Besser als ihr Ruf
„Was kraucht da in dem Busch herum?“ Hu! eine Kröte! So ruft von Entsetzen geschüttelt, natürlich mit dem dazu nie fehlenden, durch Mark und Bein dringenden Schrei, das zarte Geschlecht, und eilige Flucht oder gar eine Ohnmachtanwandelung sind die Folgen der Ueberraschung durch dieses Phantasiegebild. Phantasiegebild? Ja, denn man darf wohl dreist behaupten, die bei weitem größere Anzahl unserer lieben Mitmenschen, die Männerwelt nicht ausgenommen, hat es noch nicht übers Herz bringen können, dieses Thier in Wirklichkeit einmal in der Nähe zu betrachten, wäre es auch nur, um wenigstens sich des äußeren Unterschiedes zwischen Kröte und Frosch klar zu werden.
Woher diese grenzenlose Scheu und die daraus entspringende, unsinnige Verfolgungswuth, unter welcher mehr oder weniger fast alle Nachtthiere zu leiden haben? Sie reicht weit hinauf in’s graue Alterthum, aber wohl keinem Thiere hat die Sage, der Aberglaube und das Vorurtheil so arg mitgespielt, als der Kröte, so daß es noch heute des ganzen Ernstes der Wissenschaft bedarf, das Thier bei Hoch und Niedrig zu entfabeln. Arme Kröte, die du in der Thierwelt getrost behaupten kannst: „Ich bin besser als mein Ruf“; schon zu Moses Zeiten wurdest du in infamen Verruf erklärt, denn: „Diese sollen euch auch unrein sein unter den Thieren, die auf der Erde kriechen: die Wiesel, die Maus, die Kröte, ein jegliches mit seiner Art.“ 3. Mos. 11, 29; ferner Vers 42: „Und alles, was auf dem Bauch kreucht, und alles, was auf vier oder mehr Füßen gehet, unter allem, das auf Erden schleicht, sollt ihr nicht essen; denn es soll euch eine Scheu sein“, heißt es in Luther’s Bibelübersetzung.
Die düstere Seite oder vielmehr die falsche Auffassung des Christenthums im Mittelalter hat nun vollends die Kröte in den Abgrund der Hölle geschleudert, denn in den Hexenprocessen sehen wir sie in glühender Entfaltung grauenvollen Zaubers. Hier sei auch des geheimnißvollen Krötensteins[1] gedacht. Der Aberglaube hat nach Wuttke („Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart“) Folgendes ausgeheckt: „Im Kopfe der großen Kröte liegt der ‚Krötenstein‘ (ein kleines rundes Knöchelchen), den man aber nur erhält, wenn man die Kröte in einem Ameisenhaufen zerfressen läßt; streicht man eine Wunde damit, so heilt sie sofort, und kommt Gift in seine Nähe, so schwitzt er; berührt man damit eine Frauensperson, so springt alles Gebundene, Zugeknöpfte und Zugenestelte an ihr auseinander.“ Jener Aberglaube ist in Tirol, dieser in Böhmen allgemein.
In dem unermeßlichen Troß der Geheimmittel wurde der Kröte eine ganz besondere, wesentlich bevorzugte Aufmerksamkeit, reich an Variationen, zu Theil, und es überrascht daher nicht, daß man eine Anzahl von Floras Kindern mit dem Namen der Kröte in Verbindung gebracht hat.
Milder gestaltet sich ihr Schicksal in dem in Tirol und Kärnten verbreiteten Volksglauben, daß, wie Wuttke uns mittheilt, „arme Seelen in Krötengestalt auf der Erde herumirren und so ihre Sündenschuld abbüßen müssen. In fast ganz Tirol betrachtet das Volk die großen Kröten (in Süd-Tirol Hötschen, im Innthal Höppinen genannt) mit Grauen und Mitleid, thut ihnen aus Barmherzigkeit gegen die armen Seelen kein Leid an und weist auch die Kinder dazu an. Besonders am Allerseelentage darf man Kröten oder Frösche nicht tödten, ‚weil arme Seelen drin sind‘. An Quatembertagen erscheinen Kröten bei Capellen und besonders bei Wallfahrtsorten. So wollte man vor längerer Zeit in dem Michaeliskirchlein zu Schwaz, an den Vorabenden hoher Feste, eine große Kröte gesehen haben, die zum Altare kroch, sich dort aufrichtete und die Vorderfüße zusammengelegt in die Höhe hielt, als ob sie betete; das war eine solche arme Seele, Aehnliches erzählt man sich in Meran. Nicht selten kommt es vor, daß Menschen, die eine gelobte Wallfahrt unterlassen haben, dieselbe nach ihrem Tode als Kröte vollbringen müssen, was freilich sehr langsam geht, manchmal sieben Jahre lang dauert; am Ziele der Wallfahrt angekommen, fliegt die erlöste Seele dann als weiße Taube gen Himmel.“
Vielfach treffen wir die Kröte im Reich der Märchen an und besonders als Schätzehüterin; auch Menschen, die einen Schatz versteckt haben, hüten in Tirol als Kröten denselben so lange, bis er gefunden wird. Nach der Sage muß bekanntlich die Kröte Erde fressen, weil sie während der Sündfluth die Erde in ihrem Bauche für die Nachwelt aufzubewahren hatte, und da sie in Sorge ist, die Erde könnte doch einmal alle werden, so frißt sie täglich nicht mehr, als sie mit dem linken Fuß fassen kann.
