Sein Bescheid, es wäre der gnädigen Herrschaft sehr angenehm, klang mir ordentlich beruhigend in’s Gemüth.

Drinnen im elegant möblirten Salon empfing mich der General, ein alter, würdiger Herr mit straffer militärischer Haltung, einem martialischen, aber nicht unfreundlichen Gesicht und stattlichem grauem Bart, aus dem das breite Kinn sorgsam herausrasirt war.

Nachdem ich ihm meine Freude ausgedrückt, seiner Tochter behilflich gewesen zu sein, und er mir für den geleisteten Ritterdienst gedankt – er schien von Allem unterrichtet zu sein und mich gewissermaßen erwartet zu haben – kamen wir von den obligaten Höflichkeitsformeln in ein angeregtes Gespräch, das sich auf alle möglichen Gebiete ausdehnte. Die Zeit verging mir wie im Fluge, fast eine Stunde hatte ich so mit dem liebenswürdigen alten Herrn geplaudert – freilich, ohne daß Fräulein Eveline erschien. Als aber der General beim Abschiede sagte, er hoffe mich während meines Aufenthalles in der Residenz öfter in seinem Hause zu sehen, konnte ich nicht umhin, ihm voll inniger Dankbarkeit die Hand zu drücken. Nicht lange darnach erhielt ich eine zierlich geschriebene Karte – entschieden eine Damenhandschrift – der zufolge Herr General von Gerdshof sich die Ehre gab, Herrn Baron von *** zum Diner einzuladen. Ich mußte mir gestehen, daß ich nie mit ähnlicher Freude eine Einladung empfangen hatte. Was war die Aufregung und Erwartung vor dem ersten Hofballe gegen dies ungestüme Herzklopfen, mit welchem ich am bestimmten Tage die Festräume betrat! Eine zahlreiche Gesellschaft war bereits versammelt; manche der anwesenden Personen war mir bekannt, ja befreundet, sodaß ich mich bald im besten Wohlbehagen befand. Und die Tochter des Hauses? Dort stand Eveline zwischen ihren Freundinnen, ihre anmuthige Gestalt bewegte sich mit bezaubernder Grazie unter den Gästen, denn sie mußte jener ältlichen, etwas klösterlich blickenden Dame helfen, die Honneurs des Hauses zu machen – die Generalin war schon vor vielen Jahren gestorben – und ich bewunderte den Tact und die Sicherheit, womit sie trotz ihrer Jugend ihren Pflichten als Wirthin so reizend nachzukommen wußte. Bald fragte sie hier einen alten Herrn nach dem Befinden seiner kranken Gemahlin, flüsterte dort einer jungen Dame etwas Angenehmes zu über ihre geschmackvolle Toilette, oder speiste einen allzu galanten Kavalier mit einem spöttischen Blicke, einer abweisenden Entgegnung ab. Mit Jedem und Jeder wußte sie den rechten Ton zu treffen; von Allen wurde sie umschwärmt; Alles schaarte sich um sie, die wie eine Erscheinung aus dem Märchen zwischen gedrechselten Modebildern umher ging. Und doch lag auf Augenblicke, wenn sie sich unbeachtet glaubte, ein schwermüthiger Ausdruck in ihren Veilchenaugen, der zu dem verbindlichen Lächeln des kleinen Mundes nicht stimmen wollte.

Endlich wurde das Zeichen zum Beginne der Tafelfreuden gegeben. Eveline legte ihre Fingerspitzen auf den Arm eines langen blonden Rittmeisters, eines Vetters des Hauses. Mir ward eine nicht mehr in erster Jugendblüthe stehende Komtesse Soundso zu Theil – zu meinem großen Verdrusse, muß ich hinzusetzen, hatte ich im Stillen doch gehofft, Evelinens blondes Engelköpfchen an meiner Seite zu sehen; mit gewiß nicht sehr liebenswürdiger Miene bot ich der Gräfin den Arm und führte sie zu den uns bestimmten Plätzen. Meine Nachbarin, eine sonst gewiß sehr schätzenswerthe Dame, brachte mich mit ihrer Redseligkeit schier zur Verzweiflung, und während sie – noch vor der Suppe – nach meiner letzten Reise in den Orient forschte, von etwaigen neuen Werken etwas hören wollte, schweifte mein Blick achtlos an der Fragestellerin vorüber und suchte vergebens Eveline. Hatte ich doch vorhin noch kein Sterbenswörtchen mit ihr sprechen können, nur zugenickt hatte sie mir aus einiger Entfernung und ganz lieb und vertraut, wie einem alten Bekannten.

