Yburg
Aus der anmuthigen Mulde, in welcher Baden-Baden, das deutsche Capua und Bajä, liegt, schreiten wir den Weg rechts von der Lichtenthaler Allee hinauf in den Fichtenwald, der die Kuppen rings umkränzt. Immer wieder wird der Blick festgehalten hier durch den berühmten Namen einer strahlenden Villa, dort durch die Pracht oder Eigenart der Gartenanlage, durch fremdländische Bäume und Sträucher, farbige Blumenbeete und wohlgepflegte Matten. Endlich umrauschen uns die ernsten dunklen Wipfel des deutschen Waldes, Quellen springen, Waldmeister duftet herüber, blaue Glocken und Weidenröschen nicken am Wege und wie eine Wandeldekoration ist das stolze Bild von Stadt und Schloß und Badepalästen entschwunden. Die erfrischende Kühle, der schattendunkle Weg, die beschauliche Ruhe thun uns wohl nach dem Musik-, Menschen- und Wagengewirr der Niederung. Immer wieder die Brust vollnehmend von der würzigen Luft, freuen wir uns des Waldganges, wie er schöner kaum irgendwo zu finden, bis durch die Lichtung ein alter Thurm niederschaut und uns kündet, daß wir dem Ziele unserer Wanderung nahe sind.
Yburg und Mercurius sind die beiden Wahrzeichen Badens, jener für Den, der von Süden herkommt, auf steiler Nadel kühn emporragend, dieser auf behäbigem grünen Bühl dem Reisenden, der von Norden naht, ankündend, daß unter ihm im Winkel des Schwarzwaldes die heißen Quellen dem Fels entspringen. An der Stelle, von welcher her wir kamen, zeigt sich, daß die steile Nadel, die von der Eisenbahn aus auffällt, in eine mäßige Hochfläche sich fortsetzt, auf der man einen Wirthsgarten angelegt und einladende Tische und Stühle bereit gestellt hat.
Uns lockt es vor Allem, über die kleine Treppe links vom Thurme zu der Aussicht zu gehen, die dort ins Thal hinunter sich bieten muß.
Das Pförtchen in dem Thurm öffnet sich uns; über mühsame Holzstiegen geht es aufwärts auf die Hochzinne zur berühmten Aussicht von Yburg.
Unser Zeichner hat uns einen Ausschnitt der Fernsicht nach Westen gegeben (vergl. S. 728 und 729), wie er ungefähr begrenzt wird durch das Dreieck: Yburg – Anfang der pfälzischen Haardt – Obervogesen. Es ist die stolzeste Stromebene deutschen Landes, die vor uns liegt. Im Rücken nach Osten hin steht das Gewoge des Schwarzwaldes bis zu den ultramarin- und lichtblauen Tönen der fernen Höhenzüge. Auch nach dieser Seite ist das Bild ein schönes; das Spiel der Linien fesselt vor Allem das Auge, der Wechsel der stolz geschwungenen Bogen mit scharfen Abstürzen und gewagten Ueberschneidungen; aber hier nach Westen hin, welche Mannigfaltigkeit der Farben, vom Grün der Vorberge und Rebgelände zur wohlbebauten Fruchtebene und dem aufblitzenden Strome, der hier gleichsam an der Grenze seiner Jünglingsperiode noch mit ungebändigter Kraft durch das weite Gebiet dahineilt und versucht, in Altwässern und Seitenarmen sich immer neues zu erobern. Drüben über dem Strome ragt als Abschluß des Bildes der Kamm des Wasgaues und dort im Süden eine dunkle Säule, die aus weiter Ferne die ganze Ebene beherrscht, ein Anblick, der heute das Herz des Deutschen mit stolzer Freude erfüllt – der Münster von Straßburg.
Welchen Zauber über dieses gesegnete Land der Wechsel von Leichtigkeit und Schwere, Trockene und Feuchtigkeit der Luft, von Morgen- und Abendsonne, ungebrochenem Licht und Wolkenschatten, Dämmerung und Mondesflimmer verbreitet, das möge Jeder selbst von Neuem erleben.
Wie schicksalsreich das Land gewesen, das zu unseren Füßen liegt, läßt sich eher andeuten. Da, wo unser Bild zur rechten Hand zu Ende geht, rauscht die Oos dem Rhein entgegen. Hier setzten in der Urzeit unserer Volksgeschichte Alamannen die Grenzsteine ihrer Gaue, des Ufgaus und der Mortenau, diesseit des Rheins, und jenseit desselben die Linie fortsetzend, die Grenze des Alsacinser- und des Spiergaus. Bis hierher erstreckte sich die Herrschaft des Bischofsstabes jener Stadt, die an Stelle der römischen Ruinen von Argentoratum als die Burg an der Straße entstand. Und als das Gemeinwesen emporblühte und als Ausdruck des auf ein Ziel gerichteten idealen Strebens der Münster emporstieg, da sandte ihm – so will es die Sage und der Bildhauer – das kleine Steinbach den Meister Erwin, der das mächtige Langhaus, die herrliche Façade mit ihrer Rose und dem Maßwerk erdachte, das wie Filigran die röthlichen Mauern überspinnt.
