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Zur Judenfrage (Hoffmann)/Geburten- und Sterberaten

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« Bevölkerungsentwicklung Zur Judenfrage (Hoffmann) Verteilung »
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[9] Zwischen die Zählungen zu Ende der Jahre 1822 und 1840 fallen noch fünf allgemeine Einwohnerzählungen im Preußischen Staate, welche polizeilich am Ende der Jahre 1825, 1828, 1831, 1834 und 1837 vollzogen wurden. Das arithmetische Mittel aus diesen sieben Zählungen kann als Durchschnittszahl der in dem hier betrachteten achtzehnjährigen Zeitraume lebenden Einwohner angesehen werden.


Es beträgt:
für die Christen für die Juden
13,005,879      168,761.
In diesem Zeitraume wurden geboren Kinder
bei den Christen 9,365,546
bei den Juden 107,690
also jährlich im Durchschnitte
bei den Christen 520,308
bei den Juden 5,983
dagegen starben in diesem achtzehnjährigen Zeitraume:
bei den Christen 6,930,227
bei den Juden 65,646
also jährlich im Durchschnitte:
bei den Christen 385,613

[10]

bei den Juden 3,647

Werden nun die hier gefundenen Zahlen auf eine gleiche Anzahl gleichzeitig Lebender bezogen; so ergeben sich folgende Verhältnisse. Durchschnittlich:
Unter 100,000      Unter 100,000
Christen Juden
wurden jährlich geboren 4001 3546
gleichzeitig starben 2961 2161
Hiernach verblieb Ueberschuß der Gebornen 1040 1385


Das Uebergewicht der Juden bei diesem Ueberschusse beruht hiernach nur allein in ihrer verhältnismäßig sehr geringen Sterblichkeit. Sie hatten auf hundert Tausend Lebende jährlich im Durchschnitte beträchtlich weniger neugeborne Kinder, als die Christen, indem, um es noch übersichtlicher in kleinen Zahlen darzustellen, bei den Christen schon unter 25, bei den Juden dagegen erst unter 28 gleichzeitig Lebenden jährlich ein Kind geboren wurde. Aber die Zahl der Todesfälle war unter den Juden verhältnißmäßig in noch höherem Maaße kleiner, als unter den Christen, indem unter den Christen schon von 34, unter den Juden aber erst von 46 gleichzeitig Lebenden jährlich Einer starb. In Folge dieser geringen Sterblichkeit haben nun die Juden ungeachtet der verhältnismäßig geringern Anzahl Neugeborner doch einen Ueberschuß der Gebornen über die Gestorbenen von 'Vier, wenn die Christen unter der gleichen Anzahl Lebender nur einen von Drei erhalten.


Es ist nicht ein Lebensalter allein, worin die Zahl der Todesfälle bei den Juden verhältnißmäßig geringer ist, als bei den Christen; sondern dieser Unterschied besteht von der Geburt bis selbst noch jenseits des siebzigsten Lebensjahres. Unter der gleichen [11] Anzahl von hundert Tausend Lebenden hatten nämlich, dem Lebensalter der Verstorbenen nach geordnet, jährlich Todesfälle:

die Christen die Juden
1) Todtgeborne  143  89
2) Lebendgeborne, welche vor Vollendung des ersten Lebsensjahres starben 697 459
3) Gestorbene in den folgenden vier Lebensjahren vom Anfang des zweiten bis zur Vollendung des fünften Jahres 477 386
4) Gestorbene in den folgenden neun Lebensjahren vom Anfange des sechsten bis zur Vollendung des vierzehnten 202 151
5) Gestorbene in den folgenden elf Lebensjahren vom Anfange des funfzehnten bis zur Vollendung des fünfundzwanzigsten 155 123
6) In den folgenden zwanzig Lebensjahren vom Amfange des sechundzwanzigsten bis zur Vollendung des 45sten 334 231
7) In den folgenden fünfundzwanzig Jahren vom Anfange des 46sten bis zur Vollendung des 70sten Jahres 614 392
8) Nach überschrittenem 70sten Lebensjahres überhaupt 339 330
Von allen Lebensaltern zusammen genommen wie vorhin 2961 2161

