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Wilhelm Löhes Leben (Band 3)/Das Magdalenium

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Wilhelm Löhes Leben (Band 3)
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Das Magdalenium.


 Vereinzelte Gefallene weiblichen Geschlechts waren dem Diakonissenhause von Anfang an zur geistlichen Pflege übergeben worden. Erst lebten dieselben mit den Bewohnerinen des Diakonissenhauses zusammen, obwol immer unter besondrer Aufsicht einer Schwester. Man glaubte, durch die Einfügung in ein Haus voll geistlich gesünderer Menschen, die mit erbarmungsvollem Mitleid auf diese Gesunkenen ihres Geschlechtes sahen, und durch den Einfluß des Geistes der Gemeinschaft, dem sie sich nicht entziehen konnten, werde der sittliche Heilungsproceß wirksamer und gründlicher bewerkstelligt werden als durch gesonderte Führung und Internierung derselben in einer eigenen Anstalt. Man hatte den Versuch auch nie zu bereuen, durfte vielmehr, so lange es sich nur um vereinzelte Fälle handelte, von diesem Verfahren guten Erfolg sehen. Als aber die Zahl der Magdalenen sich mehrte, erkannte man, daß nun eine anstaltsmäßige Führung geboten sei. Die auch so noch mögliche Verbindung mit dem Diakonissenhause und den übrigen hiesigen Anstalten, die Teilnahme an dem Leben, sonderlich dem gottesdienstlichen und sakramentlichen Leben einer größeren Gemeinschaft war und ist ohne Zweifel ein Vorzug, den das Neuendettelsauer Magdalenium vor andern größeren, aber isolierten Anstalten dieser Art voraus hat. Durch die Beihilfe edler Frauen aus den höchsten Ständen wurde Löhe in den Stand gesetzt, ein Haus für Magdalenen zu bauen, welches am 23. Juni 1865 eingeweiht| geweiht und bezogen wurde. Nur ungern adoptierte man den für dergleichen Anstalten einmal herkömmlichen Namen „Magdalenium“. Löhe erachtete die Tradition, welche die große Sünderin Luc. 7 mit der Luc. 8 zum erstenmale genannten Jüngerin Jesu Maria Magdalena für Eine Person hält, als gänzlich unbegründet. Es sei ein eigentümliches Loos, – meinte er – das dieser Freundin Jesu zu teil geworden sei, daß sie, obwol ein sittlicher Flecken an ihrem Leben nicht nachweisbar sei, doch nunmehr „im weitesten Kreise als Herzogin und Patronin derjenigen Frauenspersonen gelte, die nach einem Leben in Sünden wider das sechste Gebot zur Reue und zum Glauben gekommen sind, ja daß man diejenigen, welche nach einem sündenvollen Leben in Besserungsanstalten gebracht werden, Magdalenen heiße, sogar noch ehe sie nur den geringsten Beweis gegeben haben, daß ihnen ihre Sünden leid thun.“ Die römische Bezeichnung für dergleichen Anstalten ist ohne Zweifel passender, aber auf evangelische Anstalten gleichen Zweckes doch auch nicht einfach übertragbar. Trotz des eigenen Hauses, das nun für diesen Zweck erbaut war, trat doch neben den übrigen Zweigen Neuendettelsauer Diakonissenthätigkeit die Magdalenenpflege verhältnismäßig zurück. Daß das Magdalenium diejenige der Löheschen Anstalten war, deren Bedürfnis und Absicht von der Gemeinde und der umwohnenden Landbevölkerung am wenigsten verstanden wurde, kann nicht Wunder nehmen. „Sowie man (in diesen Kreisen) – sagt Löhe – den Anstalten für Arme dadurch widerstrebt, daß man den Erfahrungssatz aufstellt: „Je mehr Wohlthätigkeitsanstalten, je mehr Arme,“ so ist man auch geneigt, Magdalenien am Ende gar für eine Unterstützung des sündlichen Lebens anzusehen. Prügel und Zuchthaus scheint dem Volk noch immer die beste Methode für die Gefallenen zu sein.“ Es gehört ja freilich schon ein Verständnis, ja mehr als das: eine Erfahrung der suchenden Hirtenliebe des Heilands und andrerseits ein heiliger| Haß und Abscheu vor der Sünde dazu, um die menschlichen Veranstaltungen und Bemühungen zur Rettung Verlorener des weiblichen Geschlechtes zu würdigen und fördern zu helfen. Im übrigen konnte es für das Magdalenium, das selbstverständlich auch für Besucher im Allgemeinen unzugänglich blieb, nur vorteilhaft sein, daß sein Dasein von seiner nächsten Umgebung wenig beachtet wurde. Löhe verglich das Magdalenium deshalb mit den „Zellen der Verborgenen“ im Tempel.

