Zur Physiologie des Gesanges

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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Zur Physiologie des Gesanges
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 677–678
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Zur Physiologie des Gesanges

Für Singenlehrende und Singenlernende.

Wo man singt, da laß’ Dich häuslich nieder u. s. w., aber um’s Himmels Willen nur nicht da, wo man mit schlechter Stimme schlecht singt, wie dies heutzutage privatim und publice Mode zu werden droht und Jeder zu denken scheint: „Singe, wenn Gesang gegeben.“ Nein! wer kein musikalisches Gehör hat und neben einer zweckmäßigen Einrichtung seiner Stimmwerkzeuge nicht Fleiß und Ausdauer genug auf die Ausbildung seiner Stimme verwenden will, der schweige sich lieber aus und überlaste das Singen Andern. Auch reicht selbst ein reiner Ton und eine wohlklingende Stimme noch lange nicht zum öffentlichen Singen aus, erst die gehörige geistige Auffaßung und die richtige Bearbeitung des Vorzutragenden macht einen Sänger, von dem man sagen kann: „er singet dem Gesang zu Ehren.“ Das bloße mechanische Einlernen von Gesangsparthien setzt den Sänger gleich neben den studirten Papagei.

Was für Ansprüche macht man denn nun aber beim Singen an einen Ton, wenn er als schön gelten soll? Er muß rein (von richtiger Höhe) und ohne Klangbeimischung, klangvoll und metallisch, gehörig stark und voll, fest (nicht tremulirend) und dauerhaft sein. Auf alle diese Eigenschaften läßt sich Einfluß ausüben, zumal wenn schon von Jugend auf dahin gewirkt wird. Versuchen wir dies zu beweisen. – Wie bekannt (aus Gartenlaube 1855. Nr. 43) entsteht der Ton im Kehlkopfe durch Schwingungen der mit Schleimhaut überkleideten untern Stimmbänder oder besser Stimmhäute, und diese Schwingungen werden durch die Luft veranlaßt, welche mit einiger Kraft von unten, von der Lunge her durch die Luftröhre und Stimmritze hindurch getrieben wird. Gleichzeitig setzen die Stimmbänderschwingungen aber auch die Luft und die Wände der Luftwege oberhalb und unterhalb der Stimmritze, sowie selbst die Wand des Brustkastens in Mitschwingen und geben dadurch, nach der verschiedenen Beschaffenheit der mitschwingenden Theile (besonders nach der verschiedenen Weite der Lufträume und der Schwingungsfähigkeit ihrer Wände) dem Tone einen stärkern oder schwächern Wiederhall (Resonnanz). Befühlt man beim Singen den Brustkasten, die Luftröhre, den Kehlkopf, den Gaumen oder die Zähne, so wird man deshalb an allen diesen Theilen ein leises Vibriren wahrnehmen, was um so deutlicher wird, je stärker man singt. Vermehren läßt sich diese Resonnanz, wodurch der Ton an Fülle und Klang gewinnt, wenn man Lunge und Brustkasten durch tiefes und kräftiges Athmen, sowie durch passende gymnastische (Knickstütz-)Uebungen, besonders von Jugend auf, gehörig zu erweitern sucht. Geichzeitig kräftigen diese Uebungen aber auch die Athmungsmuskeln und können insofern auf die Stärke und Gleichmäßigkeit des Tones, welche von der Kraft und Gleichmäßigkeit abhängt, mit welcher die Luft durch die Stimmritze getrieben wird und die Stimmbänder in Schwingungen versetzt, großen Einfluß ausüben. Es darf der Ton nicht herausgestoßen, sondern er muß, wie die Italiener sagen, herausgesponnen werden (filar il tuono). – Ebenso, wie nun die Erweiterung des Brustkastens und der Lunge die Resonnanz des Stimmapparates verbessern kann, so vermag dies auch noch das Weitsein der Räume oberhalb des Kehlkopfes, wie des Schlundkopfes, der Mund- und der Nasenhöhle, weshalb diese Räume so lufthaltig als möglich sein müssen. Hierzu trägt aber bei: die richtige Stellung der Mund- und Gaumentheile, die Verkleinerung großer Mandeln und die Verdünnung der verdickten Nasen- und Gaumen-Schleimhaut – Was das Metall und die Reinheit (hinsichtlich der Klangbeimischung) des Tones betrifft, so sind diese Eigenschaften hauptsächlich von dem Schleimhautüberzuge der Stimmbänder abhängig und Alles, was diesen dicker, härter, trockner oder feuchter, als sich gehört, machen kann, thut dem Metall der Stimme Eintrag. Deshalb muß jeder Sänger und wer überhaupt singen will, seine Kehlkopfschleimhaut ängstlich behüten und so behandeln, wie in der Gartenlaube (1855. Nr. 48) angegeben worden ist. Bisweilen läßt sich mit Höllenstein der Zustand dieser Schleimhaut und damit die Stimme verbessern.

