Wolfsjagden
Wolfsjagden.
Wolffen und Beeren, an den brichet nyemand keynen Frid,“ lautet eine Stelle im Gesetz Karl’s des Großen. Gottlob, die Zeiten, wo wir uns in Deutschland mit den Wölfen so ernstlich herumplagen mußten, sind glücklich überstanden. Der berüchtigte Wolf, der nach Kobell’s Angabe neun Jahre lang in der Gegend von Schliersee und Tegernsee sich umhertrieb und in dieser Zeit, vom Wildprett abgesehen, gegen 1000 Schafe gerissen und also einen Schaden von etwa 20000 Mark gestiftet hat, zählt längst zu jenen historischen Merkwürdigkeiten, an welche die jüngere Generation nur schwer glauben mag. Unsere Vorfahren haben, wie schon der alte Geßner berichtete, den Wolf so gründlich „verletzt, geschedigt und getödt, mit etlichen Instrumenten, gruben, gifft und aatz, Wölffallen, angel, strick, garn und Hünden, geschoß und dergleichen, daß wir richtige Wolfsjagden jetzt nur in Bildern aus fremden Ländern zu Gesicht bekommen.
An den Marken der Kultur aber wird der Vertilgungskrieg gegen den gefräßigen Räuber noch immer mit alter Energie fortgesetzt und ist bis auf den heutigen Tag so mannigfaltig geblieben, wie ihn Geßner vor Jahrhunderten schilderte. In allen Ländern werden auf ihre Erlegung Prämien ausgesetzt und die Jäger hierdurch besonders angespornt, alle Kunstgriffe und Listen zur Anwendung zu bringen. Rechnet man den Ertrag des Pelzes und die Schußprämien zusammen, so ergiebt sich nach Brehm in manchen Ländern ein Reingewinn von etwa 60 Mark für jeden erlegten Wolf.
Die Treibjagden, wie sie auf Wölfe in der Regel veranstaltet werden, sind schon oft beschrieben worden und bieten kaum ein besonders originelles Schauspiel. Sie müßten denn sonst unter Trommelschlag stattfinden, wie dies in manchen Ländern der Fall ist. Dann wird die Sache abenteuerlicher, wenn die Sturmwirbel durch den Wald erschallen und sich mit den lauten Rufen der Treiber zu einem wilden Lärm vereinigen.
Zu den interessantesten Jagdmethoden gehören ohne Zweifel diejenigen, die im Grunde genommen regelrechte Parforcejagden bilden. Hoch im Norden und an den Südgrenzen Europas sind sie noch im Brauch, unter Anwendung verschiedener Mittel, die der Natur des Landes entsprechen. In Norwegen haßt man den Wolf ganz besonders, da er dort ungeheuren Schaden anrichtet, so daß in Lappland z. B. das Wort „Frieden“ gleiches bedeutet wie Ruhe vor den Wölfen. Kein Wunder also, daß man in jenen nördlichen Gebieten mit dem Raubthier möglichst kurzen Proceß macht. Sobald der erste Schnee gefallen, rüsten sich die Lappen mit einem Stocke aus, an dessen Ende ein scharfes Messer festgebunden ist, schnallen ihre Skys, Schneeschuhe, an und treiben die Wölfe auf. In tiefem Schnee auf waldloser Ebene kann der Wolf gegen den Skyläufer nicht aufkommen, er wird bald eingeholt und mit dem scharfen Messer aufgespießt. Diese eigenthümliche Jagdart dürfte bald in Mode kommen, denn die sportbedürftigen Engländer haben an ihr einen besonderen Geschmack gefunden, und man sieht schon in illustrirten englischen Blättern pelzverhüllte Touristen aus dem stolzen Albion abgebildet, wie sie mit Speer und auf Schneeschuhen die Schneefelder Norwegens unsicher machen.
Buntfarbiger gestaltet sich die Wolfsjagd auf den endlosen Ebenen der russischen Steppe. Der Wolf wird hier förmlich zu Tode gehetzt. Auf munteren Rossen ziehen die Kosaken oder Pferdehirten aus ihren Siedelungen in das wogende Grasmeer hinaus. Werden die Wölfe aufgetrieben, so folgen ihnen die Reiter nach, und vorwärts, mit dem Wind um die Wette, stürmen der Flüchtling und die Verfolger. Nach einigen Stunden erlahmt die Kraft des Raubthieres; mit geiferndem Maule, die dürrgewordene Zunge lang vorgeschreckt, keucht der Wolf mühsam vorwärts, bis er den Rest seiner Kräfte zusammennehmend, still stehen bleibt und sich gegen seine Verfolger zur Wehr setzt. In demselben Augenblick aber fliegt ihm ein Lasso um den Hals, oder der Jäger springt vom Pferde ab und schlägt das müde gewordene Thier mit einem Knüppel todt. Manche schieben ihm einen alten Lappen in den Rachen, packen ihn am Genicke und bringen ihn geknebelt und lebend nach Hause. In diesem Wettlaufe auf Leben und Tod spart man Pulver und Blei.
Aehnlich verfahren die Czikos in der Pußta, bei denen der Lasso bei Wolfsjagden eine hervorragende Rolle spielt.
Ein eigenthümlicher Reiz liegt in einem solchen verwegenen Jagen. Den Bergbewohner mag die Steppe durch ihre Monotonie ermüden, für den Sohn der Ebene ist sie der Innbegriff der Freiheit. Wie den Seemann eine unbegreifliche Sehnsucht auf die unendlichen Wogen des Oceans hinauslockt, so fühlt sich auch der Kosake in seiner Stimmung gehoben, wenn er auf seinem muntern Pferde durch die Wogen der grünen Kräuter dahinjagt und über die unermeßlichen Flächen bis zum fernen Horizonte sein Auge ungehindert schweifen läßt. Von seinem hohen Sattel beherrscht er die weite Umgebung, nichts kann ihm entgehen, er ist der unbeschränkte Herrscher – der wahre König der Steppe.
Nur im Winter drohen ihm hier Gefahren. Wenn plötzlich der
Schneesturm losbricht, den Tag zur Nacht verwandelt, die Stege und
Pfade verweht, dann schreitet das müde Pferd mit weit vorgeschobenen
Nüstern langsam vorwärts, und der Reiter horcht hinaus in das Heulen
des Windes, um das Geläute der Glocken einer fernen Kirche zu
vernehmen, das für den Verirrten im Aufruhr der Elemente allein den
rettenden Wegweiser bildet. Dann mag er zusammenzucken, wenn aus
der Ferne das Geheul der Wölfe an sein Ohr dringt, dann muß er
manchmal vor der hungrigen Meute flüchten, auf Leben und Tod von
den Wölfen gejagt. J.