Zwei Leckerbissen aus dem Kieler Hafen

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Titel: Zwei Leckerbissen aus dem Kieler Hafen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 134–136
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Zwei Leckerbissen aus dem Kieler Hafen.

Es haben sich neuerdings Vereine und Gesellschaften zum Schutze und besseren Betriebe der Fischerei in den beiden deutschen Meeren, der Ost- und Nordsee, gebildet, denen der Staat bereitwilligst allen möglichen Vorschub leistet. Da ist es nun der Kieler Hafen, welcher einen hervorragenden Platz unter den fischreichen Meerbusen der Ostsee einnimmt, sowohl was die Mannigfaltigkeit, als was die Menge der gefangenen Fische anbetrifft. Außer den renommirten Sprotten, die wir hier zuerst nennen, weil sie den Namen Kiels weit hinausgetragen haben über die Grenzen des meerumschlungenen Landes und sogar in der Poesie verherrlicht worden sind, nennen wir: den Häring, den Dorsch, den Wittling, den Gold- und Steinbutt, den Aal, den Hornhecht, die Makrele, die Mießmuschel, die Krabbe, sowie endlich den Krebs, welche alle im Laufe des Jahres reichlich gefangen und zum großen Theil nach auswärts versandt werden. Wie aber so manche welthistorische Schlacht nicht nach dem Dorfe oder kleineren Orte, wo doch der Hauptkampf wüthete und die Entscheidung fiel, benannt worden ist, sondern nach der naheliegenden Stadt, so geht es auch hier, wo es sich um den Siegespreis einer Friedensarbeit handelt. Wenn wir daher die Stadt Kiel ihres fremden Schmuckes entkleiden, so geben wir damit nur der Gerechtigkeit die Ehre.

Wir führen unsere Leser hinüber an das südliche Ufer des Hafens zu dem alten, malerisch gelegenen Dorfe Ellerbek. An den äußersten Abhängen desselben, in einer horizontalen und senkrechten Curve, stehen die kleinen, einstöckigen Häuser mit ihrem weißen Mauerwerk und den grüngestrichenen Thüren und Fensterladen, dem Strande der Ostsee oft so nahe gerückt, daß der sandige Ufersaum nicht selten den kleinen Hofplatz bildet und eine niedrige Steinmauer die Häuser gegen die anschlagenden Wellen schützen muß. Bei gewöhnlichem Wasserstande kann noch ein sandiger Pfad außerhalb derselben für die Passage benutzt werden, von dem eine steinerne Treppe hie und da zu den Häusern hinaufführt. Diese sind nach altsächsischer Weise eingerichtet. Tritt man durch einen Flügel des grobgezimmerten Doppelthores auf die Tenne (Lohdiele), so sieht man zur Rechten und Linken eine Kuh oder Ziege neben einer Masse von Fisch- und Hausgeräth untergebracht, während am innersten Ende sich der große altmodische Kamin befindet, an dessen beiden Seiten blankgescheuertes Messing und Kupfergeschirr hängt. Auf dem Heerde brennt fast beständig ein Torf- oder Spahnfeuer, dessen bläulichen Qualm nur daran gewöhnte Lungen ertragen können. Kleine, niedrige, braun oder grün angestrichene Thüren führen in ebenso niedrige Wohn- und Schlafstuben, deren Fenster nie geöffnet werden. Die meisten Häuser kehren ihre längliche Frontseite dem Meere zu, und nur die älteren haben eine Tiefe in entgegengesetzter Richtung. Kaum daß Raum übrig bleibt zur Anlegung eines kleinen Obst- und Gemüsegartens, welcher den ganzen ländlichen Grundbesitz des Ellerbekers repräsentiert.

Nun freilich, diese Dorfbewohner treiben auch weder Ackerbau, noch irgend ein Handwerk, sondern sind lediglich Fischer. In der richtigen Erkenntniß, daß die Kraft des Einzelnen allein nicht ausreiche, um einen guten Fang zu thun, haben sie unter sich förmliche kleine Innungen geschlossen, welche treu zusammenhalten, gemeinschaftlich ihre Fischzüge unternehmen und mit zehn bis zwanzig Böten oft Tage lang ausbleiben, wenn sie außerhalb der Kieler Bucht in der offenen Ostsee ihre Netze auswerfen. Als gute Christen jedoch fühlen sie sich verpflichtet, stets den Sonntag über zu Hause zu sein. Die Geschäfte sind so vertheilt, daß die Männer den Fang thun, die Frauen aber denselben präpariren und verwerthen.