Darauf hindeutend, vergleicht sie Hans Sachs mit dem Geizigen und giebt an einer andern Stelle dem Eigennutz das Herz einer Kröte:
Das Krötenherz sein Deutung hat,
Daß eigner Nutz ist unersatt.
Was ei’m Gott giebt, wen’g oder viel,
Jedoch er noch mehr haben will.
[132] Ja, hat doch selbst der Künstler unsrer Illustration sich dieses Gefühls, wenn auch in berechtigterer Form, nicht erwehren können und die Kröte als einen neidischen Gesellen dargestellt, der mit gierigem Blick nach der Fliege hinschielt, die der glücklichere Jagdnebenbuhler schon gepackt hat. Als Wetterprophet sagt der Engländer Dr. Jenner[WS 1] in dem Gedichte „Es wird regnen“ von ihr:
„Die schmutzige Kröte im Dämmerschein
Hüpfte und schlüpfte über den Rain.“
Das Feld der Krötenverketzerung, des Aberglaubens und der Lüge verlassend, sei uns nun gestattet, einen unbefangenen Blick auf das Thier selbst und dessen Leben und Treiben zu werfen, um an der Hand der Wissenschaft zur Wahrheit zu gelangen. Allerdings: „Schön war ich auch, und das war mein Verderben“ kann die Kröte keineswegs von sich sagen, denn es ist nicht zu leugnen, sie ist und bleibt ein häßliches Thier; aber dennoch kann man auch ihr, wie die Illustration zeigt, immerhin noch eine einigermaßen erträgliche, malerische Seite abgewinnen.
Während der Frosch, der kühne Springer und liebeslustige Schreier, in Farbe, Form und Bewegung noch Eleganz und „Ein freies Leben führen wir“ repräsentirt, ja sogar durch sein Concert mit beitragen hilft, die Stimmung einer schönen warmen Frühlingsnacht zu vollenden, finden wir von alledem nichts bei unserer Kröte, die den stolzen Namen Phryne vulgaris führt. Diese unsere heimische Erdkröte hat einen plumpen, reich mit dicken Warzen und mit Schleim überzogenen, die Feuchtigkeit liebenden Körper, und diesem entspricht ihr Gang und ihre ganze Aufführung. Sie hat bei Weitem kürzere Hinterbeine als der Frosch, und deshalb gestatten sie ihr nicht, den lustigen Springinsfeld zu spielen; sie watschelt mehr, als sie geht, und wenn sie Beute erjagend oder die Flucht ergreifend hüpfen will, so wird mehr ein unbeholfenes Schlüpfen daraus. Ein nächtlicher Wegelagerer, sitzt sie Tags über melancholisch in ihrem Schlupfwinkel, um denselben erst zu verlassen, wenn die Sonne zu Rüste gegangen ist. Ausnahmsweise jedoch thut sie dies auch zuweilen am Tage, aber nur dann, wenn der Himmel trübe und bewölkt ist und sich ein warmer Regen ergossen hat. Daß sie nach letzterem oft in großen Massen erscheint, ist ja allbekannt und der vermeintliche Frosch- und Krötenregen dadurch längst aufgeklärt. In der Wahl ihres Wohnortes ist sie durchaus nicht heikel; man findet sie allenthalben, wo sie sich verbergen kann, in Gruben, Gräben und Gärten, unter Steinen, Baumwurzeln, in Wäldern, Gebüschen und Hecken. Deshalb fragt Goethe:
Was schlürfst aus dumpfem Moos und triefendem Gestein
Wie eine Kröte Nahrung ein?