Daß unter den Juden verhältnißmäßig mehr Personen ein hohes Alter erreichen, als unter den Christen, ist eine sehr verbreitete Wahrnehmung, deren Grund gewöhnlich darin gesucht wird, daß die Juden fast niemals Gewerbe treiben, wobei lebensgefährliche [12] Unfälle öfter vorkommen. Man findet Juden kaum irgendwo unter den Schiffern und Bergleuten, und gewiß auch höchst selten unter den Bauhandwerkern und Müllern. Aber die Gewerbtreibenden dieser Klassen bilden im Großen und Ganzen doch nur einen kleinen Theil der Völker, wovon vielmehr auf dem euopäischen Festlande sich fast drei Viertheile mit dem Anbaue des Bodens beschäftigen; die Vermehrung der Todesfälle, welche durch die Gefahren, denen sie besonders aussetzen, entsteht, hat daher auch einen nur unerheblichen Einfluß auf Durchschnittszahlen, welche das Verhältniß der Sterblichkeit für die gesammte Bevölkerung großer Staaten angeben. Auch ist der Unterschied in dem Sterblichkeitsverhältnisse der Christen und der Juden nur gering in dem Lebensalter, worin die besondern Gefahren jener Gewerbe vorzüglich wirksam sind. Von den überhaupt 800 Todesfällen, welche jährlich im Durchschnitte unter hundert Tausend gleichzeitig Lebenden bei den Christen mehr vorkommen als bei den Juden, gehören 434 dem unter vierzehnjährigen Lebensalter an, 231 kommen erst nach vollendetem 45sten Lebensjahre vor, und nur 135, das ist sehr wenig über ein Sechstheil des Ganzen, fallen auf den Zeitraum der größten körperlichen Thätigkeit zwischen dem Anfange des 15ten und der Vollendung des 45sten Lebensjahres. Es ist hiernach hauptsächlich die Kindheit, worin die Sterblichkeit unter den Juden sehr viel geringer ist, als unter den Christen, und hier ist wiederum der Unterschied am größten bei den Todtgebornen und den im ersten Lebensjahre Verstorbenen. Anschaulicher wird dies noch durch die Betrachtung folgender Verhältnisse: In dem hier bezeichneten achtzehnjährigen Zeitraume hatten unter hundert Tausend Neugebornen Todtgeborne

die Christen 2309
die Juden 2524

[13] und kamen zwar lebend zur Welt, starben aber noch vor Vollendung des ersten Lebensjahres

bei den Christen 17,413
bei den Juden 12,935

Ueberhaupt verloren also von hundert Tausend Neugebornen schon vor Vollendung des ersten Lebensjahres wieder:

die Christen 20,982
die Juden 15,459

das ist: jene noch über ein Fünftheil; diese noch nicht ganz zwei Dreizehntheile, welches fast mitten zwischen ein Sechstheil und ein Siebentheil fällt. Der Grund dieses Unterschiedes ist wohl nur darin zu finden, daß die Frau des Juden nicht leicht schwere Arbeiten außer ihrer Wohnung verrichtet, folglich als Schwangere und Säugende sich mehr schonen kann, und ihr Kind stets unter naher Aufsicht behält. Eben diese Möglichkeit einer sorgfältigeren mütterlichen Aufsicht kann es auch nur veranlassen, daß die Sterblichkeit auch unter den übereinjährigen Kindern bei den Juden geringer bleibt, und sich bis zum 1-sten Lebensjahre hin gegen die Sterblichkeit der Christenkinder wie drei zu vier verhält. Nächst dieser geringeren Sterblichkeit der Kinder zeichnet sich auch noch die Minderzahl der Todesfälle unter den Juden nach Vollendung des 45sten Lebensjahres bis in das späteste Alter hin aus. Auch dies kann der Unterschied, welchen die besondern Gefahren einiger Gewerbe erzeugen, nicht mehr bemerkbar werden, da die gefährlicheren Verrichtungen gemeinhin längern Gehülfen obliegen. Wirksam scheint hier dagegen hauptsächlich die größere Mäßigung der Juden im Genusse der geistigen Getränke zu seyn. Ein betrunkener Jude ist eine höchst seltene Erscheinung; dagegen übernehmen sich auch sonst nicht unordentliche Leute in den niedern Volksklassen der Christen im spätern [14] Lebensalter öfter im Trunke. Was bei schwerer Arbeit, aber auch reichlicher und nahrhafter Kost, im frühern Mannesalter ein unschädliches, wohl gar nützliches Reizmittel war, wird im spätern bei minderer Anstrengung und schwächerer Verdauung zum Uebermaaße, welches das Leben verkürzt.