Wir werden in dieser Ordnung das Ellerbeker Fischerleben unsern Lesern vorzuführen versuchen, nicht zwar in seiner Totalität, das möchte zu weit führen und ermüdend sein, sondern so, daß wir beispielsweise zwei der interessantesten Partien herausgreifen: den Mießmuschel- und Sprottenfang, welche – um ein allerdings etwas gewagtes, aber doch zutreffendes Bild zu gebrauchen – des Ellerbekers Garten- und Feldarbeit repräsentiren. –

Wenn anhaltende Westwinde viel Wasser aus der Kieler Bucht herausgetrieben haben, so sieht man einige hundert Schritte vom Ellerbeker Ufer entfernt, auf einer Linie, die mit der Häuserreihe parallel läuft, hie und da die Spitze eines seiner Krone und Zweige beraubten Baumes aus dem niedrigen Wasserspiegel hervorragen, und wenn man bei ruhiger See in einem Boote über diese Strecke dahinfährt, so bemerkt man unter dem klaren Wasser eine zahlreiche Menge solcher Bäume, fest und unbeweglich mit ihren Spitzen im Grunde steckend, welche sich ausnehmen wie die Einfriedigungen unterseeischer Gärten. Das sind die Muschelpfähle, deren jährlich gegen tausend in dem Kieler Hafen „gesetzt“ [135] und „gezogen“ werden. Die Fischer bedienen sich dazu junger Ellern oder Buchen (letztere sind theurer, aber dafür auch dauerhafter), nehmen ihnen die dünnsten Zweige, schneiden die Jahreszahl in den Stamm, spitzen sie unten zu und setzen sie dann mit Hülfe eines Taues und einer Gabel aus zwei bis drei Faden Tiefe fest in den Grund. Hier stehen sie gewöhnlich vier Jahre, und wenn sie dann mit Hülfe eines Taues, welches um den Stamm herumgeschlungen wird, wieder herausgenommen, „gezogen“ werden, so sind sie dicht besetzt mit allerlei Wasserthieren; namentlich hängen in Büscheln und Klumpen große Muscheln daran, die ihre Byssusfäden entweder am Holze oder an den Schalen ihrer Nachbarn festgesponnen haben. Es ist das die Mießmuschel, mytilus edulis, eßbare Muschel, eingeschlossen in eine länglich eiförmige Schale, an der Vorderseite etwas plattgedrückt, an der Rückseite gekrümmt und gebogen und von violetter Farbe. Das Thier selbst ist gewöhnlich pommeranzengelb, im mageren Zustande etwas blasser, und wird, gekocht mit der Zuthat von Pfeffer und geschmolzener Butter, von vielen Menschen als Leckerbissen gegessen, nachdem vorher, wie bei der Auster, der sogenannte Bart entfernt worden ist.

Um seinem gefährlichen Feinde, dem Kreuzfisch oder Seestern, welcher sich in Folge seines Körperbaues auf dem Grunde des Meeres aufhalten muß, zu entgehen, sucht die Muschel höher liegende Gegenstände, Steine, Seepflanzen etc., aus und befestigt sich mit seinen Fäden an denselben.