 Wie in allen derartigen Anstalten, so wurde auch im Magdalenium zu Neuendettelsau unter den menschlichen Erziehungsmitteln als das wichtigste die Gewöhnung zur Arbeit betrachtet. Die Stellung des dortigen Magdaleniums innerhalb eines ganzen Complexes von Anstalten schaffte die Gelegenheit dazu leicht und in ausreichender Weise. Das Magdalenium übernahm die Besorgung der Wäsche sämtlicher Anstalten, eine Näherei schloß sich an: dies und etliche andere Nebengeschäfte reichten neben den täglichen Hausarbeiten hin, die beschränkte Zahl der Bewohnerinen des Hauses vor Müßiggang zu bewahren.

 Die großen Heldringschen Anstalten in Steenbeck hat Löhe aus eigner Anschauung nicht gekannt, er hat sich aber aus Berichten von Freunden und Schwestern, die sie in seinem Auftrag besuchten, Kenntnis derselben zu verschaffen gesucht. Er war der Meinung, daß der Geist der lutherischen Kirche manche Abweichung von den dort üblichen Einrichtungen erfordere. Entgegen der dort alles gleichförmig beherschenden Methode wünschte er in der Magdalenenseelsorge eine mehr pastorale, individualisierende Behandlung der Gefallenen. Aus diesem Grunde hielt er es für richtig, daß in einem Magdalenium die Lebensverhältnisse, aus welchen die Einzelnen herkamen, die Unterschiede des Standes und der Bildung etc. respektiert und nicht dem Prinzip mechanischer Gleichförmigkeit geopfert würden. Auch die wichtige Frage, ob| Magdalenen nur mit ihrer Zustimmung in solche Anstalten aufgenommen werden sollten, ob ihnen jederzeit der Austritt frei stehen müsse, wollte er „pastoral-casuell“ behandelt wissen. Nur in Einem Stück huldigte er doch auch einer gewissen „Methode der Führung“: das Tragen der vestis pulla, des braunen Kleids der Büßerin, machte er „bei der Macht, welche das Kleid über weibliche Naturen ausübt“ für alle Gefallenen zur Regel.

 Im Übrigen verlief das Leben der Magdalenen in dem gewohnten Anstaltsgeleise unter Arbeit und Gebet. Sie nahmen teil an den täglichen und sonntäglichen Gottesdiensten der Anstaltsgemeinde, sie wurden zur Privatbeichte angeleitet, für welche der Seelsorger durch schriftliche Vorlagen der Oberschwester unterstützt wurde; sie genossen, wenn sie sich bußfertig zeigten, des höchsten Vorrechts mündiger Christen: des Zutritts zum Sakramente. In dieser Teilnahme an dem gottesdienstlichen Leben lag und liegt für das hiesige Magdalenium ohne Zweifel viel Hebendes und Förderndes.

 Bezüglich des Erfolgs der Arbeit an dieser Klasse von Pflegebefohlenen der barmherzigen Liebe machte man hier dieselben Erfahrungen wie allerwärts: viel vergebliche Mühe, aber doch auch „aus den Dornen der harrenden Geduld hervorwachsende Freude des Gelingens“. Von keinem Laster – sagt Löhe einmal in einem Bericht – genese das weibliche Geschlecht schwerer als von dem der Wollust; die psychischen und somatischen Zustände, die Recidive, die Anfechtungen, die Zweifel, die Lügen und Unlauterkeiten, die Leidenschaften und inneren Stürme legten der seelsorgerlichen Behandlung wie der anstaltlichen Erziehung die größten Hindernisse in den Weg. Ebendeswegen hat er den Posten einer Magdalenenoberschwester in vieler Beziehung als den schwierigsten aller Diakonissenberufe bezeichnet. Er fand „viel Ähnlichkeit zwischen demselben und dem Beruf eines Pfarrers“, erkannte ihn aber eben deshalb, wie jenen größeren, als „preiswürdig und herrlich“ an.





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