Findet sie kein passendes Unterkommen, so gräbt sie sich mit Hülfe ihrer Hinterfüße einen Bau leicht unter der Erde. So wird sie häufig in der Umgegend von Leipzig, vorzüglich bei den Kohlgartenbauern in Crottendorf, ein Name, der ja auch von Crote (sprich Crotte), Kröte abgeleitet wird, im Frühjahre beim Umarbeiten des Erdreiches gefunden. Ihr Bau bildet einen über die Bodenfläche wenig erhabenen, sattelähnlichen Damm, in welchem sie, wie sich der Volksmund ausdrückt, herumfährt; daher die Ausdrücke „Reitkröte“, „Fahrkröte“.
Leider herrscht bei vielen unserer Bauern noch immer die Unsitte oder vielmehr der Unverstand, die Kröten, wie sie es nennen, „zu prellen“, d. h. sie auf den Spaten legend hoch in die Luft zu werfen und sie auffangend wieder auf den Spaten aufprellen zu lassen, daß sie das Zeitliche segnen. Wie unrecht sie thun, darüber könnte sie die Nahrung der Kröte belehren. Die Jagd derselben erstreckt sich auf allerhand Insecten, Würmer und Schnecken; vorzugsweise Nacktschnecken scheinen ihr Leckerbissen zu sein, in Folge dessen sie für Gärtnereien ein durchaus nützliches Thier ist. Dies hat man in England längst gewürdigt; dort werden Kröten in den großen Gärtnereien nicht nur gehegt und gepflegt, sondern auch schockweise aufgekauft. Erspäht die Kröte eine Beute, die aber jederzeit lebendig sein und sich bewegen muß, dann verliert auch sie ihre plumpe Gestalt. Den Körper mehr streckend, den Kopf erhebend, den Blick lauernd und spannend fest auf ihren Raub gerichtet, funkeln ihre Augen wie Juwelen. Blitzschnell wird die schleimige Zunge herausgeschnellt, und daran angeklebt verschwindet die Beute in dem unlieblichen Maule.
Nur Schmetterlinge läßt sie unbehelligt, weil nach Fothergill wahrscheinlich der Flügelstaub derselben ihre schleimige Zunge bepudert, dadurch den schlüpfrigen Schlund trocken macht und so ihr Schlucken erschwert. Ebenso verursacht es ihr, nach der Mittheilung eines Beobachters, welcher eine Kröte in Gefangenschaft hielt, viel Mühe, große Laufkäfer zu verschlucken; es gelingt ihr dies erst, wenn sich dieses Kerbthier wiederholt aus dem Rachen der Kröte befreite. Um so ärgerlicher muß es daher für sie sein, wenn vielleicht nach langem Darben und Hungern, worin die Kröte, gleichwie in der Gefräßigkeit, viel leisten kann, ein solcher geharnischter, nächtlicher Wegelagerer anderer Art, wie es unser Bild zeigt, ihr den fetten Bissen vor der Nase wegschnappt. Wohl hätte auch dieser mit sammt seiner Beute Raum genug in dem Krötenmaule, doch ist der Ritter zu flink und, im Fall ihn wirklich die verhängnißvolle Zunge erreicht, so behende, daß er sich ganz ritterlich selbst noch in dem Maule der Kröte zu wehren weiß, und so glückt es ihm schließlich meist der Gefahr zu entrinnen. Ihre Vorliebe für starkriechende Pflanzen, namentlich für Salbei und Schierling, welcher letztere daher auch im Französischen Persil du crapaud, Krötenpetersilie, bei uns Krötendill, heißt, gab Anlaß zu der Meinung, welche wir noch von Lacépède vertreten finden, daß die Kröte außer Insecten stinkende giftige Kräuter fresse.