Auf diesem einfachen Umstande beruht die ganze Muschelfischerei, welche also leicht und ohne große Kosten zu betreiben ist. Vier Jahre braucht die Muschel, um sich vollständig zu entwickeln; es muß also, damit man fortgehende Ernten hat, das jährliche Setzen und Ziehen im Verhältniß zu einander stehen. Auf den Kieler Markt kommen circa achthundert Tonnen jährlich, welche eine Gesamtsumme von reichlich drei Millionen Muscheln und einen Werth von drei- bis viertausend Thalern repräsentiren. Gewöhnlich werden die Muschelpfähle im Winter und zwar auf dem Eise „gezogen“. Die Ellerbeker kennen genau den Stand derselben, indem sie Merkzeichen auf dem Lande haben, die sie vom Wasser aus beständig fixiren. Mit Hülfe eines langen Hakens führen sie ein Tau um den Stamm des Baumes und winden denselben damit in die Höhe. Wenn er erst gelockert und aus dem Grunde gezogen ist, was allerdings einige Anstrengung erfordert, erscheint er bald auf der Oberfläche des Wassers. Bei Frostwetter wird der Baum ganz auf’s Eis hinausgezogen, und dicker schwarzer Schlamm bezeichnet in einem weiten Umkreise die Stelle, wo die Ernte gethan ist. Auf ihren sechs Fuß langen schmalen, meistens grün angestrichenen „Peekschlitten“ sitzen dann die Fischer mit ihren leinenen Pumphosen, gestrickten dicken wollenen Unterjacken und großen schweren Wasserstiefeln im traulichen Kreise zusammen, um die brauchbaren Muscheln abzupflücken und in bereitstehende Bütten und Kufen zu werfen.

Es ist nicht uninteressant, ihren Gesprächen bei dieser lohnenden, aber schmutzigen Arbeit zu lauschen, nicht uninteressant so einen herausgezogenen Muschelpfahl zu betrachten. Zwischen und aus den Schalen der Muscheln wimmelt es von verschiedenen anderen Thieren, braunen Seenelken, Schippen- und Fadenwürmern, Ohr- und Haarquallen, verschiedenen Polypenformen etc. Auch der gefräßige Seestern hat es möglich gemacht, seine durchsichtigen Fäden zwischen die geöffneten Schalen der Muscheln zu stecken und die darin enthaltene tödtliche Flüssigkeit auf den Körper des armen Thieres zu ergießen. Man findet ihn mit Muscheln im Magen.

Aergerlich wird der Ellerbeker, wenn der Schiffsbohrer den Muschelbaum so arg bearbeitet hat, daß derselbe zu nichts mehr nütze ist, als in’s Feuer geworfen zu werden. Dann kann es vorkommen, daß die besuchenden Schlittschuhläufer rauh abgewiesen werden, wenn sie sich störend herzudrängen oder gar um einen kleinen Tribut von der gemachten Beute bitten, der sonst nicht gern versagt wird, wenn anders der Jahrgang gut und die Ernte einigermaßen erträglich ausgefallen ist. Früher wurde der jährliche Ertrag zum größten Theile in Kiel und Umgegend consumirt, höchstens daß sich einige Reste nach Hamburg verirrten. Seit man aber neuerdings angefangen hat, die Muschel so zu behandeln, daß sie längere Zeit aufbewahrt werden kann, indem man sie kocht, ihrer Schalen entkleidet, reinigt, mit Essig, Pfefferkörnern und Lorbeerblättern einmacht und in luftdicht verschlossene Gläser thut, dürfte sie bald ihren Rundgang durch ganz Deutschland machen und auf den Speisekarten der großen Hôtels ebenso als gesuchter Leckerbissen paradiren wie die berühmten „Kieler Sprotten“, deren Fang und Behandlung wir jetzt unseren Lesern vorführen wollen.