Eine Hauptaufgabe beim Singen ist es nun, daß der im Kehlkopfe erzeugte Ton oder die Schallwellen, auch so ungetrübt als möglich zum Munde hervortönen. Um dies zu können, müssen die obersten Luftwege, nämlich die sogen. Rachenenge (d. i. die von dem Gaumenkegel, den Mandeln, dem Zäpfchen und den Gaumen begrenzte, Mund- und Schlundkopfshöhle verbindende Oeffnung über der Zungenwurzel; s. Gartenlaube 1855. Nr. 38), die Mundhöhle und der Mund ordentlich weit sein und gehörig geöffnet werden, damit der Ton nicht zu stark gequetscht werde und an zu vielen Stellen anpralle, wodurch er unangenehme Klangbeimischungen erhält (wie der Kehl-, Gaumen-, Nasen- und Zahnton). Deshalb ist vorzüglich auf die Gaumen-, Zungen-, Zähne- und Lippenstellung zu achten und der Sänger muß durch häufige Uebungen (Zungen- und Gaumenturnen) große Herrschaft über diese Theile (Gewandtheit in der Bewegung derselben) zu erlangen suchen. Auch ist die Größe der Mandeln soviel als möglich zu verringern, was durch Bestreichen mit Höllenstein oder Jodtinktur, sowie durch Abschneiden eines Stückes derselben ermöglicht wird. Am besten soll der Tonanschlag, wie die Gesanglehrer sagen, sein, wenn die Schallwellen vorn am harten Gaumen, dicht hinter den obern Schneidezähnen antreffen. Das bedeutet aber nichts Anderes, als wenn die Schallwellen (der Ton) so unbehindert als möglich und in der größt-möglichsten Menge zum Munde herausströmen. Dies ist aber der Fall, sobald beim Singen die Vokale, besonders a und o, klar, rein und edel ausgesprochen werden. – Hinsichtlich der Festigkeit und Dauerhaftigkeit des Tones, welche von der Kräftigkeit der Kehlkopfsmuskeln abhängig ist, so kann diese nur dadurch erlangt werden, daß man die genannten Muskeln zuvörderst gut ernährt (durch thierische, Blut bildende Kost) und daß man dann ganz allmälig beim Singen eine Steigerung an Kraft und Ausdauer, mit den gehörigen Pausen, eintreten läßt. Zu starke, zu lange und zu schnell auf einander folgende Anstrengungen des Kehlkopfes erzeugen einen lähmungsartigen Zustand der Stimmnerven und Muskeln, sowie eine Verstimmung der Stimme (s. Gartenlaube 1855 Nr. 48), so daß dieselbe zittert (tremulirt), betonirt oder sogar gänzlich versagt. Wie mancher Gesangslehrer und Sänger hat nicht schon durch solche Ueberanstrengungen die schönste und kräftigste Stimme ruinirt. – Bevor die Muskeln des Kehlkopfs den nöthigen Grad von Uebung und Kraft erlangt haben, detonirt die Stimme gewöhnlich öfters, d. h. die Töne weichen von ihrer richtigen und bestimmten Höhe nach oben oder unten hin etwas ab und werden unrein. Dies findet wie bei Schwäche der Stimmorgane auch noch bei schlechtem musikalischen Gehöre und nicht selten auch in Folge einer schlechten Lehrmethode statt. Hiernach muß also, um das Detoniren (wie auch das Tremuliren) zu heben, entweder das Stimmorgan gekräftigt (durch zweckmäßige Behandlung) oder das Gehör durch Hören guter Sänger, eines rein gestimmten Instrumentes und große Aufmerksamkeit bei den Gesangsübungen verbessert werden.

Die Höhe und Tiefe des Tones hängt von dem Grade der Spannung der Stimmbänder und von der Weite der Stimmritze ab. Je straffer diese Bänder gespannt sind, je scheller sie also schwingen, und je enger die Ritze, desto höhere Töne werden erzeugt; im Gegentheil wird der Ton um so tiefer, je erschlaffter die Stimmbänder sind, je langsamer sie also schwingen, und je mehr die Stimmritze erweitert ist. Im Mittel hat der niedrigste Ton 80 ganze Schwingungen in einer Secunde, der höchste Ton aber 992 ganze Schwingungen. – Die Größe und Beschaffenheit der Stimmwerkzeuge giebt nicht nur der Stimme, deren Umfang etwa 2 bis 3 Octaven beträgt, ein eigenes Klanggepräge (timbre), sondern ist auch die Ursache der verschiedenen Stimmarten. Es giebt deren folgende: hoher Sopran (c - – c ), Mezzosopran (a – a =), Alt (f – f =), Tenor (c – a -), Baryton (A – g -) und Baß (E – f -).

