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Wilhelm Löhes Leben (Band 3)/Paramentik

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« Das Magdalenium Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 3)
Am Schluß des ersten Jahrzehnts. Rückblick und Vorausblick »
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Paramentik.


 Zur Diakonissenbildung, wie zur weiblichen Bildung überhaupt, rechnete Löhe auch die Pflege des Schönheitssinns und weiblicher Kunstfertigkeit, als deren würdigstes Ziel ihm die Arbeit für den Schmuck des Heiligtums galt. Schon frühzeitig wurde daher ein Unterricht über den Kirchenschmuck in den Lehrplan der Diakonissenschule eingefügt, und im Jahre 1858 ein Paramentenverein gegründet. „Nichts ist eitler – sagt Löhe in seinem Bericht hierüber – als die gewöhnlichen, sog. feineren weiblichen Arbeiten. Wer jemals Arbeiten der früheren Zeit gesehen hat, der kann gar nicht einen Augenblick anstehen und zweifeln, welcher Zeit er die Palme zu reichen hat, ob der alten oder der neuen. Die alte Zeit wurde aber insonderheit auch dadurch zu der Höhe ihrer Leistung gehoben, weil man höhere Ziele für die weibliche Handarbeit hatte als den puren Schmuck des eignen Leibes. Die Frauen arbeiteten für die Kirchen und ihre heiligen Orte. Es gab daher eine heilige Kunst für Frauen und durch sie ein Mittel, den Schönheitssinn auf andrem Wege auszubilden als auf dem der Eitelkeit und Kleiderhoffahrt.“ Da es an künstlerisch beanlagten Schwestern nicht fehlte, so konnte der neugestiftete Verein bald Früchte seiner Thätigkeit vorlegen. Durch fleißiges Studium und fortgesetzte Übung, sonderlich auch durch den anregenden Einfluß, der von dem begabten Künstler Beck in Herrnhut ausging, hob sich die Kunstfertigkeit der Schwestern allmählich zu der Stufe der Vollendung, die sie gegenwärtig behauptet, und um derentwillen ihre Leistungen allenthalben verdiente Anerkennung finden.

 Löhe hat sich durch seine Anregung und Förderung der Paramentensache ein großes Verdienst um Wiedererweckung des Sinnes für kirchliches Decorum auch in diesen äußern Dingen erworben und kräftig dazu beigetragen, der weitverbreiteten rohen Geschmack- und Formlosigkeit auf diesem Gebiet, die wol gar noch hie und da| als Kennzeichen wahrer Geistigkeit des protestantischen Kultus ausgegeben wird, ein Ende zu machen.

 Es kann nicht wunder nehmen, daß auch diese Bestrebungen Löhes dem Vorwurf des Romanisierens nicht entgingen. Aber es darf wol gesagt werden: daß von einer ritualistischen Nachäffung und unvermittelten Herübernahme fremdkirchlicher Formen niemand freier war wie er. Was er andern Kirchengemeinschaften entlehnte, sollte der eigenen nicht äußerlich angeklebt, sondern umgebildet sein in – ja wiedergeboren sein aus – dem Geist der lutherischen Kirche. „Die uralte Weisheit, Schicklichkeit und Schönheit muß gereinigt und gesäubert auch in unsre Kirchen einziehen. Es muß nur alles mit reformatorischem Sinn studiert und liegen gelassen werden, was dem Dogma der reformatorischen Kirchen widerspricht,“ sagt er in seinem Evangelischen Geistlichen II, 216 ff. und was er unter „reformatorischem Studium“ verstand, das hat er ebendort in der lehrreichen Abhandlung von dem Unterschied des protestantischen und des römischen Taufsteins gezeigt. Wie die Liturgie nichts anderes ist als der plastische Ausdruck des Bekenntnisses, so ist auch das gesamte Paramentenwesen von der Ausgestaltung des liturgischen Lebens und wie dieses von dem Bekenntnis der Kirche abhängig. „Alle christliche Paramentik – sagt Löhe – und so auch die lutherische, gründet ganz und gar im Sakrament des Altars. Das Sakrament ist die Fülle und das gesamte Paramentenwesen ist die Hülle; je reicher das sakramentliche Leben ist, desto berechtigter ist die Paramentik. Ohne sakramentliches Leben ist Paramentenarbeit ein purer Schellenklang, hohl und nichtig. Was sollen z. B. Paramente für eine schweizerisch reformierte Kirche? Alles Paramentenwesen sollte aus einem Aufschwung sakramentlichen Lebens und Segens hervorgehen.“