Die November-Sonne ist untergegangen; eine recht frische Brise geht über das Wasser hin, so daß die ganze See mit kurzen krausen Wellen bedeckt ist. Dieses günstige Mittelding zwischen Sturm und Windstille gewährt die meiste Aussicht auf einen reichen Sprotten-Fang; denn bei solchem Wetter pflegen die Sprotten in großen Schaaren einherzuziehen, zu „lopen“ (laufen), wie die Fischer sagen, und lassen sich leichter fangen. Trotz der späten Abenddämmerung ist es am Ellerbeker Ufer lebendig. Eine Reihe Böte, darunter noch jetzt einzelne, welche aus einem einzigen ausgehöhlten Baumstamme bestehen und mit ihren spatenförmigen Schaufeln und grasbraunen Segeln lebhaft an die Canoes der Wilden erinnern, – eine Art, deren sich vorzugsweise die Frauen bedienen –, liegt zur Abfahrt bereit; denn ein ganzes Geschwader will sich in die offene See hinausbegeben. Je zwei und drei bergen das große, aus feinem, starken Hanfgarne gestrickte und dunkel getheerte oder gebeizte Fangnetz. Dasselbe besteht aus einem sogenannten Sack und zwei Flügeln. Letztere sind vierzig bis fünzig Faden lang und ein bis zwei Faden breit. Die Maschen, deren Weite und Anzahl sich nach der Größe der zu fangenden Fische richtet, sind am äußersten Ende der Flügel am weitesten, werden dann immer enger und schließlich im Sacke, welcher beide Flügel verbindet, so dicht, daß auch die kleinsten Fische nicht durchschlüpfen können. Auf allen vier Seiten ist das Netz durch eine dickere Schnur begrenzt, welche gleichsam einen Rahmen um dasselbe bildet. Die ganze obere Seite ist mit Korkstücken, die untere mit Steinen versehen. Erstere, „Flotthölzer“ genannt, haben den Zweck, das Netz aufrechtzuerhalten, zu tragen; letztere, es am Grunde niederzuhalten, mit andern Worten: daß das Netz unter dem Wasser stets straff, stramm stehe und die gehörige Lage habe. Am Ende jedes Flügels ist ein starkes Querholz befestigt und an diesem ein langes dickes Tau, das um eine Walze läuft, die in der Mitte des Bootes mittelst Handspeichen gedreht wird.

Nachdem dieses kostbare Handwerkszeug (ein großes Fangnetz gilt vier- bis fünfhundert Thaler), sorgsam – will sagen in regelmäßigen Lagen am Vordersteven des Bootes niedergelegt worden ist, und der am Steuer befindliche Kasten sein Deputat an Brod, Speck und Branntwein bekommen hat, stößt die aus zwei rüstigen Männern bestehende Besatzung jedes Bootes vom Lande. Zu der oben geschilderten Ausrüstung kommt noch ein dicker, schwarzgetheerter Rock hinzu, der zwar wenig Wärme, aber desto bessern Schutz gegen den scharfen Wind gewährt, wie auch ein großes ledernes Schurzfell. Bald werden die Ruder eingelegt, und in gleichmäßigem Tacte geht es vorwärts, an einzelnen still vor Anker liegenden Kriegs- und Kauffahrteischiffen vorbei, hinaus in die offene See, deren kräuselnde Wellen unter dem klaren wolkenlosen Sternenhimmel glitzern und blitzen. Endlich ist die zum „Aussetzen“ des Netzes bestimmte Stelle erreicht. Die Ruder werden eingezogen, und die von Hand zu Hand gehende Flasche eröffnet den Reigen. Die beiden Böte, welche das Compagniegeschäft betreiben, liegen jetzt dicht nebeneinander. Nachdem jedes derselben einen Flügel des Netzes aufgenommen hat, und der mit einem Stück Blei beschwerte Sack langsam und vorsichtig in’s Wasser gelassen ist, fahren sie in entgegengesetzter Richtung auseinander und entfernen sich so weit, bis auch die Querhölzer der während dessen ausgeworfenen Flügel unter Wasser sind. Dann ändern sie die Richtung und fahren parallel nebeneinander her; die Walzen beginnen sogleich, sich zu drehen, und das ablaufende Tau sinkt in’s Wasser. Endlich ist jede Walze abgelaufen und reichlich hundert Schritt von den Böten entfernt liegt das Netz ausgespannt am Grunde des Meeres. Jetzt beginnt das eigentliche „Ziehen“ desselben. Vermittelst Handspeichen werden die Walzen in entgegengesetzter Richtung gedreht, eine Arbeit, die sehr mühsam ist und häufige Ablösung erfordert. Allmählich nähert sich so das fortwährend ausgespannte Netz den beiden Böten, und sobald jedes derselben das Querholz seines Flügels erreicht hat, legen sie sich wieder dicht nebeneinander, um das Einziehen des Netzes zu beginnen, welche Arbeit noch mühsamer ist, da sie mit den Händen geschehen muß, und das Netz wegen [136] des daran haftenden Wassers und Seetangs, sowie der Steine sehr schwer ist. Um sich vor der durchdringenden Nässe zu schützen, werden die großen Wasserstiefeln höher hinaufgezogen und zugleich die ledernen Schürzen vorgebunden. Mit jedem Griffe kann höchstens eine Elle des hundertundzwanzig Ellen langen Flügels eingezogen und in’s Boot gelegt werden; es dauert also eine ziemliche Zeit, bevor der verhängnißvolle Sack zum Vorschein kommt.