Nun zu ihrem vermutlichen, gefürchteten Gifte! – Der Glaube daran hat sich im Volke so tief eingeprägt, daß die Redensart. „kleine Kröten haben auch Gift,“ fast überall gang und gebe ist. Hören wir, wie selbst wissenschaftliche Männer in den Zeiten ungenügender Beobachtungen und Untersuchungen mit sündigen halfen, die Kröte in dem Pfuhl des Aberglaubens stecken zu lassen. Noch der berühmte französische Naturforscher Lacépède behauptet: „Die Kröte, wenn sie gedrückt wird spritzt sie einen stinkenden Saft von sich. Man hält diese Flüssigkeit,
[133][134] welche sie von sich giebt, für ihren Urin, und er ist unter manchen Umständen mehr oder weniger schädlich. Ein Milchsaft, der aus ihrem ganzen Körper schwitzt, und der Geifer, der ihr aus dem Munde läuft, vergiften Kräuter und Früchte, die sie berührt, so daß diese schädlich werden können, wenn man sie ungewaschen genießt. Dieser Geifer und der Milchsaft können nach Maßgabe des Klima’s und der Nahrungsmittel nach ätzender werden und, je nachdem sie empfindliche Theile berühren, noch schädlichere Wirkungen äußern. Die Fußstapfen einer Kröte können daher unter gewissen Umständen so schädlich werden, als ihr Anblick widrig ist. Man könnte fragen: warum man eine Thierart nicht ausrottet, an der nichts Erträgliches, geschweige Nützliches ist?“ Ja, an einer andern Stelle giebt derselbe Autor sogar an, zu welcher Zeit man erfolgreich ihrer am meisten tödten könne. Kein Wunder also, daß man deren Verfolgung noch heutzutage in voller Blüthe sieht.
Solch grausen Unfugs, wie des eben angeführten, ist nun, zur Beruhigung sei es gesagt, die arme Kröte nicht fähig. Die gewissenhaftesten Untersuchungen haben ergeben, daß die wohl meist mehr aus Angst, als zur Vertheidigung ausgespritzte Flüssigkeit nichts weiter ist als der Urin der Kröte, und daß die schleimige Absonderung ihrer Hautdrüsen, auf die Schleimhäute des Menschen gebracht, nur ein vorübergehendes Brennen verursacht, sonst aber durchaus ungefährlich ist. Schreiber dieses hat wiederholt Kröten in den Händen gehabt und, von ihrem Urin benetzt, sowie von ihrem Drüsensaft angeschleimt, weder fühlbare, noch sichtbare unangenehme oder nachtheilige Folgen empfinden können. Ja, Adanson[WS 2] (Naturgeschichte des Senegal) berichtet uns von ihr das Umgekehrte, da heißt es. „Meine Neger, die von der Sonnenhitze und dem brennenden Sande sehr gelitten hatten, rieben sich die Stirn mit lebendigen Kröten, die sie unter den Gesträuchen fanden. Sie thun das auch oft, wenn sie Kopfschmerzen haben, und spüren viel Erleichterung darnach.“
Was die Vermehrung der Kröte anbelangt, so ist sie überschätzt worden, denn da während der Paarung zur Ablegung und Befruchtung des Laichs, was im März und April nur im Wasser geschehen kann, ihnen jeder Tümpel, jede Pfütze genügt, so geht durch Vertrocknung derselben eine ganz bedeutende Anzahl von Brutcolonien zu Grunde. Feinde hat sie wenig. Von den meisten Raubthieren, jedenfalls wegen ihres Drüsenschleims, verschmäht, stellt ihr nur die Schlange nach, „jedoch der schrecklichste der Schrecken“ für sie „das ist der Mensch in seinem Wahn“ und der Undank, welcher überhaupt der Welt Lohn ist.
Arme Kröte, verkannte Unschuld, setzen wir dich in die „Gartenlaube“! du gehörst hinein, hast ein Recht dazu! Du wirst, von da aus die Aufmerksamkeit mehr auf dich lenkend, nicht versäumen dich nützlich zu machen, auf daß das noch vorhandene Ungeziefer von Irrthum, Vorurtheil und Aberglauben verschwinde und Schule und Haus mit dir sich befreunde, dich schirme und schütze. Dies Streben zu unterstützen und immer wieder von neuem anzuregen, war der Zweck der Illustration und dieser Zeilen. Wer eingehender über den Entwickelungsgang und die Lebensweise der Kröte und ihrer Arten unterrichtet sein will, der greife zu Brehm’s „Thierleben“, dem bekannten Pracht-Verlagswerke des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen! Sicherlich gelingt es der anmuthigen Belehrungskunst Brehm’s, den Leser auch mit diesem verkannten armen Thiere so zu versöhnen, daß er ihr gern mit uns zum Abschied zuruft: „Gehab dich wohl!“
- ↑ Die vielfach unter diesem Namen aufgefundenen Steine, die mit der Kröte nichts weiter gemein haben, als daß deren Form Aehnlichkeit mit der Kopfbildung der Kröte hat, sind versteinerte Zähne einer ausgestorbenen Fischgattung, und eine andere gleichfalls unter dem Namen Krötenstein bekannte Form sind versteinerte Seethiere, aus der Classe der Strahlthiere, Radiarien, gewöhnlich Seeigel genannt.