 Diese Stelle mag zeigen, wie Löhes Freude an würdiger Zier des Hauses Gottes nicht einem pur ästhetischen Wohlgefallen an| der schönen Form entsprang, sondern in welch tiefem und innigem Zusammenhang ihm die Liebe zum Schönen mit Religion und Frömmigkeit[1] stand. All diese Kunstfertigkeit und Kunstübung des Diakonissenhauses sollte nichts sein als „ein Nardenopfer auf des HErrn Füße gegossen“. Er wußte auch in diese kleinen und äußerlichen Dinge Gedanken zu legen, durch welche sie ihm Sinnbilder der Geheimnisse einer höheren Welt wurden. Wir heben als Beispiel eine Stelle aus einer Osterbetrachtung aus.
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 „Einen wohlbereiteten Altar bei der Feier des heil. Abendmahls zu sehen – sagt er da – hat für mich immer etwas Liebliches und Rührendes. Ein solcher Altar hat etwas Österliches, und so wenig er manchen an ein Grab erinnern wird, so gewiß soll er es dennoch thun. Denn es liegen auf ihm die weißen, leinenen Tücher, vor allem das oberste, das Corporale, zum Andenken an die Grabtücher Jesu.“ Und auf den selbstgemachten Einwurf, ob dergleichen Gedanken für eine österliche Betrachtung nicht zu gering seien, antwortet er: „Lies die Erzählung der Ostergeschichte Joh. 20, 5–8, so wirst du dich überzeugen, daß von den Grabtüchern, ja von dem Schweißtuch Jesu die Rede ist – daß also der heilige Geist und die heil. Schriftsteller ein Auge für alles, auch das scheinbar Kleine, auch für Grabtücher und ein Schweißtuch hatten selbst am Ostertag. – Die Altartücher nun sind Symbole der Grabtücher, in denen Jesu Leichnam lag, aus welchen der Leib seiner Verklärung hervorging. Aber sie sind mehr als Symbole. Wie aus jenen Tüchern Sein Leib herausgenommen wurde, um dann auf den Thron des ewigen Vaters erhoben zu werden, so wird dir von jenen Tüchern der Leib des verklärten Jesus, dein Osterlamm, beim Sakramente genommen und gegeben.| Nicht leere Gräber sind es, wohin wir ziehen, wir suchen und finden, genießen und erfahren den Auferstandenen bei den Altären und den aufgedeckten Symbolen Seiner Grabetücher. Sie sind uns Wahrzeichen der (sakramentlichen) Gegenwart des Auferstandenen bei den Seinen.“
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 Im Jahre 1867 gelang es Löhe, einen Paramententag in Neuendettelsau zu Stande zu bringen, der auch von dem niedersächsischen Paramentenverein beschickt wurde und mit welchem auch eine in der That nicht blos sehenswerte, sondern lehrreiche Paramentenausstellung verbunden war. Die Absicht war, eine gegenseitige Verständigung über mancherlei noch ungelöste Fragen auf dem Gebiet des Paramentenwesens zu erreichen und wo möglich ein gemeinsames Handeln beider Vereine nach einheitlichen Grundsätzen herbeizuführen, eine Absicht, die auch glücklich erreicht wurde. Beide Vereine beschlossen, in Zukunft alle Paramente nur in den kirchlichen Farben, Formen und Stoffen herzustellen und Bestellungen abzulehnen, wenn die Auftraggeber auf Bestimmungen beständen, die den kirchlichen Grundsätzen zuwiderliefen. Auch sonst wurde noch eine Anzahl wichtiger leitender Gesichtspunkte für das Paramentenwesen aufgestellt, worauf hier indes nicht der Ort ist näher einzugehen. Nur im Vorbeigehen sei bemerkt, daß Löhe bei der Frage, ob auch der Chorrock in den Bereich der lutherischen Paramentik zu ziehen sei, (in der römischen Kirche ist bekanntlich die Herstellung priesterlicher Gewänder ein Hauptzweig der Paramententhätigkeit) sein Mißfallen an diesem „profanen Kleid des 16. Jahrhunderts“ und die Hoffnung aussprach, daß die lutherische Kirche, wenn ihr einmal auf diesem Gebiet die Freiheit des Handelns wiedergegeben sei, zur alten Stola zurückgreifen werde. Diese habe früher – woran ja der Ausdruck „Stolgebühren“ noch heute erinnere – das auszeichnende Kleid des Geistlichen bei seinen amtlichen Verrichtungen gebildet und sei in ihrer ursprünglichen| Gestalt ein lang herabwallendes Kleid mit langen Ärmeln gewesen, welches in der Regel durch einen ungefähr handbreiten Gold- oder Purpurstreifen verziert und durch einen Gürtel dem Körper nahe gelegt wurde.[2]
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 Eine andere Anregung, die Löhe auf diesem Paramententag gab, führte er selbst bald hernach der Verwirklichung zu. Schon lange hatte er sein Augenmerk auf die Herstellung eines heil. Gefäßes gerichtet, das zur Speisung der Communicanten mit den gesegneten Broten dienen und ein würdigeres Seitenstück zu dem Kelch bilden sollte als die gar zu unbedeutend neben demselben sich ausnehmende Patene oder die allzusehr an ähnliche Gefäße des profanen Lebens erinnernden Hostiendosen oder Teller. Es bot sich dazu das alte Ciborium als Vorbild dar. Nach Löhes ansprechender Idee sollten sich Ciborium und Kelch entsprechen „wie die zwei parallelen Glieder eines Psalmverses“ und durch die angestrebte Gleichheit bei notwendiger Verschiedenheit beider Gefäße das „schriftmäßige Abendmahl unter beiden Gestalten“ auch dem Auge dargestellt werden. Demgemäß sollte der Bau des Ciboriums von der Schale an abwärts bis zum Fuß ganz dem des Kelchs entsprechend sein, die Schale selbst nach oben einwärts sich verengen, in der Mitte des Bodens aber eine Erhöhung (einen Berg) haben, um die Hostien stehend an einander reihen zu können, und das Ganze mit einem pyramidalen oder konischen Deckel, der sich leicht abnehmen ließe, überdacht werden. Einem Meister des Kunsthandwerks, dem Ciseleur Louis Scheele in Leipzig, gelang es, diese Idee Löhes in mustergültiger Weise auszuführen. Seitdem besitzt der Altar der Diakonissenkapelle wie der der Pfarrkirche von Neuendettelsau neben dem aus der gleichen Kunstwerkstatt hervorgegangenen prächtigen Kelch sein nicht minder prächtiges Ciborium.| Allerdings scheint Löhes Vorgang bis daher wenig Nachfolge gefunden zu haben, trotz des Beifalls, den auch Sachverständige wie P. Meurer (in seinem Buch: Der Kirchenbau vom Standpunkt und nach dem Brauch der lutherischen Kirche S. 246) seiner Idee und deren Ausführung gespendet haben.