Wird zufällig in der Nähe des Ufers gefischt, so verfehlt dieser spannende Augenblick niemals, eine große Zuschauermenge herbeizulocken. Zuerst kommen einzelne Fische zum Vorschein, die sich mit ihren zackigen Rücken- und Bauchflossen in den Maschen festgelaufen und verwickelt haben. Diese werden während des Ausziehens ausgelöst und in’s Boot geworfen; je mehr derselben sind, desto sicherere Hoffnung ist auf eine reiche Beute vorhanden, wie starke Tirailleurketten denn gewöhnlich ein entsprechendes Gros hinter sich haben. Und nun das Endresultat! Wir lesen in Lucae 5, V. 9: „Und sie kamen und füllten beide Schiffe voll, also daß sie sanken.“ Wir glauben aber kaum, daß unsere schweigsamen, phlegmatischen Ellerbeker, wenn sie mit Eimern und Hohlschaufeln die große compacte Masse in die Böte befördern, „also daß sie sanken“, ein ähnlicher Schrecken angekommen ist, wie weiland Petrus und seine Gesellen. Sie bedürfen aber auch solcher Glückszüge, denn, um den Vergleich durchzuführen, auch sie können nicht selten ihren sie erwartenden Frauen zurufen: „Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen!“ Statt der glitzernden und zappelnden Fische enthält dann das Netz eine wüste, verworrene Masse grünen und verwesenden Seegrases, welches nur unnütze Stecklinge, Seesterne, Muscheln, Polypen und Quallen, aber kaum einen brauchbaren Fisch in seinem Schooße birgt. Die Gerechtigkeit fordert das Zugeständniß, daß unsere Ellerbeker diesen ärgerlichen Fall mit demselben Gleichmut hinnehmen, wie das Gegentheil; kaum daß die heftige Bewegung der Hand, welche das schädliche Seegras aus den Maschen des Netzes entfernt, eine innere Erregtheit verrät, die man auf dem durchwetterten Gesicht vergeblich sucht. Doch, um unsere Aufgabe zu vollenden, müssen wir sie als glückliche Sieger heimkehren lassen.

Während die Männer jetzt ihre alleinige Aufmerksamkeit dem Netze zuwenden, welches zunächst durch häufiges Ausspülen vom Fischschleim, Kies, Seegras und anderm Unrat sorgfältig gereinigt und dann zum Trocknen an einem schattigen und luftigen Orte, wo die Sonne nicht darauf brennen kann, aufgehängt wird, bemächtigen sich die Frauen der gemachten Beute.

In früheren Jahren, wo die Ellerbeker es noch nicht zu ihrer jetzigen enormen Virtuosität im Räuchern gebracht hatten, wurden die Sprotten, wie ihre Geschlechtsverwandten, die Häringe, auch gesalzen oder frisch verkauft. Schon längst aber wird der Ruf: „Frisch’ Brethling!“, „Drög Brethling!“ nicht mehr in den Straßen Kiels gehört. Derselbe ist ebenso verstummt wie das classische „Lemliche Dösch!“ (lebendige Dorsch), welches, im gellenden Weiberdiscant gesungen, vor Zeiten die Kieler Hausfrauen auf die Straße hinauslockte, um für ein paar Schillinge ein ganzes Familiengericht einzukaufen. Jetzt steht nicht zu befürchten, daß die Ellerbeker Fischweiber, welche an Mundfertigkeit es völlig mit den Damen der Halle aufnehmen können, mögen sie auch sonst viel harmloserer Natur sein und niemals sich in Hyänen verwandeln, Einem die Thüren mit ihren Bütten und Kufen einrennen. Nein, man muß ihnen kommen und es noch als eine ganz besondere Gefälligkeit ansehen, wenn sie Einem auf ein Dutzend Sprotten, die man jetzt mit dem vierfachen Preise bezahlen muß, ein winziges Exemplärchen in den Kauf geben. Etwas besser fährt man, wenn man auf einer Spaziertour nach dem reizend gelegenen Ellerbek eine der zahlreichen Räucherkaten aufsucht und seine Einkäufe an Ort und Stelle macht. Man trete aber fein säuberlich auf und unterlasse ja nicht, zuvor den Leuten ob ihrer kunstreichen Arbeit das wohlverdiente Lob und Interesse zu spenden.