Ob unter der gleichen Anzahl Christen und Juden auch durchschnittlich gleich viel in der Ehe Lebende sind, ist aus den im statistischen Büreau vorhandenen Nachrichten nicht in bestimmten Zahlen anzugeben, denn es wird zwar am Ende jedes dritten Jahres die Zahl der vereheligten Einwohner besonders aufgenommen, doch ohne dabei den Unterschied der Religionen zu bemerken. Die Zahl der jährlich neu geschlossenen Ehen ist verhältnißmäßig unter den Juden geringer, als unter den Christen. In dem hier bezeichneten achtzehnjährigen Zeitraume wurden überhaupt neue Ehen geschlossen

unter den Christen 2,090,492
unter den Juden 21,831

also jährlich im Durchschnitt

unter den Christen 116,138
unter den Juden 1,213

Unter hundert Tausend gleichzeitig Lebenden wurden hiernach jährlich neue Ehen geschlossen

bei den Christen 803
bei den Juden 719

und es kam hiernach vor bei den Christen schon unter 112, bei den Juden dagegen erst unter 139 gleichzeitig Lebenden jährlich eine neue Ehe; indessen ist unter den neuen Ehen die Zahl der in früheren Lebensjahren geschlossenen bei den Juden verhältnißmäßig etwas größer, als bei den Christen. Deshalb und weil nach den vorstehenden Bemerkungen die mittlere Lebensdauer der Juden, [15] folglich auch die Dauer ihrer Eheverbindung größer ist, als bei den Christen, wird es wahrscheinlich, daß ungeachtet der Minderzahl der jährlich neu geschlossenen Ehen doch unter der gleichen Anzahl Lebender ungefähr eben so Viele bei den Juden in stehender Ehe leben, als bei den Christen.

Die Zahl der unehelichen Geburten ist bei den Juden verhältnißmäßig und im Durchschnitte des ganzen Staates sehr viel geringer, als bei den Christen. Es wurden nämlich in dem hier betrachteten achtzehnjährigen Zeitraume geboren

bei den Christen ehelich 8,710,420
unehelich 655,126
Ueberhaupt wie vorhin 9,365,546
bei den Juden ehelich 103,660
unehelich 2,030
Ueberhaupt wie vorhin 107,690

Also wurden jährlich im Durchschnitte geboren

bei den Christen ehelich 483,912
unehelich 36,396
überhaupt 520,308
bei den Juden ehelich 5,870
unehelich 113
überhaupt 5,983

Hiernach kamen jährlich im Durchschnitt auf Hundert Tausend Lebende

bei den Christen ehelich 3,721
unehelich 280
überhaupt 4,001
bei den Juden ehelich 3,479
unehelich 67
überhaupt 3,546

[16] Unter der gleichen Anzahl Lebender hatten demnach die Christen durchschnittlich viermal mehr uneheliche Geburten, als die Juden. Es ist nun zwar das Verhältniß der unehelichen Geburten zu den Lebenden auch unter den Christen in den einzelnen Landestheilen sehr verschieden, und namentlich ein zuverlässiger Schluß auf die Sittlichkeit daraus keineswegs zu ziehen, indem dabei Rücksichten auf eigenthümliche Vorstellungen unter der großen Masse des Volks wohl zu beachten sind. Insbesondere ist es im Preußischen Staate nachgewiesen, daß die Provinz Sachsen, welche sich durch die Verbreitung echter Bildung auch in den untern Klassen des Volks besonders auszeichnet, doch verhältnißmäßig gegen die Zahl der Einwohner jährlich die meisten außerehelichen Geburten hat. Indessen bleibt das Vorkommen dieser Geburten in vielfacher Beziehung so nachtheilig, daß eine Verminderung derselben doch zu den wesentlichen Verbesserungen des geistigen Zustandes gehört.