 Auch sonst vermochte Löhe vermöge seiner ganzen Art konkreten, nicht in Begriffen, sondern in Anschauungen sich bewegenden Denkens den Paramentenschwestern manche künstlerische Idee an die Hand zu geben. Es mag hiebei bemerkt werden, daß er ein Freund des Symbols in der Paramentik war und auch außerbiblische Symbole nicht verschmähte. So ließ er z. B. den aus seiner Asche sich verjüngenden Phönix auf einem Antependium des Altars in dem Diakonissenfilial Polsingen darstellen, oder anderwärts den Pelikan, der seine Jungen mit seinem eignen Blute tränkt. Auch Darstellungen aus dem Leben der Gottesmutter etc. wollte Löhe aus dem Bereich protestantischer Paramentenkunst nicht ausgeschlossen wissen; letztere – meinte er – sei bisher allzu ausschließlich generis masculini gewesen etc.

 Das Gesagte mag genügen, zu zeigen, wie auch nach dieser Seite hin reiche Anregung von Löhe ausgieng, die – sei es auch auf einem verhältnismäßig untergeordneten Gebiet – der lutherischen Kirche zu gute kommen sollte. Nur eins mag noch anhangsweise erwähnt werden, was zwar streng genommen nicht in diesen Abschnitt gehört, für dessen Erwähnung aber am Ende doch hier der schicklichste Ort ist: die Fürsorge, die er für richtige Herstellung der Abendmahlsbrote trug und tragen ließ. Ihm war die Fahrlässigkeit so mancher Geistlichen, die ihren Bedarf an Hostien aus Conditoreien beziehen, ungewiß ob, ja trotz der Wahrscheinlichkeit, daß sie dort statt wirklicher Waizenbrote Oblaten aus Kartoffelstärkemehl bekommen, eine bedenkliche Sache, trotzdem daß lutherische Casuisten, allerdings nicht von den hervorragendsten, in Ermanglung| von Brot auch Surrogate, z. B. die Frucht des Brotbaums für zulässig erklärt haben. Die Ehrerbietung vor dem Sakrament, der Gehorsam gegen den Stifter des Sakraments, die Pflicht der Kirche zu sorgen, daß keinem Gläubigen von daher irgend ein Bedenken oder eine Anfechtung erwachse, schien ihm zu fordern, daß die lutherische Kirche, sonderlich im gegenwärtigen Zeitalter der Surrogate und Nahrungsmittelverfälschungen, es mit der Zubereitung der irdischen Elemente, der Frage nach ihrer Echtheit oder Unechtheit, genauer und gewissenhafter nehme als bisher und auch ihrerseits strikte an der alten Regel festhalte: panem de tritico, vinum de vite. Im Diakonissenhause, welches schon frühzeitig eine eigene Hostienbäckerei besaß, wurde auf die Herstellung der Abendmahlsbrote die größte Sorgfalt verwendet und die Bereitung der Abendmahlsbrote – ein Werk, dessen sich in alter Zeit Kaiserinen und Königinen nicht schämten, als ein heiliges Geschäft betrachtet.





  1. „Nicht blos der Schönheitssinn, sondern die Frömmigkeit selber – sagt er im Evangelischen Geistlichen – muß gegen alles allzu geringe, unwürdige oder gar abgeschmackte Geräte protestieren.“
  2. Er selbst wollte, wie Spener, nicht im schwarzen Chorrock, sondern im weißen Sterbekleide ins Grab gelegt sein.


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