[678] Kinder und Frauen mit kleinen Kehlköpfen und kurzen Stimmbändern haben eine höhere und weichere Tonbildung und singen Diskant, Sopran oder Alt; erwachsene Männer dagegen Tenor, Baryton oder Baß. Während der Punbertätszeit, d. h. desjenigen Lebensabschnittes, in dem der Knabe zum Jüngling, das Mädchen zur Jungfrau heranreift, ändern sich die Stimmwerkzeuge in ziemlich stürmischer Weise und dabei wird die Stimme unrein, schnappt leicht über und wandelt sich allmälig aus der höheren und schwachen in eine tiefere, klangvollere, kräftigere um. Man nennt diesen, 2 bis 3 Jahre dauernden Stimmwechsel das Brechen oder Mutiren der Stimme. Es darf zu dieser das Stimmorgan ja nicht angestrengt werden, wenn die Stimme nicht für immer verdorben werden soll. Aber auch nach Beendigung der Mutation, bei der Jungfrau um das 16te Jahr, beim Jüngling zwischen dem 17ten und 19ten Jahre, muß die Stimme noch anfangs sehr geschont und vorsichtig behandelt werden. Der systematische Singeunterricht bei Kindern sollte vor dem 10ten Jahre nicht beginnen.

Innerhalb des Bezirkes jeder Stimmart lassen sich dreierlei Stimmweisen oder Stimmregister unterscheiden, welche vorzugsweise für Töne verschiedener Höhe bestimmt sind; doch lassen sich manche Töne, besonders die, welche auf der Gränze zwischen den Registern stehen, auch in allen drei Registern singen. Man unterscheidet: die Brust-, Kopf- und Falset- (oder Fistel-) Stimme und erklärt die Bruststimme, welche voll und stark ist und sich vorzugsweise in den tieferen Tönen bewegt, durch das Schwingen der ganzen Stimmbänder bei schwacher Spannung derselben und starkem Anblasen, während bei der flötenartigen weichen Fistel- oder Falsetstimme, mit der die höchsten Töne gesungen werden, nur die innern freien Ränder der Stimmbänder allein schwingen sollen. Die Kopfstimme, welche zwischen Brust- und Falsetstimme mitten inne steht und weichere, zartere, aber etwas gedämpftere Töne als die Bruststimme liefert, scheint durch Schwingungen der ganzen Stimmbänder bei starker Spannung und schwachem Anblasen, sowie durch Verengerung der Kehlkopfshöhle dicht unterhalb der Stimmbänder, zu entstehen. Es kann nämlich jeder Ton von ein und demselben Stimmbande zweimal gewonnen werden, bei stärkerer Spannung und schwachem Winde und bei schwacher Spannung und starkem Winde. Das Letztere ist charakteristisch für die Brusttöne und um so sehr, je mehr sie forte und fortissime gesungen werden, das Erstere für die Kopftöne und um so mehr, je mehr sie piano und pianissimo gesungen werden. Daher gehen die Brusttöne gegen das Piano hin in Kopftöne und diese gegen das Forte hin in Brusttöne oder bei stärksten Spannungsgraden in Fisteltöne über. Mit den Fisteltönen haben die Kopftöne die geringe Windstärke, mit den Brusttönen die Schwingungen der Stimmbänder in ganzer Breite gemein und deshalb sind sie besonders geeignet, den Uebergang des einen Registers in das andere zu bilden, was besonders dann geschieht, wenn derselbe Ton bei seinem allmäligen Anschwellen nach und nach von der Brust-, Kopf- und Fistelstimme gesungen wird. Es ist die Aufgabe des Sängers und Gesanglehrers, durch Uebungen diese drei Register so mit einander zu verschmelzen, daß ihre Uebergänge in einander unmerklich werden. Sodann verlangt es aber auch die Schonung der Stimme, daß der Sänger diesen Registern ihre bestimmten Töne anweist und nicht etwa Töne, welche er durch die Kpofstimme mit Leichtigkeit singen kann, durch die Bruststimme herausquält. Im Mittel umfaßt die Bruststimme etwa 1 bis 11/2 Octave der tiefsten Töne und alle höheren werden dann leichter mit der Kopf- und Falsetstimme gesungen. – In jedem Stimmregister können die Töne hell oder gedämpft (verhüllt) gegeben werden und dies dürfte hauptsächlich durch die höhere und tiefere Stellung des Kehlkopfes zu Stande kommen.

Während des Singens darf das Spiel des Brustlastens nicht durch unzweckmäßige Stellung, enge Kleidungsstücke, gefüllten Magen u. s. w. beeinträchtigt werden, sowie auch Alles, was die Athembewegungen beschleunigt, vor und nach dem Singen vermieden werden muß. – Aus dem Gesagten wird sich ein Jeder die Regeln herausnehmen können, welche beim Singenlernen zu beobachten sind.

Bock.