So will es die Sage – denn die Geschichte weiß nichts Sicheres von der Geburtsstätte des Erwin; aber wir bekritteln deßhalb doch nicht den wackern Meister Friedrich, der in Pietät gegen seine Heimathsauen den Münsterbaumeister auf den Hügel am Dorf in rothem Stein hingestellt hat, den Blick auf seinen Dom gerichtet. Denn deutsch war der Meister wie sein erhabenes Werk, und kein Erpuin de Pierrefont, wie uns ein französischer Kunsthistoriker mundgerecht zu machen versuchte.
Nach Straßburg ausschauend, streifen wir Saßbach, bei dem ein anderes Denkmal unsere Betrachtung festhält. Dort wo der Obelisk verkündete: „Hier ist Turennius ertödtet worden“, werden wir eingeführt in die schlimmsten Zeiten deutscher Geschichte. Aber schon stieg der Stern empor, auf den von jetzt an Diejenigen hoffend schauten, welche glaubten, daß es mit dem deutschen Volke noch nicht zu Ende sei. Zwei Jahre, ehe der große Feldherr des französischen Ludwig XIV. an dem Hügel von Saßbach fiel, hatte er den großen Kurfürsten bei Türkheim geschlagen und aus dem Elsaß gedrängt, über dessen Schicksal damit auf zwei Jahrhunderte hinaus entschieden war. Dort an der Rheinbrücke stand er, schaute noch einmal nach der Stadt hinüber, welche das Grab seines Sohnes und aller seiner Hoffnungen barg, und die patriotische Legende legt ihm die Worte in den Mund: „Aus meinen Gebeinen wird der Rächer mir erstehen.“
Als Türenne starb, war hoch oben im Norden der Sieg von Fehrbellin schon erfochten, welcher den Grund legte zum Waffenruhm und zur Macht des neuen Staatswesens der Hohenzollern. Damit aber unter der Fremdherrschaft, die für das linksrheinische Land nun folgte, das geistige Band nicht zerrissen würde, das die von drüben mit denen hüben verband, gingen wackere Jünglinge immer wieder auf die hohe Schule nach Straßburg. Der Größte unter ihnen träumte den Traum seiner Jugendliebe in dem Dorf Sesenheim, dessen Thurm von jenseits herübergrüßt, und erzählte uns in seinen alten Tagen von dem schönen Lande.
Bei Vielen hielt Goethe so die Gedanken an das Verlorene wach und das Verlangen, daß, was einst zu uns gehörte, wieder zu uns kommen müsse.
Wenn wir vom Thurm herabsteigen und die herrliche Schau mit edlem Trunke feiern wollen, steht uns der rothe aus dem Avemarienthal, den man zum „Affenthaler“ gemacht hat, oder der weiße „Mauerwein“ zu Diensten, golden wie Bernstein und stärker als mancher Mann: beide an den Abhängen unter der Burg gezeitigt. Dabei werden wir wohl auch nach der Geschichte der Burg gefragt. Vieles ist davon nicht zu berichten. Zwei Ritter Namens Rodarii de Jberc erscheinen im Jahre 1245 in einer Schenkung für das Kloster Lichtenthal. Dann kommen die üblichen Käufe, Tausche, Verpfändungen und Besitzwechsel. Im Bauernkrieg von 1525 wird die Burg zum Theil zerstört; im Jahre 1594 wohnte hier oben, auf Befehl des Markgrafen Eduard Fortunatus, der Alchemist Franz Muscatello aus Schio, um eine „Mixtur zu Silbermünzen“ zu bereiten.
Für Hexenmeister, Zauberer, Hexen und Unholde war die Berghöhe nach dem Volksglauben immer ein bevorzugter Ort.
Der Unfug, den hier die Teufel Hürtriegel, Fetterlin, Kochlöffel, Grünling, Schitterlein mit den Hexen Beppenküchel, Mummel, Wurzbix, Baubo und Stüdel verübten, wurde einstmals so arg, daß man das Franziskanerkloster Fremersberg erbauen und mit frommen Männern besetzen mußte. Noch um 1780 wurden die für Vieh und Menschen schädlichen Nachtkumpane in große Schachteln gepackt und auf den Klopfengraben in der Nähe von Yburg gebannt.
An diese schönen Geschichten des alten Klüber mußte ich denken, als ich im Sommer 1869 und in der Hochfluth der Saison eine Reihe der schönsten Pariser Unholdinnen unter Anführung einer vielgenannten Oberhexe in elegantem Wagenzug auf die Yburg einfahren sah. Es war zwischen zwölf bis ein Uhr – nicht des Nachts, sondern des Mittags. Wie es bei den Generalkapiteln der Walpurgisnächte erging, so sah auch hier der Zuschauer zu seinem Erstaunen unter den Anbetern der Hexen Mitglieder der „besten Familien“. Seinen modernen Charakter erhielt das Fest durch den Champagner, der getrunken, und die Quadrille, die zum Schluß getanzt wurde. Der scharfe Wind des Jahres 1870 hat auch diesem Hexensabbath ein Ende bereitet.