Auf der rußigen Tenne finden wir mehrere flachsköpfige Kinder beschäftigt, feine glattgeschälte Weidenstäbe durch die Kiemen der Fische zu stecken. Sobald ein Stock voll ist, das heißt reichlich fünfzig Sprotten in einer Reihe an demselben hängen, nimmt ihn die Mutter den Kindern ab und hängt ihn in den Heerd. Meistens sind zwei Heerde nebeneinander, und jeder derselben kann drei Schichten dieser Stöcke aufnehmen. Dicke Rauchwolken steigen empor vom Boden des Heerdes, wo ein niedriges Feuer brennt, das von der Frau stets gedämpft gehalten wird, indem sie unausgesetzt mit einem hölzernen Löffel Wasser auf die brennenden Eichen- und Erlenspähne gießt. Dies geschieht zunächst, um die zum Räuchern der Fische nöthige Intensität des Rauches zu erzeugen; dann aber auch Vorsichts halber. Denn sobald die Flamme hell auflodert und gegen die Fische schlägt, steht in einem Nu der ganze Vorrath in Gefahr, zu verbrennen. Das Fett der Fische wirkt wie eingegossenes Oel, und nur dem massiven Heerde ist es zu verdanken, daß die Bewohner zu dem Verluste ihrer Fische nicht auch den des Hauses zu beklagen haben; daher denn die kundige Frau kein Auge von dem Feuer abwendet und stets mit dem vollen Löffel von einem Heerde zum andern geht.

Die natürliche Farbe der Sprott ist silberweiß; wenn der Fisch indessen eine Zeit lang im Rauche gehangen, geht sie in’s Grünliche über und wird schließlich nach Verlauf von zwei bis drei Stunden goldgelb. Frisch aus dem Rauche gekommen, sind die Sprotten eine wahre Delicatesse, die von den echten Gourmandes mit Haut und Haaren (will sagen: Gräten) aufgegessen werden; höchstens daß man den Kopf, nachdem man ihn zuvor gehörig ausgesogen hat, auf dem Teller zurückläßt. Aber schon nach wenigen Tagen verlieren sie ihren feinen, zarten Geschmack, werden trocken und hart und die Haut, welche ihren goldenen Glanz eingebüßt hat, läßt sich nicht mehr mit Leichtigkeit abziehen. Auch die sofortige sorgfältige Verpackung kann diesen Unterschied nicht aufheben, und Blücher’s Motiv für seinen Einmarsch in Frankreich:

„Ich denke, der Champagnerwein
Wird, wo er wächst, am besten sein“ –

darf mit ungleich größerem Recht auf die prosaische Sprott angewendet werden.

Wir können somit den fernen Leser, welcher wirklich delicate Sprotten genießen möchte, nicht von der Reise ins meerumschlungene Land dispensiren. Diese Reise werden freilich nur Wenige zu solchem Zwecke unternehmen können, und so wollen wir die Leser zum Schluß doch davor schützen, daß sie nicht das Opfer eines gemeinen Betrugs werden, indem wir ihnen das Mittel an die Hand geben, wodurch sie die echte Sprott von dem gemeinen Häring sicher unterscheiden können. Es ist dies die rauhe, scharfe Bauchfläche, welche beim gewöhnlichen Häring stets glatt ist und oft den alleinigen Verräther spielt, wenn Größe und Farbe beider Arten völlig übereinstimmen.