Da fühlte ich leise meinen linken Arm berührt, und eine ach nur zu bekannte Stimme fragte schüchtern und neckisch zugleich:

„Kennt denn der Herr seine Schutzbefohlene nicht mehr?“

Ich fuhr mit dem Kopfe herum: ja wahrhaftig, da saß Eveline schon seit fünf Minuten neben mir, ohne daß ich sie bemerkt hatte, und sowohl meine Nachbarin, die Comtesse B., wie Evelinens Tischherr, der Vetter von der Garde, mochten nun sehen, wie sie sich die vier bis fünf Stunden des Diners über unterhielten: wir Beide kümmerten uns perfider Weise wenig um sie. Was wir uns Alles zu sagen hatten, mein Gott, wer kann das noch wissen! Ich aber war ganz glücklich, während der ganzen Zeit nicht einmal jenen schwermüthigen Ausdruck in ihren Augen zu entdecken, der mich vorhin erschreckt hatte. O, wenn es mir gelänge, sie Paumwolf vergessen zu machen! In diesen einen demüthig stolzen Gedanken concentrirte sich all mein Sinnen und Trachten. Mit Entzücken bemerkte ich, wie ihre Augen andächtig an meinen Lippen hingen, als ich ihr von meinen weiten Reisen, dem ruhelosen Umherwandern von einem fernen Land in’s andere erzählte. und als ich von meinem lieben düsteren Bärwalde sprach, mit seinen dunklen Föhren und schilfbewachsenen Teichen, von meiner großen Bibliothek und dem schönen Concertflügel, den ich manchmal sogar den Händen meines Inspectors anvertraute, nur um die begleitende Stimme für mein geliebtes Cello zu haben – sie, Fräulein Eveline, spiele gewiß auch Clavier, und sicher viel besser als mein Inspector – da überzog ein nachdenkliches Lächeln ihr süßes liebes Gesicht. Sie liebe die Musik gleichfalls sehr, antwortete sie mir, und es würde ihr Freude machen, mich einmal beim Cellospiel zu accompagniren.

„Das müßten Sie aber in Bärwalde thun!“ rief ich feurig.

Da senkte sie ihre Veilchenaugen, und dunkles Roth färbte die lieblichen Wangen. – –

Acht Tage darauf war Eveline meine Braut! Was kümmerten mich alle Paumwolfs der ganzen Welt!

Gleich in den ersten Tagen nach unserer Verlobung begegneten wir dem Brautpaar Maier-Paumwolf auf der Straße.

„Wollen wir auch wieder umkehren, Evi?“ fragte ich scherzend, konnte mich aber doch eines leisen Gefühls von Bangigkeit nicht erwehren. Sie wurde einen Augenblick ganz ernst; dann schmiegte sie sich fester an mich, sah mich mit ihren unschuldigen Kinderaugen an:

„Du weißt ja, das liegt hinter mir,“ sagte sie sanft.

Ich drückte ihren Arm fester an mich.

„O Evi, meine süße kleine Evi!“

Ich war so glücklich, so stolz, daß selbst die dreiste Neugier, mit der Lieutenant Paumwolf uns beim Vorübergehen musterte, mich nicht irritiren konnte.

Jetzt leben wir Beide schon manches Jahr auf unserm stillen Bärwalde, wo die Sonne erst aufgegangen ist, seit Evi’s Blondkopf durch Haus und Garten lacht. Die schönsten Stunden in unserm glücklichen Leben sind aber doch die, wenn wir nach des Tages mancherlei Last und Mühen traulich beisammen sitzen und die Töne des Claviers und Cellos vereint durch die stille Abendluft klingen lassen. E. R.