Zwei Märtyrer-Denkmale

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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Zwei Märtyrer-Denkmale
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 398
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[395] 

Marburg in Hessen.
Nach der Natur aufgenommen von G. Theuerkauf.

[398] Zwei Märtyrer-Denkmale. (Zu Illustration „Marburg“ S. 395.) „Droben in der Burg, wo das Verbrechen wohnt – dort mit Räubern, Mördern und Dieben unter einem Dache, dort schmachtet Der im Kerker, dessen Name jedem wackeren Hessen in’s Herz gegraben ist; dort hält man den Leib gefangen des freien Geistes, der Hessens Verfassung schrieb und Allen verbrieft hat, was er allein entbehrt. Jahrhunderte ziehen hinab, die Jahre rollen vorüber; es wechselt das Glück, es wechselt die Macht, Throne und Fürstenstühle wechseln ihre Inhaber, und diese selbst sind dem Loose alles Irdischen unterworfen; auch die Stimme der öffentlichen Meinung steigt auf und nieder, ebbet und fluthet. Die Fluth wird wiederkommen und der Tag nicht ausbleiben, wo sie ein Urtheil fällt über Jordan und seine Feinde.“

So schrieb im Jahre 1842 Joseph Meyer in seinem „Universum“ zu dem Bilde von Marburg. Es waltete Prophetengeist in dem kühnen Mann, welcher dies zu einer Zeit schrieb, wo Jordan noch drei Jahre im Gefängniß zu schmachten hatte, um endlich nach sechsjähriger Untersuchungshaft freigesprochen zu werden. Das geschah 1845, als Hassenpflug „der Hessen Haß und Fluch“ war. Und drei Jahre später, welch ein Schauspiel für Gotter bot sich da in demselben Lande dar? Ist der bleiche Mann, den sie jetzt Herr Geheimer Legationsrath tituliren, derselbige Marburger Rechts-Professor, welcher durch seine abscheulichen politischen Verbrechen seinen gnädigsten Landesvater, den Kurfürsten von Hessen, und dessen Minister so tief gekränkt hatte? Ja, er war es, der abscheuliche Mensch, der Anno Dreißig als Abgeordneter der Landesuniversität auf dem Landtag zum Vorsitzenden und Berichterstatter des Verfassungs-Ausschusses gewählt wurde und nun auf die Ausbildung dieser Verfassung seinen entscheidenden Einfluß ausübte, und zwar im Geist gesetzlicher Ordnung und freiheitlicher Entwickelung. Das verdiente eine exemplarische Strafe. So wurde denn ein verurtheilter Todtschläger (Apotheker Döring) begnadigt, um mit gedeihlicherer Seelenruhe die Denunciation gegen den längst von geheimer Polizei überwachten liberalen Professor auszuspinnen, und zwar mit Fäden, dick genug, daß eine gestrenge Justiz einen sechsjährigen Proceß daraus zusammenzudrehen vermochte. Wie recht die Gerechtigkeit hatte, dafür lieferte der Himmel den besten Beweis, denn er ließ dem Verbrecher zwei erwachsene Töchter sterben, während er droben auf dem Schloß in der Haft saß.

Und nun – 1848? Da ist’s freilich etwas Anderes. Es war gewiß eine sehr gute Miene, welche der kurfürstliche Hof nebst Ministerium zu dem bösen Spiel der großen Bewegung machte, als er, schwerlich aus angestammter Huld und Gnade, den Verbrecher-Professor als Vertrauensmann kurfürstlicher Regierung an den Bundestag nach Frankfurt am Main sandte. War das ein Schalksstreich der Nemesis! Ein kurhessischer Wahlkreis verschaffte ihm auch einen Sitz als Abgeordneter in der Paulskirche. – Jordan hat es noch mit erleben müssen, daß Hassenpflug Arm in Arm mit der Reaction nach Kurhessen zurückkehrte, um fernerweit sein Jahrhundert in die Schranken zu fordern; und dann starb er doch viel zu bald, um den Lohn seines Lebens und Leidens zu ernten; er erlebte 1866 nicht und 1870 nicht; der deutsche Märtyrer unserer jämmerlichsten Zeit starb am 15. April 1861. Sein Denkmal ist das Schloß von Marburg, das hochragend in die Welt ruft: hier hat Sylvester Jordan dafür gebüßt, daß er seine Mannes- und Bürgerpflicht gethan! –

Außer dieser Merkwürdigkeit hat das Schloß auch steinerne Sehenswürdigkeiten in den alten Bauten, die noch unverdorben von späterer Pfuscherei bis auf die Gegenwart gekommen sind.

Die Stadt aber, die unsere Illustration uns so lockend hinstellt, ist jedenfalls bequemer anzuschauen, als zu durchwandeln, denn viele ihrer Straßen und Gassen steigen steilan und manche können nur auf Treppenstufen passirt werden. Ihre zwei größten Schätze sind die 1527 von Philipp dem Großmüthigen gestiftete Universität, die freilich ihre Studentenzahl selten über 250 bringt[WS 1], und die Kirche der heiligen Elisabeth, ein gerechter Stolz, nicht blos Marburgs, sondern Deutschlands, denn in ihr ist eines der reinsten Muster der strengen Gothik und zugleich eine der ältesten sogenannten „Hallenkirchen“ uns erhalten. Nur unsere gute Thüringer Elisabeth, die nach ihrer Verstoßung von der Wartburg in Marburg ihr Märtyrerleben beschloß, dessen Denkmal ihre Kirche ist, sie selbst ist, wie ihr Sarg und ihre Edelsteine von den Franzosen, von den Pfaffen gestohlen und verhandelt worden. Streiten sich doch jetzt drei Bischofskirchen um den Besitz des richtigen Schädels! So läuft den Besten das Unglück noch nach dem Tode nach! –

Desto freundlicher ist das Stückchen deutscher Erde, das sich thalauf und thalab an die Lahn schmiegt, – der Anblick desselben versöhnt mit viel Vergangenem und öffnet das Herz für den deutsch-nationalen Aufschwung der Gegenwart, dessen auch Hessen theilhaftig geworden ist und der, so lange es an Männern wie Jordan nicht fehlt, auch eine beglückende Zukunft verheißt.
Fr. Hfm.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. vergl. Berichtigung in Die Frequenz unserer Universitäten.